Faces of Books - Ansichten

...über Bücher und Autoren

facesofbooks.de - das nachhaltige Buchportal

 

We love slow-writing and slow-reading

Herzlich willkommen auf meiner Website, die sich mit Büchern beschäftigt. Facesofbooks zeigt das Gesicht der Bücher und Autoren. Beachtet Titel und Covergestaltung, Aufmachung des Buches, berichtet über den Inhalt, stellt den Autor in kurzer prägnanter Form vor. Wir veröffentlichen Autoreninterviews, bieten Informationen über Bücher von heute und Bücher von gestern, die wichtig sind, aber nicht vergessen werden sollen. Sie finden Tipps, Rezensionen, Kurz-Kritiken, Neuigkeiten über Verlage und Autoren. Geben Sie uns auch Hinweise, was Ihnen gefällt oder mißfällt. Eine Website für Lesefans auch aus der digitalen Bücherwelt. www.facesofbooks.de

 
Herzliche Grüße,

Norbert Schreiber

Die Abgründe der Sprache

„Ist die Wahrhaftigkeit zu retten?“ – diese Frage stellen Tim Henning, Nikola Kampa und Christian Nimtz in ihrem Buch „Die dunkle Seite der Sprache“. Sie bekleiden Professuren für Philosophie an den Universitäten Osnabrück bzw. Mainz. Sie bejahen die zitierte Frage mit einigen Vorschlägen. Aber ihr Buch hat mehr zu bieten, und zwar vor allem für diejenigen, für die philosophische Texte nicht zur gewohnten Lektüre zählen. Dieser Absicht genügt hervorragend ein Glossar, das die verwendeten Begriffe allgemeinverständlich erklärt. Das Buch ist der analytischen Philosophie verpflichtet, die sich als moderner Zweig der allgemeinen Philosophie in dieser Untersuchung ausgewählten Phänomenen der Sprache widmet.


In sechs Kapiteln werden diese behandelt. Das erste untersucht Metaphern und ihre politische Kraft. Menschen machen etwas mit den Metaphern. Sie führen z.B. an der zunächst vielleicht mancherorts zum Überleben notwendigen Aussage Schlangen muss man den Kopf abschlagen, über die Metapher Tutsi sind Schlangen zu dem hunderttausendfach verübten völkermordenden Ergebnis Also muss (darf) man Tutsi den Kopf abschlagen.

 

Metaphern machen also etwas mit den Menschen. Als nächstes nimmt das Buch  „generische“ Aussagen aufs Korn, also Sätze, die sich auf eine Gruppe ganz allgemein beziehen: Schwarze haben so ein tolles Rhythmusgefühl. Die zunächst positive Haltung in diesem Satz ist aber wegen der generischen Verallgemeinerung problematisch, was dramatischer in dem strukturell ja ähnlichen Satz Muslime sind Terroristen deutlich wird. Das Autorenteam diskutiert dieses Thema nicht nur an der dunklen Seite der Verallgemeinerung mit Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus sondern auch an der ganz anders zu beurteilenden generalisierenden Aussage Frauen werden nach wie vor systematisch benachteiligt.


Herabsetzungswörter gehören zu der dunklen Seite der Sprache. „Tintenpisser“ zu oder über einen die Organisation eines Labors kritisierenden Theoretiker zu sagen oder „Arschkriecher“ einen zu nennen, der sich bewusst und prononciert an konventionelle Regeln hält, würdigen den betreffenden Menschen unzulässig herab, und „für die von uns im Giftschrank belassenen NS-Ausdrücke gilt Entsprechendes.“ Formen der kommunikativen Entmächtigung (seit wann verstehst Du etwas von …) sind alltäglich und werden in dem auch in diesem Kapitel aufklärenden Buch gegeißelt: „Wenn wir in einer gerechten Gesellschaft leben wollen, sind nicht nur materielle Güter gerecht zu verteilen, sondern auch Möglichkeiten und Fähigkeiten. Und dies gilt insbesondere für die Möglichkeit zu sprachlichem Handeln.“ Das ist auch relevant in unterdrückender Diskursdynamik, in der ein Sprecher einfach eine Behauptung als Tatsache einbringt und – wird ihm nicht widersprochen – das stillschweigende Einverständnis der Übrigen erreicht.

 

Wenn Gregor Gysi in seiner Rede als Alterspräsident des neugewählten Bundestages sagt: „Wir sind doch wohl alle einig, dass Russland gegen die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt“, dann wird das – ohne Gegenrede zu diesem Punkt – zu der allgemeinen Diskursprämisse. Andere Beispiele gehören zur dunklen Seite der Sprache und sind viel manipulativer bis zu unterdrückender Rede. „Wir machen uns kommentarlos die Ansicht zu eigen, sexistische Abwertung (z.B. „Schwuchtel“) sei derart neutral und banal, dass man die Erlaubnis dazu nebenbei und ohne sie überhaupt zu thematisieren in das gemeinsam Akzeptierte einpflegen könne“.

 

Ein letztes Kapitel widmet die Sprachphilosophie in diesem erhellenden Buch den Lügen, den Verschwörungstheorien und ganz allgemein der Vertrauensbasis der Sprache. Die ist die Voraussetzung erfolgreichen Kommunizierens und wird an Zeugen aus der Vergangenheit (Augustinus) wie an solchen der Gegenwart (Spieltheorie) nachvollzogen. Nicht alle vorgeschlagenen Gegenmittel gegen das mögliche Dunkle der Sprache sind immer und für jeden handhabbar. Das Buch weckt aber das Bewusstsein für die Abgründe der Sprache und kann dazu beitragen, nicht selbst zum Opfer zu werden oder ungewollt dazu führen, dass Andere zu Opfern werden.


Harald Loch


Tim Henning, Nikola Kompa, Christian Nimtz: „Die dunkle Seite der Sprache“
Wie Worte ausgrenzen, abwerten und manipulieren

C.H.Beck, München 2025   224 Seiten   28 Euro 

 

Verrückt und hinter Gittern

Auf der Rückseite des Buches hat der Verlag Riva die Überschrift gewählt „Das Böse hat viele Gesichter“. Richtig! Manchmal sperren die Gesellschaften das Böse einfach weg, und so kommt es zur Sicherungsverwahrung von Menschen hinter Gittern. Heute hat man allerdings den Eindruck, dass das Böse nicht nur viele Gesichter hat, sondern auch alle Arten davon frei herumlaufen, sogar in Regierungsfunktionen gewählt werden können und wurden. 
Die Psychologin hat in der Sicherungsverwahrung einer Justizvollzugsanstalt täglich mit höchstgefährlichen Straftätern zu tun. 
Es sind Triebtäter, Pädophile, Vergewaltiger und Mörder. 


Sie muss das Böse im Menschen erkennen, beurteilen, denn es geht darum, wann Täter wieder gefahrlos auf freien Fuß gesetzt werden dürfen nach Verbüßung ihrer Strafen. Es geht also um Menschen, die wiederum ihre Mitmenschen vergewaltigen, quälen oder sogar töten. 
In diesem Buch versammelt die Psychologin verschiedene Schicksale von Narzissten, Psychopathen, Tätern mit gefährlichen sexuellen Fantasien und Dominanz-Verhalten. In den sehr eindrucksvollen, spannend beschriebenen Psychogrammen lernen wir Menschen kennen, die sich mit ihrem Verhalten außerhalb der Gesellschaft stellen. Ihre Beschreibung gelingt so hautnah und eindringlich, dass einem beim Lesen die eigene Gänsehaut selbst das Fürchten lehrt. 
In Deutschland gibt es über 600 männliche Sicherungsverwahrte, nur zwei Frauen sind in Gefängnissen als gefährliche Straftäter untergebracht. 


Liest man etwa die Liste „Woran erkennt man eine Narzissten“ meint man den amerikanischen Präsidenten wieder zu erkennen: Hier die Variablen: die eigene Wichtigkeit grandios fühlen, grenzenlosen Erfolg sehen, beeindruckt sein vom Machtglanz und Schönheit, sich als besonders und einzigartig empfinden, nach übermäßiger Bewunderung gieren, Anspruchsdenken an den Tag legen, zwischenmenschliche Beziehungen ausbeuten, Mangel an Empathie, arrogante überhebliche Verhaltensweisen an den Tag legen. 


Meine Güte: Wie oft kommt so etwas vor?


Was aber ist ein Psychopath? Psychopathen, sagt die Autorin gibt's nicht nur in Horrorfilmen, auch im richtigen Leben: Psychopathen sind unbeteiligt gegenüber den Gefühlen anderer, sie zeigen andauernd verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen, sind unfähig zu dauerhaften Beziehungen, haben eine sehr geringe Frustrationstoleranz, ihnen fehlt das Schuldbewusstsein und sie haben eine deutliche Neigung andere zu beschuldigen.


Auf die einzelnen dargestellten Fälle und Charaktere möchte ich hier nicht eingehen. Lesen Sie also und fällen sie ihr eigenes Urteil. 
Sich selbst bescheinigt die Psychologin ihre Arbeit hinter Gittern habe sie empathieloser und vielleicht in diesem Sinne auch ein bisschen gefährlicher gemacht. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen der Gefängnisse, ein Blick der einem sonst verwehrt bleibt. 


Gilda Giebel hat an den Universitäten Erfurt und Konstanz Psychologie studiert und promoviert. Ihr Schwerpunkt liegt in der forensischen Psychologie, sie erstellt Gefährlichkeitsprognosen über Täter

 

Gilda Giebel Triebhaft zwischen Narzissten, Sadisten und Psychopathen Was ich als Psychologin in der Sicherungsverwahrung erlebt habe RIVA

Rutschfeste Badematten - im Angebot

Manchmal ist es verdammt nervig was einem passieren kann. Da schickte mir der Autor, in Frankfurt am Main langjähriger Nachbar und Freund Eldad Stobezki sein Buch „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“. Vom Titel allein schon fasziniert, steckte ich es in meinen Koffer und nahm es zur Buchmesse nach Frankfurt mit. Das hätte ich nicht tun sollen, denn von da an war es spurlos verschwunden. Es war keineswegs unter eine Badematte gerutscht, auch nicht im Hotel auf dem Nachttisch vergessen worden. Ich suchte es überall, es tauchte einfach nicht wieder auf. In meiner Bibliothek war es auch nicht abgeblieben. Ein Jahr lang suchte ich danach. Vergebens!
Diese Alltags-Geschichte, die ich jetzt am Anfang der Rezension erzähle, könnte genauso in diesem Buch stehen, denn wie heißt es so schön im Englischen „shit happens“.


Ein Jahr nach der Buchmesse finde ich diesen Band, den ich so viele Monate lang gesucht habe, zwischen meinen tausend Büchern eingeklemmt in einem Verlagsprospekt von der Frankfurter Buchmesse. Dort hat es sich versteckt, ohne mir einen Ton davon zu sagen. 
Entschuldigung Eldad, diese Rezension kommt also etwas verspätet; nicht etwa, weil ich das Buch schlecht finde, im Gegenteil, ich habe es auf dem Weg zur Buchmesse in Frankfurt in einem Rutsch durchgelesen, geradezu verschlungen  und habe oft gelacht, manchmal nur geschmunzelt aber zuweilen auch manche Träne vergossen. Es sind diese Miniaturen, die du aufgeschrieben hast, die einem im Alltag genau so passieren und die einfach erwähnenswert sind, weil sie so besonders auf uns und in uns wirken. 


In den Überschriften werden sie „Kiesel“ genannt, manchmal kicke ich solche Kieselsteine auf meinem Grundstück in die Ecke, da wo sie hingehören, nur sie fallen immer irgendwo anders hin als gewollt. 
So etwas ähnliches tuen deine Worte offenbar auch. Sie fallen irgendwo hin, aber ins Schwarze treffen sie dabei immer. Ein Beispiel: „Wenn wir von zu Hause weggehen, nehmen wir immer ein Stück Heimat mit“.
In deinen Texten spürt man oft, dass du zwei davon hast. Bei manchen Menschen sind es noch sehr viel mehr Landschaften, die unter dem Begriff Heimat subsumiert werden können. Weil sie als Emigranten mehr Heimat im Herzen haben als ihnen manchmal lieb ist.


Es sind Schmunzelworte, die du da auflistest. Du empfindest dich als „Wortklauber“ – ein Begriff der allgemein leider negativ besetzt ist (klauben wird aber im Ursprung bei Wikipedia als „mit den Fingerspitzen, Nägeln oder Zähnen an etwas herumarbeiten; von der Hülse oder Schale befreien, pflücken, lesen, (aus)sondern, mit Mühe heraussuchen“ bezeichnet. Einigen wir uns auf „mit Mühe heraussuchen“. Das tust du selbst wie eine Biene, die Wörter statt Honig sammelt: Begriffe aus dem Radio, aus Büchern, aufgeschnappt in der U-Bahn und immer wieder staunend darüber, was die deutsche Sprache doch für Spitzfindigkeiten hat. 


Wo liegt bei einem Streik der Lokführer der Unterschied zwischen „Unwägbarkeiten mit „ä“ und „Unwegbarkeiten“ mit „e“.
Du bist froh darüber, dass die Sonderzeichen im Polnischen, Tschechischen, ja sogar im Spanischen immer noch existent sind, denn España, sagst du, hat zurecht immer noch eine Locke auf dem spanischen n. 


Du arbeitest mit einem PC, und angesichts der gecrashten Festplatte kommst du auf die Urform der Keilschrift zurück. Kein upload nötig. 
Deine Gedanken- und Mentalitätssprünge sind faszinierend, auch lustig, etwa wenn du dem Deutschlandfunk und seiner Redaktion Kultur vorwirfst, dass der neue vorgestellte Roman nicht „Kairo“, sondern „Kairos“ heißt. Da hast Du wirklich einen Punkt, wie man es heute so schön formuliert.


Deine Miniaturen setzen sich immer wieder mit Sprache, mit Musik, dem Jüdischsein oder auch der Homosexualität auseinander.

Du fragst die KI was „Kastrati“ sind, wir lassen es hier einmal offen, bitte selber googeln oder KI austesten!


Du gibst Gott die Empfehlung, er hätte besser auf die Arche Noah verzichten sollen, dann hätte es ein besseres „Reset“ der Schöpfung geben können. 


Wir begleiten dich in Buchhandlungen, wo Du mitunter Empfehlungen gibst oder auch an die Aldi-Kasse, wo wir den Aldi-Alltag miterleben. 
In der Tat, das sind interessante geographische und intellektuelle Sprünge. 


Immer ist es die Neugierde, die dich antreibt: Das WissenWollen, und das Ergebnis dann aber auch notieren und festhalten müssen, für deine Freunde oder für dein Buch.


Es geht mir auch so, dass ich mich ungern von Büchern trenne. Mein ganzes Haus ist voll davon, und ich kann kein einziges neues mehr in ein Regal stellen. Verzeih mir also bitte, wenn in diesem Wust dein Büchlein untergegangen ist. Ich werde es nun in Ehren halten und an einem schönen besonderen Platz postieren.


Dieser Tage wollte ich drei Kisten voll aktueller Bücher an Büchereien weitergeben, natürlich ohne etwas dafür zu verlangen, ich will doch nicht an Rezensionsexemplaren etwas verdienen. Alle sagten „um Gottes Willen wir haben keinen Platz dafür“. Die Gefahr besteht also auch weiterhin, dass Bücher sich einfach so davon machen und verschwinden, ohne einen Laut abzugeben. 


