Autoreninterviews

Hier lesen Sie Interviews die mit Autoren für www.facesofbooks.de oder für den Hessischen Rundfunk geführt wurden.

Edith Piaf

Jens Rosteck Édith Piaf Hymne an das Leben Propyläen

 

 

Was faszinierte Sie am Spatz von Paris?

 

Ihre Fähigkeit, sich in allen Lebenslagen wieder aus der Patsche zu helfen. Ihr Vermögen, als Stehaufmännchen (oder besser: -weibchen) immer erneut von vorn anzufangen, nie aufzugeben oder sich fallen zu lassen. Ihre Begabung, andere Talente aufzuspüren und systematisch zu fördern. Ihr unbedingter Kunstwille. Ihre Disziplin. Ihre atemberaubende, geradezu unwahrscheinliche Energie. Ihre verschwenderische Großzügigkeit, die ihr selbst noch in den schlimmsten Lebensphasen eine große Würde verlieh.

 

Was ist das Neue in Ihrer Biographie?

 

Der so noch nie dagewesene Einbezug der Musik, der Chansons und ihrer Bühnenauftritte. Vierzehn ausführliche Kapitel beleuchten wichtige Lied-Stationen in Piafs Vita - und kontrapunktieren sie. Darin nehme ich die Biographien dieser Chansons unter die Lupe, zeige aber auch, was Piaf auf der Bühne mit ihnen anstellte und wie sie sie zum Leben erweckte, sich anverwandelte, lebte. Darüber hinaus habe ich zahlreiche unveröffentlichte Dokumente ausgewertet (u.a. den intensiven Briefwechsel mit ihrem väterlichen Freund Jacques Bourgeat, einem Schriftgelehrten), ihre soeben erst publizierte Korrespondenz mit Toto Gérardin integriert, die Pariser Wurzeln Piafs deutlich offengelegt und auch eine sehr persönliche Paris-Flanerie in mein Porträt eingewoben.

 

 

Was war das Einzigartige an Edith Piaf?

 

Ihre Stimme - und der extreme Kontrast zwischen ihrer fast grotesken physischen Erscheinung und ihrer ungeheuren Wirkung, ja Macht, die sie auf alle, mit denen sie zusammentraf, ausübte. Ihre phänomenale Zirkushaftigkeit. Ihre schonungslose Ehrlichkeit, die sich oftmals in Grausamkeit verwandelte. Ihr ewiger Hunger nach Liebe. Ihre Brutalität, die einher ging mit einem fast kindlichen Bedürfnis nach Zärtlichkeit.

 

 

Beschreiben Sie in 5 Sätzen die hohe Liedkunst der Piaf?

 

1. Ihre Unmittelbarkeit und Dringlichkeit - Piaf rückte mit ihrer

sparsamen, reduzierten Gestik, ihrem vertraulichen, beschwörenden Raunen, mit ihrem Dauer-Vibrato, mit ihren rollenden R's und ihren auf die Spitze getriebenen Nasallauten ihren Zuhörern ganz dicht auf den Pelz.

 

 

2. Ihre Authentizität - die Bühnenfigur, die Piaf für sich geschaffen

hatte, ihre "Persona", wirkte absolut glaubwürdig. Wenn sie im

Scheinwerferlicht stand, klagte und deklamierte, nahm ihr das Publikum die verlassene Hure, das betrogene Straßenmädchen, die desillusionierte, einsame Liebende und die lebensweise, erfahrene Troubadourin wirklich und augenblicklich ab.

 

 

3. Ihre Intensität und Unerbittlichkeit - Piaf hatte schon in ihrer

Kindheit und Jugend gelernt, sich mit ihrem vokalen Organ Gehör zu verschaffen. Sie verstand es, Menschen dazu zu bewegen, auf der Straße stehenzubleiben und ihr zu lauschen. Den Verkehr zu übertönen, andere zum Schweigen zu bringen. Das zahlte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten immer mehr aus. Sobald sich ihre Stimme erhob, nicht selten mit einer gewissen Schärfe und Autorität, verstummten alle und unterwarfen sich ihr.

 

 

4. Ihre Körperlichkeit - immer wieder behaupteten Zeitgenossen zu Recht, die Stimme Piafs entringe sich einem geschundenen Leib, dringe direkt aus den Eingeweiden ans Ohr ihres Publikums. Piaf kehrte stets ihr Innerstes nach außen. Piaf verausgabte sich ohne Schonung. Piaf gab immer alles. Piaf sang, jeden Tag wieder von vorne, auf die rücksichtsloseste und zugleich empfindsamste Weise.

 

 

5. Ihre kaum verschleierte, tiefe Religiosität - hier präsentierte sich eine Hohepriesterin der Liebe und des Lebens. Piafs Fans waren ihr im Wortsinne "hörig". 

