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Herzliche Grüße,
Norbert Schreiber
«Frei und links» – Willy Brandt war der Kanzler des «anderen» Deutschland. Nach seinen Bestsellern über Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt legt der langjährige ZEIT-Journalist Gunter
Hofmann nun ein einfühlsames Portrait des Mannes vor, der die konservative Adenauer-Republik durchlüftete und mit den Ostverträgen und seinem Kniefall in Warschau Weltgeschichte schrieb. In seiner
Biographie zeigt Hofmann uns den «ganzen» Brandt, jenen außergewöhnlichen Menschen, dessen Politik nur zu verstehen ist, wenn man auch sein Leben kennt, propagiert CH.Beck in der Verlagsankündigung
diese Biographie.
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Titel Olaf Kühl Z Kurze Geschichte Russlands von seinem Ende her gesehen Rowohlt Verlag
Autor Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent
für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke
Berlin-Preis ausgezeichnet
Inhalt Das ist die Generalfrage: Wie wurde Russland zu dem, was es derzeit ist? Welche Strukturen haben sich entwickelt? Welche Eliten regieren?
Was meint das Volk?
Der langjährige Osteuropareferent der Regierenden Bürgermeister von Berlin, kennt Russland. Über Jahrzehnte hinweg hat er nicht nur die großen Städte wie Moskau und Leningrad besucht, er fuhr bis
nach Sibirien und in den weiteren Fernen Osten. Ein Insider-Porträt über die russische Föderation.
Gestaltung Hardcover 223 Seiten, nicht bebildert, gesetzt aus der Dolly Pro, mit Literaturliste
Cover Das Symbol Z ist eines von anderen Zeichen wie O, V, X, A auf Militärfahrzeugen der Streitkräfte Russlands gezeichnet, die an dem russischen
Überfall auf die Ukraine beteiligt sind. (Quelle Wikipedia) Die Bedeutung wird unterschiedlich interpretiert.
Zitat „So paradox das klingt – für dieses Russland, ist es die einzige Rettung, endgültig besiegt zu werden.“
Meinung Olaf Kühl schlägt zwar einen weiten Bogen in seiner Darstellung Russlands, von den eignen Studentenjahren in Moskau, seinen eigenen
Irrwegen, über Russlands Traum von neuer Größe, über die Wiederkehr des Terrors, den neuen Propagandatechniken, den kapitalistischen Lastern, dem neuen Heldentum, bis hin zum Realitätsschock, dass
Russland verloren ist. Die Themenpalette ist zwar breit und dennoch schafft es Kühl in essayistischer Weise eine knappe Darstellung dessen, was in Russland passiert, ohne sich zu tief in den
Einzelzeiten zu verlieren. Auch das Anekdotische fasziniert, wir erfahren Hintergründe bei Staatsbesuchen, die man sonst nicht erfahren würde. Kühl warnt davor, dass der Westen nicht um seines
Wohlstands willen einknickt und das zynische und gewalttätige Regime in Russland gewähren lässt. Dann hätte nicht nur der Westen, sondern die ganze Welt verloren.
Im Kapitel Realitätsschock zieht Kühl folgendes Fazit: Jede positive Verbindung zur Ukraine, zum Brudervolk ist zerstört. Zigtausende Menschen wurden ermordet. Das Nationalbewusstsein der Ukraine
wurde erst richtig erweckt. Das ukrainische Territorium ist zerstört. Die Ukraine ist für das russische Imperium verloren. Die Russen haben sich nach dieser Wahnsinnstat als genau das erwiesen, was
sie bekämpfen wollten, als Nazis. Den letzten Satz hätten wir gerne differenzierter formuliert. So setzt der Autor „Die Russen“ willentlich in Anführungszeichen. Das hätten wir gerne genauer gehabt.
Gleichwohl: „Die Kräfte der geistigen Genesung aber müssen von innen kommen.“
Leser alle SPD-Mitglieder, wirkliche Osteuropa-Experten, aber auch solche, die es erst seit kurzem sind, Journalisten, Bundestagsabgeordnete
und Annalena Baerbock
Pressestimmen
„Am Tiefpunkt angelangt – Olaf Kühl schildert ebenso drastisch wie anschaulich den Niedergang Russlands“ NZZ
LINKS Kulturzeit 3sat
https://taz.de/Osteuropa-Experte-Kuehl-ueber-Russland/!5921296/
Video https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/gespraech-mit-olaf-kuehl-zu-z-kurze-geschichte-russlands-100.html
Audio
MDR Kultur
https://www.mdr.de/kultur/podcast/diskurs/diskurs-olaf-kuehl-russland-100.html
Bayern 2
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/eins-zu-eins-der-talk/olaf-kuehl-osteuropa-experte-100.html
Die beiden Moskau-Korrespondenten arbeiten während einer „Spezialoperation“, aber ureigentlich befinden sie sich konkret in einem Krieg. Ihre Aufgabe ist die Berichterstattung für Hörfunk und
Fernsehen aus Moskau in Richtung Österreich zu leisten. Für den Hörfunk und das Fernsehen. Die beiden Korrespondenten erzählen in ihrem neuen Buch vom Leben der Menschen unter Kriegsbedingungen. Ein
am konkreten Alltag orientiertes Bild wird gezeichnet. Sie schreiben vom Kriegsbeginn an, was sie Tag für Tag erleben, wen sie treffen, wie die Menschen die Geschehnisse einschätzen. Die beiden
Buchautoren empfinden sich nicht als Kriegs-Berichterstatter, denn Sie sind nicht in den Schützengräben in der Ukraine unterwegs. Das Buch ist eine anschauliche Innenansicht Russlands. Da geht
ein Land als Aggressor in die Weltgeschichte ein, und wir sind Augen- und Ohrenzeuge. Der Leser erfährt auch sehr hautnah, was es heißt unter der Zensur zu arbeiten und wie es dennoch gelingen kann,
eine kritische Haltung zu bewahren. Lehrreich, wie die russische Bürokratie die Journalisten bei der Einreise an den Flughäfen drangsaliert, wie subkutan Einfluss genommen wird.
Beide Korrespondenten wechseln sich als Kapitel-Autoren ab. Sie besuchen auch die Provinz, um ein Bild jenseits der Kapitale Moskau oder Leningrad zu zeichnen. Wir erfahren vom Grauen in Mariupol,
vom Kaltstellen der Opposition, vom Innenleben der Wagner-Söldnertruppen. Vom Ende der Meinungs- und Redefreiheit, von einer tief gespaltenen Gesellschaft.
Im Nachwort werden die Autoren in der in einem Nachwort am Ende dann doch gebotenen Kürze politisch. Sie sprechen von der Unvorhersehbarkeit der Lage, und von der Schuldfrage, die eines Tages
gestellt werden wird. Die Stärke des Buches ist die Nähe zu den Menschen und deren Schicksal, die Schwäche, die politische Analyse fällt mehr als knapp aus, aber vielleicht war ja genau das
gewollt.
Paul Krisai/Miriam Beller RUSSLAND VON INNEN Leben in Zeiten des Krieges Zsolnay
Paul Krisai wurde 1994 in Mödling bei Wien geboren und studierte Journalismus in Graz und Sankt Petersburg. Seit 2019 ist er Korrespondent im ORF-Büro Moskau,
das er seit 2021 leitet. 2022 wurde er mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet und zu Österreichs Journalisten des Jahres gewählt.
Miriam Beller, geboren 1988 in Vorarlberg, hat in Wien und Irland Internationale Entwicklung studiert, absolvierte anschließend die ORF-Akademie und berichtet
seit 2021 als Korrespondentin für den ORF aus Moskau. 2022 wurde sie mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet.
Vor 2500 Jahren war Syrakus auf Sizilien für die Griechen das New York des Mittelmeers: Aischylos brachte hier Stücke zur Uraufführung, Platon reiste aus Athen gleich dreimal an, der Tyrann
Dionysios ersteigerte die Lyra des Euripides, und die schmachtende Nymphe Arethusa versteckte sich im Papyrushain. Dass all das heute noch präsent ist, erfuhr Joachim Sartorius, als er Syrakus zu
seinem zweiten Lebensmittelpunkt machte. An seiner Seite wandern wir mit Nymphen und Zyklopen durch Ortigia, die auf einer Insel liegende Altstadt, und treffen ganz heutige Barone, Polizisten,
Künstler und Barbiere. Vor unseren Augen entfaltet Sartorius die Tiefe der sizilianischen Geschichte, das Neben- und Übereinander von Kulturen, Stilen und Lebenshaltungen und fügt Details der
modernen und antiken, der barocken und der zeitgenössischen Welt zu einem impressionistischen Stadtbild von großer Leuchtkraft. (MARE)
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„V13“ steht für das Französische „vendredi 13“, also Freitag der Dreizehnte – im Aberglauben ein Unglückstag. Am 13. November 1915 war es der Unglückstag für 130 Tote, unzählige Verletzte und
Traumatisierte im Bataclan und an den anderen Orten des Terrors dieses Tages in Paris.
Fast sechs Jahre später findet im altehrwürdigen Justizpalast auf der Île de la Cité der beinahe zehn
Monate dauernde Jahrhundertprozess statt: 14 Angeklagte, 1800 Nebenkläger, 350 Rechtsanwälte. Der 1957 geborene Emmanuel Carrère, keineswegs ein Gerichtsreporter, sondern renommierter Filmschaffender
und Autor von Romanen, hat den Prozess Tag für Tag besucht.
Er schrieb wöchentliche Kolumnen darüber für „L’OBS“, wie der „Nouvel Observateur“ seit 2014 heißt, eines der großen französischen Nachrichtenmagazine mit
einer Auflage von 400.000 Exemplaren. Aus diesen wöchentlichen Gerichtsreportagen ist das wie aus einem Guss geschriebene und von Claudia Hamm in allen Nuancen treffend übersetzte Buch
entstanden.
Sein Publikum erwartet ein doppeltes Scenario: Vermittelt durch Hunderte von Perspektiven der Zeugen und der weiteren Prozessbeteiligten, rekonstruiert das
besonnen und nach allen Regeln der französischen Strafprozessordnung arbeitende Gericht das grausame Mordgeschehen an jenem Freitag, dem Dreizehnten November 2015. Das Gericht benötigt das
Wiederaufleben der Bilder und Töne dieser Bluttat, um zu einem Urteil zu gelangen. Die Haupttäter stehen nicht mehr vor diesem weltlichen Gericht – sie haben sich durch das Zünden ihrer
Sprengstoffgürtel selbst gerichtet.
Die literarische Gerichtsreportage von Emmanuel Carrère liest sich wie ein Augenzeugenbericht, erzählt anhand einzelner Schicksale von Zufällen und
Wundern, die an diesem schrecklichen Tag über Leben oder Tod entschieden. Das zweite Drama, nicht weniger eindrucksvoll in diesem außergewöhnlichen, genreüberwindenden Buch, ist die Welt im riesigen
Verhandlungssaal, eben die Reportage über einen sorgsam strukturierten Mammutkongress. Dabei zitiert der Autor z.B. einen der sonst meist ihr Schweigerecht wahrnehmenden Angeklagten: „Sie lesen das
Ende des Buches, aber sie sollten es von Anfang an lesen!“. Gemeint hat er das auch von Frankreich unterstützte Bombardement des Iraks und des „IS“, dem sich die Täter zumeist verpflichtet fühlten.
Der damalige Präsident Hollande wurde dazu vom Gericht gehört. Er galt als „Beteiligter“, weil er an diesem Freitag Gast des Fußballspiels Frankreich gegen Deutschland im Stade de France war, vor
dessen Toren die verspätet eingetroffenen Mörder nur noch sich selbst in die Hölle sprengen konnten.
Viel bewegender sind die zahllosen Beweise von Menschlichkeit, von republikanischer Gesinnung, von Hilfsbereitschaft, z.B. wenn die Mutter einer Ermordeten
als Nebenklägerin den Verteidigern der Mörder oder Mordgehilfen zuruft: „Und jetzt machen Sie Ihre Arbeit, aber machen Sie sie gut!“ Das Recht auf optimale Verteidigung hat in Frankreich jeder
Angeklagte, und mit diesem Appell bekennt sich die Mutter eines Opfers zu diesem Recht der Mörder als Menschenrecht. In der Gerichtsreportage „V13“ singt Emmanuel Carrère das Hohelied des
Rechtsstaates in einem zivilisierten Land Europas nach der Partitur des Prozesses, der die Täter des blutigsten terroristischen Verbrechens ihrer gerechten Strafe zuführt.