Wenn ich das nächste Mal Radieschen einkaufe, werde ich mich an diese kleine Kiesel-Miniatur erinnern, als die Dame sagte, sie möchte sich die Radieschen noch von oben anschauen, als sie Radieschen einkaufte. 
So geht es mir auch, verzeih also bitte, wenn ältere Herrschaften manchmal etwas schusselig mit Büchern umgehen.


Maria Gazzetti, die lange Jahre das Frankfurter Literaturhaus geleitet hat, schreibt über dein Buch im Nachwort, deine Texte seien tagebuchartige, kurze, liebevoll geschriebene Miniaturen aus dem Alltag, aus Lektüren über Radiosendungen, Musik und Opernbesuche, über Politik und das aktuelle katastrophale Weltgeschehen. Genau getroffen!
Ich bin gespannt, wann Du demnächst deinen zweiten Band vorlegst und über den Verrückten aus Washington berichten wirst. Auf diesen Worte-Spaß freue ich mich schon. 

 

Eldad Stobezki Rutschfeste Badematten und koschere Mangos Edition W 
 

 

Inside Russland - Eisiges Schweigen

Der Zeit - Korrespondent in Moskau legt erneut eine spannende, tiefgründige Analyse über Russland vor.  Seit Jahren reist er in das Landesinnere und trifft dort Menschen, die er intensiv befragt und so entdeckt Thumann, was das Innerste im jeweiligen Teil des RUSSLAND-reichs zusammenhält. 


Thumann schaut auch auf seine eigene Familiengeschichte, den Zusammenbruch des ehemaligen Sowjetreichs, die folgende Entwicklung Osteuropas, seine eigenen zerplatzten Träume von einem gemeinsamen friedlichen Haus Europa, mit einer gesicherten Weltordnung. 
Wieso ist das deutsch-russische Verhältnis inzwischen in der Gegenwart so zerstört, fragt sich Thumann immer wieder. 
Wir lesen ein zeitgeschichtliches Zeugnis von äußerster Präzision. Es ist nicht nur die politische und soziologisch genaue Analyse, die fasziniert, es ist auch das Reporter-Talent des Zeitkorrespondenten, der in einer farbigen Sprache uns das Miteinander in dem ehemaligen Sowjetimperium sehr, sehr nahebringt. 


Im Prolog und der Analyse über Europas neuer Teilung und den neu entstehenden Eisernen Vorhang der sich auf einer weiteren Strecke nun wieder auftut, lesen wir von vier Thesen über die Einteilung in ein wieder getrenntes Ost und West. Thumann macht dafür vor allem einen Hauptschuldigen aus und der heißt Wladimir Putin.  Zitat: „Der russische Herrscher versucht schon lange sein Land gegen den Westen zu verriegeln... Mit dem Auslöschungskrieg gegen die Ukraine hat sich Russland eine Schreckensgestalt, gegeben, die es bei seinen Nachbarn ebenso gefürchtet wie verhasst macht.“


Die erste These seines Buches lautet: Der neue Eiserne Vorhang passt perfekt in Putins Weltbild, er vollendet einen Zustand an dem er schon lange gearbeitet hat. 


Der zweite Kerngedanke lautet: Putin hat Russland von Europa entfernt wie kein russischer Führer vor ihm. 


Die dritte These: Putin tut alles, um die deutsch-russische Aussöhnung seit der Wiedervereinigung zu zerrütten. 


Die vierte Beobachtung: Russland zerstört die Ukraine und droht ganz Europa mit nuklearer Vernichtung. Deutlicher geht es nicht mehr. 
In den folgenden Kapiteln beschreibt Thumann den mühsamen Weg des Korrespondenten - Daseins in Russland. Es gibt ja kaum noch welche, die vor Ort sind. 


Apropos Fluchtbewegungen: Nicht nur die Firmen und Korrespondenten verlassen Russland, es ist auch die eigene Bevölkerung, die das Weite sucht. 


Thumann sucht die kleinen Fluchten, fährt mit dem Fahrrad raus aus Moskau und schildert uns die polizeiliche Überwachung, die man aus früheren Zeiten kennt. Es kommt immer wieder zu schikanösen Behandlungen der Sicherheitsbehörden. Es ist schwierig geworden, ein objektiv berichtender Journalist in Russland zu sein. Neuerdings ergreift die Polizei eine weit verbreitete Passion bei Durchsuchungen hinter Hohlräumen wie früher Verdächtiges zu suchen, es wird auch wieder geflüstert in diesem Staat. Angst geht um. 


Natürlich gibt es immer noch das Gläschen Wodka und die vielen Trinksprüche, wenn man mit Freunden zusammensitzt und feiert, doch die Skepsis wie sich Russland weiterentwickeln wird wächst von Tag zu Tag, nicht nur bei der Opposition.


 Russland sucht seinen neuen Partner in China. Was hat er aber mit Europa vor? "Putin bereitet sich vor, in dem er seine eigentlichen Ziele tarnt, mögliche Ansprüche in Europa argumentativ vorbereitet und Russland für die finale Auseinandersetzung mit Europa ausrichtet.  
Putin hat seinem Land eine Kriegswirtschaft verordnet. 
Die Hauptthese dieses Buches lautet: Ohne dauerhaften Krieg mit dem Westen kein Putin, deshalb muss der Krieg weitergehen, egal ob aus der Nähe oder auf Distanz, ob heiß, kalt oder Hybrid. Hauptsache der Feind ist identifiziert. 


Thumann macht eine lange Reise von Moskau über St Petersburg in Richtung Litauen und schließlich über Kaliningrad bis Danzig, Posen, Frankfurt Oder und Wittenberg, schließlich nach Berlin. Während dieser langen Reise macht Thumann ständig Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden, die nach Drogen Schmuggelwaren, Geld suchen, denn Russland hat eine Kapitalkontrolle eingeführt. 
Der Korrespondent besucht russische Flüchtlinge in Georgien, trifft die Menschen in Kasachstan, und immer wieder stellt er fest, dass die Schlinge der Überwachung durch den Staat weiter zugezogen wird. 
Die Polizisten überwachen die Bürger, die Polizisten überwachen sich gegenseitig und der Geheimdienst überwacht die Polizei. 
Thumann schildert auch die Grenzen, die in den Köpfen der Bevölkerung entstehen, bei jenen die zu Hause geblieben sind aber auch bei denjenigen die inzwischen in Berlin wohnen und sich von dort nach ihrer Heimat zurücksehnen, sie aber keineswegs besuchen können, weil ihnen dort Gefängnisstrafen drohen. 


Eindrucksvoll das Kapitel, wie die russische Propaganda die Zerstörung des Westens zumindest in der TV- Wirklichkeit schon längst verbal vollzieht. Zitat: „Mit Europa werden wir schonungslos umgehen“ oder „Wir kommen und bringen euch alle um“ oder „Wir zerschmettern erst die Ukraine, dann die ganze Welt“, „Wir stellen euch alle vor ein Tribunal wie in Nürnberg“. All diese Drohungen sind keine Fantasiegebilde, sondern eine sehr deutliche Propagandawut der allgewaltigen Oberen in Russland, unten herrscht allerdings in der Bevölkerung oft das Gegenteil, nämlich eisiges Schweigen, wenn Thumann allzu deutliche Fragen stellt. 


Was Thumann bei seiner Wiedereinreise in Deutschland auffällt, ist das von mir auch in meinen Büchern 2008 erschienene Buch über Anna Politkowskaja und schon 2009 erschienen, über Putins lupenreine Demokratie schon lange beklagte Wegschauen und Desinteresse vieler Deutscher an dem, was in Russland und Osteuropa wirklich passiert. Das eisige Schweigen sei unter Putin zum Volkssport geworden. 
Dass Putins Aggressionspolitik schon früher deutlich geworden ist, vergisst der Autor nicht zu erwähnen, in Tschetschenien 1999, in Georgien bei der russischen Invasion, 2008 und 2014 in der Ukraine, beim russischen Einmarsch auch 2022 und ebenso geschehen in Syrien. 
Fazit: Thumann schreibt deutlich: „Putin hat Deutschland im Visier.“ Wir sollten alle dieses Buch in die Hand nehmen, genauestens lesen und endlich die Augen öffnen. 

 

Michael Thumann ist Außenpolitischer Korrespondent der DIE ZEIT, er arbeitet aus Moskau und Berlin. Seit den 1990er Jahren berichtet er für die ZEIT aus Russland, Osteuropa und dem Nahen Osten. 2023 erschien bei C.H.Beck sein Bestseller "Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat". Seine Artikel, Podcasts und Bücher über Russland als Vielvölkerstaat und den neuen Nationalismus Putins haben unseren Blick auf dieses Land erweitert. Russland kennt er schon aus Studienzeiten, als er unter anderem an der Moskauer Lomonossow-Universität studierte.


Michael Thumann Eisiges Schweigen flussabwärts Eine Reise von Moskau nach Berlin C.H. Beck

Der Wortartist Harry Rowohlt

Frechdachs, lustiger Hund, Spaßvogel, irrer Typ, Sprachartist, Vorlesekünstler, großartiger Übersetzer, Wortsucher, Kettenraucher, Thekensäufer, Nachteule, Kolumnist, Briefeschreiberfan, mit vielen derlei Worten kann man den rauschebärtigen Harry Rowohlt beschreiben, der ein freies Leben wählte, statt das Millionen-Verlags-Erbe des Hauses Rowohlt anzutreten. Statt im Anzug mit Krawatte und steifer Oberlippe in den edlen Verlagsetagen sich in Hamburg wichtig zu tun, wollte Harry lieber sich rumtreiben, mit Worten als Übersetzer glänzen, oder aber sein schauspielerisches Talent, von der Mutter geerbt, in der Lindenstraße als grauköpfiger Penner in die Waagschale zu werfen. 
Sein Biograph Alexander Solloch, selbst Autor und Hörfunk-Moderator und Literaturredakteur beim NDR, hat diese sehr detaillierte umfangreiche Biographie über Harry Rowohlt geschrieben, dessen Vorlese-Brummbass derart legendär war, dass man ihm stundenlang zuhören konnte. 


Er hatte bei Lesungen eine derartige Virtuosität entwickelt, dass ihm das Publikum regelrecht wie Lemminge nachlief und bei den Veranstaltungen stundenlang sitzen blieb, um ihm alleine auf der Bühne sitzend, vor Mikrofon, zu lauschen. Und dabei die Umwelt und die Zeit komplett zu vergessen.


Bei Buchmessen glänzte er als Präsentator, nein Nachfolger seines Vaters, des Verlegers vom Rowohlt Verlag, das wollte er ganz und gar nicht werden. Wenngleich er öfter in dieser Angelegenheit zweifelte, bis er sich endgültig entschied.  Rowohlt erlebte ein flirrendes Leben, das sich jedoch zumeist zwischen zwei Buchdeckeln abspielte. 
Schon seine Lehrer prophezeiten, „Er wird werden, was er ist“, und so ist es in der Tat gekommen. Zeitgenossen wie etwa Robert Gernhardt lobten „Harrys Erzählungen gehören zu den wärmendsten und erhellendsten“, der Spiegel schrieb Harry Rowohlt war nicht nur „gut er war der Beste“. 
So kann es eben kommen, wenn man sich zwar oft zweifelnd länger ein eigenes Lebensziel sucht, aber dann auch doch umso konsequenter umsetzt. Er absolvierte und investierte anfangs auch einige Zeit in Verlagen, um auszutesten ob er nicht doch Verleger werden sollte. Es reizte ihn dann doch nicht. 
 Seine mitunter humorgesättigte und sarkastische Art faszinierte. Ebenso wie sein Wortreichtum.


So steckt dieses Buch voller eigenartiger Geschichten, Legenden und Zitate über Harry, die Kapitel reichen von schwer erziehbaren Eltern, über den langen Weg zum Übersetzer, bis hin zu seinen legendären Bühnenauftritten, die er als Vorleser im Hauptberuf und als genialer Sprecher von Hörbüchern absolvierte.


Er liebte sein Publikum und das Publikum liebte ihn. 


Er erreichte auch beim weiblichen Geschlecht gewisse Sympathien. Er war eben allem gegenüber offen eingestellt. 


Rowohlt hatte einen geradezu revolutionären und teils auch experimentellen, frechen, alternativen Humor, zum Beispiel am Schlagzeug sitzend, bekannte er sich zum „musikalischen Sozialismus.“ Gegenüber dem Rowohlt - Lektor Fritz J Radatz war er nicht gerade besonders freundlich eingestellt. („Scharfe Abneigung, abgebrochenes Ostzonenarschloch“) 


Das Verlagshaus betrat er sowieso nicht sehr gerne. Lieber trieb er sich mit Comic-künstlern rum, trat vor Mikrofone in der Volksbühne, las intelligente Hörbücher ein, übersetzte kongenial irische Literatur, (Lieblingsautor Flann O‘ Brian) gönnte sich auch eine Auszeit auf griechischen Inseln, aber sein eigentlicher Arbeitsplatz blieb immer sein Schreibtisch, sein „Kampfplatz für den Frieden“, wie er ihn beschrieb.
Ein lesenswertes Buch, eine voll mit Zitaten strotzende Biographie, die natürlich auch nicht vergisst das „Puh der Bär“ sein Hauptwerk war. Und ebenso unvergessen seine Optik: Bart, langes ergrautes Haar, Nickelbrille und dazu ein freches, Maul! Genial! Und nicht daneben!

 

Alexander Solloch HARRY ROWOHLT 
Kein & Aber

 

 

Alexander Solloch, geboren 1978, aufgewachsen am Niederrhein, studierte Geschichte und Französisch in Leipzig und Aix-en-Provence. Nach dem Volontariat arbeitete er als freier Autor und Hörfunkmoderator. 2011 und 2019 wurde er für den Deutschen Radiopreis nominiert. Seit 2014 ist er Literaturredakteur beim NDR. Alexander Solloch lebt in Hannover.

Trojanow: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“

Wie Karl Marx schon so treffend spottete: „Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce“, so gibt es auch den umgekehrten Prozess. Nachzulesen ist er in Ilja Trojanows Satire „Das Buch der Macht.“ In dieser literarischen Prosaadaptation des 1897 entstandenen Großgedichts des bulgarischen Autors Stojan Michailowski „Buch für das bulgarische Volk“ folgt nicht die Farce als Wiederholung der Geschichte, sondern die Gegenwart folgt der geradezu prophetischen Satire, so dass man versucht ist hinzuzufügen: „entstehende Ähnlichkeiten sind rein zufällig“. Ob sie so zufällig wären, werden die Leserin und der Leser geneigt selbst entscheiden. Worum geht’s?