 

 

Ein so pralles Leben zu beschreiben zwingt dazu wegzulassen...worauf

mussten Sie verzichten?

 

Ich hätte gern noch ein wenig mehr berichtet von ihren Amerikaaufenthalten und -tourneen, von denen einige durchaus große Bedeutung für ihre Karriere und internationale Bedeutung hatten. In meinem Buch nehmen sie zwar schon vergleichsweise breiten Raum ein, dennoch wäre ich hier gern weiter in die

 

Tiefe gegangen. Was ihr Privatleben und ihre Laufbahn im allgemeinen anging, ist, hoffe ich, kein Aspekt wirklich zu kurz gekommen. Ursprünglich hatte ich insgesamt achtzehn Chansons einzelne Kapitel gewidmet, jetzt sind es "nur noch" vierzehn. Das bedauere ich. Mehr davon hätte jedoch den Rahmen eines Buches für ein großes Lesepublikum gesprengt. Dennoch glaube ich, dass die Bandbreite ihres Wirkens in diesen verbleibenden Chansonkapiteln von mir ausreichend gewürdigt werden konnte.

 

 

Was bleibt von Edith Piaf?

 

Die Erinnerung an ein seither versunkenes Frankreich, in dem Charme, Esprit, Theatralik und Paris-Beschwörung aufs Schönste miteinander verschmolzen sind und eine unverwechselbare Identität herzustellen vermochten. Dieses Frankreich, das immer auch ein Frankreich der Straßenkinder und der Gosse war, gibt es so nicht mehr. Nachfolgerinnen hatte Piaf keine - dafür war sie viel zu individuell, zu verschroben, zu markant.

 

Wer auch immer ihre Stimme vernimmt, verbindet mit ihr tiefstes Elend und Glamour, wer Piaf zuhört, befindet sich mitten in der Lichterstadt - in der schönsten Stadt der Welt.

 

Die Vermessug des Nullmeridians

Alfred van Cleef Die Reise auf dem Nullmeridian mare





1.              Wie kamen Sie auf die Idee für ihr Buch dem Null-Meridian zu folgen?

 

Der alt-griechische Philosoph Anaximander stellte einmal fest, dass der Mensch die Welt erst verstehen kann, nachdem er ihre Ränder sondiert hat. Das kann man natürlich metaphorisch betrachten, aber auch ganz wörtlich. Ich habe darum in meinem Leben sehr viele Orte und Länder besucht, die sich irgendwo an den Rändern der Welt befinden, im geografischen, oder auch im psychologischen und philosophischen Sinn: Albanien unter dem Stalinismus, Bosnien während des Krieges, Patagonien, Tonga, Madagaskar, die Kerguelen-Insel. Der Nullmeridian befindet sich auch auf einem Rand, stellt die Grenze zwischen der östlichen und der westlichen Halbkugel dar. Alle Länder der Welt benützen ihn bei der Feststellung der Koordinaten oder Zeitzonen. Er ist zwar unsichtbar und existiert doch auch real, obwohl es natürlich reiner Zufall ist durch welche Orte er läuft. Das spannende dieser Linie reisend zu folgen war für mich, dass sich für mich eine Momentaufnahme des Lebens in Europa und Afrika am Anfang des 21. Jahrhunderts bot. Ich begegnete zum Beispiel auf einem vom Nullmeridian durchschnittenen Fußballfeld in einem französischen Dorf einem alten Mann, der Pilze sammelte. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte. Wäre ich eine halbe Stunde früher dort gewesen, dann wäre ich vielleicht jemand ganz anderem begegnet. Oder niemandem. Das war das Schöne: Ich folgte der Linie im globalen Zeitalter, aber zugleich war meine Reise zeitlos. 

 

 


 

2.       Wie waren die konkreten Reise-Bedingungen?

 

Ich bin alleine abgereist mit nichts mehr als einem Rucksack und einem GPS-Empfänger. Ich hatte mir vorgenommen, die ganze Reise mit öffentlichen Transportmitteln zu machen, aber das war nur in England möglich. Schon in Frankreich war klar, dass ich meinen Plan ändern musste, weil der Nullmeridian dort nur Weiler und Dörfer passiert. Frankreich und Spanien habe ich also zeitweise mit einem Mietwagen durchfahren, aber zu Fuß laufend natürlich auch. In Afrika habe ich alle mögliche Transportmittel benutzt: Lastwagen, Fährschiff, Motorboot, Moped, Motorrad, Fahrrad, Geländewagen, Taxi, je nach den Umständen. Ich habe in Hotels geschlafen, unter einer Schafdecke in freier Luft draussen in der Sahara, auf Klassenzimmerböden, dioe aus Beton waren, in Zelten und Hütten. Ich war genau sechs Monate unterwegs, um von dem Englischen Dorf Tunstall aus die ghanaische Hafenstadt Tema zu erreichen.