Harald Loch
Emmanuel Carrère: „V13“ Die Terroranschläge in Paris Gerichtsreportage
Aus dem Französischen von Claudia Hamm
Matthes & Seitz Berlin, 2023
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Aus aktuellem Anlass noch eine Notiz zum familiären Hintergrund des Autors.
Während der Niederschrift dieser Rezension ist die Mutter des Autors am 5.8.2023 gestorben. Emmanuel Carrère ist der 1957 in Paris geborene Sohn der französischen Historikerin Hélène Carrère
d’Encausse, der ersten Frau in der mehrhundertjährigen Geschichte der Académie Française, die als Secrétaire perpétuel ab 1999 an der Spitze dieser Institution stand. Die Mutter des Autors hatte
georgische und deutsch-russische Wurzeln. Eine Cousine von ihr ist die amtierende Staatspräsidentin Georgiens.
Kaum einer kennt Russland besser als Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er legt nun ein atemberaubend geschriebenes Buch vor, das Russlands Absturz in
eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg aus nächster Nähe nachzeichnet. (C.H.Beck)
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Eine Weltgeschichte aus Niederschlagsmengen, Sauerstoffisotopen in Eisbohrkernen, Sonnenflecken, Vulkanexplosionen und Temperaturschwankungen beschreibt die Vergangenheit und weist in eine
ungewisse Zukunft. Der 1971 geborene Oxforder Professor für Globalgeschichte Peter Frankopan hat sie geschrieben und ihr den Titel „Klima – eine Menschheitsgeschichte“ gegeben.
Sie beginnt mit den Bedingungen menschlichen Lebens auf der Erde, also vor der ersten und führt bis zur „letzten Generation“. Es geht um die Wechselwirkungen zwischen dem Klima und den Menschen.
Anfangs dominierte die Natur die Entwicklung der Menschheit. Bald veränderten deren Aktivitäten den natürlichen Lebensraum und schufen neue klimatische Verhältnisse für sich.
Der Autor beschreibt die Entwicklung von etwa 12000 v. Chr. bis heute in 25 Kapiteln. Frankopan ist Historiker. Er nimmt für sich und sein Publikum die Herausforderung an, die
Menschheitsgeschichte mit natürlichen Entwicklungen abzugleichen, die überwiegend naturwissenschaftlich zu erklären, zu messen und zu bewerten sind. Er trägt dafür wissenschaftliches Fachwissen
zusammen. Die etwa 3000 Anmerkungen weisen auf seine Quellen – überwiegend angesehene wissenschaftliche Publikationen. Eine verantwortliche Quellenkritik an den von ihm verwendeten
naturwissenschaftlichen Befunden kann von dem Historiker nicht erwartet werden. Unsicherheiten in der Bewertung solcher Forschungsergebnisse markiert er in dem flüssig niedergeschriebenen, spannenden
Text, so dass nichts als bewiesen gilt, was nur behauptet wird, kein Kausalzusammenhang konstruiert wird, wo es sich nur um Korrelationen handelt.
Die Fülle von Informationen über Naturphänomene aus Zehntausenden von Jahren und ihre Auswirkungen auf die Menschheit kann die Leserin oder den Leser schon überfordern – kaum zu glauben z.B.: „Die
Explosion des Vulkans von Santorini um 1600 v. Chr., einer der gewaltigsten Ausbrüche der letzten fünf Jahrtausende (mit einer Sprengkraft von zwei Millionen Atombomben vom Typ der Hiroshima-Bombe)
ist ein gutes Beispiel.“ Das war vor langer Zeit und wird bis heute naturwissenschaftlich als „Minoische Eruption“ diskutiert. Was aber ist in Zukunft zu erwarten? „Die mit Abstand größte Gefahr für
das Weltklima geht von Vulkanen aus“, schreibt Frankopan und weist auf den Ausbruch des Unterwasservulkans in Tonga vom 15. Januar 2022 hin, der die Gewalt von hundert Hiroshima-Bomben (!) hatte. Er
sei zum „Hypertreibstoff eines Megagewitters“ mit 600 000 Blitzen in drei Tagen geworden.
Das sind die großen, plötzlichen Ereignisse, die das Klima beeinflussen. Seit über 200 Jahren hat sich das Verhältnis umgekehrt: War es bis dahin die Natur, die dem Menschen die Lebensbedingungen
aufzwang, ist es seitdem menschliches Handeln, das die Natur verändert. Das geschieht mit großer Beschleunigung und ist allmählich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Die erforderlichen
politischen und praktischen Konsequenzen werden daraus aber nur zögerlich gezogen. In einem Stakkato zählt der Autor menschliche Umweltsünden auf. Hier nur einige, die neben den hauptsächlich
diskutierten Faktoren für die Erderwärmung kaum Beachtung finden:
Wasser: Einer der weltgrößten Grundwasserspeicher unter den Great Plains Nordamerikas wird von der Landwirtschaft leergepumpt. „Der Aquifer sei über Jahrmillionen entstanden, doch nun werde er in der
Lebensspanne eines einzigen Menschen ausgeschöpft“. Oder: „Bei der Herstellung eines einzigen T-Shirts werden 2700 Liter Trinkwasser verbraucht.“ Klimaanlagen: „Weltweit entfallen heute 10 Prozent
des Stromverbrauchs auf Klimaanlagen und Ventilatoren.“ Müllbeseitigung: „Müll wird oft übersehen, obwohl seine Beseitigung für rund 20 Prozent der menschlichen Emissionen verantwortlich ist, vor
allem durch die Gärung organischer Abfälle auf Mülldeponien.“
Lebensmittelverschwendung: „Geschätzte 8-10 Prozent der globalen Treibhausemissionen gehen auf nicht konsumierte Lebensmittel zurück.“ Flaschenwasser: „Eine Untersuchung in Barcelona zeigte, dass
Flaschenwasser die Umwelt 3500-mal so stark belastet wie Trinkwasser aus dem Hahn.“ Kreuzfahrschiffe: „Eine Analyse hat ergeben, dass allein der weltgrößte Kreuzfahranbieter 2017 an den Küsten
Europas mehr schädliche Abgase freisetzte als alle 260 Millionen Pkws Europas zusammengenommen.“ Militär: „Die US Army verbraucht mehr fossile Brennstoffe und produziert mehr Treibhausemissionen als
jede andere Institution der Welt. In Kriegszeiten steigt der Preis für Gesellschaft und Umwelt drastisch.“
Frankopan zitiert zum Schluss den Bericht des britischen Rechnungshofs von 2021. „Die Lösung des Klimaproblems ist ganz einfach: Am Ende werde nicht der Mensch, sondern die Natur die Nettoimmissionen
auf null bringen. Sie tut das mit einer katastrophalen Entvölkerung, ob durch Hunger, Seuchen oder Krieg.“ Vielleicht kommen wir dem nachhaltigen Paradies unserer erträumten Vergangenheit trotzdem
mit friedlichen Mitteln näher, schreibt der Autor, „ein Historiker würde allerdings nicht darauf wetten.“
Harald Loch
Peter Frankopan: „Zwischen Erde und Himmel“ Klima – eine Menschheitsgeschichte
Aus dem Englischen von Henning Thies und Jürgen Neubauer
Rowohlt Berlin, 2023
Zum Abendessen würde sich Ilko-Sascha Kowalczuk nicht mit Walter Ulbricht verabreden, wenn der noch lebte. Aber über den Erbauer der Berliner Mauer hat er eine Biographie geschrieben, deren
erster, bis 1945 reichender Teil jetzt in einer vornehmen deutschen Verlagsadressen erschienen ist. Mehr als dreißig Jahre nach dem die Welt verändernden Fall des „antifaschistischen Schutzwalls“ ist
das der kühne Versuch, das Leben und Wirken dieses deutschen Kommunisten nachzuzeichnen.
Dabei galt es für den Autor auch, die vielen, dem Kalten Krieg geschuldeten und im Westen verbreiteten Unwahrheiten über Ulbrichts Herkunft und Entwicklung mit sorgfältig recherchierten und durch
seriöse Quellen belegten Fakten entgegenzutreten. Der Autor ist 1967 in Ost-Berlin geboren, zwei Jahre vor Ulbrichts Tod. Kowalczuk wurde also noch in der DDR sozialisiert. Er ist nach der
Vereinigung an der Humboldt-Universität im Fach Geschichte promoviert worden.
Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Entstanden ist nicht nur ein Lebensbild von Walter Ulbricht bis zu dessen Rückkehr aus Moskau im Frühjahr 1945, sondern eine in
Ausschnitten spannend erzählte Geschichte Deutschlands von 1914 bis 1945, eine Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in diesem Zeitraum, natürlich auch eine Geschichte der KPD, ihrer inneren
Rivalitäten und ihrer Bevormundung durch die stalinistische KPdSU. Mehr als 4000 Anmerkungen zeugen vom Fleiß des Biographen. Sie vermitteln auch ein Bild von zeitgenössischen Meinungen und
Kommentaren. O-Töne von Genossen und Gegnern, auch aus abgelegenen Fundstellen oft erstmals wissenschaftlich ausgewertet, zeichnen ein manchmal verwirrendes, doch in seiner Unübersichtlichkeit
authentisches Bild einer heute kaum mehr nachvollziehbaren Zeit. In das Stimmengwirr der kontrovers erklingenden Auseinandersetzungen greift die Urteilskraft des Autors manchmal leider nicht deutlich
genug ein.
Walter Ulbricht wuchs in einer armen, aber nicht im Prekariat lebenden Leipziger Familie auf. Sein sozialdemokratisch orientierter Vater war Schneider und erzog seine Kinder zu Fleiß und Ordnung.
Walter absolvierte eine Tischlerlehre mit der Note „gut“ und ging danach 17 Monate auf die Walz, die ihn bis nach Italien, durch die Schweiz und nach Holland führte. Auch er stand den
Sozialdemokraten nahe, war ein entschiedener Kriegsgegner und erlebte seinen ersten Schock, als die SPD im August 1914 im Reichstag der Kriegsanleihe zustimmte. Das blieb für ihn wie für viele
Genossen das einschneidende Erlebnis, das zur Spaltung der Partei, zur Gründung des Spartakusbundes, der USPD und der KPD führte. Ulbrichts Biograph richtet seinen besonderen Blick auf diese
Entwicklung, weil sie die unversöhnliche Gegnerschaft zwischen Kommunisten und Sozialisten in der Weimarer Zeit begründete, die später von der Moskauer Zentrale noch angeheizt wurde. Die ganze
Biographie liest sich wie eine polemische und unerbittlich geführte Rivalität zweier Arbeiterparteien, von denen die die KPD die Weimarer Republik abschaffen und eine Diktatur des Proletariats
errichten und die SPD davon nichts wissen und die Republik erhalten wollte. Als mit der NSDAP eine weitere Partei den Kampfplatz betrat, die auch die Republik abschaffen und danach ihre eigene
Diktatur errichten wollte, buhlten drei Konkurrenten um die Masse der Arbeiter.
Dabei kam es zu bemerkenswerten „Schnittmengen“. Der Biograph zitiert Christian Striefler: „Bei 214 namentlichen Abstimmungen im Reichstag und Preußischen Landtag stimmten zwischen 1929 und Ende
1932 KPD und NSDAP in 140 Fällen gleich. In der 5. Wahlperiode waren sich die beiden extremistischen Parteien sogar nur in acht von 102 Abstimmungen uneins.“ Ulbricht wuchs inzwischen als fleißiger
und erfolgreicher Apparatschik und Berufsrevolutionär in der Partei und war besonders für sein Organisationsgeschick gefragt. Er setzte sich schon früh für den Wechsel der Organisationsstruktur der
Partei von Wohngebieten zu Betriebszellen ein. Später wurde dieses Prinzip von der Komintern für alle Kommunistischen Parteien verbindlich festgelegt.
Höhepunkte der Darstellung sind die gescheiterten Aufstandsversuche der KPD, die gnadenlose Zerfleischung im Inneren der Partei, die Gewalt der Auseinandersetzungen mit den Nazis, die Saalschlacht in
Friedrichshain, als nach Ulbricht Goebbels sprechen sollte, daran aber von den Kommunisten gehindert wurde, der Reichstagsbrand und der Dimitrow-Prozess vor dem Reichsgericht. Nach der
„Machtübertragung“ an Hitler tauchte die KPD wie gelähmt weg, Ulbricht ging in die Illegalität, die – soweit rekonstruierbar – spannend erzählt wird. Im Exil, das zunächst auf Prag, Paris und Moskau
aufgeteilt war, gingen die inneren Flügelkämpfe weiter und die Illusionen über einen schnellen Sturz der Nazis blühten in völliger Verkennung der Lage in Deutschland. Ulbricht verlegte seine Arbeit
nach Moskau und sein Biograph schildert seinen Aufstieg zunächst von Gnaden der Komintern und nach deren Auflösung von der KPdSU. Das Leben der Moskauer Emigranten im Hotel LUX, zu denen auch Herbert
Wehner zählte, dauerte bis zum Kriegsende.