In 15 Tages- und Nachtlektionen enthüllt der Wesir, also der Regierungschef im osmanischen Kalifat, seinem als Nachfolger vorgesehenen Neffen, den er mit orientalischen Koseworten anredet, das Geheimnis der Macht oder, so der Untertitel des Buches, „wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“. Die satirische Unterweisung hat es in sich. Sie fächert nicht nur die vielleicht auch in der muslimischen Welt als Todsünde geltenden menschlichen Unarten als für den Machterhalt unerlässlich auf, sondern fordert dafür auch lässlichere Sünden trotz ihrer Hässlichkeit als notwendig. Der Wesir preist nicht nur Mord und Totschlag, Bestechung und Befriedigung der Eitelkeit, er kommt auf autoritäre Tricks, die einem sämtlich bekannt scheinen. Ein jeder erlebt sie so oder in einer der vielen Varianten in seiner Umgebung. Trojanow verfällt in seinem Remake auf einen genialen Trick. Er teilt sein Buch in zwei unterschiedliche Seiten: Rechts steht in blauen Lettern (man beachte die Farbe!) die Originalsatire vom Machterhalt. Links steht in roten Buchstaben wie eine dialogische Unterbrechung des Redeflusses des Wesirs ein passender Text von Leuten, die dazu etwas zu sagen haben. Z.B. bekennt der Wesir: „In den letzten dreißig Jahren habe ich mit zielstrebiger Beharrlichkeit Gift in das Maul der Öffentlichkeit gegossen, ein Gemisch aus Lügen, Verleumdungen und Unterstellungen“. Daneben stehen Jonathan Swift mit der Sentenz „Die Falschheit fliegt und die Wahrheit kommt hinterhergehinkt; wenn also die Menschen der Täuschung gewahr werden, ist es bereits zu spät.“ Oder Hannah Ahrendt: „Niemand hat je Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet.“
Dem Terrorismus der Macht, in blauer Schrift auf den rechten Seiten, folgen im virtuellen Dialog manche Apologeten der Macht wie der Kronjurist der Nazis Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“  Andere widersprechen in roter Schrift auf den linken Seiten, wie z.B. Konstantin Wecker mit seinem Lied „Einen braucht der Mensch zum Treten…“ Heinrich Heine steht auf einer linken, roten Seite mir seinem Gedicht von den „Zuckererbsen für jedermann“. Oder auch Erasmus von Rotterdam mit dem klaren Wort: „Macht ohne Güte ist reine Gewaltherrschaft“. Oder genauso klar der „rote, linksstehende“ Immanuel Kant: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“


So liest sich das Buch auf weißem Papier in bleu-blanc-rouge unterhaltsam. Es ist abwechselnd gebildet und perfide wie eine Satire auf die Gegenwart – geschrieben vor mehr als 100 Jahren. Ein erhellendes Nachwort von Ilija Trojanow zollt dem Dichter der Vorlage, seinem bulgarischen Landsmann Stojan Michailowski und der „evidenten“ Aktualität dessen Großpoems eine treffende literaturgeschichtliche und zeitpolitische Reverenz.

 

Harald Loch


Ilija Trojanow: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“


Die Andere Bibliothek, Berlin 2025   275 S. Originalausgabe nummeriert (im Schuber) 48 EUR, Extradruck (Hardcover) 26 EUR
 

 

Macht II - Macht im Umbruch - Variante Münkler

Welchen Beitrag kann die Politikwissenschaft zu politischen Entscheidungen leisten? Diese Frage stellt sich bei dem wegweisenden Buch „Macht im Umbruch“ von Herfried Münkler. Es geht ihm um „Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“.

 

Zunächst beschreibt er die Gegenwart als das Zusammentreffen der Bedrohungen durch Russland mit dem Rückzug der USA aus der atlantischen Verbundenheit. Er stellt sodann die Gefahren für den Industriestandort Deutschland aus China, starke, durch Populisten beförderte Zentrifugalkräfte in der EU und einen wachsenden Migrationsdruck aus dem Süden neben der immer sichtbarer werdende Klimakrise fest. Er problematisiert den Stand des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats und seine Herausforderungen durch den Populismus von rechts und links. Dabei legt er den Finger auf eine von ihm ausgemachte Effizienzwunde – die bremsenden Einspruchsrechte gegen wichtige Infrastrukturprojekte. Ob er damit auch große Teile der Zivilgesellschaft, nicht nur die „Omas gegen rechts“ trifft, lässt er offen.
Die Grenzen Europas behandelt er als „geopolitische Herausforderung“.

 

Das Offenhalten der Grenzen („Wir schaffen das“) hat er mit guter Begründung für notwendig gehalten. Die danach erforderliche Öffentlichkeitsarbeit nach innen und das Einfordern europäischer Solidarität seien dagegen vernachlässigt worden und haben zum Erstarken populistischer Parteien beigetragen. Politische Führung hätte gefehlt; er klagt sie auf allen Ebenen ein und verlangt sie vor allem in und von Deutschland in Europa. Deutschland sei das Land in der Mitte Europas, sein bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich stärkstes Land und sei verpflichtet, die politische Führung im Sinne eines „servant leaders“, also einer dienenden Führung anzustreben und einzunehmen. Nicht allein: Münkler stellt sich eine Führungsachse Paris-Berlin-Warschau, ergänzt durch eine Nord-Süd-Achse mit Italien bzw. Spanien und dem Norden, evtl. wieder mit Großbritannien in virtuos zu gestaltender Form vor. Diesem Kerneuropa mit einer innerhalb dieser Gruppe „dienend“ führenden Deutschland, misst er die mehrheitlich gebildete Entscheidungsgewalt über die Außen- und die Verteidigungspolitik Europas zu.

 

Die kleineren Staaten, die mir ihrer Vetomacht wie das Ungarn Orbans zunehmend nerven, könnten für den Verlust ihres Vetorechts „soft entschädigt“ werden, etwa mit größerer Duldung ihrer innerstaatlichen Sonderregelungen. Um den europäischen Führungskern und zweiten Kreis der ihrer Vetomacht beschnittenen, vor allem ostmitteleuropäischen Länder sollte sich ein dritter Ring als „abgeflachte“ Peripherie von Staaten wie die Türkei oder Ländern des Maghreb bzw. Ägypten, an Europa assoziierte Länder gruppieren. Diese Vision in politische Realität umzusetzen könne nur einer starken Führung gelingen. Der Umbau Europas nach diesem Muster würde seine Handlungsfähigkeit stärken, seine Reaktionsgeschwindigkeit vergrößern und auch Kräfte für eine eigene Rolle neben den anderen Akteuren der Weltpolitik freisetzen.


Münkler stellt in Frage, ob in Deutschland der Wille und das politische Personal vorhanden seien, die Risiken und Kosten einer solchen Rolle zu tragen. Voraussetzung dafür sei die wirtschaftliche Erholung aus dem aktuellen Stillstand. Hierfür hält er eine Entbürokratisierung, den Rückbau der Verrechtlichung selbst kleinster unternehmerischer Entscheidungen und einen kräftigen Investitionsschub in die Infrastruktur für notwendig. Hier nennt er vor allem Erneuerung und Ausbau der Schiene, um die Transportwege durch die Mitte Europas den Erfordernissen der Zeit anzupassen.


In wichtigen historischen Rückblicken erinnert er sein Publikum an die Fehler deutscher Politik nach Bismarck, an die Suggestion der „Einkreisung“, die zwei Weltkriege mitverursacht habe und die jetzt larmoyant auch von Russland als Vorwand für seine Expansionspolitik benutzt würde. Vor allem rechnet er mit dem Liebäugeln einiger politischer Akteurinnen und Akteure in Deutschland und anderswo mit einer stärkeren Hinwendung zu Russland aus historischen Gründen ab. Dabei gingen die wichtigsten Werte des „Westens“, wie der freiheitlich demokratische Rechtsstaat, die Pressefreiheit und wesentliche persönliche Freiheitrechte verloren.


Das alles klingt plausibel, selbst wenn man die Führungsvision für vielleicht zu wertkonservativ hält. Alle Argumente basieren aus einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Gegenwart und sind im Einzelnen gut belegt. Das Buch liest sich rasant, wenn man die fast apokalyptischen „Drohungen“ beim Nichtbefolgen der von Münkler angeschlagenen Agenda aushält. Das Anmahnen von Dringlichkeit beim Umbau Deutschlands und Europas wird von außen befördert: Trump und Putin blasen uns den Marsch. Wohin er führen kann, zeigt Münkler deutlich, ab: „Es sind große Herausforderungen und gewaltige Aufgaben, die auf die deutsche Politik zukommen, und es ist alles andere als sicher, dass sie diesen Herausforderungen gewachsen sein wird.“


Harald Loch


Herfried Münkler: Macht im Umbruch   
Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
Rowohlt Berlin, 2025   431 Seiten   30 Euro

 

Von Kriegen und vom Frieden

Kaum ist das Grundgesetz rüstungstauglich geändert, liegt ein schwergewichtiges Buch auf dem Tisch der Entscheider: Der in Bern als Professor für Neueste Allgeneine Geschichte emeritierte Militärhistoriker Stig Förster hat eine Deutsche Militärgeschichte von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart geschrieben. Sein Buch ist eine von Friedensappellen flankierte Kriegsgeschichte, handelt von den meist gescheiterten Versuchen, Kriege zu vermeiden, von der Bedeutung des Clausewitz-Diktums vom Primat der Politik. Hier kommen auf die Regierung und das Parlament Abstimmungen, wahrscheinlich auch Auseinandersetzungen mit den Militärs der Bundeswehr und der wie auch immer weiterbestehenden NATO zu.

 

Die Vergangenheit lehrt die Verantwortlichen, dass es zunächst immer um Geld, früher hieß es um „Kriegskredite“ geht. Die Lockerung der Schuldenbremse bedeutet ja nicht, dass unbegrenzt Zugriff auf erst mit der Zukunft zu verrechnendes Geld besteht. Der preußische König Friedrich II., den manche auch „Der Große“ nennen, konnte den Siebenjährigen Krieg nur mit horrenden Hilfsgeldern aus England durchstehen und irgendwie gewinnen. England brauchte die „zweite Front“ in Europa gegen das gegen Friedrich kämpfende Frankreich, um seinen Krieg um die Kolonien in Nordamerika gegen Frankreich zu gewinnen. Förster stellt die Frage des Vorrangs der Politik vor dem Militärischen wie ein Leitmotiv in allen von ihm untersuchten Epochen dar.


Besonders wichtig war dieses Thema vor dem Ersten Weltkrieg, als in Deutschland alle Verantwortlichen, vorneweg Bismarck, von einem unvermeidlich erscheinenden Krieg gegen Frankreich ausgingen. Die Fragen nach der Truppenstärke, nach allgemeiner Wehrpflicht und deren Dauer, nach der Strategie oder nach der davon abhängigen Bewaffnung einschließlich des Gewehrs, der Rolle der Teilstreitkräfte, die Frage nach der Beteiligung von Privatunternehmen (Krupp) an der Ausrüstung usw. waren in ständiger Auseinandersetzung zwischen Politik (Kaiser, Reichstag, Regierung) und Militär (Generalstab, Kommandeure) zu klären. Die Lösungen waren selten optimal. Selbst in der autoritären Hitlerdiktatur führte eine Budgetfrage zur Entscheidung gegen die Entwicklung eines strategischen Langstreckenbombers (zu teuer), den Görings Luftwaffe gern angeschafft hätte.


Die politischen Weichenentscheidungen kommentiert der Autor mit deutlicher Urteilskraft. Die Entlassung Bismarcks durch Kaiser Wilhelm II. bezeichnet er z.B. als die einzige Entscheidung dieses schwachen Monarchen, die er für richtig hält. Die These Christopher Clarks, dass der Erste Weltkrieg von „Schlafwandlern“ nicht verhindert wurde, wischt er in einer Fußnote weg und urteilt bei aller Mitschuld Russlands und Österreichs mit guten Gründen: „Der Schlüssel, welcher die Büchse der Pandora öffnete, lag letztlich in Berlin.“ Die Kriege selbst entwickelten eine eigene Dynamik. Auch das hat Clausewitz in seinem Buch „Vom Kriege“ klargestellt. Die Bauernkriege hatten einen ganz anderen Charakter als die Kabinettskriege des 16. Bis 18. Jahrhunderts. Der Deutsch-Französischen Krieg entwickelte sich nach Sedan und der Gefangenschaft von Napoleon III. zum ersten „Volkskrieg“ der Französischen Republik gegen den in Versailles zum Deutschen Reich vereinigten „Erbfeind“.


Der Autor fügt seinem wissenschaftlich gegründeten Text gelegentlich Schlachten- und Aufmarschpläne bei, ohne etwa bellizistischen Gemütern damit zum Munde zu schreiben. Immer wieder lädt er sein Publikum ein, mit ihm über die fehlgeschlagenen Bemühungen zur Kriegsvermeidung nachzudenken. Er macht für dieses Scheitern in seiner deutschen Militärgeschichte den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert aufkommenden Militarismus haftbar, der in Deutschland zwei Wurzeln hatte: Eine konservative, die ein starkes Heer vor allem gegen etwaige (sozialistische?) Umsturzversuche forderte und eine nationalistische, die eine deutsche Weltmachtstellung anstrebte. Die „störrische“ Haltung des immer stärker von Sozialdemokraten besetzten Reichstages hatte schon Bismarck wie auch seine Nachfolger zu Überlegungen veranlasst, mit einem Staatsstreich das Parlament zu entmachten und eine autoritäre Monarchie wiederherzustellen.
Interessante zeitgeschichtliche Ausführungen zur Militärgeschichte beider deutscher Staaten während des Kalten Krieges führen bis in eine Gegenwart, in der die zweite Amtszeit Trumps noch in der Zukunft lag. „Wohin die Reise geht, kann niemand voraussagen. Deshalb muss das Buch an dieser Stelle enden. Nur eins ist sicher, solange die Menschheit existiert, wird auch die Geschichte weitergehen.“ Vollmundig schließt er: „The End of History war eben nur neokonservatives Geschwätz, das in der Euphorie nach dem Sieg des Westens im Kalten Krieg entstand.“


Harald Loch


Stig Förster: Deutsche Militärgeschichte   Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
C.H.Beck in der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
1294 Seiten   21 Abb.   ein Farbtafelteil   22 Karten   49,90 Euro

 

Tanzen - Singen - frei sein: Josephine Baker

Vor 50 Jahren, „am 8. April 1975 stand die 69-jährige Josephine Baker ein letztes Mal auf der Bühne. Vier Tage später erlag sie den Folgen eines Schlaganfalls“, schreibt Mona Horncastle, Kuratorin der großen Ausstellung in der Neuen Nationalgallerie in Berlin, in ihrem Nachwort zu den Memoiren unter dem Titel Das Revival der Josephine Baker. Deren Adoptivsohn Jean-Claude Bouillon-Baker datiert in seinem Vorwort den Beginn dieses Revivals: „Am 30. November 2021, einem Dienstag, sagten Paris und Frankreich ihr nicht »Adieu«, wie 46 Jahre zuvor auf den Stufen der Madeleine, die damals geschmückt war für ein nationales Staatsbegräbnis – sondern begrüßten sie an jener neuen, ewigen Ruhestätte, die sie nun beziehen würde.

 

Die französische Nation ehrte sie und stellte sie damit den großen Wohltätern der Allgemeinheit gleich.“ An diesem Tag kam sie auf Veranlassung des französischen Staatspräsidenten Macron ins Panthéon. Ihr eindrucksvolles Leben erzählt sie selbst zwischen Vor- und Nachwort in ihren Memoiren. Sie wurden in der Absicht geschrieben, ihre Entwicklungen zu bezeugen, sie entstanden allerdings in mehreren Teilen und in großen zeitlichen Abständen.