 

3.       Welche Schwierigkeiten waren zu überwinden?

 

Weil ich so viele Landkarten und Geräte bei mir hatte war meine Rucksack mit achtzehn Kilo viel zu schwer. In Spanien bin ich von drei Männern überfallen worden, die mir Geld abgenommen haben, aber glücklicherweise nicht meine Reisepässe. In Gao (Mali) habe ich eine schwere Lebensmittelvergiftung bekommen, nach einem Besuch im Esslokal La Case Mysterieuse.

 

4.       War Europa ein leichtes und Afrika ein schweres Reiseland?

 

Ja und nein. Die Reisebedingungen in Europa sind natürlich total anders wie die in Afrika. In England habe ich Busse mit Klimaanlage und Züge benutzt, in Frankreich und Spanien ein Auto, in Afrika musste ich immer wieder improvisieren. Für Kontakten mit Menschen ist Afrika ein Paradies. Überall nahmen die Leute sich die Zeit, um mit mir zu reden und waren ganz begeistert herauszufinden, dass ihr Dorf oder ihre Stadt sich genau auf dem Nullmeridian befanden.Die erste Person in Europa, die ich danach fragte, wie es denn so ist, genau auf dem Nullmeridian zu leben – war eine Frau in der englischen Stadt Louth, die sich zwar aus dem Fenster lehnte – aber sie gab mir keine Antwort. „Finden Sie es etwa unangenehm?“, schob ich als Frage noch nach. Doch sie blieb bei ihrem Schweigen, dann ruckte der Kopf zurück, das Fenster schloss sich und sofort wurden auch die geblümten Gardinen zugezogen.

 

5.       Waren die Kneipen und Restaurants, die den Meridian im Namen tragen nicht überall gleich?

 

In England, Frankreich und Spanien gab es Kneipen und Restaurants mit Namen wie "Meridian Bar", "Crèperie le Méridien", "Greenwich" oder "Restaurante Meridiano Cero." In Afrika wussten viele Leute überhaupt nicht, was der Nullmeridian ist und schon gar nicht, dass er gerade durch ihr Dorf verläuft. In Ghana fand ich aber im Ort Odumase Krobo eine Trinkhalle mit Holzbänken namens "Meridian Spot". Der Besitzer hatte sich für den Namen Meridian entschieden, weil er aus Tema stammte, der Hafenstadt wo der Nullmeridian im Atlantischen Ozean verschwindet. Er wusste aber gar nicht, dass auch in seinem heutigen Wohnort der Nullmeridian in unmittelbarer Nähe seiner Kneipe verlief.


6.       Welche Überraschungen haben sie erlebt positiv und negativ?

 

Ich hatte meine Reise so gut wie möglich vorbereitet, aber ich wusste schon vorher, dass der Zufall eine große Rolle spielen würde. Als ich dann abreiste, war ich darum ziemlich angespannt. Was würde meine Reise bringen? Und wie schwierig würde es sein, um sechs Monate lang fast ständig unterwegs zu sein und von einem Ort zum nächsten zu reisen, und zwar ganz gleich, ob im englischen Regen und unter der glühenden spanischen Sonne, oder in der extrem heißen Sahara und in der staubigen Sahel-Zone. Ich musste auch die Sahara Richtung Nord-Mali durchqueren und wusste dass in diesen Rergionen Al Qaida-Zellen und Banditen operieren. Drei Niederländer die vorher diese Reise gemacht haben, wurden erschossen, einige Deutsche als Geisel genommen. Positiv war dass meine Vorbereitung sich hier ausgezahlt haben und ich keine Probleme hatte. Oder man kann auch sagen: Glück gehabt! Negativ war aber für mich, dass die algerischen Behörden mir das Visum verweigerten.

 

7.       Wird die Welt nicht immer ähnlicher: McDonald, Starbucks, TV-Flatscreens an den Wänden und das Reisen wird damit uniformer?

 

Meine Nullmeridianreise hat mich zu den größten entlegenen Winkeln von bettelarmen Ländern wie Mali und Burkina Faso geführt. Dort findet man keine McDonalds oder Starbucks-Filialen, in Mali war ich sogar in einer richtigen Stadt ohne eigene Stromversorgung. Ich finde übrigens die Unterschiede zwischen England, Frankreich und Spanien auch noch ziemlich groß. Man muss nur dafür sorgen die McDonalds-Kette zu vermeiden.

 

8.       Reisen mit Kompass legt den Reisenden fest, starten Sie demnächst eine Sponti-Reise?

 

Meine nächste Reise ist wahrscheinlich nach Berlin, um dort den ITB-Buch-Award 2013 in der Kategorie ‚Das besondere Reisebuch’ in Empfang zu nehmen. Momentan reise ich täglich in meinem Amsterdamer Haus vom ersten Stock in den zweiten, wo ich an einem neuen Roman arbeite.