Wenige Tage später flog die Gruppe Ulbricht von Moskau nach Deutschland. Hier endet der erste Teil dieser monumentalen Biografie, deren zweiter Teil für das kommende Jahr angekündigt wird. Dann
wird sich zeigen, ob und wie Ulbricht unter dem Schutz der Sowjetunion seine Ziele in der SBZ und in der DDR verwirklichen konnte. Man kann gespannt sein, ob sein Biograph einen historiografischen
Königsweg zwischen Verdammung im Westen und Verklärung im Osten finden wird. Eine endgültige Bewertung dieses wirkmächtigen und unbeliebten deutschen Kommunisten sollte man allerdings nicht
erwarten.
Harald Loch
Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht Der deutsche Kommunist (1893 – 1945) C.H.Beck, München 2023
Das waren noch Zeiten! Ein Schlafwagenzug verband Moskau mit Paris. In Berlin erinnert noch das Restaurant „Paris-Moskau“ an der Eisenbahnlinie an diese Verbindung. Auf dieser Strecke sitzen – wir
schreiben etwa das Jahr 1937 – ein sowjetischer Diplomat mit seiner Frau und dem beruflichen Anhang, ein alter General in neuer Uniform, der schon in der zaristischen Armee gedient hatte und ein
Kampfgenosse Lenins in geheimem Auftrag. Jeder misstraut jedem. Es geht nach Paris und dort spielt der in dieser Zeit begonnene und kurz darauf in New York beendete Roman „Der Anfang vom Ende“ des
vor den Bolschewiken nach Paris geflohenen Mark Aldanow.
Der 1896 in Kiew geborene Autor kam aus einer Jüdischen Industriellenfamilie. Er hatte Recht und Chemie studiert und wandte sich schon in jungen Jahren dem literarischen und publizistischen
Schaffen zu. Bevor die Wehrmacht Frankreich besetzte floh er nach Amerika und kehrte nach dem Krieg nach Frankreich zurück, um 1957 in Nizza zu sterben. Er verfasste 16 Romane, war mit Bunin und
Nabokov befreundet und ist oft für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden, ohne ihn je zu erhalten. In Deutschland ist Aldanow so gut wie unbekannt, in der Sowjetunion waren seine Werke
verboten. Inzwischen sind sie auch in Russland erschienen.
„Der Anfang vom Ende“ liegt jetzt zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor. Andreas Weihe hat das Kunststück vollbracht, den durchgängig ironischen, in skeptischem Ton gehaltenen Roman in ein
Deutsch zu übersetzen, das der literarischen Qualität des Originals entspricht, die Spannung über mehr als 600 Seiten unangestrengt aufrechterhält und bei allem Ernst des Themas auf höchstem Niveau
unterhält. Aber in „Der Anfang vom Ende“ spricht nicht der politische Visionär, sondern einer, der seine Gegenwart reflektiert und beklagt, dass die westlichen Demokratien die spanischen Republikaner
damals nicht gebührend unterstützt haben.
Es geht einerseits um die Angst zur Zeit der terroristischen Prozesse, mit denen Stalin nicht nur Widersacher, sondern auch Weggefährten ermorden ließ. Kangarow, der Botschafter, hatte einst mit den
Menschewiki sympathisiert und einen entsprechenden Aufsatz veröffentlicht. Wird der ihm das Genick brechen, wird er nach Moskau zurückbeordert, wird ihm dort der Prozess mit vorhersehbarem Ausgang
gemacht? Tamarin, der General mit seinem „Clausewitz“ im Reisegepäck wird zur Beobachtung in den spanischen Bürgerkrieg geschickt und kommt dort bei einem Gefecht in Madrid um. Wislicenus ist der
Revolutionär in geheimem Auftrag, den in Paris sein Schicksal ereilt. Alle drei scharwenzeln auf ihre Art um Nadja herum, die junge und hübsche Botschaftssekretärin, ohne bei ihr zu landen – sie mag
keine alten Männer. In Momenten von Langeweile fängt sie an zu schreiben und hat sogar Erfolg – eine sowjetische Zeitschrift nimmt ihre erste Erzählung an. In Paris begegnen die Sowjets dem auf seine
alten Tage „leergeschriebenen“ renommierten Autor Vermandois, der den französischen Kommunisten nahesteht und dem Staranwalt Cerisier, einem Sozialisten.
In dramaturgisch gelungenen Dialogen und Salongesprächen sowie in monologischen Nachdenklichkeiten dieser meisterhaft modellierten Persönlichkeiten werden die moralischen Aspekte der
unterschiedlichen politische Auffassungen je nach Gewissenslage voller Esprit in die Handlung eingetragen. Die geistreiche Ironie verdeckt den Ernst des Hintergrundes keineswegs, verstärkt ihn
vielmehr, macht das alles aber auf intelligente und gebildete Weise lesbar. Indes: Für jeden der Protagonisten ist „Der Anfang vom Ende“ greifbar. Vermandois beschäftigt stundenweise einen Sekretär,
der einen anderen Auftraggeber aus einer eher anarchistischen Haltung, in Wirklichkeit aber aus Habgier ermordet. Aldanow baut seine Verbrechensgeschichte und den Prozess gegen ihn virtuos in die
übrige Handlung ein, verzichtet auch nicht auf die wundervolle Gerichtszene gegen den Sekretär, der von den Geschworenen in Versailles trotz des glänzenden Plädoyers von Cerisier und der
wohlwollenden Zeugenaussage von Vermandois zum Tode durch die Guillotine verurteilt wird. Restaurantszenen, ein herrschaftlicher Ball, die Flirtereien mit Nadja runden das opulente Werk ab. Es wurde
1943 in den USA zum Bestseller und von der New York Times zum Buch des Monats gekürt. 80 Jahre später erfreut es bereits kurz nach seinem Erscheinen ein großes deutsches Publikum vor allem mit seiner
literarischen Qualität – völlig zu Recht!
Harald Loch
Mark Aldanow: Der Anfang vom Ende Roman
Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Andreas Weihe sowie mit einem Vorwort von Sergej Lebedew
Rowohlt, Hamburg 2023
Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. Sie kamen, um zu berichten: von den Gräueln des Krieges und des
Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte in seinem
aufregenden und bewegenden Buch.Uwe Neumahr Das Schloss der Schriftsteller Nürnberg ´46 Treffen am Abgrund. (C.H.Beck)
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Zum Welttag des Buches 13 Krimi-Tipps für die Spannung im Bett - nach dem „Motto ohne Krimi geht die Mama oder Mimi nie ins Bett“: Buchtipps für ZIELGRUPPEN
1. Susanne Scholl Omas Bankraub Residenz Verlag
Buchtipp zielgruppengenau für Omas, Opas und deren Enkel.
Eine Entwicklung, die nicht nur in Österreich zu beobachten ist, am Ende des Monats ist die Familienkasse leergeräumt. Kein Wunder bei den Belastungen, die heute auf Familien zukommen. Armut zum
Krimithema gemacht, das ist das Anliegen der österreichischen Fernsehjournalistin Susanne Scholl, die vier Freundinnen zusammenkoppelt, deren Anliegen es ist, Altersarmut zu bekämpfen. Was erst
einmal als dröges politisches Problem gilt, wird hier zum Spannungsmoment, denn der chronische Geldmangel wird behoben durch kriminelle Kreativität. Wie das konkret geht, sei hier nicht verraten.
Einfach nachlesen.
2. Georges Simenon Maigret gerät in Wut Kampa Verlag
Zielgruppe: Für SIMENON-Enthusiasten
Von Diogenes hat der Schweizer Kampa Verlag die Rechte der Gesamtausgabe von Maigrets Büchern übernommen. Nun erscheinen sie wieder in neuem Gewand, nicht mehr als Taschenbuch, sondern mit festem
Einbanddeckel. Kommissar Maigret begibt sich mal wieder ins Rotlichtmilieu von Paris, als ein Nachtclubbesitzer verschwindet. Auch politische Momente geraten in die Handlung, weil vor diesem
Verschwinden der Anführer einer korsischen Bande auf offener Straße ermordet wurde. Wie immer gelingt es Maigret durch Dialoge und Spannungsbögen die reale Welt des Kriminellen uns vor Augen zu
führen. In stillem Ton, langsam ermittelnd. Paris ist wie immer die Kulisse. Die kurzen prägnanten Sätze von Simenon machen das Buch zu einem klassischen Lesevergnügen. Es ist der 61. Fall des
weisen Kommissars.
3. Horst Eckert Das Jahr der Gier Heyne
Zielgruppe: Kapitalkräftige und finanzarme Menschen
Das Buch beginnt nicht mit der Handlung und dem Text, sondern mit einer Übersicht über die vielen handelnden Personen an den Schauplätzen Düsseldorf, London, Singapur, München, Berlin, aber der
Handlungsstrang beginnt in einem kleinen Kaff, Moosbruck bei München. Es geht um einen WORLDCARD-Konzern und um die Finanz-Gier, als wäre es eine Geschichte so richtig mitten aus dem Leben gegriffen
spielen Finanzdienstleister, böse Mächte und natürlich das Thema Globalisierung mit. Kurzsatz Spannung!
4. Gilly Mc Millan Ein langes Wochenende… und dein Mörder wartet schon Blanvalet
Zielgruppe: Ein Krimi für Angsthasen
Das ist die klassische Konstellation: Ein abgelegenes Ferienhaus. Dort treffen sich drei Freundinnen, umgeben von Moorlandschaft, huhu, ein langes Wochenende steht bevor, seltsam auf dem Tisch liegt
ein Geständnis über ein schweres Verbrechen. Jetzt wird es aber happig: Wie immer kein Empfang fürs Handy, ein Sturm zieht auf, und alle sind von der Außenwelt abgeschnitten, klassisch atmosphärisch
düster, man friert beim Lesen, und natürlich heult der Wind.
5. Åsa Larsson Wer ohne Sünde ist Bertelsmann
Zielgruppe: Das Buch für Skandinavien-Krimi-Fans
Diesmal geht es ganz nach oben, nach Lappland, in die Naturkulisse der dunklen Wälder, da ist mal wieder ein Cold Case, ein ungeklärter Fall. Da bietet es sich an, in das Unheil der
Vergangenheit einzutauchen. Ein Spannungsbuch, das man in eine Skandinavien-Hütte mitnehmen sollte.
6. Ian Bray Klippengrab - ein Cornwall-Krimi PENGUIN
Zielgruppe: Ein Krimi für Küstenwanderer
Zugegeben, Meeresklippen in der Bretagne oder in Irland oder sonst wo auf der Welt haben auch mich immer wieder fasziniert. Deshalb laufe ich gern auf Wanderwegen, die links das Land und rechts das
Meer vor mir aufteilen. Okay, so habe ich gerne zu dem Buch KLIPPENGRAB gegriffen. Die Handlung spielt in einem beschaulichen Küstenort. Raue Klippen, hohe Wellen, Stürme und mysteriöse Fälle gehen
Verbindungen ein. Auf der einen Seite verschwindet plötzlich eine Frau oder auf der anderen Seite wird zugleich eine weibliche Leiche gefunden. Cornwall, die Lieblingsregion der Deutschen vom
Fernsehen her, wird zur Krimikulisse im Buch. Und alles ohne Pilcher, Rosamunde!
7. Ian Rankin Ein Versprechen aus dunkler Zeit Goldmann
Zielgruppe: Ein Krimi für verbliebene England- und Schottlandfreunde trotz Brexit
Das Buch beginnt literarisch mit Bertolt Brecht: „In den finsteren Zeiten, wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden, von den finsteren Zeiten.“ Na, da steigt man doch gerne in einen
Krimi ein, in dessen Mittelpunkt der Ermittler John Rebus steht, der im Ruhestand befindlich ist. Bisher sind 23 Rebus-Krimis erschienen. In diesem Buch geht es um einen verschwundenen Ehemann und
natürlich um Schottland.
8. Nora Luttmer Tiefergrund rororo
Zielgruppe: Ein Taschenbuch für Fans der Flüsse, in diesem Beispiel der Elbe
„Tiefergrund“ heißt ein Uferabschnitt an der Elbe, wo einst Kinder gespielt haben, mit etwas Angst in den Knochen. Die Autorin führt uns also zurück in die Vergangenheit. Schlimm, dass die ehemalige
Kommissarin an schweren Schlafattacken leidet. Ein junges Mädchen verschwindet. In dem Ort werden alte Wunden aufgerissen. Ein Krimi mit nördlicher deutscher Düsternis.