Ihre Leserinnen und Leser begleiten sie in ihrer Kindheit in St. Louis (Missouri), die sie in ärmlichsten Verhältnissen verbrachte. Sie war ein uneheliches Kind einer afroamerikanischen Waschfrau und eines jüdischen Schlagzeugers. Ihr Vater trennte sich ein Jahr nach ihrer Geburt von der Familie. Sie erinnert sich an ihre Spiele, an ihre Verkleidungen, an die Morgenröte ihrer Talente, an ihre Tierliebe und an ihren Freiheitsdrang. Daraus ergab sich auf wundersame Weise ein erstes Engagement in New York, aus dem eine „Berufung“ nach Paris folgte. Das wurde ihr Lebensmittelpunkt, sie wurde 1937 Französin und verstand ihren späteren Einsatz in der Résistance und in den Forces françaises libres als selbstverständlichen Dank an diese neue Heimat, an die Toleranz und die nicht rassistische Gesellschaft von Paris. Von de Gaulle erhielt sie das Lothringerkreuz für ihren Einsatz als Offizierin der Luftwaffe des Freien Frankreich.


Den größten Teil ihrer Erinnerungen nimmt ihr kometenhafter Aufstieg in Paris zum Star der großen Revuen, der Cabarets ein, bald auch ihres eigenen. Sie lässt ihre Erfolge aufleben, ohne selbstverliebt darin zu schwelgen, spricht zwischendurch von den Gerichten, die sie selbst gern kocht – „Ich habe unstillbaren Appetit“ -  immer wieder von ihren Tieren, von Vögeln, Schlangen, Krokodilbabys. Das alles trifft den persönlichsten Ton eines bescheiden gebliebenen Stars, einer jeden Abend betenden Katholikin, einer großzügigen, ihr Privatleben nicht vermarktenden Frau. Sie bringt den Charleston nach Europa, wird bald über die Grenzen Frankreichs hinaus zum Weltstar. Sie bereist viele Europäische Länder, feiert überall Triumphe. In Berlin hetzt schon der braune Mob gegen sie. Aber Max Reinhard versucht, sie an das deutsche Theater zu binden. Ihr Auftritt in München wird polizeilich untersagt. In Wien läuten sämtliche Glocken bei ihrer Ankunft – nicht zur Begrüßung, sondern um die Gläubigen vor ihr zu warnen. Auch in Schweden gibt es Proteste, bis der König sie empfängt. Überall gelten ihr Tanz und ihre Hautfarbe als „anstößig“ – Rassismus überall.


Eine Tournee in den USA konfrontiert sie mit den dortigen Rassengesetzen und der Schere im Kopf selbst bei den New Yorker Hoteliers, die keine Vermietung an Farbige vornehmen wollen, damit die zahlende Kundschaft aus den Südstaaten nicht ausbleibt. Dramatisch erzählt sie vom Grenzübertritt über die Demarkationslinie zwischen dem de jure Farbige gleichstellenden Osten und dem nach wie vor die Rassentrennung legalisierenden Süden. „no Jews, no dogs, no niggers“, fasst sie ihre unfassbaren, hautnah erinnerten Erlebnisse in den USA zusammen und ist heilfroh, wenn sie wieder in ihrem Paris sein kann. Konsequent schließt sie sich nach Kriegsausbruch der Resistance an, um ihren Beitrag im Kampf gegen Nazideutschland zu leisten und singt und tanzt vor amerikanischen, britischen und französischen Soldaten hinter der Front. Nach Kriegende nimmt sie im zerbombten Berlin an einem onzert mit Künstlern aus allen vier Siegermächten teil. Sie vertritt dabei Frankreich, dem sie im Krieg selbstlos und ohne jedes Honorar gedient hat – jetzt ruht sie im Panthéon.


Harald Loch


Josephine Baker: „Tanzen, Singen Freiheit“ Memoiren
Die beeindruckende Lebensgeschichte der berühmtesten schwarzen Sängerin und Tänzerin
Mit einem Vorwort von Jean-Claude-Bouillon Baker und einer Einleitung von Marcel Sauvage sowie einem Nachwort von Mona Horncastle.
Aus dem Französischen übersetzt von Sabine Reinhardus und Elsbeth Rank
Reclam, Ditzingen 2025   281 S.   26 Euro

 

Ukraine von ganz unten betrachtet

Kiew, 23. Februar 2022: Alex Lissitsa steht vor dem Präsidentenpalast und erhält einen Anruf. Ein Freund vom Geheimdienst ist dran: die Russen, morgen geht es los. Von diesem Moment an ist nichts mehr, wie es war. Es beginnt eine mehr als zweijährige Odyssee durch ein aufgewühltes Land, die mitten hinein führt in den Kriegsalltag der ukrainischen Gesellschaft. Ein Buch voller skurriler Geschichten und berührender Begegnungen, schonungslos offen, aber nicht anklagend, umgeben von Leid und Hass und doch voller Selbstironie und Humor. Ein ukrainischer Weg durch den Krieg, der Sympathie weckt und Hoffnung macht, der aber auch zeigt, was auf dem Spiel steht. CHBECK

 

mehr

Jetzt Solo: Volker Klüpfel mit eigenem Krimi

Svetlana, der Dichter und der Fall mit dem einsamen Kind — Vom Autor der beliebten „Kluftinger“-Krimis - die neue Bestseller-Reihe

 

mehr

Literarische Geschmacksprobe: Südtirol

Baden im Kalterer See, Sommerpromenaden durch den Kurort Meran, Skifahren und Wandern im »schönsten Bauwerk der Welt«, den Dolomiten: Südtirol ist ein ganzjähriges Urlaubsparadies…

 

 mehr

Neapel sehen - und weiter leben

Dass die Italiener verrückt sind, wissen wir. Auch dass sie, nicht ohne Grund, stolz darauf sind: »Siamo pazzi!« – nirgends in Italien schallt das mit so viel Berechtigung wie aus Neapel, vielleicht der schönsten Stadt Europas, von der schon Benedetto Croce sagte, es sei ein von Teufeln bewohntes Paradies. Maike Albath, die Italien, das geistige und das alltägliche, kennt wie ganz wenige nördlich der Alpen, hat mit ihrem neuesten Buch – nach Turin, Rom und Sizilien – das Labyrinth der uralten Stadt am Golf erkundet. 

 

Ein Wörterbuch des internationalen Vokabulars

 

Jörg Lau, Außenpolitik-Experte der ZEIT, rückt den 80 beliebtesten Formeln auf dem internationalen Parkett zu Leibe und betreibt Sprachkritik. So zeigt er, dass die »Eskalationsspirale« oft nur ein rhetorischer Trick der Aggressoren ist, den Bruch internationalen Rechts zu legitimieren. Und er legt offen, welches antiliberale Narrativ hinter dem Begriff der »multipolaren Welt« steckt. Wer Jörg Laus außenpolitisches Wörterbuch zur Hand hat, kann besser mitreden und versteht die Hintergründe der deutschen Außenpolitik.
DROEMER 

 

mehr

Flucht vor Deutschland und den Nazis

Aktueller kann Buch nicht sein! Wolfgang Benz sagt es im Vorwort zu „Exil“, das die Geschichte der Vertreibung 1933 – 1945 erzählt: „Die Geschichte des Exils aus dem ‚Dritten Reich‘ ist ein Lehrstück, geschrieben in einer Zeit, in der Menschen in großer Zahl politisches Asyl begehren, in der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz und Hilfe in dem Land suchen, aus dem einst Bürger wegen ihrer Gesinnung oder ihrer Herkunft verfolgt und ermordet wurden, auf das Arme der existenziellen Hoffnungslosigkeit in ihren Heimatländern zu entkommen suchten.“ In den Mittelpunkt seines Buches stellt der langjährige Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin nicht die prominenten Flüchtlinge aus dem „Dritten Reich“, deren Exilbiografien weitgehend bekannt sind, sondern Exilschicksale von Menschen, die nicht im Rampenlicht der Aufarbeitungsgeschichte stehen.

 

Er gliedert sein Buch zeitlich in Kapitel über die frühen Verfolgungsmaßnahmen vor allem gegen Kommunisten und Sozialdemokraten und über die Diskriminierung, die zielgerichtet den Gang ins Exil erzwang. Ein interessantes Kapitel behandelt die Orte des Exils, von den Anfängen im damals noch nicht zum Deutschen Reich zählenden Saarbrücken, in Wien, Prag und Amsterdam. Besonders problematisch erwies sich die restriktive Aufnahmehaltung der Schweiz, die ihre Grenzen – im Gegensatz zu ihrer offeneren Haltung während des Ersten Weltkriegs – nur Wenigen öffnete. Paris und Marseille, London, Moskau, Mexiko, New York, Lateinamerika Shanghai und Australien. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Die Bedingungen, dorthin zu gelangen, waren unterschiedlich, bürokratisch und politisch oft bis zur Unmöglichkeit erschwert. Fast überall hieß es „Das Boot ist voll“ oder auch „wir holen uns damit Kriminalität oder politische Unterwanderung“ ins Land. Bis heute hört man das böse Echo dieser Verweigerungen. Die Grenzen waren fast überall zu. Generöse Ausnahme: Die Kindertransporte der 10.000 nach Großbritannien mit den Problemen der von ihren Eltern – meist für immer – getrennten Kinder.

 

Der vielfache Exilwunsch war Palästina, das damals noch britisches Mandatsgebiet war. Die dortige Verwaltung ließ nur abgezählte und handwerklich oder landwirtschaftlich ausgebildete Flüchtlinge ins Land. Benz beschreibt die zahllosen vergeblichen Versuche, illegal ins Land zu kommen und benennt Einzelne aus einer größeren Menge, die von der Mandatsverwaltung nach Mauritius im Indischen Ozean deportiert wurden und jahrelang unter entwürdigenden Umständen gefangen waren. Viele starben dort an den Entbehrungen. „Fiktion und Realität“ heißt ein Kapitel über Literatur im Exil mit einem sehr lesenswerten Abschnitt über den Moskauer Schriftstellerkongress im Sommer 1934 und einigen z.T. widersprüchlichen Einschätzungen deutscher Exilanten über den Stalinismus und die zu jener Zeit wütenden mörderischen Schauprozesse gegen „Unbequeme“. In jedem Kapitel kommen die Exilerfahrungen von Menschen zur Sprache, die unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle des Nachkriegsfeuilletons unbeachtet und unbesungen leben mussten.


Auslöser für den oft schwergefallenen Entschluss ins Exil zu gehen, waren die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bzw. die Repressalien und Bedrohungen an Leib und Leben durch das „Dritte Reich“. Wohin könnte es gehen, wenn die Auswahl so gering ist, mit welchen Mitteln? Damit und mit der erlösenden, aber oft enttäuschenden Ankunft am Ziel begann das Exil. Aber wann endete es, wenn es überhaupt endet? Benz beschreibt die Erfahrungen einzelner Rückkehrer in die westliche Bundesrepublik wie in die DDR. Er berichtet von Exilschicksalen, die im Exilland erfolgreich weitergingen. Jedes Schicksal verlief anders, so unterschiedlich wie das des späten Rückkehrers Michael Blumenthal, der 1939 mit seinen Eltern Berlin verlassen musste, in den USA in der Privatwirtschaft und unter Kennedy als Botschafter arbeitete und 2001 als Direktor das Jüdische Museum in Berlin eröffnete. Auch „Ima wurde als Jüdin aus Berlin vertrieben“, zitiert der Autor aus Mond über der Uhlandstraße von Rachel Ron, „kam aber in Palästina, dann in Israel nicht zurecht. Sie versteht die Sprache nicht. Sie fährt fast jeden Tag ans Meer, blickt stundenlang auf die See. Heimweh nennt man das. Unglückliches, verrutschtes Leben, nennt man das. Es ist nicht Berlin, was Ima fehlt. Brüssow in der Uckermark. Ein kleines Kaff. Wo man in Holzpantinen ging und Plattdeutsch sprach. Wo Menschen keine Unterschiede zwischen Menschen kannten. Wo es Fremde gar nicht gab. Wo Ima noch nicht enttäuscht vom Leben war.“

 

Harald Loch

 
Wolfgang Benz: „Exil“   Geschichte einer Vertreibung 1933 – 1945
C.H.Beck, München 2025   407 Seiten   60 Abb.   36 Euro

Nur mal so zum Erinnern

Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Eine Revision | Das neue Standardwerk zum Zweiten Weltkrieg auf sowjetischem Boden
Übersetzt von: Karin Hielscher

Der deutsch-amerikanische Historiker Jochen Hellbeck nimmt eine Neubewertung des Zweiten Weltkriegs vor und verändert unseren Blick auf die Entstehung des Holocaust. SFISCHER

 

mehr

 

 

Harald Loch befragt Jochen Hellbeck

Interview mit Jochen Hellbeck zu seinem Buch
„Ein Krieg wie kein anderer“


Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Eine Revision
Aufgenommen von Harald Loch am 7.3.2025 in Berlin

 
Frage: Über den Zweiten Weltkrieg und die Vernichtung der Juden Europas gibt es so viele Bücher – auch sehr gute sind darunter. Was revidieren Sie mit ihrem Buch von dem bisher Geschriebenen?


Hellbeck: Mein zentrales Anliegen ist, dass die Leserinnen und Leser einen Eindruck davon bekommen, dass es Menschen sind, die in diesem Krieg vernichtet worden sind. Deshalb habe ich aus Archiven in Moskau, Kiew und Minsk Einzelschicksale herausgesucht und exemplarisch dargestellt. Kriege werden immer gegen Menschen geführt, und das sollte nachempfunden werden.


Frage: Was macht denn den deutschen Krieg gegen die Sowjetunion zu einem Vernichtungskrieg und was war die dazu treibende Motivation der Nazis?


Hellbeck: In der überwiegenden Literatur zu den Angriffskriegen Hitlers wird ja der Bolschewismus als Hauptgegner dargestellt, zuweilen auch der neidvolle Blick auf die Möglichkeiten der USA. Das alles ist aber verkürzt; denn die Kernobsession des Nationalsozialismus war von seinem Anfang an die Bekämpfung des JÜDISCHEN BOLSCHEWISMUS. Diese doppelte Feindschaft belege ich mit einem größeren Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Nationalsozialismus. Es war eben nicht nur die Gegnerschaft gegen den sowjetischen Bolschewismus. Die teilte auch ein dann mit den Nazis paktierender großer Teil des Bürgertums. Es war die mit dem latent vorhandenen und anheizbaren Antisemitismus verknüpfte Ideologie des JÜDISCHEN BOLSCHEWISMUS, den es für die Nazis zur Rettung Europas zu vernichten galt.


Frage: Gibt es dazu Belege?


Hellbeck: Hundertfach. Z.B. Görings Rede auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP, als er die Hakenkreuzfahne als neue deutsche Fahne gegen die Flagge der Sowjetunion mit dem Roten Stern einführte. Das war die flaggenpolitische, gleichsam ikonologische Begleitmusik zu den Nürnberger Gesetzen als Teil des Kampfes gegen den jüdischen Bolschewismus. Görings Frau hatte übrigens schon 1928 bei einem Auftritt von Rotgardisten in einer Veranstaltung, an der ihr Mann als Redner teilnahm, den Roten Sowjetstern an den Mützen der jungen Rotgardisten als Davidstern missdeutet, bewusst oder unbewusst trotz aller Unterschiedlichkeit der Sterne gleichgesetzt. Dieses Dokument habe ich übrigens erst nach Abschluss meiner Arbeiten an dem Buch zur Kenntnis genommen.


Frage: Kommt dieser Aspekt des doppelten Kampfbegriffs „jüdischer Bolschewismus“ in der Holocaustforschung und -Literatur zu kurz?


Hellbeck: Definitiv! Die doppelte Gegnerschaft gegen Juden und gegen den Bolschewismus verschmolz zu einer ideologischen Einheit und wurde zum Kern des Vernichtungskrieges. Ich belege das mit zahllosen Zitaten aus deutschen Soldaten- und Offiziersbriefen, aus Tagesbefehlen der Wehrmacht, die unverblümt diese, für das aufgeheizte Militär offenbar attraktive Verdoppelung des Feindgesichts bekannten und beflügelten.
Frage: Wie hat eigentlich die Sowjetunion darauf reagiert?


Hellbeck: Dafür stehen zunächst zwei Namen von Schriftstellern: Wassili Grossmann und Ilja Ehrenburg. Vor allem der im Westen als sowjetischer Agit-Prop -Autor bis heute nicht angemessen rezipierte Ehrenburg hat mit seinen täglich in der Armeezeitung erscheinenden Berichten die genannten entlarvenden Selbstzeugnisse der in der Wehrmacht herrschenden Ideologie gegen den JÜDISCHEN BOLSCHEWISMUS denunziert und damit Kräfte in der Roten Armee mobilisiert, die auch in Hass auf alles Deutsche ausarten konnten, die aber wie eine hochwirksame Waffe wirkten. Deshalb hat Reinhard Gehlen (“Fremde Heere Ost“) an der Ausschaltung Ehrenburgs gearbeitet. Bis heute sind die objektiven Aufrufe Ehrenburgs im Westen nicht wahrgenommen worden. Er war der Mobilisator der Roten Armee und kam dabei ohne fake news über die Nazis aus, denn die lieferten ihre mörderische Ideologie dem Feind im Original frei Haus. Auch hier ist eine Revision im Westen erforderlich: Ehrenburg war deshalb so erfolgreich, weil er peinlich darauf geachtet hat, nur die Wahrheit zu schreiben. Und die ist grauenvoll!

 

Frage: Verstehen Sie Ihr Buch auch als eine Anklage?


Hellbeck: Natürlich! Da gibt es doch nicht zu beschönigen oder zu gar verteidigen. Wie die Wehrmachtsausstellung kann auch ich nur anklagen, muss aber auch richtigstellen. Deshalb die „Revision“ im Titel.

Wer hat da angefangen?

Wer hat angefangen?

 

Es geht aber um viel mehr in Gaza. „Der Weg aus der Gewalt wird dadurch erschwert, dass sowohl die israelische als auch die palästinensische Gesellschaft schwer traumatisiert sind. Die kollektiven Traumata der Shoa und der Nakba verstärken die aktuellen Leiderfahrungen und lassen kaum Raum für Empathie mit der anderen Seite.“ Das schreibt die Politikwissenschaftlerin und Nahostexpertin Muriel Asseburg in ihrer zeitgeschichtlichen Arbeit „Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza“, in der sie den historischen Hintergrund, die Eskalation und die möglichen Folgen untersucht. Vieles ist durch die ausführliche Berichterstattung bekannt. Was fehlte, ist eine die Zusammenhänge berücksichtigende Einordnung, eine kritische Darstellung der Faktenlage, eine von wissenschaftlicher Urteilskraft getragene, naturgemäß vorläufige Würdigung.


Hinsichtlich des Überfalls der Hamas auf Israel liegen die Fakten auf dem Tisch. Sie müssen als völker- und menschenrechtswidrige Verbrechen be- und verurteilt werden. Sie haben ein eklatantes Versagen der israelischen Geheimdienste und der Armee offengelegt und den Krieg des angegriffenen Landes gegen die Hamas nach Gaza getragen. Der hat sich als militärisch komplizierter und in den Augen vieler als fragwürdig erwiesen, weil er praktisch die gesamte auf kleinstem Gebiet zusammenlebende Bevölkerung in Mitleidenschaft zog. Das Wort von einer „Verhältnismäßigkeit“ der Mittel erscheint in diesem Zusammenhang fragwürdig, es sei denn, man hielte das Ziel Israels für nicht gerechtfertigt, nämlich „ein für alle Mal“ die Bedrohung seines Staates und seiner Bürger durch die Hamas auszuschließen. Die Autorin versucht, die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung in Gaza anhand des Kampf- und Blockadegeschehens auch kalendarisch nachzuvollziehen. Sie schreibt zwar kein Kriegstagebuch, aber sie ordnet die Vorgänge zu einem auch als Nachschlagewerk nützlichen Buch.

 

Hierzu verwendet sie meist Quellen von der Opferseite. Eine „objektive“ Beurteilung der Fakten wird es vielleicht nie geben – sie wäre naturgemäß wohl immer parteinehmend. Setzt man die Opferzahlen des Überfalls der Hamas zu denen des Krieges in Gaza ins Verhältnis, ergibt das noch keine Antwort auf die „Verhältnismäßigkeit“ der von Israel eingesetzten Mittel. Das sehen große Teile der Weltöffentlichkeit anders, wie Asseburg nachvollziehbar beschreibt. Insofern scheint der Überfall der Hamas vom 7. Oktober zweifach „Erfolg“ gehabt zu haben: Er hat erstens die Palästinenserfrage wieder auf die internationale Tagesordnung gesetzt, und zwar mit höchster Dringlichkeit. Und er hat zweitens zu einem dramatischen Prestigeverlust Israels geführt, dessen Folgen noch gar nicht abzusehen sind.


Asseburg hat in München auch Völkerrecht studiert und diskutier sachkundig auch diese und vor allem die Völkerstrafrechtlichen Fragen. Die Anklagebank ist auf israelischer Seite prominent besetzt. Die Angeklagten der Hamas sind inzwischen tot. Israel vollstreckt ja selbstgefällte Todesurteile durch Militärschläge. Die Autorin untersucht in diesem Zusammenhang auch die Rollen Irans – geschwächt durch die Ausschaltung seiner Luftverteidigung und den Ausfall Syriens aus der „Achse des Widerstands“ – sowie der arabischen Golfstaaten, in vorderster Reihe von Saudi-Arabien. Sie referiert Stimmungsbilder der Bevölkerungen dort, in Israel und in aller Welt und sie beschreibt die vergeblichen Friedensbemühungen der UN, befreundeter und „neutraler“ Staaten. Die Geiseln blieben viel zu lange in Geiselhaft der Hamas und die Bevölkerung von Gaza weiß nicht, wie sie weiterleben soll. Asseburg schreibt kein Buch, das Mut macht, aber sie schreibt genau, was man politisch nicht machen darf. Ob das angesichts der genannten Traumata in den betroffenen Gesellschaften fruchtet?

 

Harald Loch


Muriel Asseburg: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza   Hintergrund, Eskalation, Folgen
C.H.Beck, München 2025   286 Seiten   12 Abb., 5 Karten   20 Euro

 

Hisbollah - inside  und kein Frieden in Sicht

So wird nichts draus! Kein Frieden ist zwischen der Hisbollah und Israel in Sicht, weil die Voraussetzungen dafür fehlen. Der 1960 in Haifa geborene deutsche Historiker und Nahostexperte Joseph Croitoru hat in seiner weit in die Geschichte zurückgehenden Analyse „Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels“ die Ursachen für diese düstere Prognose herausgearbeitet.

 

Die Hisbollah ist eine schiitische Organisation, die in Libanon über Macht und bestimmenden Einfluss verfügt. Der Autor arbeitet noch einmal die immer wieder auch gewaltsam eskalierende Rivalität zwischen den sunnitischen und schiitischen Konfessionen der Muslime hervor. Libanon ist historisch ein multikonfessioneller Staat mit einer Proporzverfassung, die das Machtgefüge zwischen den orthodoxen und katholischen Christen sowie den konkurrierenden sunnitischen und schiitischen Muslimen immer wieder neu und nie nachhaltig genug austariert.  Zentrum der aggressiven schiitischen Machtentfaltung in Nahost ist Iran, Schutzmacht und Finanzier der Hisbollah in Libanon. Mit Mitteln, die wie ein Marshallplan wirken, unterstützt das Regime Irans die Hisbollah und zahlt für deren soziale, militärische und religiöse Aktivitäten, die sie bei der Bevölkerung attraktiv erscheinen lassen.

 

Wie tief die Hisbollah im Bewusstsein der inzwischen die Mehrheit bildenden Schiiten verankert ist, zeigt Croitoru anhand der erschreckenden Indoktrinierung der Jugend in den von Iran finanzierten Schulen. In ihnen gehören der militante Hass auf Israel und Amerika, eine Propaganda der Gewalt und die Heroisierung von Märtyrern zu den Grund- und Leistungskursen der Schülerinnen und Schüler. Die Vernichtung Israels, die Rückeroberung Jerusalems und der Hass auf Juden überhaupt stehen in diesen oft einzigen funktionierenden Schulen im Mittelpunkt des Unterrichts.


Befeuert wird diese mörderische Ideologie durch die Vergeltungsschläge Israels vor allem im grenznahen Süden Libanons. Mit erstaunlicher Objektivität zählt der Autor die Opfer und Gebäudeschäden sowie die innerlibanesischen Fluchtbewegungen von Hunderttausenden in den Norden des Landes auf, die diese gezielten Schläge anrichten. Die führen zu Gegenattacken begrenzter, aber politischer Wirkung auf Israel, immer begleitet von Propagandalawinen Irans.

 

Seit dem Kampf Israels gegen die Hamas in Gaza zeichnet sich immer stärker ein ideologischer Schulterschluss der Hisbollah mit den Palästinensern und der sunnitischen Front gegen Israel ab. Der Machtwechsel in Syrien hat die strategische Lage dort bis auf Weiteres verändert, weil der Zustrom von iranischen und russischen Waffen über Syrien zur Hisbollah in Libanon unterbunden wurde. Die Schläge Israels gegen die Kommandostruktur der Hisbollah haben deren militärische Kapazitäten vorerst stark dezimiert. Aber das ist keine Voraussetzung für Frieden, sondern ein dauernd wirkender Keim für Racheideologien, die schon der nächsten Generation in den schiitischen Schulen eingeimpft werden.


Immerhin hat es in der aktuellen Entwicklung einen auch vom Autor beschriebenen Hoffnungsschimmer gegeben: „Am 27. November 2024 trat nach wochenlangen Verhandlungen unter amerikanischer und französischer Vermittlung der Waffen [1]stillstand zwischen Libanon und Israel in Kraft, dem auch die Hisbollah zustimmte. Dass den libanesischen Streitkräften die von ihnen erwartete Entfernung aller nicht autorisierter Waffen in dieser Zone gelingt, wird ebenso bezweifelt wie die Fähigkeit der libanesischen Regierung, die an sie gestellten Forderungen zu erfüllen. Sie soll nicht nur die «Wiederherstellung und Aufrüstung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen in Libanon» verhindern, sondern auch Verkauf, Lieferung und Produktion von «Waffen und damit zusammenhängendem Material» im Land regeln und kontrollieren. Einem internationalen Gremium unter der Führung der USA und Frankreichs obliegt es, neben UNIFFIL die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Dass das Abkommen keine ausdrückliche Forderung nach einer Entwaffnung der Schiiten-Miliz, die sich wieder einmal als Kriegsgewinnerin inszenierte, enthielt, wurde von ihr als Sieg gefeiert.

 

Ein weiterer Triumph war für Hisbollah-Generalsekretär Naim Qassim, dass Israel nun gezwungen sei, sich aus dem Südlibanon zurückzuziehen. Aus diesen Gründen wurde die Waffenstillstandsvereinbarung in Israel eher mit Skepsis aufgenommen, weshalb sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu veranlasst sah, sie in seiner einschlägigen Erklärung in auffallender Ausführlichkeit zu rechtfertigen. Seine gleichzeitige Drohung, Israel werde auf jede Nichteinhaltung der Feuerpause «energisch reagieren», wurde denn auch rasch in den folgenden Tagen und Wochen mit zahlreichen Luftangriffen in die Tat umgesetzt.“


Wenn Iran und die Hisbollah nicht die Vernichtung Israels von ihrer To-Do-Liste nehmen, wird aus dem brüchigen Waffenstillstand kein Frieden entstehen.


Harald Loch


Joseph Croitoru: Die Hisbollah. Irans Schattenarmee vor den Toren Israels
C.H.Beck, München 2025   183 Seiten   2 farb. Karten    18 Euro

 

Wie dumm sind die Wähler?

Die Krise der Demokratie wird oft mit einer Krise der Politik gleichgesetzt: Menschen wählen angeblich populistische oder extremistische Kräfte, weil die gemäßigten Parteien nicht auf ihre Sorgen und Ängste eingehen. Aber hat das Wahlvolk wirklich immer recht? Und wie können wir unsere Demokratie schützen, wenn sich ein Teil der Bevölkerung von ihr abwendet?

 

Wahlkampfmunition aus dem Hause rtl/ntv

Nikolaus Blome begibt sich auf den weiten Weg 12 Mythen -Glaubenssätze, die seiner Auffassung nach Deutschland seit langem in die Irre führen, komplett zu entlarven. Er bezeichnet sie schlicht als „Unfug“ stellt jedoch dar, dass die falschen Wahrheiten enorme Kräfte entfalten können, sogar Staatsgelder in die Irre führen, Wachstum bremsen, Gesellschaftsgruppen zum Aufruhr führen.

 

So kommt er in seinen Thesen zu einer vorläufigen „Schadensbilanz“, von der die Populisten auf dem rechten und linken Rand profitieren können. Den Regierenden wirft er vor, die Realität nicht unverstellt zu betrachten. Wären es 13 Glaubenssätze, die Nikolaus Blome untersucht, würde man aus seinem Buch selbst einen Mythos stricken können. Er bleibt aber sparsam bei 12 Postulaten. Gehen wir sie der Reihe nach durch und stellen sie aber nur dar, beurteilen sie aber nicht kritisch, um ihnen zu widersprechen.

 

12 Postulate – 12 Mythen „Deutschland ist ein Einwanderungsland“, nur Zuwanderung kann die Wirtschaft retten.  Blome behauptet, Deutschland ist ein Fluchtland, kein Einwanderungsland. Zweite Auffassung, das Asylrecht schütze die Schwachen. Blome gibt zu bedenken, dass es oft bis zu acht Jahre dauert bis ein Flüchtling in den Arbeitsmarkt integriert werden kann.

 

Postulat 3: “Rentner sind arm.“ Blome nennt Beispiele, wie reich die Rentner sind und unternimmt dafür einen Realitätscheck. Seine Kritik, die ganz große sozial Gießkanne auf Kosten der Jungen sei unterwegs.


Punkt 4: „Frauen werden viel schlechter bezahlt als Männer“ Er meint ein Gesetz und eine EU-Richtlinie in dieser Hinsicht würde nichts taugen.


Fünfte Behauptung: „Die meisten Arbeitslosen können nicht arbeiten“. Zunächst definiert Blome wer ist eigentlich arbeitslos? Dann schildert er das Comeback des „Forderns“ und diagnostiziert unser Land sei im Weiterbildungswahn.


Punkt Sechs: „ Aufstieg durch Bildung“. Die Gerechtigkeit werde falsch gemessen, das führe dazu, dass gesellschaftspolitisch ein Abitur besser sei als eine Lehre, es würde dadurch „Leerstellen“ entstehen mit doppeltem „e“ statt Lehrstellen.


Siebter Einwand: „Die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer größer. „Wer an den Sozialstaat geht, gefährdet die Demokratie“. Da stört den Autor, der früher für BILD stellvertretender Chefredakteur war und nun bei RTL das journalistische Handwerkszeug für rtl und ntv verwaltet,  Kinderarmut sei ein Propaganda-Werkzeug. Schlagzeile „Kafka lässt grüßen, die wirklich Bedürftigen scheitern“.