9.Lucy Foley Abendrot PENGUIN
Zielgruppe: Der Thriller für Paris- und Montmartre- Fans
Seltsam, die Hauptperson ist ein einsames Haus in einer dunklen Seitengasse, im Pariser Vergnügungsviertel Montmartre. Jezz ist auf der Suche nach ihrem Bruder, doch sie findet ihn in diesem Haus
nicht. Was birgt dieser Ort für ein schreckliches Geheimnis? Wieso gibt es zwischen den Nachbarn ewige Feindseligkeiten? Ein Angst-Thriller!
10. Die Toten von Fehmann LIMES Kriminalroman
Zielgruppe: Fehman-Fanatiker
Zunächst war es nur ein Spielchen: Jeder aus der Insel-Clique sollte auf einen Zettel ein Geheimnis schreiben, etwas Echtes, Dunkles, aber Wahres. Da schreibt Peter sein Geheimnis auf: „Ich weiß, wer
den Bolenda getötet hat.“ Ein Clique-Krimi!
11. Grethe Bøe Der Puls der Arktis HEYNE
Zielgruppe: Der Thriller für Kälte-Freunde
Klirrende Kälte ist die Hauptperson. Dann geht es um ein missglücktes Manöver und eine Nato-Pilotin. Durch eisige Landschaften muss sich die Pilotin mit einem verletzten Kollegen durchkämpfen. Nach
einem Absprung aus ihrem Flugzeug durch Schnee und Eiseskälte wühlen. Die Russen immer auf den Fersen. Leserinnen und Leser, zieht Euch warm an!
12. Hubertus Borck Die Klinik rororo
Zielgruppe: Der Thriller für Krankenhausinsassen, Ärzte, Pflegepersonal und Menschen, die auf Balkons klatschen
Man freut sich allgemein, wenn man als Patient einen Krankenhausaufenthalt überlebt. In diesem Fall kommt es leider anders. Nach Fahrradunfall, Krankenhausaufenthalt, Koma, stirbt ein junger
Familienvater ganz unerwartet. Warum? Wurde er umgebracht? Oder ist er doch nur falsch behandelt worden? Hat ihn jemand absichtlich getötet? Wieso gibt es in dieser Klinik mysteriöse Todesfälle in
Serie? Bei diesem Krankenhauskrimi steigt der Puls.
13. Thorsten Schleif Richter morden besser HEYNE
Zielgruppe: Ein Krimi, nicht nur für Juristen
Das ist schon etwas Neues, wenn einerseits der Autor selbst Richter ist und andererseits in dem Krimi Richter morden: Aber wie geht so etwas in einem Rechtsstaat? Ein Spannungsbuch nicht nur für
Paragrafen-Hengste.
Titel
Sörensen sieht Land rororo
Die Geschichte
Ein Volksfest gerät in Panik. Ein Auto rast in eine Menschenmenge. Fünf Todesopfer sind zu beklagen. Auch einige Verletzte, unter anderen der Vater von Sörensen, dem ermittelnden Kommissar vom
Land. Die Hauptspur führt zum Umfeld der Bürgermeisterin. Eine Gruppe von Jugendlichen gerät in Verdacht. Auch ein ehemaliger Kollege vom Sörensen macht sich verdächtig. Nicht genug, auch ein
Immobilienerbe und ein junges Mädel könnten bei der Todesfahrt dabei gewesen sein.
Das Besondere
Eine schwermütige Stimmung liegt über der Handlung und der nordfriesischen Landschaft. Alles ist im wahrsten Sinne des Wortes nebulös und irgendwie melancholisch. Dieses allgemeine Gefühl, das
sich beim Lesen einstellt, trifft sich mit der heftigen Angststörung des ermittelnden Kommissars, der sich in diesem vierten Fall dennoch ein paar positive Gefühle der Zuneigung zu seiner Kollegin
Jennifer erlauben darf.
Meinung
Sehr lebhafte und lebensnahe Dialoge mischen sich mit Alltagsbeobachtungen, etwa dass an bestimmten Autobahnabschnitten In Nordfriesland die Tankstellen vergessen wurden, wie es im Krankenhaus
hinter den Kulissen zugeht, was sich in einem Dorf hinter den Fassaden abspielt. Was an Polizeiarbeit nervt. Die Figuren haben scharfe Konturen, die Dialoge atmen Humor, dem Autor gelingen pfiffige
Wortspiele, mit 520 Seiten wäre jedoch die eine oder andere ausführlichere Darstellung verzichtbar.
Zielgruppe:
Krabbenbrötchenfans, Melancholiker, Nordseeurlauber, Bjarnemädelfangruppe
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, schien das großen Teilen der russischen Gesellschaft egal zu sein. Das ist nicht überraschend. Seit
Jahren wird das russische Expansionsstreben davon begleitet, dass gesellschaftlich das Recht des Stärkeren gilt. Gewalt wird von vielen als Mittel der Politik akzeptiert. Gesine Dornblueth und Thomas
Franke erklären, wie es dazu kommen konnte. Ihre Reportagen und Analysen führen uns durch drei Jahrzehnte, in denen nationalistische Kräfte über Verfechter demokratischer Werte die Oberhand gewannen.
Dabei wird deutlich: Der zukünftige Frieden in Europa hängt davon ab, ob wir Russlands Gesellschaft richtig verstehen und entsprechend handeln. (Herder)
mehr
Schon auf dem Titel dieser kleinen Broschüre steht, was die ehemalige Korrespondentin des ORF in Moskau, Susanne Scholl, von dem Angriffskrieg gegen die
Ukraine konkret hält: „Krieg ist dumm! Krieg ist keine Lösung! Krieg ist ein Verbrechen! Und trotzdem gibt es Kriege, die geführt werden müssen.“
Susanne Scholl gibt gleich eingangs zu: „Ich habe mich geirrt.“ Sie hatte nicht geglaubt, dass Putin zum Äußersten gehen würde. Nicht geirrt, so meint sie, habe sie sich in ihrer Voraussicht, dass
die Menschen sich sehr schnell an den Krieg gewöhnen werden.
Es ist ein sehr persönlicher Text, der auch die tieferen Emotionen der Autorin bloßlegt. Als der Krieg begann, fühlte sie sich wie eingefroren, konnte nichts spüren. Wir erfahren von Susanne
Scholl, dass die Geschehnisse sie wochenlang nicht schlafen ließen.
Erst nach und nach überwindet sie ihre Fassungslosigkeit, entdeckt das Ungerechte, Ungeheuerliche dieses Krieges zwischen zwei Ländern, die sie gut kennt. Es ist das Verdienst dieses
politischen und persönlichen Essays, dass Scholl auf die Vorgeschichten des Überfallkrieges eingeht, zum Beispiel auf das Wüten Putins in Tschetschenien. Sie führt uns zum Beispiel in die Stadt
Grosny, die Putin buchstäblich hat niederbomben lassen.
Sie erwähnt auch, dass sie Kontakte zur heutigen Nobelpreisträgerin Irina Scherbakowa hatte, deren Verdienst war und ist, die stalinistische Vergangenheit Russlands historisch aufzuarbeiten. Sie
konnte nicht weiter in Russland leben und musste emigrieren.
Die Autorin zeigt auch den Verrohungsprozess auf, den die russische Gesellschaft und ihre politischen Führer durchlebt haben.
Natürlich ist die Ukraine ein eigener Staat, auch wenn Putin und seine Entourage das nicht wahrhaben wollen.
Das Verdienst der Autorin ist es, auch die Opfer zu Wort kommen zu lassen, Opfer, die durch das staatlich sanktionierte Morden zu Opfern werden. So „en passant“ gibt die Korrespondentin auch
Medienkritik zum Besten, wenn sie erwähnt, dass die Fernsehchefs außenpolitische Berichterstattung zuweilen als „Ausschalt-Impuls“ empfinden. Das kenne ich selbst vom Radiomachen her auch zur Genüge.
Fazit: „Nur ein Ende des Systems Putin kann diesen Krieg beenden. Zum Wohl der Ukraine, aber auch Russlands selbst.“
Es bleiben in diesem kurzen Essay Fragen offen, aber das ist der Autorin nicht vorzuwerfen, denn auch die Frage, wann der Krieg zu Ende sein wird, ist mehr als offen.
Die Schrift spricht Klartext. Sehr verdienstvoll.
Es ist ein schonungslos offener Text, der auch die persönlichen Gefühlsebenen mit offenbart, im Gegensatz zu manch militaristischer Debatte um Waffenpotentiale und Munition, die augenblicklich die
öffentliche Diskussion in Deutschland stark bestimmen.
Susanne Scholl Über einen notwendigen Krieg Warum das System Putin besiegt werden muss
Verlag Kanten. Edition Konturen
Susanne Scholl, geboren 1949 in Wien, Studium der Slawistik in Rom und Moskau. Langjährige ORF-Korrespondentin in Moskau. Susanne
Scholl hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und wichtige Preise für ihre journalistische Arbeit und ihr menschenrechtliches Engagement erhalten, u. a. den Concordia Preis und das Österreichische
Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
Peter Hurd, Altphilologe und Mythenforscher, kommt zu einer Lesung nach Sarajevo - wenige Tage vor Beginn des Krieges. Als sein Übersetzer und Bewunderer Rajko ihn am Busbahnhof wieder
verabschieden will, fasst Peter spontan den Entschluss zu bleiben: die Chance, mitzuerleben, wie Menschen sich in Extremsituationen verhalten, will er sich nicht entgehen lassen. Mit Rajko teilt er
den Alltag, er begleitet ihn durch die unter Granatenbeschuss liegende Nachbarschaft, lernt Freunde und Verwandte kennen, auch Sanja, in die er sich verliebt. (Suhrkamp)
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Kaum einer kennt Russland besser als Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er legt nun ein atemberaubend geschriebenes Buch vor, das Russlands Absturz in
eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg aus nächster Nähe nachzeichnet. Das Motiv des Diktators und seiner Getreuen: Revanche zu nehmen für die demokratische
Öffnung nach 1991 und die vermeintliche Demütigung durch den Westen. Putins Herrschaft radikalisiert sich weiter. Es ist das bedrohlichste Regime der Welt.
„Unter Wladimir Putin verabschiedet sich Russland, das eigentlich größte europäische Land, aus Europa. Erneut senkt sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent. Reise ich in dieses Land, werde
ich am Flughafen in aller Regel aufgehalten. Der Grenzbeamte hält meinen Pass fest und telefoniert lange mit seinen Vorgesetzten. Ein Mensch im dunklen Anzug, wahrscheinlich Geheimdienst, holt mich
ab und führt mich in einen Kellerraum. Darin ein Schreibtisch, eine alte Matratze mit Sprungfedern, kaputte Stühle, Staub in den Ecken. Ich muss Fragen beantworten: Wo wohnen Sie? Was denken Sie über
die Militäroperation? Was haben Sie vor in Russland? Ich antworte knapp und frage mich selbst: Komme ich überhaupt noch in das Land? Und komme ich wieder heraus?“ CH Beck
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Schauspieler Andreas Hoppe, seit über 20 Jahren als Mario Kopper im „Tatort“ Ludwigshafen zu sehen, hat eines mit seiner Serienfigur mit sizilianischen Wurzeln gemeinsam: die Liebe zur einfachen,
mediterranen, sizilianischen Küche. Mehr als 20 Jahre hat Andreas Hoppe davon geträumt, mit Mario Kopper in Sizilien auf Entdeckungsreise zu gehen; das hat der Schauspieler getan, hat Land und Leute
lieben gelernt, vor Ort gekocht und die ursprünglichsten Rezepte der sizilianischen Küche eingefangen – eine Küche, die geprägt ist von den Einflüssen anderer Kulturen, die ihr heute außerhalb von
Italien hohes Ansehen verschafft haben. So brachten die Araber Gewürze, Zitrusfrüchte, Reis und Zucker mit, während die Griechen Ricotta, Oliven und den Weinanbau auf Sizilien populär machten. Die
Spanier hinterließen Tomaten und Auberginen, die Hauptzutaten für das Pastagericht schlechthin: Spaghetti Siciliana. Seine Genussreise startet er in Syrakus, einer der ältesten Städte Siziliens. Von
dort aus fährt er Richtung Norden ins antike Taormina. In Calatabiano, am Hang des Ätnas, bereitet er süße und herzhafte Gerichte mit den allgegenwärtigen Orangen zu. Überall erfährt Andreas Hoppe
italienische Gastfreundlichkeit pur. Dass es auf Sizilien nicht ganz ohne Amore geht, erlebt er auf seiner letzten Station: In Marzamemi lernt er eine Sizilianerin kennen und genießt mit ihr die
Spezialitäten aus dem Meer. (SÜDWEST 2017 – zweite Auflage 2019)
Arkadi Babtschenko kennt als ehemaliger Soldat die russische Armee aus ihrem Innersten; als kritischer, verfolgter Autor lebt er seit Jahren in der Ukraine und im Exil. Mit dieser einzigartigen
Binnensicht beider Seiten schreibt er über die Situation seit 2014, wie niemand sonst es vermag. „Leidenschaftlich persönlich, stilistisch brillant und mit größter Kenntnis“, kündigt rowohlt Berlin
das Buch an, das schon im September letzten Jahres erschienen ist. Und seine Aktualität bis zum heutigen Tag und darüber hinaus behält. (rowohlt Berlin)
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Rudolf Rach versteht Kochen als Widerstand. Widerstand sowohl gegen die Nahrungsmittelindustrie mit ihrem Convenience-Food als auch gegen den Sterneköche-Zirkus. Rach hat nicht vergessen, wie es
früher einmal geschmeckt hat, als das Obst aus dem Garten und das Huhn aus dem Stall kam. Er kocht für Familie und Freunde. Auf kleiner Flamme, das ist das Geheimnis. Damit der natürliche Geschmack
erhalten bleibt, vielleicht mit ein paar Kräutern und Gewürzen verfeinert. In seinem Buch schlägt er den Bogen von der Steinzeit bis heute, philosophisch und praktisch. Und verpackt sein Wissen in
Geschichten, die sich so gut lesen, weil sie das Leben geschrieben hat. Dazu serviert der Fotograf Max Ratjen Bilder, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.