Mythosatz 8
„Deutschland tut viel zu wenig für den Klimaschutz und verfehlt seine Ziele“


Hier findet Blome die Missionarischen seien unterwegs und zeigten nicht auf, was alles gut geht und interpretiert, wie aus guten schlechten wie aus schlechten guten Nachrichten werden. 
Das Thema Klimaschutz helfe der AFD.


Auch der Punkt 9 beschäftigt sich mit Klimaschutz.  Dann greift Blom im Kapitel 10 auf, die Aussichten würden immer schlechter und daran sei der Kapitalismus schuld.


Da findet Blume, das allerorten eine Denkfaulheit unterwegs ist. Und schließlich ist im 11. Abschnitt des Buches die Behauptung unterwegs, die Boomer seien an allem Schuld, Blomes Diagnose heißt da, dass die Boomer ein krisen-mürbes Land übergäben, das nicht genug in Schuss ist.

 

Abschließend der Punkt 12 : „Die nächste Generation, die wird die erste sein, der es schlechter geht als ihren Eltern. Da greift Blume auf seine eigene Familie zurück und berichtet dass seine Kinder kein Auto fahren würden, also Generations-Verständnis-Wechsel sei möglich. Da fordert Nikolaus Blome uns alle auf: „Könntet ihr bitte etwas leiser heulen.“

 

Dieses Buch könnte in einigen Passagen durchaus auch widerlegt werden, was wir aber in Wahlkampfzeiten im Augenblick gar nicht so gerne tun. Machen Sie sich ein eigenes Bild von diesem Buch, denn Nikolaus Blume ist ein Provokateur, der immer wieder anregende Diskussionen in Gang setzen kann. Das wissen wir auch von seiner multimedialen Debatte mit seinem Diskussionspartner Jakob Augstein.

 

Das Buch liest sich flott und leicht, da spürt man dass der boulevard-erfahrene ehemalige stellvertretende BILDchef und nun Politikchef bei RTL und NTV als gefragter Kommentator und Autor viel gelesener Kolumnen blome- boulevardesk-blumig  schreiben kann. zuweilen zuweilen schlagzeilenartig griffig, eben schlicht leicht lesbar. Eine Wahlkampfhilfe für unentschlossene Wähler ist dieses Buch sicherlich auch. 

 

Nikolaus Blome Falsche Wahrheiten 12 linke Glaubenssätze, die unser Land in die Irre führen DVA

 

Nikolaus Blome, geboren 1963, leitet seit 2020 das Politikressort bei RTL und n-tv. Bis Oktober 2019 war er stellvertretender Chefredakteur der »Bild«-Zeitung. Von 2013 bis 2015 leitete er als Mitglied der Chefredaktion das SPIEGEL-Hauptstadtbüro. Er ist gefragter Kommentator des politischen Geschehens und Autor einer vielgelesenen Kolumne auf spiegel.de. Blome hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Jakob Augstein »Oben und unten. Abstieg, Armut, Ausländer – was Deutschland spaltet« (2019). Seit 2024 betreibt er ebenfalls mit Jakob Augstein den Podcast »Augstein & Blome«.

 

  Alfred Brendel: „Naivität und Ironie"

In 1800 Konzerten mit allen namhaften Orchestern ist Alfred Brendel als Solist aufgetreten, an Hunderten Solistenabenden hat er ebenso wie mit Millionen Platten und anderen im Studio aufgenommenen Tonträgern seine Hörer begeistert. Als er seine Konzerttätigkeit am 18. Dezember 2008 beendete, ist er aber nicht verstummt: Den heute Vierundneunzigjährigen kann und sollte man lesen. Seine nicht nur für ausübende Musiker, sondern auch für hinhörende Zeitgenossen wichtigen Essays, seine klug geführten musikanalytischen Gespräche, sein Nachdenken über das Alter bedurften nicht mehr seiner gerühmten Fingerfertigkeit und der tiefen Erkenntnis des Interpreten. Sie gehen an die Quintessenz vor allem im Werk der sein Repertoire bestimmenden Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven.

 

Über allem steht das Motto „Naivität und Ironie“, bei allen spürt er dem zuweilen überhörten Humor nach, z.B.: „Auch Musik kann manchmal lachen. Wir hören es am Beginn von Haydns später »C-Dur-Sonate« oder in einigen von Beethovens »Diabelli-Variationen«! Am Schluss seiner »C-Dur-Sonate« lacht Haydn uns aus.“ In jedem seiner Essays nimmt er sich die Summe des jeweiligen Werks aber auch einzelne Stücke, ja selbst einzelne Takte vor. Seine Kommentare dazu sind im Allgemeinen wie im Besonderen kostbar, von jahrzehntelanger Erfahrung und Auseinandersetzung mit den Komponisten gereift: „Mozarts Konzerte reichen in ihrem Charakter vom Privatesten bis zum Öffentlichsten, wie etwa in KV 503, und von der Herzenswärme der A-Dur-Konzerte bis zum Schicksalhaften der Moll-Konzerte.

 

Die Bedeutung der Klaviersonaten ist mir erst viel später zum Bewusstsein gekommen.“ Er nimmt manche ihm unangemessene Aufführungspraxis aufs Korn, bleibt auch in seinen kritischen Bemerkungen dazu vornehm. Er ist in der Tschechoslowakei geboren, ein durch und durch österreichischer Pianist, der Charme, Eleganz und Wiener Tradition auch in seinen Texten fast hörbar miteinander verbindet. Der langjährige Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung Martin Meyer und der Schriftsteller und frühere Verleger des Hanser Verlages haben die Essays und Gespräche Brendels jetzt nach der Corona-Pause in einem hübschen Band in der Edition Petrarca bei Wallstein herausgegeben.


Der belesene Alfred Brendel hat sich auch zur Literatur profund geäußert. Nach seinen zehn Lieblingsautoren befragt, gibt er folgende Liste zu Protokoll:


– Shakespeare! – Cervantes – Goethe, der Lyriker – Lichtenberg – Grillparzer (Autobiographie, Reisetagebücher) – Stendhal (»Die Kartause von Parma«) – Flaubert (»L’Éducation sentimentale«) – Tolstoi (Kindheit und Jugend) – Nestroy – Musil – Zbigniew Herbert – Benjamín Labatut – die neueste Entdeckung Zum Abschied zwei besondere Bücher über das Altern: Italo Svevos »Ein Mann wird älter« und Ippolito Nievos hinreißende »Pisana« (im Original: »Le confessioni di un ottuagenario«), mitgeteilt von einem Dreißigjährigen. Bezeichnend ist der Name Zbigniew Herbert auf der Liste, der denselben europäischen Grundton in seinem Werk getroffen hat wie Brendel mit seinem weltweit gehörten Repertoire und jetzt mit seinen Essays. In mehreren Texten kommt er auf Goethe zu sprechen, dem er – mit Adolf Muschg – nicht eine populär angedichtete gesicherte, vielmehr eine gewagte Existenz bescheinigt. Überhaupt macht er auch bei den Wiener Klassikern das Gegensätzliche im Werk zu einem Kernpunkt seiner Einschätzung, das bei der Interpretation herausgearbeitet werden müsste.


Natürlich ist diese kleine Kostbarkeit in Buchform eine Einladung, wieder die eine oder andere Einspielung Brendels oder einen Mitschnitt seiner Konzerte anzuhören, Wie schön, dass er mit seinen Essays und Gesprächen nicht zur Erkenntnis von Naivität und Ironie, sondern auch zu Humor und überhaupt zum Wiederanhören klassischer Musik so kenntnisreich einlädt, dass viele dieser Einladung folgen werden.


Alfred Brendel: „Naivität und Ironie“. Essays und Gespräche
Herausgegeben von Martin Meyer und Michael Krüger
Wallstein Verlag, Göttingen 2025   139 Seiten   

 

Ein Kessel Buntes

Können Bücher glücklich machen? Selten!

 

Zum 100. Geburtstag des Schweizer Lyrikers und Essayisten Philippe Jaccottet beschert die Edition Petrarca im Wallstein Verlag ihren Lesern eine solche seltene Möglichkeit. Mit „Bonjour, Monsieur Courbet“ liegt jetzt ein solcher Glücksfall vor. Er versammelt 23 kleine Essays des Autors unter dem Motto „Künstler, Freunde, kunterbunt“.

 

Kein Kunstband, aber ein sorgfältig und ohne Angeberei gestaltetes Buch, enthält es etwa 50 dezent farbige Abbildungen der Künstlerfreunde, die der Autor im Laufe seines Lebens literarisch porträtiert hat. Peter Handke hat ihn als Diener des Sichtbaren bezeichnet. Jaccottet selbst stellt seine kunstkritischen Fähigkeiten immer unter den Scheffel. Darum geht es ihm auch nicht. Was seine Leser erreicht und beglückt ist die sprachliche Feinheit, deren natürliche und ungezwungene Eleganz in der kongenialen Übersetzung von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz zu bewundern ist. Der gebildete Jaccottet – er zitiert gelegentlich Rilke, Dante, Rimbaud - stammt aus der französischen Schweiz, er lebt und schreibt seit langem im Süden Frankreichs, zusammen mit seiner Frau, der Malerin Anne-Marie. Ein großer Teil der Bilder der Freunde im Buch stammen aus deren gemeinsamer Privatsammlung. Jaccottet ist ein bedeutender Übersetzer ins Französische, er hat seine Hölderlin-Übersetzung zur renommierten Bibliothèque de la Pléiade beigesteuert, in der er selbst schon zu Lebzeiten bibliophil veröffentlicht wurde.


Die Künstlerfreunde, denen er seine kurzen Texte widmet sind großenteile seine Schweizer Landsleute, einige auch Nachbarn in Grignan (Drôme). Kennern der Szene sind sie sicher bekannt, denen, die dem Kunstbetrieb ferner stehen, werden sie auf eine persönliche, immer diskrete und vornehme Art vorgestellt. Die Leserin wird und sollte das Buch nicht hintereinanderweg lesen, eher wie kostbare Pralinen immer bei schöner Gelegenheit Stück für Stück. So lernt der Leser Alberto Giacometti näher kennen, eine andere Sicht auf Marc Chagall, dessen Gedichte Jaccottet übersetzt hat. Mit Giorgio Morandi tritt Italien in das Blickfeld des Dieners des Sichtbaren, Ungaretti hat er übersetzt. Mit Gérard de Palézieux verbindet ihn seit einer gemeinsamen Zeit in Paris eine langjährige Freundschaft, für ihn finden Jaccottet und seine Frau ein Haus in ihrer Nachbarschaft bei Grignan. Der Malerin Lélo Fiaux aus Lausanne widmet er eine flammende Hommage: „Sie war nichts als Instinkt, bis zum Äußersten; doch keineswegs dürfen wir diese Klammer vergessen, welche die Idee der Gerechtigkeit (und des Rechts) so hoch stellt, falls uns die Lust überkommt, sie zu beurteilen, sie und ihre Malerei.“ Durch sie lernen die Jaccottets die begnadete Fotografin Henriette Grindat kennen.

 

„Das wichtigste Ereignis in ihrem künstlerischen Laben ist zweifellos 1950 die Zusammenarbeit mit René Char und Albert Camus für den Band „La Postérité du soleil“, wie Amaury Nauroy in den am Ende des Buches von ihm zusammengestellten Kurzbiographien zu Künstlern weiß. Diese und auch die Liste der Orte, an denen die besprochenen Bilder hängen, machen das wunderschöne Buch zu so etwas wie einem Katalog. Was aber beglückt an dem ganzen Buch, sind die wohlgeformte Sprache, in der Jaccottet Zeugnis von seiner tiefen Freundschaft zu den Künstlern und auch die äußere Gestaltung des Buches mit einem Schutzumschlag, der Jean Eichers „Tauromachie“ verwendet, dem der Text „Auflodern“ gewidmet ist. In ihm mahnt Jaccottet: „Wie haben keine Zeit zu verlieren mit Sehnsucht und Reue. Einmal gab es das erstaunliche und schöne Auflodern, von dem dieses Buch zeugt, es wird noch weitere geben, andere…“ Dieses Buch wieder zu lesen, wäre jedenfalls keine verlorene Zeit.


Harald Loch
 
Philippe Jaccottet: Bonjour, Monsieur Courbet   Künstler, Freunde, kunterbunt
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz
Wallstein, Göttingen 2025   200 Seiten   52 farb. Abb.   34 Euro

 

Das Leben der Anders-Anderen in der DDR

Aufwühlend und geschichtensatt: Übers Bauhaus, den Stararchitekten der DDR, zwei sich emanzipierende Frauen und die Fallen des Systems. (GALIANI) 

 

mehr

Dejà vu - Trump wieder im Amt

Warum Donald Trump nicht zu stoppen ist - Psychogramm einer gespaltenen Nation — Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe.

 

Gelb oder rot - Zitrusfrüchte in Büchern

Peter Peter 
Blutorangen Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens Wagenbach Reihe Salto 

 

Der Umschlag ist außen blutrot und innen zitronengelb, also geht es in dem Buch nicht allein um die Blutorange, sondern die süßen Varianten aus den Zitrusgärten Italiens - aus der Umgebung des Ätnas, dem Gardasee, Kalabriens oder Siziliens Gestade. Gesammelt sind Geschichten, Anekdoten und Rezepte über das, was einst Goethe schon in dieses Land trieb, denn er sagte – zitatfähig - Kennst du das Land wo die Zitronen blühen?


Kleine Bildchen und Vignetten illustrieren diesen wunderbaren zitrusfrischen Band, der nicht nur die Geschichte aufrollt, denn es war Karl von Linne, der schon 1753 die Gattung definierte. Fast alle italienischen Zitronenbäume sind veredelt. Wir lernen welche Sorten es gibt, wir promenieren in die italienische Geschichte, gehen voran in der Chronologie der Zitrusfrüchte Italiens, denn jede Sorte hat ihre eigene, oft schwer zu entschlüsselnde Verbreitungsgeschichte.


Man möchte sich direkt beim Lesen dieses Büchleins eine Orange schälen oder ein Pellegrino-Mineralwasser (Achtung ausnahmsweise mit Werbung!) mit Zitronenscheibe zu Gemüte führen, um auch kulinarisch zu erleben, was diese Früchte uns bieten; sogar Gedichte oder vertonte Orangen denn schon bei Goethe heißt es literarisch: Im dunklen Laub die Goldorangen glühen. So möchte man direkt dorthin losfahren, um es am Ort zu erleben, denn ein alter Traum von mir ist es und bleibt es, einmal bei der Zitronenernte mitzupflücken. Wer mag nicht die italienischen Limonaden oder den wunderbaren Limoncello-Likör? Wer hat je einen Blutorangen-Salat stehen lassen, mit oder ohne Oliven, ja schon am Gardasee, der Traumbucht der Deutschen, wachsen diese wunderbaren Gewächse, von denen wir auch Brotaufstriche produzieren oder herrliche Salatsoßen oder ganz einfach eine Scheibe auf das Wiener Schnitzel legen. 


Natürlich sind in dem Büchlein, im Wagenbach-Verlag in der Salto Reihe erschienen, auch Rezepte im Angebot. Das nächste, was ich ausprobieren werde ist Kapern-Paste mit Pinienkernen, italienisch, Crostini di Capperi. Also nur zu, dieses Buch gehört in jedes Küchenregal. Avanti!

 


Erna Horn Citrusfrüchte 
Ein kulinarischer Blumenstrauß (nur noch antiquarisch zu bekommen, erschienen im Verlag Rene Kramer oder aber über den Förderverein Schloss Buchenau in Einzelexemplaren zu beziehen. Kontaktmail: fkschlossbuchenau@gmail.com) 


Die renommierte Köchin und Kochbuchautorin der 20er und 30er Jahre Erna Horn spürt den Zitrusfrüchten in Kochbüchern ,Klassikern, Memoiren und Reisebeschreibungen nach, folgt den Spuren der Römer bis in die heutigen Tage hinein und versammelt im kleinen, total in gelb gehaltenen Büchlein nicht nur Tipps, wie man Orangen oder Zitronen kern- und hautlos aufschneidet, nein sie gibt uns auch Rezept-Hinweise vom englischen Orangenjam, über Orangensalat mit Geflügel bis hin zur pikanten Orangensoße oder aber Fleischspeisen mit den Zitrusfrüchten, ob Ente oder Rebhuhn mit orangen, ob Geflügel mit Zitronen, gefüllte Mandarinen, Zitronenkonfitüre oder Bananen-Zitronensalat, dieses kleine Büchlein ist eine wahre Fundgrube - Hobby und Profiköche zugreifen!

Ist der Westen an allem Schuld?

Seit Februar 2022 tobt der Ukraine-Krieg, ein Ende ist nicht abzusehen, im Gegenteil: Es wird aufgerüstet statt abgerüstet, geschossen statt verhandelt. Mit Günter Verheugen und Petra Erler beziehen erstmals zwei ausgewiesene außenpolitische Experten Stellung – und sie legen eine fulminante Anklage vor: Ohne das Versagen der deutschen und der EU-Außenpolitik wäre es zu dieser verheerenden Eskalation nicht gekommen.
In ihrer ebenso klugen wie scharfen Analyse der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges wird deutlich, wie seit Anfang der 90er Jahre die Axt an die Wurzeln der bis dahin so einzigartig erfolgreichen Entspannungspolitik gelegt wurde. Zug um Zug sind Konfrontation und Machtstreben an die Stelle von Verständigung getreten, wurde ein neuer Kalter Krieg bewusst ebenso in Kauf genommen wie das Risiko eines „heißen Krieges“, der jederzeit zum Flächenbrand werden kann. Doch es gibt Lösungen. In einem leidenschaftlichen Plädoyer fordern die Autoren: Wir müssen dringend zurückkehren zu Dialogbereitschaft, vertrauensbildenden Maßnahmen, einer neuen Entspannungspolitik!

(HEYNE)

 

mehr

 

Sieger - Verlierer - und der Frieden?

Es ist wieder Krieg in Europa. Und längst geht es nicht mehr um die Frage, ob wir involviert sind, sondern um das Wie. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die westliche Friedensarchitektur zusammengebrochen. Aber gab es sie denn jemals? Politiker Deutschlands, der USA, der NATO und die Leitmedien erklären unisono, in der Ukraine werde unsere Freiheit verteidigt, deshalb müsse sie siegreich aus dem aufgezwungenen Krieg hervorgehen. Aber geht das überhaupt? Erfüllt unsere Antwort mit Wirtschaftskrieg und Waffenlieferungen den beabsichtigten Zweck?  Sind Verhandlungen geeigneter, den Krieg zu beenden?  Börne-Preisträgerin Daniela Dahn präsentiert neue Texte zum Krieg in der Ukraine und solche aus der unmittelbaren Zeit davor: über seine Vorgeschichte, den Maidan, die russischen und die westlichen Positionen. Sie zeigt, dass der Westen Teil des Problems ist und die UNO gestärkt werden muss. Und sie wendet sich gegen Denkverbote:  „Wer den Opfern helfen will, sollte die Genesis von Krisen und Kriegen zur Kenntnis nehmen.“

rororo

 

mehr

Urlaub mit Hindernissen

Der von seiner Angststörung geplagte Kriminalkommissar Sörensen will endlich einmal Urlaub machen und dem tristen Katenbüll für eine Weile entfliehen. Nach Österreich will er, in die Berge − schwimmen gehen. Nur einen kurzen Zwischenstopp in Hamburg plant er ein, bei seiner Ex-Frau Nele und Tochter Lotta. Was soll schon schiefgehen? Antwort: alles. Denn das Verbrechen reist ihm hinterher ...Parallel hat Kollegin Jennifer in Katenbüll plötzlich einen eigenen Mordfall zu bearbeiten. Und sie wird den Teufel tun, Sörensen davon zu erzählen.    Rororo

 

mehr

Alles muss anders bleiben

Als Nachkriegskind ist der Grünen-Politiker Jürgen Trittin Zeuge und Protagonist der politischen Geschichte Deutschlands seit den frühen Siebzigerjahren. Als Student und Hausbesetzer erlebte er die sozialliberalen Jahre, während der Kohl-Regierung baute er die Grünen mit auf, war Landesminister und ebnete den Weg zur grünen Regierungsbeteiligung im Bund 1998 und erneut 2021. Entlang politischer Wegmarken zieht er nun Bilanz. Seine autobiografischen Betrachtungen sind mehr als persönliche und engagierte Zeugnisse – sie sind ein Stück Zeitgeschichte. Nach einem halben Jahrhundert in der Politik gelingt Jürgen Trittin ein eindrucksvolles Porträt Deutschlands im Zeitalter beschleunigten globalen Wandels. (DROEMER)

 

mehr

Thomas Mann und die männliche Liebschaft

Oliver Fischer Man kann die Liebe nicht stärker erleben Thomas Mann und Paul Ehrenberg Rowohlt
„Man kann die Liebe nicht stärker erleben“, notiert Thomas Mann 1943 über seine Beziehung zu Paul Ehrenberg. Die beiden begegnen sich 1899 in einem Münchner Salon. Ehrenberg studiert Tiermalerei, Thomas Mann ist Redakteur des «Simplicissimus» und schreibt an seinem ersten Roman «Buddenbrooks». Die Begegnung reißt den schüchternen Thomas aus seiner sorgsam gepflegten Distanz. Paul besucht mit ihm Kaffeehäuser und die Schwabinger Faschingsbälle – für den Lübecker Patriziersohn eine neue Erfahrung von Leichtigkeit und Lebenslust. Vielleicht findet er bei Paul sogar körperliche Erfüllung, wie ein neuer Blick auf die Quellen zeigt. Mehrere Jahre hält diese enge Freundschaft an. Aber auch danach behalten beide füreinander große Bedeutung – auch als sich die Wege 1933 trennen: Paul bleibt in Deutschland und arrangiert sich mit den Nazis, Thomas geht ins Exil. Wie die Lebenswege der beiden verlaufen, wird von Oliver Fischer detailliert beschrieben – bis hin zum Roman «Doktor Faustus», in dem Thomas Mann der Liebe seines Lebens ein zwiespältiges Denkmal setzt: Als schillernder Geiger Rudi Schwerdtfeger geistert Paul Ehrenberg durch den Roman und wird am Ende von einer eifersüchtigen Geliebten erschossen. (Rowohlt)

 

mehr

Neues Literaturhaus im Museum Finsterau

Verein


Literaturhaus DichterWald e.V. engagiert sich grenzübergreifend für historische und zeitgenössische Literatur, bietet Bildungsveranstaltungen an, Symposien, Schreibworkshops und Lesungen regionaler und überregionaler Autoren. Unterstützt wird der Verein dabei von Journalisten, Autoren und interessierten Kulturschaffenden.

Standort: inmitten der dichten Wälder des Bayer- und Böhmerwaldes – fruchtbarer Nährboden für jegliche Art von Literatur –  im Geburtshaus des Schriftstellers Paul Friedl, Freilichtmuseum Finsterau (Lkrs. Freyung-Grafenau).

 

Literaturhaus DichterWald e.V. organisiert von hier aus literarische Programme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

 

Karl-Heinz Reimeier
1. Vorsitzender


Alexandra von Poschinger
2. Vorsitzende

Mitglied werden im Förderverein dichterwald.ev
ldw-mitgliedsantrag-2024.pdf
PDF-Dokument [502.2 KB]

Impressionen vor der Eröffnung

Putins Gift

Cyberangriffe, Giftanschläge, Desinformationskampagnen: Die Attacken auf Europas liberale Demokratien sind längst keine abstrakte Gefahr mehr, sondern Realität. Das russische Regime führt diesen Kampf erbittert. Die Bestseller-Autoren und Ortskenner Gesine Dornblüth und Thomas Franke entlarven, wie perfide Russland dabei vorgeht: in Armenien, Georgien, der Ukraine, den baltischen Staaten und Zentralasien, aber auch in den USA und der EU.


mehr

 

Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie   Strategien gegen die populistische Übernahme

Vor einem Monat war das Bundesverfassungsgericht weder per E-Mail noch telefonisch zu erreichen. Bei Tiefbauarbeiten vor dem Gerichtsgebäude war ein Kabel beschädigt worden. Jetzt soll dieses BVerfG besser geschützt werden. Allerdings nicht nur gegen Bagger. Darauf haben sich die Ampel und die CDU verständigt. Wie verwundbar ist dieses angesehene Verfassungsorgan? Wie verwundbar ist unsere Demokratie?

 

Der auch international vielbeachtete Verfassungspublizist Maximilian Steinbeis hat „Strategien gegen die populistische Übernahme“ entwickelt und unter dem Titel „Die verwundbare Demokratie“ veröffentlicht. Er betreibt einen wissenschaftlichen Verfassungsblog, wo internationale Autorinnen und Autoren Fragen im Grenzbereich von Politik und Recht diskutieren. In seinem Buch behandelt er zunächst zwei Beispiele populistischer Machtübernahme in zwei Mitgliedländern der EU: In Polen und in Ungarn. In beiden Ländern ging es nach Wahlerfolgen populistischer Parteien ruckzuck mit dem Abbau der Rechtsstaatlichkeit – alles unter weitester Ausnutzung legaler Mittel. In Polen hat sich nach der Abwahl der Populisten gezeigt, wie schwer es ist, die autoritär geschaffenen Strukturen zurückzubauen und wieder rechtsstaatliche Maßstäbe gelten zu lassen. In Ungarn ist der Populist Orban noch am Ruder und die Wiederherstellung von EU-konformen Zuständen ist nicht absehbar.


Im zweiten Teil seines sich vor allem an Nichtjuristen wendenden spannenden Buches kommen eine Reihe von jungen Verfassungsjuristen zu Wort, die in dem von Steinbeis betriebenen Verfassungsblog seit Monaten an einem öffentlichen Thüringenprojekt mitgearbeitet haben, das die Übernahme des Landes durch die Höcke-AfD in den bevorstehenden Landtagswahlen an die Wand malt und zu verhindern sucht. In mehreren fiktionalen Szenarien skizzieren sie, wie die Populisten vorgehen könnten, welche Folgen das haben würde und wie wenig das Landes- oder auch das Bundesrecht gegen eine Gleichschaltung in der Hand hätten.

 

Einige Gefahren sind bisher kaum ins Bewusstsein der Menschen gedrungen, etwas die eigentlich vernünftige Zwei-Drittel-Mehrheit für wichtige Entscheidungen, wie die Wahl von Verfassungsrichtern. Es würde aber schon ein Wahlergebnis von etwas mehr als einem Drittel für die Populisten genügen, um die Wahl zu blockieren und die Mehrheit zu „Kompromissen“ zu erpressen. Wie wenig der Rechtsstaat gegen obstruktives Verwaltungshandeln unternehmen kann, ist erschreckend. Bisher hielt man es hierzulande für selbstverständlich, dass das von Gerichten festgestellte Recht auch von den Gebietskörperschaften und den Behörden angewandt und durchgesetzt wird. So funktioniert nun mal der Rechtsstaat. Aber wie zwingt – wer vor allem – einen widerspenstigen Landrat oder eine Ausländerbehörde zu rechtskonformem handeln. Steinbeis gibt ein krasses Beispiel frühen Ungehorsams, indem er auf das Kruzifiks-Urteil des BVerfG verweist. Das Gericht hatte die Vorschrift in der bayerischen Volksschulordhnung, dass in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen sei, mit 5 von acht Stimmen für verfassungswidrig erklärt. Für den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber und CSU-Chef Waigl „war das ein gefundenes Fressen, um den Volkszorn gegen das Verfassungsgericht zu entfachen“. Die Kreuze hängen immer noch. Wie viel mehr Obstruktionspotential hätten populistische Strukturen, denen ja ein Großteil des „Volkszorns“ zufliegt. Steinbeis wirft in diesem Zusammenhang auch einen erhellenden Blick auf die USA.


Der Autor ist Verfassungsjurist, er ist Bayer und ein begeisterter Befürworter des Rechtsstaates und der bundesdeutschen Demokratie. Aber er weiß auch „die Verfassung wird uns nicht schützen können. Umgekehrt vielleicht schon.“ Er propagiert als Fazit das, was er „zivilen Verfassungsschutz“ nennt. Das sei nicht Repression, auch nicht Prävention, sondern Antizipation. Das verlangt, sich dem autoritären Populismus „entgegenzustemmen, wo immer er einem begegnet, Im Betrieb und am Frühstückstisch, im Lehrerzimmer und im Besprechungsraum, im Amt und im Gerichtssaal, an der Wahlurne und am Wahlkampfstand, und am Ende und ganz besonders auf der Straße. Das ist die Antwort auf die Frage, was um Gottes Willen wir denn jetzt tun können, damit wir nicht alle im Autoritarismus enden.“


Harald Loch 


Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie   Strategien gegen die populistische Übernahme
Hanser, München 2024   304 Seiten   25 Euro

 

Was Atlanten alles leisten können

Atlanten dienen der Sichtbarmachung geografischer Proportionen und Zusammenhänge, zunehmend aber auch der Visualisierung von komplexen Inhalten. Zwei aktuelle Beispiele belegen die vielfachen Möglichkeiten dieses hybriden literarisch-graphischen Formats:
 
Die ARTE-Chefredakteurin des geopolitischen Magazins „Mit offenen Karten“ Émilie Aubry und ihr geopolitische Berater Frank Tétart führen mit ihrem geopolitischen Atlas in die Konflikte der Gegenwart ein. 28 der wichtigsten Krisenherde der Welt ergeben kein lustiges Buch. Selbst die Bestinformierten werden aber Konflikte und ihre Hintergründe entdecken, von denen sie keine Ahnung haben: Wer hatte schon die fast vor der Haustür Norddeutschlands liegende schwedische Insel Gotland auf dem Schirm, als es um die Mitgliedschaft des Landes in der NATO ging? In Brasilien brennt der Urwald, doch was brodelt in diesem südamerikanischen Giganten mit den vielfältigen Bodenschätzen und einer Bevölkerung, die fast dreimal so groß ist, wie die der Bundesrepublik sonst noch? Sein sozialistischer Präsident Lula verfolgt eine Politik der Blockfreiheit mit hierzulande irritierenden Appellen an die USA und Europa, „den Krieg in der Ukraine nicht länger zu fördern“.