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Carlo Masala warnt in diesem Buch vor den Illusionen des Westens: der Illusion, die Globalisierung würde automatisch zur Verbreitung der Demokratie führen, der Illusion einer zunehmenden
Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, aber auch der Illusion, durch militärische Interventionen ließen sich Demokratie und Stabilität exportieren. Seit der Niederlage in Afghanistan und
Putins Krieg gegen die Ukraine stehen die Grundlagen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand. Was muss sich ändern, damit wir in der neuen Weltunordnung bestehen können?
(C.H.Beck)
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Deutschland arbeitet auf, bewältigt seine Vergangenheiten und schwört, wenn es um seine Zukunft geht: Nie wieder! Ganz modern ist -über 100 Jahre nach seiner Beendigung - die Beschäftigung mit dem
kurzen, blutigen deutschen Kolonialismus. Mit der Verfolgung der Verbrechen des Nationalsozialismus nach 1945 hatte man weder eilig noch nahm man es zunächst sonderlich ernst. Später wollte man es
besser machen, schüttete nach dem Fall der Mauer das Kind vorsorglich mit dem Bade aus und bewältigte die Lebensläufe großer Bevölkerungskreise der DDR gleich mit weg. Auch das muss demnächst
Historiker beschäftigen. Bald wird sich die Zeitgeschichte mit den vermeintlichen Fehlern der angeblich russlandfreundlichen Außenpolitik Angela Merkels beschäftigen oder mit dem Anteil Deutschlands
an der weltbedrohenden co2 Konzentration in der Atmosphäre. Schafft ein Land das alles, wenn es sich zugleich um die Herausforderungen der Gegenwart und wenigstens der näheren Zukunft kümmern muss?
Die größte Hypothek all dieser Erinnerungsarbeit ist die Hitlerzeit, die dem menscheneigenen Vergessen immer wieder entrissen werden muss.
Einer, der an der Vergegenwärtigung der Zeit der Naziverbrechen und an der Sichtbarmachung der skandalösen Nichtbewältigung dieser Vergangenheit maßgeblich mitarbeitet, ist Götz Aly. Die Liste seiner
Veröffentlichungen ist lang. Viele seiner Bücher sind in auch Lizenzausgaben der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen. Jetzt hat er ein wichtiges Buch mit Reden in der deutschen Gegenwart
hinzugefügt: „Unser Nationalsozialismus“.
Darin sind öffentlich gehaltene, bisher nicht in Buchform publizierte Beiträge gesammelt, die der 1947 in Heidelberg geborene Autor in den letzten Jahren verfasst hat. In ihnen greift der Autor
die Themen auf, über die er in den letzten Jahrzehnten gearbeitet hat. Sie beziehen sich auf einen konkreten Anlass oder auf den Ort einer Veranstaltung. Sie zeugen von rhetorischer Brillanz nicht um
der Brillanz willen, sie sind historiografische Kostbarkeiten, deren Gehalt die ganze Ernsthaftigkeit und Genauigkeit aufzeigen, mit der Götz Aly arbeitet.
Im Jahr 2019 hält Götz Aly auf Einladung des Präsidenten des Thüringer Landtags, Christian Carius (CDU) die Rede zum Holocaust-Gedenktag. In ihr setzt er sich unter dem Titel „1945: Die
Zwangsbefreiung der Deutschen“ u.a. mit der AfD, insbesondere mit deren Landesvorsitzenden Björn Höcke auseinander und erinnert daran, dass „in Thüringen der Nationalsozialismus bekanntlich nicht
zwölf, sondern 15 Jahre gedauert hat. Mit einer Unterbrechung stellte die NSDAP hier seit dem 23. Januar 1930 den ersten nationalsozialistischen Minister, den späteren Reichsinnenminister Wilhelm
Frick, und Ende August 1932 wurde Gauleiter Fritz Sauckel … zum Chef der Landesregierung gewählt.“
Als Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion auf einem der drei großen Berliner Ehrenfriedhöfe für die gefallenen Sowjetsoldaten einen
Kranz niederlegte, berichtet Aly darüber in der Berliner Zeitung, erinnert daran, dass deren Kampf gegen Nazideutschland unsere Befreiung ermöglichte und schloss folglich mit den Worten „Die Helden
der Sowjetunion sind auch unsere Helden“. In einer Predigt in Darmstadt kommt er auf die von Nationalsozialisten geweihten Kirchenglocken zu sprechen, mahnt die Gemeinde und betet zu Gott: „Lass uns
das Böse im Guten erkennen und das nur scheinbar Gute im Bösen.“ Am 27. Januar 2016 hält Aly die Gedenkrede auf der auswärtigen Plenarsitzung des Landtages von Rheinland-Pfalz in der
Rheinhessen-Fachklinik, vormals Heil- und Pflegeanstalt Alzey.
Hier wie anderswo begangen die Nazis ihre systematischen Euthanasiemorde an Behinderten und Geisteskranken. Aly ermittelte: „Die deutsche Justiz beschäftigte damals 1200 Vormundschaftsrichter.
Auch sie bekamen urplötzlich und gleichzeitig sehr ähnlich lautende Sterbeurkunden auf den Tisch. Nur einer protestierte und sprach von Mord: Lothar Kreyssig, Richter in der Stadt Brandenburg. Er
wurde bei vollen Bezügen beurlaubt und die Maschinerie lief ungestört weiter. Kreyssig gründete 1958 die Aktion Sühnezeichen.“ Eine „postnazistische Hetze gegen die Familie Mann“ in der FAZ aus dem
Jahr 1950 versuchte infam, Thomas Mann zu demontieren. Dort zitiert Aly Sätze wie „Thomas Mann tritt uns als Exponent einer bis zur Dummheit gehenden Abneigung gegen Deutschland entgegen“. Die
jahrzehntelange Verhinderung einer Übersetzung von Raul Hilbergs Buch „Die Vernichtung der europäischen Juden“ macht deutlich, wie zögerlich eine Aufarbeitung der Nazizeit in den ersten Jahrzehnten
der Bundesrepublik geschah. Immer wieder kommt Aly auf die hierzulande wenig anerkannte Bewältigungsarbeit in der DDR zu sprechen und stellt Ostberliner Straßennamen zusammen, die man seinerzeit in
Westberlin unpassend fand, u.a. Geschwister Scholl, Kurt Tucholsky, Marie Curie, Dietrich Bonhoeffer, Alfred Döblin, Anne Frank, Mendelssohn.
In der Einleitung unter dem Titel „Im Irrgarten deutschen Gedenkens“ schreibt Götz Aly: „Spätestens in vier Jahren, also an meinem 80. Geburtstag, möchte ich damit aufgehört haben, mich mit
KZ-Wärterinnen, neudeutschen Rechthabern oder postfaschistischen Höckes zu beschäftigen.“ Wer wird seine Arbeit fortsetzen?
Harald Loch
Götz Aly: „Unser Nationalsozialismus“ Reden in der deutschen Gegenwart
S. Fischer, Frankfurt am Main 2023 301 Seiten 25 Euro
Götz Aly ist Historiker und Journalist. Er arbeitete für die »taz«, die »Berliner Zeitung« und als Gastprofessor. Seine Bücher werden in viele Sprachen
übersetzt. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 2003 den Marion-Samuel-Preis, 2012 den Ludwig-Börne-Preis
Der Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius, verstorben im vergangenen Frühjahr, wäre im Februar 2023 achtzig Jahre alt geworden. Bis zuletzt schrieb
er und näherte sich seinem Leben in einer Autobiographie, wie man sie noch nicht kennt: in gut dreihundert Stichworten, die mit A beginnen, spielerisch, gedankenscharf und poetisch. (Rowohlt)
mehr
Geld. Macht. Streit: Hinter den verschlossenen Türen der AfD – eine Langzeit-Recherche. Die AfD ist eine chaotische Partei, die vom Streit lebt:
zerfressen von Ideologie und Machtinteressen, Karrierismus und dem Kampf um das «wahre Deutschland»; zerrissen zwischen Gemäßigteren und rechtsextremen Flügel-Kämpfern; zerfallen in Straßen-Politiker
und Parlamentarier; auf dem Weg nach rechts argwöhnisch beobachtet vom Verfassungsschutz. (rowohlt)
mehr
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder
hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den
schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt.
Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres
verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht. (PENGUIN)
mehr
„Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.“ Im Februar 2022 geht dieser Satz um die Welt. Über Nacht wird Wolodymyr Selenskyj vom angeschlagenen Präsidenten der gefühlt fernen Ukraine zur
zentralen Figur im Kampf für ein freies Europa. So wenig sich der Westen trotz des Kriegs im Donbass für die Ukraine interessierte, so wenig war bekannt über den Mann, der vom Juristen zum Komiker,
zum Staatsmann geworden war und nach den Maidan-Protesten gegen Korruption und für eine Annäherung an Europa antrat. Sergii Rudenko, seit vielen Jahren Journalist in Kyjiw, hat Selenskyjs erste
Biografie geschrieben. Sein Buch ist die ausgewogene Geschichte eines ungewöhnlichen Politikers, das lebendige Porträt eines Helden, der keiner sein wollte – und eine unverzichtbare Quelle für alle,
die den Mann verstehen wollen, der Putin die Stirn bietet und mit seinem Land längst zum Verteidiger der freien Welt geworden ist. (HANSER)
mehr
Gehirnzeit verpasst – Zukunft verspielt! Diesen Alarmruf sendet Gérald Bronner, Professor für Soziologie an der Université Paris-Diderot. Er hält uns vor,
wie viele Stunden am Tag wir vor Bildschirmen verbringen. Er weiß und belegt das mit wissenschaftlichen Untersuchungen aus aller Welt, dass diese Bildschirmzeit ganz überwiegend der Unterhaltung, der
Ablenkung, jedenfalls nicht mit Gehirntätigkeit verbracht wird. Die wäre aber dringend einzusetzen, um den von Menschen verursachten Herausforderungen intelligent zu begegnen, ihnen zu
trotzen.
Bronner ruft in Erinnerung, dass die Menschheit in den letzten 200 Jahren durch die Errungenschaften von Technik und Wissenschaft, durch entsprechende
gesellschaftliche Anpassungen viele Stunden der ehemals notwendigen Arbeitszeit in „freie“ Zeit umgewandelt hat. Er hält diesen außergewöhnlichen Gewinn für vergeudet, wenn er nicht in „Gehirnzeit“
umgewandelt wird. Er geht davon aus, dass die meisten Gesellschaften, also auch die, in der wir leben, nach einer gewissen Zeit an eine Grenze gelangen und an ihren inneren Widersprüchen untergehen.