 

Nichts veranschaulicht besser als eine Karte des Südchinesischen Meeres mit den sich vielfältig überschneidenden Seegrenzen, die von sechs Anliegerstaaten beansprucht werden, das maritime Pulverfass, das dort schwelt. Das gilt auch für Karte Israels, die den Flickenteppich des Westjordanlands und die Zone der israelischen Siedlungen mit einem wohltuend zurückhaltenden Kommentar abbildet. Den äthiopischen Olympiasieger im Marathonlauf kennt jeder. Aber wie der ethnische Föderalismus in seinem Heimatland funktionieren soll, bleibt zweifelhaft. Der Riese in Ostafrika mit weit über 120 Millionen Einwohnern bleibt ein Krisenherd ebenso wie Mali, das die Autoren unter der Überschrift „Das Drama der Sahelzone“ darstellen. Ganz Westafrika, aber auch weiter im Osten südlich Äthiopiens liegen riesige Gebiete fest im Griff des Dschihadismus. „Die Welt der Gegenwart“ klärt über diese und viele andere Krisenherde der Welt kompetent und im Interesse des Weltfriedens auf.


Mit verblüffenden Fakten, ungewöhnlichen Grafiken und mutigen Zukunftsszenarien warten Luisa Neubauer und ihr Team zum Thema Klima auf, das angesichts der Kriege in der Ukraine und im Orient aus dem Fokus des öffentlichen Interesses zu verschwinden droht. Als ob die Millionen Granaten, Raketen und Drohnen, mit denen sich der Aggressor Russland und die Ukraine gegenseitig befeuern, uns dem 1,5° Ziel der Klimakonferenzen näherbrächten. Die weltbekannte und auch von ihren Gegnern respektierte 28-jährige Klimaaktivistin Neubauer, der Naturwissenschaftler Christian Endt aus der Redaktion von Zeit Online und der begnadete Grafikdesigner Ole Häntzschel, sämtlich aus Berlin, heben mit ihrem „Klima Atlas“ die Schockstarre der Klimabewegung angesichts der Kriege in der Welt auf. In 8 Kapiteln und auf 80 Karten gelingen ihnen eine Bestandsaufnahme der alarmierenden Gegenwart, Plädoyers für vernachlässigte Themen, wie den Erhalt der Moore oder der Biodiversität auch hinsichtlich weniger spektakulärer Lebewesen, ein erfreulicher Blick auf bereits erreichte – wenn auch kleine – Fortschritte und ein Ausblick, der zwar keine „blühenden Landschaften“ aber eine Umwelt, die das Überleben der Menschheit wahrscheinlicher macht. Sie wollen mit ihren Texten und Karten den Blick für all das, weiten, „was sich kulturell, technologisch, gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich gerade verändert – von der Energiegewinnung über die Gesetzgebung bis hin zu unserer Sprache und unseren Zukunftsträumen. Die Welt ist im Wandel, und das ist eine gute Nachricht.“


Beide Atlanten gehören auf die Lehrer- und auf die Schülerpulte und nicht nur auf die coffee-tables der politischen Correctness.
 
Harald Loch
 
Émilie Aubry und Frank Tétart: Die Welt der Gegenwart   -   ein geopolitischer Atlas
Aus dem Französischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube
C.H.Beck, München 2024   224 Seiten   zahlr. Karten, Schaubilder und Fotos   29 Euro
 
Luisa Neubauer, Christian Endt und Ole Häntzschel: Der Klima Atlas   80 Karten für die Welt von morgen 
Rowohlt, Hamburg   2024   zahlr. Karten und Schaubilder   28 Euro
 

 

Julian Hans                   Kinder der Gewalt 


Woher kommt die ungeheuere Brutalität, mit der die russischen Soldaten in der Ukraine morden, plündern und vergewaltigen? Warum wehren sich so wenige Russen gegen den Krieg? Julian Hans, der langjährige Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, macht anhand von fünf spektakulären Verbrechen sichtbar, wie sich Gewalt und Erniedrigung in das Leben der Menschen gefressen haben.
(CH Beck)

 

mehr

 

Nachdenken über Russland -                            Im Widerschein des Krieges

Kaum jemand hat in den vergangenen Jahrzehnten das deutsch-russische Geflecht aus historischen Erfahrungen, machtpolitischen Interessen und ideologischen Fieberträumen intensiver erforscht als Gerd Koenen. Im Widerschein des neuen Krieges, der viele alte Fragen wieder aufwirft, begibt er sich auf eine Spurensuche, die uns von der zynischen Partnerschaft in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes bis zur Freund-Feind-Propaganda unserer Tage und von den Gründern von «Memorial» bis zu den Spin Doctors Putins führt.
Was hat Putin und die um ihn gescharte oligarchische Machtelite dazu getrieben, einen ebenso mörderischen wie selbstzerstörerischen Angriffskrieg zu beginnen? Welche langfristigen Ziele verfolgt Russland? Und warum hat sich zwischen ihm und seinen westlichen Nachbarn erneut ein tödliches Spannungsfeld aufgebaut, das ganz Europa in eine Gefahrenzone verwandelt? In seinem neuen Buch bündelt Gerd Koenen sein jahrzehntelanges Nachdenken über Russland zu einer ebenso differenzierten wie schonungslosen Bilanz. (CH Beck)

 

mehr

Russland - der Fluch des Imperiums

Russlands imperiale Vergangenheit ist der Schlüssel, um Putins Überfall auf die Ukraine und seine antiwestlichen Obsessionen zu verstehen. Der renommierte Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel stellt den Krieg in den langen Kontext der russischen Expansion nach Westen und beschreibt, wie das Ausgreifen in die Ukraine und die Teilung Polens seit dem 18. Jahrhundert einen Irrweg in der russischen Geschichte begründeten, der als "Fluch des Imperiums" bis heute fortwirkt. Dabei zeigt er, wie eine fatale Ideenwelt entstehen konnte, die noch im 21. Jahrhundert in den Köpfen der Moskauer Führung spukt. Deutschland hat sich nach 1945 von seinem Fluch des Imperiums befreit und sich in Richtung Westen geöffnet. Russland steht dieser Weg noch bevor.


mehr

 

RUSSLAND ein Blick ins Innere

Die beiden Moskau-Korrespondenten arbeiten während einer „Spezialoperation“, aber ureigentlich befinden sie sich konkret in einem Krieg. Ihre Aufgabe ist die Berichterstattung für Hörfunk und Fernsehen aus Moskau in Richtung Österreich zu leisten. Für den Hörfunk und das Fernsehen. Die beiden Korrespondenten erzählen in ihrem neuen Buch vom Leben der Menschen unter Kriegsbedingungen. Ein am konkreten Alltag orientiertes Bild wird gezeichnet. Sie schreiben vom Kriegsbeginn an, was sie Tag für Tag erleben, wen sie treffen, wie die Menschen die Geschehnisse einschätzen. Die beiden Buchautoren empfinden sich nicht als Kriegs-Berichterstatter, denn Sie sind nicht in den Schützengräben in der Ukraine unterwegs.  Das Buch ist eine anschauliche Innenansicht Russlands. Da geht ein Land als Aggressor in die Weltgeschichte ein, und wir sind Augen- und Ohrenzeuge. Der Leser erfährt auch sehr hautnah, was es heißt unter der Zensur zu arbeiten und wie es dennoch gelingen kann, eine kritische Haltung zu bewahren. Lehrreich, wie die russische Bürokratie die Journalisten bei der Einreise an den Flughäfen drangsaliert, wie subkutan Einfluss genommen wird. 


Beide Korrespondenten wechseln sich als Kapitel-Autoren ab. Sie besuchen auch die Provinz, um ein Bild jenseits der Kapitale Moskau oder Leningrad zu zeichnen. Wir erfahren vom Grauen in Mariupol, vom Kaltstellen der Opposition, vom Innenleben der Wagner-Söldnertruppen. Vom Ende der Meinungs- und Redefreiheit, von einer tief gespaltenen Gesellschaft. 


Im Nachwort werden die Autoren in der in einem Nachwort am Ende dann doch gebotenen Kürze politisch. Sie sprechen von der Unvorhersehbarkeit der Lage, und von der Schuldfrage, die eines Tages gestellt werden wird. Die Stärke des Buches ist die Nähe zu den Menschen und deren Schicksal, die Schwäche, die politische Analyse fällt mehr als knapp aus, aber vielleicht war ja genau das gewollt.


Paul Krisai/Miriam Beller RUSSLAND VON INNEN Leben in Zeiten des Krieges Zsolnay

 

Paul Krisai wurde 1994 in Mödling bei Wien geboren und studierte Journalismus in Graz und Sankt Petersburg. Seit 2019 ist er Korrespondent im ORF-Büro Moskau, das er seit 2021 leitet. 2022 wurde er mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet und zu Österreichs Journalisten des Jahres gewählt.

 

Miriam Beller, geboren 1988 in Vorarlberg, hat in Wien und Irland Internationale Entwicklung studiert, absolvierte anschließend die ORF-Akademie und berichtet seit 2021 als Korrespondentin für den ORF aus Moskau. 2022 wurde sie mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet.

 

Was kommt nach Putin                                Russlands toxische Gesellschaft 

Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, schien das großen Teilen der russischen Gesellschaft egal zu sein. Das ist nicht überraschend. Seit Jahren wird das russische Expansionsstreben davon begleitet, dass gesellschaftlich das Recht des Stärkeren gilt. Gewalt wird von vielen als Mittel der Politik akzeptiert. Gesine Dornblueth und Thomas Franke erklären, wie es dazu kommen konnte. Ihre Reportagen und Analysen führen uns durch drei Jahrzehnte, in denen nationalistische Kräfte über Verfechter demokratischer Werte die Oberhand gewannen. Dabei wird deutlich: Der zukünftige Frieden in Europa hängt davon ab, ob wir Russlands Gesellschaft richtig verstehen und entsprechend handeln. (Herder) 

 

mehr

Putins Rache - Russland inside

Kaum einer kennt Russland besser als Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er legt nun ein atemberaubend geschriebenes Buch vor, das Russlands Absturz in eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg aus nächster Nähe nachzeichnet. Das Motiv des Diktators und seiner Getreuen: Revanche zu nehmen für die demokratische Öffnung nach 1991 und die vermeintliche Demütigung durch den Westen. Putins Herrschaft radikalisiert sich weiter. Es ist das bedrohlichste Regime der Welt.


„Unter Wladimir Putin verabschiedet sich Russland, das eigentlich größte europäische Land, aus Europa. Erneut senkt sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent. Reise ich in dieses Land, werde ich am Flughafen in aller Regel aufgehalten. Der Grenzbeamte hält meinen Pass fest und telefoniert lange mit seinen Vorgesetzten. Ein Mensch im dunklen Anzug, wahrscheinlich Geheimdienst, holt mich ab und führt mich in einen Kellerraum. Darin ein Schreibtisch, eine alte Matratze mit Sprungfedern, kaputte Stühle, Staub in den Ecken. Ich muss Fragen beantworten: Wo wohnen Sie? Was denken Sie über die Militäroperation? Was haben Sie vor in Russland? Ich antworte knapp und frage mich selbst: Komme ich überhaupt noch in das Land? Und komme ich wieder heraus?“ CH Beck

 

mehr

 

Putin - der Killer im Kreml?

Bei der Verfolgung seiner Ziele geht Wladimir Putin über Leichen, und das nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. John Sweeney, investigativer Journalist und seit vielen Jahren auf der Spur von Putins Verbrechen, legt die Beweise vor: Schon bei seinem unheimlichen Aufstieg vom Stasi-Mann in Dresden zum unumschränkten Herrscher im Kreml ging Putin mit erbarmungsloser Konsequenz vor, ließ Oppositionelle ausschalten, provozierte Kriege und überzog Russland mit einem Netzwerk der Korruption. Sein Ziel: die Festigung seiner Macht, persönliche Bereicherung, Russlands Wiederaufstieg zur Weltmacht. Mit kriminalistischer Akribie hat Sweeney vor Ort recherchiert – in Moskau, Tschetschenien, in der Ukraine während des Krieges –, hat mit Zeugen und Experten gesprochen, mit Dissidenten und Ex-KGBlern, mit Handlangern des Systems Putin, mit Kritikern, von denen zu viele für ihre Haltung sterben mussten. Psychogramm, packender Hintergrundreport und knallharte Analyse – eine längst überfällige Aufklärung, eine beispiellose Anklageschrift. (HEYNE)

 

mehr

Schon 2007 erschienen

Der kaukasische Teufelskreis - ein Russlandbuch

Erich Follath Matthias Schepp Gasprom - Der Konzern des Zaren in: 
Norbert Schreiber (Hg.): Russland. Der Kaukasische Teufelskreis oder Die lupenreine Demokratie Wieser Verlag Klagenfurt 2007 zuerst veröffentlicht in DER SPIEGEL. 


Die Welt weiß viel über Exxon Mobil, General Electric, Toyota, Microsoft, die anderen Big Shots unter den Großunternehmen der Welt; sie weiß aber zu wenig über Gasprom. Was für ein Konzern ist das, dessen Börsenkapitalisierung zwischenzeitlich 290 Milliarden Dollar überstiegen hat, dessen gegenwärtiger Marktwert höher ist als das Bruttosozialprodukt von 165 der 192 in der UNO vertretenen Nationen? Wie tickt ein Unternehmen, das ein Sechstel der weltweiten Erdgasreserven kontrolliert und mit einem Fingerschnipsen die Energiezufuhr nach Westeuropa unterbrechen, unsere Wohnungen erkalten lassen kann?
Die Gasprom-Story hat Helden und Halunken; sie spielt in den überheizten Politiker-Hinterzimmern von Moskau wie in der Eiseskälte von Sibirien, in den von Erpressung bedrohten Pipeline-Transitländern Ukraine, Weißrussland und Armenien, »auf Schalke« im Ruhrgebiet der Malocher, wie auch im Schweizer Millionärssteuerparadies Zug und in Sotschi am Schwarzen Meer, Putins zweiter Sehnsuchtsstadt, wo er mit den ebenfalls von Gasprom finanzierten Olympischen Spielen sein Lebenswerk krönen will. (…)


Weltmacht Gasprom, Europas wertvollster Kon¬zern, Putins Schwert: Auf dem großen Bildschirm im Kontrollzentrum kann mühelos die weltweite Expansion des Kraken besichtigt werden, dessen Fangarme in alle Richtungen zuschlagen. Hier voll¬zieht sie sich zivilisiert, geräuschlos. Hier sind die wütenden Proteste der Regierungen nicht zu hören, für die die Gaspreise auf Weltmarktniveau angehoben werden, weil Gasprom Geld braucht. Oder weil der Kreml Staaten bestraft, die sich wie die Ukraine und Georgien von Moskau ab- und der NATO und der EU zuwenden. Hierher dringen keine Debatten vor über die zwischen den Herren Putin und Schröder abgesprochene Ostsee-Pipeline, den Ärger der Polen und Balten. Ungefähr in der Mitte der Europakarte blinkt die Pumpstation Kurskaja auf; von dort drehte Gasprom der Ukraine Neujahr 2006 das Gas ab. Moskau hatte den Preis zunächst verdreifacht; die Verhandlungen mit Kiew drohten zu scheitern. Man einigte sich schließlich auf fast das Doppelte. Im Januar 2007 wiederholte sich in Weißrussland das Spiel; tagelang stoppte Russland den Öl-Fluss. Wie¬der wurde den Westeuropäern bewusst, dass Gas und Öl für den Kreml auch politische Waffen sind. Schon heute versorgt Gasprom rund 30 europäische Länder. Estland und die Slowakei hängen zu 100 Prozent am Gas aus dem Osten, Griechenland zu 80, Polen zu 60 und die Bundesrepublik Deutschland zu 36 Prozent.“