„Ist es keine schwindelerregende Vorstellung, dass wir vielleicht als erste Zivilisation diese Grenze überschreiten werden, auch wenn wir wissen, wie unwahrscheinlich das ist? Diese Grenze scheint
für unsere Hypothesen heute mit bloßem Auge erkennbar zu sein. Die Natur braucht ihre Zeit, aber wir haben sie nicht.“
Der Autor zählt die Gefahren auf, die diese Zivilisation bedrohen: „Der Klimawandel, die zunehmende Erschöpfung unserer Ressourcen, unsere Fähigkeit zur
Selbstzerstörung durch Massenvernichtungswaffen, die beunruhigenden Symptome der von mir so genannten kognitiven Apokalypse und zahlreiche andere Gefahren, die wir noch gar nicht sehen.“ Den Begriff
„Apokalypse“ verwendet Bronner nicht in seiner biblischen, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung, aus dem Griechischen abgeleitet: Enthüllung. Die Voraussetzung für diese Enthüllung schuf nach
Bronner die Deregulierung des kognitiven Marktes. Darunter versteht er die Befreiung von jeglicher regelnden Einflussnahme auf das, was auf unseren Bildschirmen und Displays zu sehen, zu erleben
ist.
Die messe- und zählbaren Ergebnisse dieser „Enthüllung“ gewähren einen tiefen Einblick in die anthropologische Grundausstattung des Menschen: Er wählt in der durch den Fortschritt gewonnenen
freien Zeit den bequemen Weg der Befriedigung durch Unterhaltung, er verliert seine Aufmerksamkeit an Gewaltdarstellungen, er konsumiert oder erlebt am Bildschirm Sexualität. Bronner belegt seine
These mit einer Vielzahl beunruhigender, gemessener Klick- und Einschaltgewohnheiten von Menschen in aller Welt.
Er hält diesen verschwenderischen Umgang des modernen Menschen mit seiner Lebenszeit, die ihm eigentlich viel mehr „Gehirnzeit“ ermöglicht, für lebensgefährlich. Er alarmiert seine Leser wegen
dieser Verschwendung mit dem „kostbarsten Gut“, mit der auch von Künstlicher Intelligenz nicht zu imitierender Kreativität, so dass man den im Titel verwendeten Begriff „Apokalypse“ auch im
biblischen Sinne, als „Untergang“ unserer Zivilisation lesen kann. Er setzt sich mit der „gehirnlosen“ Zeitverschwendung auf Verschwörungstheorien, auf nichtkreative Unterhaltung, das Gerede vom
„Neuen Menschen“ oder von Rousseau-Anhängern aller möglichen Zurück-zur-Natur Ideologen auseinander und verwirft mit plausiblen Argumenten und Belegen, die oft erhobenen Vorwürfe, die
Bildschirmmedien würden gezielt die Köpfe und das Verhalten ihrer Konsumenten manipulieren. Er sieht das Gegenteil im intentionslosen Funktionieren des deregulierten Marktes. Der richtet sich aus
eben den marktwirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen nach dem in Sekundenbruchteilen gemessenen Verhalten der Zuschauer, „Googler“ und aller, die ihren Fingerabdruck im Netz hinterlassen.
Der Konsument, besser die Summe aller Konsumenten manipulieren sich selbst, sie bestimmen, was sie auf Abruf zurückbekommen. Um diese Endlosschleife zu durchbrechen, bedürfte es einer
Rückbesinnung auf die kostbarste Ausstattung des Menschen. Bronner fordert also nicht etwas ein „Zurück zur Natur“ sondern ein Zurück zum Gehirn. Diese Forderung müsse auch auf die Agenda der Politik
gesetzt werden, sonst drohe der Untergang der Gesellschaft. Dieser existenzielle Alarmruf liest sich allerdings erstaunlich „unterhaltsam“, er lohnt die auf ihn verwendete Gehirnzeit und sollte
weithin gehört und befolgt werden!
Harald Loch
Gérald Bronner: Kognitive Apokalypse Eine Pathologie der digitalen Gesellschaft
Aus dem Französischen von Michael Bischoff
C.H.Beck, München 2022 285 Seiten
Deutschland – eine Kolonialmacht? Die Legende von der zaghaften kleinen Möchtegern-Kolonialmacht, die sich zivilisierter betragen hat als andere, kommt allmählich ins Wanken. Und das zu Recht,
denn das deutsche Kaiserreich beutete kolonisierte Länder in Afrika, in China oder der Südsee nicht weniger gierig und gewalttätig aus als andere Kolonialmächte. Dieses Buch zeichnet den deutschen
Kolonialismus von den Anfängen nach und bietet anhand eindrücklicher Zeitzeugenberichte und Abbildungen Einblicke in den Alltag in den kolonisierten Ländern. Vor allem aber zeigt es, wie andauernd
die Folgen des deutschen Kolonialismus zu spüren sind und warum eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Epoche überfällig ist. (DVA)
Eva-Maria Schnurr/Frank Patalong (Hg) DEUTSCHLAND DEINE KOLONIEN GESCHICHTE UND GEGENWART EINER VERDRÄNGTEN ZEIT DVA SPIEGEL-Buchverlag
Zielgruppe: Geschichtslehrer- und schüler, AfDler, kunsthistorisch Interessierte, Tagesschau-Seher, die Annalena Baerbock und Claudia Roth in Namibia gesehen haben
und Kunsträuber, die den rechten Weg suchen und mehr wissen wollen.
125 Jahre hat es gedauert, bis ein Unrecht, begangen in deutschem Namen, zugegeben und ein Raubobjekt restituiert, also zurückgegeben wurde. Die Benin-Bronzen sind wieder in Nigeria, wo sie
hingehören. Außenministerin Baerbock und Kulturstaatsministerin Roth gaben die in der deutschen Kolonialzeit geraubten Kunstobjekte an die ursprünglichen Besitzer zurück. Deutsche Museen hatten sie
jahrzehntelang ohne großes schlechtes Gewissen ausgestellt.
England, die Niederlande, vor allem Belgien, aber auch Frankreich, Spanien, Portugal, Italien sind die großen bedeutenden Kolonialnationen mit umfänglicher kolonialer Vergangenheit, Deutschland galt
bisher als Kolonial-„Zwerg“. Doch ein Bewusstseinswandel rückt Deutschlands Kolonialrolle langsam zurecht.
Es war in der Folge der Kongo-Konferenz 1884, als Deutschland Territorien im afrikanischen Togo, Kamerun, Tansania und Namibia und außerdem Teile Neu-Guineas und Polynesiens erwarb.
In dem Buch DEUTSCHLAND DEINE KOLONIEN GESCHICHTE UND GEGENWART EINER VERDRÄNGTEN ZEIT versammelt der SPIEGEL-Buchverlag DVA auf 246 Seiten und in 26 Beiträgen eine ausführliche Dokumentation
deutscher Kolonialgeschichte. Umfangreiche Reportagen, Daten und Fakten, eine Zeittafel und eine breite Beschreibung deutscher kolonialer Vergangenheit bieten eine perspektivenreiche Aufarbeitung
einer bisher kaum thematisierten deutschen Vergangenheit, die bislang auch systematisch kleingeredet wurde.
Das Buch ist keine grundlegende, umfangreiche, systematisierte, historische Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte, es bietet vielmehr einzelne Aspekte, Themen, Schicksale von Opfern, territoriale
Geschichten, also ein vielfarbiges Bild an, das wie in einem Mosaik am Ende dann doch zu einem Gesamtbild wird.
Die Themen: Brandenburgs Sklavenhandel, hanseatische Kaufleute und der Sklavenhandel, das Scheusal Carl Peters in Ostafrika, Rassismus allerorten, Menschen-Zoos, die Niederschlagung von Aufständen,
rassistische Völkerkunde, Menschenversuche in paradiesischen Landschaften, deutsche Kolonialvergangenheit in Namibia.
Am Schluss des Buches werden Sammlerstücke aufgelistet, die in deutschen Museen noch liegen und eine Chronik des deutschen Kolonialismus, sowie eine Buch- und Filmempfehlungsliste
zusammengestellt.
Das Buch ist lebhafte Schilderung, hat spannende Perspektivwechsel, überzeugt durch Sachkunde und ist topaktuell.
Michael Krüger. Aus dem Leben eines Erfolgsschriftstellers. Geschichten. Inputverlag. Perlen der Literatur. Band 18. Mit einem Vorwort von Charlotte Ueckert
Zielgruppe: Krüger-Fans, Literaturbegeisterte, Satiriker, Buchhändlerinnen, Verlagsangehörige, Schriftsteller, Autoren, Coffee-Table-Besitzer
Im Vorwort zeigt sich Charlotte Ueckert von der Naturlyrik Michael Krügers beeindruckt und seinen existenziellen Gedanken zu seinem Lebens-Schicksal überhaupt, aber auch zu seiner Erzählkunst im
Allgemeinen.
Sie zeigt sich auch vorab fasziniert von seinen slapstickartigen Artikeln, satirischen Überspitzungen, die in diesem Buch vorkommen. Ihr Urteil fällt schon für den Leser vorneweg: “Die Erzählungen
lesen sich flott und machen neugierig auf andere Bücher Michael Krügers.“
Es folgt dann auf einer einzelnen Buchseite ein Erklärtext des Herausgebers Ralf Plenz zu seiner Buchreihe „Perlen der Literatur“, die entweder sprachliche Besonderheiten aufweisen, auf jeden Fall
jedoch richtungsweisend wirken sollen.
Ein Beiratsgremium sichtet die vorgeschlagenen Titel. Es geht dem Verleger darum, eine bibliophile Ausstattung, mit Fadenheftung und Leineneinband anzubieten. Eben das besondere Buch. Jeder einzelne
Band erscheint in einer anderen Typographie. Kalligraphische Elemente sollen als Leseanreiz dienen. Gleich wie der Umfang des Buches sich darstellt, soll der Ladenpreis dennoch einheitlich und
günstig sein.
Michael Krüger schreibt: „Wer sich der Kunst verschrieben hat, ist für die Menschen verloren?“ Schon allein für dieses Zitat hat sich der Kauf des Buches gelohnt.
Im ersten Kapitel schildert ein Reihen-Erfolgsschriftsteller sein Leben zwischen Familie und Buchhonoraren, zwischen Einnahmen, Inlandsverkauf und Literaturkritik, überwältigt von Film- und
Fernsehrechten, sowie Merchandising. Es ist eine brüllende Satire auf den realen Buchbetrieb, den Krüger nun wirklich kennt.
Im zweiten Kapitel spielt die Geschichte des Onkels eine Hauptrolle. Im nächsten nimmt der Autor den Theaterbetrieb aufs Korn.
Dann folgt das Stück „Der Nachbar“. Dann eine Geschichte über einen Vater, der gar nicht der Vater ist.
Michael Krüger schafft es auf ganz wenigen Seiten über eine Tür zu philosophieren: „In unserem Haus gab es eine Tür, die ins Nichts führte … Den Sinn des Garnichts habe ich gelernt. Ich habe gelernt,
dass ich gar nichts bin. Und dass ich doch bin?“
Eine Tür, die nach Holz riecht. Nach frischem „Sonnenuntergangsholz.“
Es ist eine pure Freude, sich in Krügers literarischen Familiengeschichten einzugraben, die voller Lust geschrieben sind.
Satire pur das Kapitel „Ein Mord, den jeder begeht“. Ein Verlagslektor tötet seinen Autor.
Fazit im Schlusskapitel, im Anhang, der Text Alkohol und Literatur.
Erster Satz: „Wer schreibt, trinkt auch.“
Ein vergnüglicher Lese-Spaß über den Zusammenhang von Schreiben und Trinken.
„Wer zu viel liest, ohne ständig zu spülen, muss dumm werden. Wer zu viel trinkt, ohne das Getrunkene lesend zu verarbeiten, wird in der Gosse landen. Nur beides erhält eine Kultur. Nur beides
zusammen ist Kultur.“
Dieses Büchlein satirisch, skurril, schrullig. Großartig!
Michael Krüger, geboren 1943 in Wittgendorf/Sachsen-Anhalt, lebt in München. Er war viele Jahre Verlagsleiter der Carl Hanser Literaturverlage und Herausgeber der
"Akzente" sowie der "Edition Akzente" und von 2013 bis 2019 Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Er ist Mitglied verschiedener Akademien und Autor mehrerer Gedichtbände,
Geschichten, Novellen, Romane und übersetzungen. Für sein schriftstellerisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Peter-Huchel-Preis (1986), den Mörike-Preis (2006) und den
Joseph-Breitbach-Preis (2010).
Juri Andruchowytsch RADIO NACHT
Suhrkamp
Zielgruppe: Ukraine- Interessierte, Literaturfans der Gegenwartsliteratur der Ukraine, Russlandversteher und Ukraineversteher, Auslandskorrespondenten, Sprach-
und Sprechfaszinierte
Als „Barrikadenpianist“ hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker – Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf
Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter. Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen
Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am
Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein „Radio Nacht“ rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt. (SUHRKAMP)
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Zielgruppe: Island- und Inselfans, Trackingfreunde und Wintersportler,
Gruselgeister, die Nordic-Walking und Nordic-Crime-Gemeinde, Phantasyfans und die Bestseller-Leserschaft von Yrsa Sigurðardóttir
Yrsa Sigurðardóttir Schnee
Thriller btb
Was zwang die Freunde, zwei Paare, sich mitten im harten Winter im isländischen Hochland zu bewegen, in Dunkelheit und Schneestürmen? Und warum verließen sie das kleine Hüttchen, das sie hatten,
kaum bekleidet und den harten winterlichen Bedingungen outdoor vollkommen ausgeliefert? Ein Rettungsteam wird in die abgeschiedene Gegend geschickt, um nach den Vermissten zu suchen.
Währenddessen gehen an der einsam gelegenen Radarstation in Stokksnes seltsame Dinge vor sich. Nichts ist so, wie es scheint: Sei es die Blutlache, die im unberührten Schnee fernab der Zivilisation
entdeckt wird, oder der kleine Kinderschuh, der Jahrzehnte nach der Vergrabung wiedergefunden wird …(btb)
Es beginnt mit diesem ominösen Fund: ein rosa Kinderschuh taucht plötzlich in einem Garten auf. So steht es im Prolog. Schon in Kapitel 1 werden wir in die unberührte weiße Schneenlandschaft Islands
entführt, dorthin, wo nichts Lebendiges zu sehen ist. Im isländischen Hochland wird eine Menschengruppe vermisst. In Dunkelheit und schweren Schneestürmen beginnt die gefährliche Suche nach
ihr.
Vier Menschen sind verschwunden, warum haben sie ihre Schutzhütte verlassen? Wieso findet dieser Ausflug ein so grausames Ende? Welches Geheimnis steckt dahinter? Und was hat es mit dieser
aufgefundenen Blutlache auf sich?
Natürlich spielt die Landschaft der Lavainsel die Hauptrolle, das Eis, der Schnee, die Stürme, ein Land in der Heimat der Finsternis. Hier kann das Grauen einfach gut beschrieben werden. Schon der
Gedanke an das winterliche Islandtief lässt den Leser automatisch schon gänsehaut-frösteln. Wer hat sich schuldig gemacht im überall blendenden grellweißen Schnee? Mysteriös!
Island ist das Land der Geister - und Elfengeschichten, fast in jedem Haus ist ein guter Erzähler oder heimlicher Schriftsteller zu Hause, das lange Dunkel der Winternächte lässt der Phantasie freie
Lauf.
Thriller ist am besten vor heimischem Holzofenfeuer zu lesen, und sollte die putingesteuerte Winterkälte uns übermannen oder überfrauen, hätten wir für diesen Roman der Erfolgsautorin Yrsa
Sigurðardóttir auch die raumklimatischen Voraussetzungen.
Es ist etwas passiert in den letzten dreißig Jahren. Immer weniger Menschen vertrauen den Institutionen dieses Landes - weder der Regierung noch den Medien, noch nicht einmal der Wissenschaft.
Doch wie konnte es so weit kommen? Die preisgekrönte Journalistin Anita Blasberg rekonstruiert die schrittweise Erosion des Vertrauens - am Beispiel ihrer eigenen Mutter und entlang historischer
Bruchstellen und Protagonisten. Da ist ein junger Treuhandmanager, der achtzig ostdeutsche Betriebe in zwei Jahren verkauft; da ist eine Klinikärztin, die ihre Patienten schneller entlassen soll, als
ihr lieb ist; da sind Politiker, die nach der Finanzkrise ihre eigene Ohnmacht bestaunen und dann fast alles beim Alten belassen. (Rowohlt)
Seit vielen Jahren berichtet Katrin Eigendorf regelmäßig aus der Ukraine. So auch während der dramatischen Tage und Wochen nach dem 24. Februar 2022, als Wladimir Putin mit seinem grausamen
Angriff auf die Ukraine den Krieg zurück nach Europa getragen hat. Angesichts der Bilder aus Mariupol, Charkiw und Kyiw ist auch Deutschland aufgewacht, nachdem es über viele Jahre Wladimir Putin
verharmlost hat.
Katrin Eigendorf erzählt hier vom Krieg, den Putin mit aller Härte führt, vor allem gegen die Bevölkerung. Von ihren Begegnungen mit Menschen, die von einem Tag auf den anderen alles verloren
haben, von Familien, die zerrissen wurden, von Kindern, die ihre Kindheit verloren haben. Es sind Begegnungen, die immer wieder an die Schmerzgrenze gehen, auch für eine Reporterin. (SFischer)
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Bei der Verfolgung seiner Ziele geht Wladimir Putin über Leichen, und das nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. John Sweeney, investigativer Journalist und seit vielen Jahren auf der Spur
von Putins Verbrechen, legt die Beweise vor: Schon bei seinem unheimlichen Aufstieg vom Stasi-Mann in Dresden zum unumschränkten Herrscher im Kreml ging Putin mit erbarmungsloser Konsequenz vor, ließ
Oppositionelle ausschalten, provozierte Kriege und überzog Russland mit einem Netzwerk der Korruption. Sein Ziel: die Festigung seiner Macht, persönliche Bereicherung, Russlands Wiederaufstieg zur
Weltmacht. Mit kriminalistischer Akribie hat Sweeney vor Ort recherchiert – in Moskau, Tschetschenien, in der Ukraine während des Krieges –, hat mit Zeugen und Experten gesprochen, mit Dissidenten
und Ex-KGBlern, mit Handlangern des Systems Putin, mit Kritikern, von denen zu viele für ihre Haltung sterben mussten. Psychogramm, packender Hintergrundreport und knallharte Analyse – eine längst
überfällige Aufklärung, eine beispiellose Anklageschrift. (HEYNE)
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Robert Misik zeichnet ein Regime und das Charakterbild eines rücksichtslosen Despoten, der Europa die Friedensordnung raubt, an die wir uns gewöhnt hatten. Wladimir Putin hat alle an der Nase
herumgeführt. In den neunziger Jahren galt er als Demokrat und bewunderte Augusto Pinochet. Nachdem er sich ins Präsidentenamt trickste, beginnt er mit einer Seilschaft hartgesottener KGB-Leute,
Russland zur autokratischen Despotie umzuwandeln. Und genauso schnell bastelt er sich eine Staatsphilosophie. Deren Elemente: autokratischer Führerkult, Patriotismus, Imperium, orthodoxe
Spiritualität - und Gekränktheit. Dabei stützt er sich auch auf faschistische Denker, etwa auf Ivan Iljin, der Hitler und Mussolini bewunderte. Und er spinnt Netzwerke im Westen, um die Demokratien
zu spalten. Putin stilisiert sich zum harten Kerl, zum starken Mann, mit vulgärer Sprache und einer Rhetorik der Gewalt. Nach dieser Lektüre bleibt nur die Frage: Wie konnten wir so blind sein?
(PICUS)
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Über die große Dame der deutsch-tschechischen Literatur – Weggefährtin von Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und Max Brod.
Sie war die letzte deutschsprachige Autorin Prags, die große Dame der deutsch-tschechischen Literatur, Jüdin, und sie hat sie bis zu ihrem Tod 2008 in Prag alle überlebt: Anna Seghers, Egon Erwin
Kisch, Max Brod. Vor den Nazis flüchtet sie über Paris, Marseille und Casablanca bis nach Mexiko-City, nach ihrer Rückkehr wird sie im Zuge der stalinistischen Säuberungen in der Tschechoslowakei
inhaftiert – Lenka Reinerová lebte ohne Zweifel eine der bewegendsten Biografien des vergangenen Jahrhunderts. (Verlag Btb)
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Es gibt Begriffe, die wir für typisch deutsch halten: Heimat etwa oder Abendbrot. Sie müssen nicht eindeutig sein, um gemeinsame Assoziationen und Erinnerungen hervorzurufen. Jens Siegert ist nach
fast dreißig Jahren in Russland überzeugt: Über solche typischen Begriffe lässt sich auch ein unmittelbarer Zugang zur russischen Kultur, Lebensweise und Politik gewinnen. Manche dieser Begriffe sind
bekannt, wie der Eintopf „Borschtsch“; manche missverstehen wir ein wenig, wenn wir z. B. die „Datscha“ für einen Schrebergarten halten. Andere werden bis zu Jens Siegerts aufschlussreicher
Zusammenstellung wohl nur Experten bekannt sein, wie „Gopniki“ (in etwa: Prekariat), „Mat“ (eine Art Schimpfsprache) oder „Propusk“ (Passierschein). Nicht zuletzt gehört dazu das „Prinzip“, in dem
sich Grundsätzliches mit einem achselzuckenden Relativismus verbindet. Kann man mit Jens Siegerts Buch also Russland begreifen? Im Prinzip ja. Denn es eröffnet Einblicke in das russische Fühlen,
Denken und Handeln. Indem er Verhaltensweisen und politische Entscheidungen aufschlüsselt, macht Siegert klar: Wer die Russinnen und Russen beim Wort nimmt, kann beginnen, Russland nahezukommen.
(Körber Stiftung)
Die russische Sprache wird als slawische Variante von 210 Millionen Menschen gesprochen, allein von 150 Millionen, die russisch als Muttersprache benutzen. „Mütterchen Russland“ ist für uns sehr
fremd geblieben, schon allein deshalb, weil die meisten von uns diese Weltsprache nicht sprechen. Sprache hilft aber zu verstehen. Davon geht auch der Autor Jens Siegert aus, der für die
Heinrich-Böll-Stiftung von 1999 bis 2015 in Moskau arbeitete und jetzt für das Goethe-Institut tätig ist. Und hätten wir Russland - oder besser Putin selbst - beim Wort genommen, wären wir vielleicht
zu wahren Russlandverstehern geworden und nicht zu solchen, die vor allem Verständnis für Gaslieferungen hatten.
Nun ist alles anders, seit der Angriffskrieg Putins im Gange ist. Und wir versuchen, wieder neu zu verstehen.
Jens Siegerts Buch soll uns in den Begegnungen mit 22 Begriffen aus der russischen Sprache weiterhelfen, Russlands Entwicklungen nachzuempfinden.
„Propiska“, „Kommunalka“, „Gopniki“ und „Wlast“, „Obida“ und „Mat“ und viele andere russische Begrifflichkeiten werden von ihm durchaus auch unterhaltsam interpretiert. Nur, das muss man wissen,
dieses Buch ist vor dem Krieg entstanden, dennoch ist es hilfreich auch jetzt als aktuelle Interpretationshilfe.
Warum lieben Russen die „Datscha“? Warum gibt es Probleme mit der russischen Bürokratie? Wieso ist die Registrierung der Wohnadresse so bedeutend? Auch Trinksprüche sind wichtig, insbesondere auf die
Damenwelt, denn: „Der Toast adelt den Schluck“. Warum werden Frauen bei der Begrüßung mit Küsschen links-rechts-links beglückt? Was passiert in der russischen Sauna „Banja“? Alltagsleben und
kulturelle Hintergründe werden Kapitel für Kapitel ausgeleuchtet.
In seiner politisch-kulturell-soziologischen Analyse konstatiert Siegert aber auch eine Wirtschaftskrise, sinkende Einkommen, allgegenwärtige Korruption, jede Menge Umweltprobleme, Defizite im
Gesundheitswesen und in der Bildung. Und auch die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen.
Wie im Sozialismus gibt es die menschliche Schlange noch immer, sie gleicht einem Naturereignis wie dem Regen oder dem Winter, schreibt Siegert, sie verweist als Symbol des „bittenden Menschen“ auf
eine vom Staat gewollte und versierte Unselbständigkeit des Staatsbürgers, von denen übrigens ein Drittel der Bevölkerung glaubt, Russland sei ein demokratisches Land.
Aber die reale Situation ist wirklich anders: Der Paragraph Vaterlandsverrat ist im Strafgesetzbuch inzwischen wieder so weit gefasst, dass praktisch jede und jeder jederzeit als Verräter verurteilt
werden kann!!!
Russland ist - schreibt Siegert - ein sehr dialektisches Land. Es geht alles nach dem Prinzip ja/nein, funktioniert/funktioniert nicht, geht/geht nicht, soll/soll nicht, kann/kann nicht, muss/muss
nicht.
Die bisher so gut geschmiert laufenden Öl- und Gas-Handelsbeziehungen funktionierten nach dem Prinzip westliche Technologie im Tausch gegen russische Rohstoffe.
Siegert zeichnet den Zerfall der Sowjetunion nach: Seinen Blick zurück in die Zeit der Lager heftet er an den Begriff „Solowetzky“, Zone, Lager und Gulag. „Solowetzky“ war das erste Lager für
„besondere Zwecke“. 1923 wurde aus einem Mönchskloster ein experimentelles Konzentrationslager. 18 Millionen Menschen waren allein in den Jahren 1929 bis 1953 in solchen Lagern interniert. Es wird
mit etwa 3 Millionen GULAG-Toten gerechnet. Weiter wurden elf Millionen zwangsweise umgesiedelt. Schätzungen gehen davon aus, dass in den 70 Jahren Sowjetunion eine Million Menschen direkt durch den
Staat ermordet wurden. Anfang 1920/21 waren knapp 500.000 Menschen in russischen Gefangenenlagern festgesetzt
.
Stalinistische Methoden sind wieder in, aber mit der Zurück-in-die-Vergangenheit- Politik wird Russland, so Siegerts Analyse, ein Land ohne Zukunft, erst recht jetzt, wenn sich die Kriegsfolgen
wirtschaftlich dramatisch auswirken sollten.
Siegert beschreibt dann den Weg zu Putins Russland. Hier wurden die Reichen schneller reicher und die Armen weniger arm. Dass die Supermacht USA Russland zu einer Regionalmacht herabwürdigte, hat
Putin als narzisstische Kränkung empfunden.
Politik ist in Russland nicht Staatsbürgersache, sie ist das Vorrecht der Staatsmacht. Ihre Macht wiederum beruht auf staatlicher Gewalt, materiellem Wohlergehen und Anerkennung der Macht durch
möglichst viele Menschen.
Ob örtliche Verbrecherbosse irgendwo in der russischen Provinz oder nur kleine Gauner, Business-men im globalen Geschäft, die ihr Land ausbeuten, das alles ist Russland und noch viel
mehr.
Das ist der Kernsatz in Siegerts Russland-Alphabet: „Russland will in Europa etwas zu sagen haben, sich aber von Europa nichts sagen lassen.“
Russland sucht immer die Provokation, die Herausforderung, den Kampfmodus. Ohne Kampf wird das Gegenüber als schwach eingeschätzt und bei der nächsten Gelegenheit erneut herausgefordert.
So ist eine Szene, die Siegert beschreibt, typisch: Ein Abgeordneter der Duma, ein „russisch-nationalistischer Hardliner“, fragte die anwesenden Deutschen, rhetorisch versteht sich, ob sie bereit
wären, für Georgien in den Krieg zu ziehen. Offensichtlich nicht. Wir, die Russen, so der Abgeordnete, seien das sehr wohl: Ende des Gesprächs!
Vielleicht achten wir jetzt - in den Kriegszeiten - mehr auf Worte und deren Bedeutung dahinter, und machen uns klar, wozu wir bereit sind. Der Krieg produziert wieder echte und vermeintliche Helden.
Wie sagte dereinst schon Böll-Kollege Bert Brecht: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“
Und so gilt auch der Heine-Satz, neu interpretiert: Denk ich an Russland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.
Das Buch sei allen alten, neuen und künftigen Russlandexperten, die jetzt wie Champignons aus dem Boden schießen, ans Herz gelegt.
Ein Alphabet der Verständigung, ohne die es halt auch nicht geht in der internationalen Politik.
Jens Siegert lebt seit 1993 in Moskau. Er leitete am Moskauer Goethe-Institut das EU-Projekt "Public Diplomacy. EU and Russia." Zuvor war er von 1999 bis Mitte
2015 Chef des Länderbüros Russland der Heinrich-Böll-Stiftung zuständig. 2021 erschien sein Buch "Im Prinzip Russland".
Jens Siegert Im Prinzip Russland Eine Begegnung in 22 Begriffen Edition Körber Stiftung
Fällt die Ukraine, fällt auch Europa! Die wichtigsten Reden des ukrainischen Präsidenten.
Wolodymyr Selenskyj ist zum Protagonisten des Widerstands gegen den Einmarsch der russischen Armee im Februar 2022 geworden. Putins Angriff zerstört dabei nicht nur die Ukraine, sondern bedroht auch
alle europäischen Demokratien. In seinen Reden, mit denen sich Selenskyj kurz vor und direkt nach der Invasion an die eigene Bevölkerung wie auch an andere Staaten und selbst an die Russen richtete,
erweist er sich als standhafter Verteidiger seines Landes und der durch diesen Krieg gefährdeten Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit. (ULLSTEIN)
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Wir alle kennen die Bilder von den Demonstrationen, die nach den letzten Wahlen im August 2020 in Belarus stattfanden. In vorderster Reihe bei den friedlichen Protestaktionen für Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit: viele, meist junge Frauen aus allen Schichten – darunter Journalistinnen, Studentinnen, Juristinnen, Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen. Mutig sahen sie den sie umzingelnden
Polizisten in die Gesichter, ließen sich nicht einschüchtern – auch nicht nachdem zahlreiche von ihnen verhaftet, verhört, misshandelt und des Landes verwiesen wurden. In “Der weiße Gesang“ erzählen
einige von ihnen ihre Geschichte, treten heraus aus der Anonymität der Masse. Sie lassen uns teilhaben an den Ereignissen und ihren persönlichen Erfahrungen der letzten Monate, an ihrem Aufbegehren,
ihren Zielen, ihrem Leben im Exil. (EUROPAVerlag)
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Anne Applebaum, ROTER HUNGER Stalins Krieg gegen die Ukraine Siedler
Der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern zwischen 1932 und 1933 - Holodomor genannt
»Russische Mafiabosse, ihre Mitglieder und ihre Verbündeten ziehen in Westeuropa ein, sie kaufen Immobilien, eröffnen Bankkonten, gründen Unternehmen, dringen Stück für Stück ins
Gesellschaftsgefüge vor, und bis Europa sich dessen bewusst ist, wird es bereits zu spät sein.«
»Viele der Entscheidungen, die er trifft, basieren auf seiner Vorstellung, wie die Welt funktioniert. Patriotismus ist etwas, woran er wirklich glaubt.“
„Teile des KGB, unter ihnen Putin, benutzen den Kapitalismus als Werkzeug, um es dem Westen heimzuzahlen.“
Nur drei Zitate aus diesem Buch:
Catherine Belton. Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste HarperCollins
Rezension demnächst auf
www.facesofbooks.de
Catherine Belton Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste HarperCollins
Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammenbrach, ahnte niemand, dass ein ehemaliger KGB-Agent sich über Jahrzehnte als russischer Präsident behaupten würde. Doch ein Alleinherrscher ist
Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich auf ein Netzwerk ehemaliger sowjetischer KGB-Agenten, dessen Einfluss weit über Russland hinausreicht. Catherine Belton, ehemalige Moskau-Korrespondentin
der Financial Times, hat mit zahlreichen ehemaligen Kreml-Insidern gesprochen. Es sind Männer, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml „gejagt“ werden. Belton beleuchtet ein
mafiöses Geflecht aus Kontrolle, Korruption und Machtbesessenheit, und das gefällt nicht allen Protagonisten. Vier Oligarchen haben sie deswegen wegen Verleumdung verklagt. Ihr Buch liest sich in all
seiner Komplexität so spannend wie ein Agententhriller, doch vor allem enthüllt es, wie das System Putin uns alle mehr betrifft, als uns lieb ist. (HarperCollins)
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Der gegenwärtige Konflikt um die Ostukraine und die Krim ist ohne diese historische Last nicht zu verstehen - der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern 1932 und 1933,
Holodomor genannt, war eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und sie hat Folgen bis heute - Stalins „Krieg gegen die Ukraine“ hat sich tief im kollektiven Bewusstsein der
osteuropäischen Völker verankert.
Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum vereint in ihrer Darstellung auf eindrückliche Weise die Perspektive der Täter und jene der Opfer: Sie zeigt Stalins Terrorregime gegen die Ukraine, die
Umstände der Vernichtungspolitik - und verleiht zugleich den hungernden Ukrainern eine Stimme. (SIEDLER)
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„Russland ist ein Land, in dem die Mehrheit nur Lügen glauben will.“
„In unserem Land hat sich eine Sorte Mensch herausgebildet, die fähig ist, alles zu ertragen.“
„Man hört etwas, findet es gut, wiederholt es.“
Nur drei Zitate aus dem neuen Roman von Sasha Filipenko, der in seinem Buch Russland als ein Land der wuchernden Klischees beschreibt.
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Kaum ein Land hat in den letzten 30 Jahren so viele Veränderungen erlebt wie Russland. Wie gehen die Menschen damit um? Joshua Yaffa porträtiert in diesem vielfältigen Streifzug durch das
zeitgenössische Russland einige der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des Landes - von Politikern und Unternehmern bis hin zu Künstlern und Historikern. Sie alle haben ihre Identitäten und
Karrieren im Schatten des Systems Putin aufgebaut. Im Zwiespalt zwischen ihren eigenen Ambitionen und den allumfassenden Ansprüchen des Staates balanciert jeder von ihnen auf einem schmalen Grat von
Kompromissen.
Yaffa liefert eindringliche Erkenntnisse über die wahre Natur des modernen Autoritarismus, indem er zeigt, wie die Bürger ihr Leben nach den Anforderungen eines launischen und oft repressiven Staates
richten – oft aus freien Stücken, aber auch unter Androhung von Gewalt. (ECON)
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Erich Follath Matthias Schepp Gasprom - Der Konzern des Zaren in:
Norbert Schreiber (Hg.): Russland. Der Kaukasische Teufelskreis oder Die lupenreine Demokratie Wieser Verlag Klagenfurt 2007 zuerst veröffentlicht in DER SPIEGEL.
Die Welt weiß viel über Exxon Mobil, General Electric, Toyota, Microsoft, die anderen Big Shots unter den Großunternehmen der Welt; sie weiß aber zu wenig über Gasprom. Was für ein Konzern ist das,
dessen Börsenkapitalisierung zwischenzeitlich 290 Milliarden Dollar überstiegen hat, dessen gegenwärtiger Marktwert höher ist als das Bruttosozialprodukt von 165 der 192 in der UNO vertretenen
Nationen? Wie tickt ein Unternehmen, das ein Sechstel der weltweiten Erdgasreserven kontrolliert und mit einem Fingerschnipsen die Energiezufuhr nach Westeuropa unterbrechen, unsere Wohnungen
erkalten lassen kann?
Die Gasprom-Story hat Helden und Halunken; sie spielt in den überheizten Politiker-Hinterzimmern von Moskau wie in der Eiseskälte von Sibirien, in den von Erpressung bedrohten Pipeline-Transitländern
Ukraine, Weißrussland und Armenien, »auf Schalke« im Ruhrgebiet der Malocher, wie auch im Schweizer Millionärssteuerparadies Zug und in Sotschi am Schwarzen Meer, Putins zweiter Sehnsuchtsstadt, wo
er mit den ebenfalls von Gasprom finanzierten Olympischen Spielen sein Lebenswerk krönen will. (…)
Weltmacht Gasprom, Europas wertvollster Kon¬zern, Putins Schwert: Auf dem großen Bildschirm im Kontrollzentrum kann mühelos die weltweite Expansion des Kraken besichtigt werden, dessen Fangarme in
alle Richtungen zuschlagen. Hier voll¬zieht sie sich zivilisiert, geräuschlos. Hier sind die wütenden Proteste der Regierungen nicht zu hören, für die die Gaspreise auf Weltmarktniveau angehoben
werden, weil Gasprom Geld braucht. Oder weil der Kreml Staaten bestraft, die sich wie die Ukraine und Georgien von Moskau ab- und der NATO und der EU zuwenden. Hierher dringen keine Debatten vor über
die zwischen den Herren Putin und Schröder abgesprochene Ostsee-Pipeline, den Ärger der Polen und Balten. Ungefähr in der Mitte der Europakarte blinkt die Pumpstation Kurskaja auf; von dort drehte
Gasprom der Ukraine Neujahr 2006 das Gas ab. Moskau hatte den Preis zunächst verdreifacht; die Verhandlungen mit Kiew drohten zu scheitern. Man einigte sich schließlich auf fast das Doppelte. Im
Januar 2007 wiederholte sich in Weißrussland das Spiel; tagelang stoppte Russland den Öl-Fluss. Wie¬der wurde den Westeuropäern bewusst, dass Gas und Öl für den Kreml auch politische Waffen sind.
Schon heute versorgt Gasprom rund 30 europäische Länder. Estland und die Slowakei hängen zu 100 Prozent am Gas aus dem Osten, Griechenland zu 80, Polen zu 60 und die Bundesrepublik Deutschland zu 36
Prozent.“