KRIMINAL...Tango Die neuen Krimis

TERRA ALTA -                                                Mord und Rache und Gerechtigkeit

AQUA ALTA heißt ein Roman von Donna Leon, der fünfte Fall des Commissario Brunetti und es ging um Hochwasser in Venedig. Da hat man sich als Nichtlateiner gemerkt, dass ALTA hoch heißt. 
TERRA ALTA ist der Titel des neuen Romans von Javier Cercas mit dem Untertitel „Geschichte einer Rache.“ Er spielt nicht in Italien, sondern in Spanien. Der Begriff TERRA klingt so schön mysteriös. Klären wir also zuerst auf, was er konkreter bedeutet: TERRA ist gleichzusetzen mit Erde, Erdboden, Land, Landschaft. All das kann für dieses Buch gelten. Irgendwie ist es erdverbunden. ALTA bedeutet hoch, tief, erhaben, stolz. Auch alle diese Begriffe klingen durch im Text des Buchs von Javier Cercas. Es handelt sich also um einen Roman über eine Region Spaniens vor neuzeitlichem historischem Hintergrund, den islamistischen Attentaten in Barcelona, der Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens und den Überlieferungen aus dem Bürgerkrieg Spaniens.


Die spanische, oder besser gesagt, katalonische Region TERRA ALTA ist als friedliche Landschaft bekannt - normalerweise. Das geschilderte Verbrechen kommt also für die Anwohner umso grausamer daher. 
Melchor Marin ist der vaterlose Sohn einer Prostituierten, die selbst einem nicht geklärten Verbrechen zum Opfer fiel. Der vaterlosen Kindheit von Melchor folgt eine wilde Jugend in Barcelona als Helfer eines Drogenkartells, inclusive Knasterfahrung später, breites Vorstrafenregister und ein ungerader Weg durch Bars, Diskotheken und Massagesalons, durch Bordelle, Callgirl-Clubs und Tanzbars. 
Am Ende findet Melchor doch zurück auf den Tugendpfad eines gelernten Polizisten, der das Verbrechen auf dem Lande verfolgt und in seiner Freizeit lieber Romane liest als eine aktuelle Zeitung.  


Seine Frau arbeitet als Bibliothekarin, und die Lektüre von Victor Hugo’s „Les Misérables“ machen Melchor vollends zum Büchernarren. Er erwähnt übrigens ganz nebenbei auch die Lektüre der „Blechtrommel“ von Günter Grass oder „Doktor Schiwago“ von Boris Pasternak und weitere Romane, die er verschlungen hat. 


Melchor weiß, dass „… die Hälfte eines Romans von dem kommt, der ihn schreibt, die andere Hälfte von dem, der ihn liest“. 


Der Polizist wird aber dann doch in der wirklichen Realität zum wahren Helden, weil er vier Terroristen mit gezielten Schüssen ausschaltet. Er lässt sich um unterzutauchen dann aufs Land, in die Region Terra Alta, versetzen, einem unwirtlichen bitterarmen Landstrich, um nicht selbst aus Rachegelüsten zur Zielscheibe von Terroristen zu werden. Er verwandelt sich, ob er will oder nicht, in einen „Mann vom Land“. 
Dort wird er jedoch als Ermittler in einer lokalen Polizeistation mit einem neuen Verbrechen konfrontiert. Unbekannte Täter radieren eine Unternehmerfamilie um Paco Adell nach grausamer Folter komplett aus und eine weitere Bedienstete aus dem Unternehmerhaus zusätzlich. 
Die Adell-Familie war Brötchengeber für die gesamte Region. Der Chef war jedoch als unbeliebter Patriarch berüchtigt, der seine Untergebenen gerne drangsaliert. „Adell hat wohl alle Welt mies behandelt.“ „Unter seiner Fuchtel zu stehen war ein Albtraum.“ 


Wo liegen nun die Motive für ein derartiges Verbrechen? Wer hat den Druckereibesitzer und dessen Frau ermordet? 


Nachdem die offiziellen polizeilichen Ermittlungen völlig ins Leere laufen, macht Melchor Marin sich selbstständig und illegal auf die Suche nach den Tätern, in einer kargen Landschaft, in der die Kriegsvergangenheit, die Granatsplitter, die Spuren von Schützengräben, die zahllosen Ruinen von einer gemeinsamen Bürgerkriegshistorie als Romankulisse künden, die gerade mal ein paar Jahrzehnte vorbei ist. „Aber die wahren Wunden sind andere. 


Die Handlung des Romans ist eine geduldige Suche nach Gerechtigkeit. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. 


Immer wieder spielt der Autor - den Leser überraschend - auf fintenreiche Art und Weise mit den Zeitebenen des Romans, manchmal in den Beschreibungen und Dialogen zuweilen etwas zu opulent weitschweifig, aber eben am Ende doch nicht wirklich langweilig. 
„Romane haben keine Regeln“, heißt es an einer Stelle im Buch. Eine Bedingung, oder sagen wir genauer Regeln für Kriminalromane hat dieses Buch jedoch komplett erfüllt, nie langweilig, spannend, unterhaltsam und lehrreich zugleich zu sein. 


Javier Cercas TERRA ALTA Geschichte einer Rache S.Fischer 

Javier Cercas, geboren 1962 in Ibahernando in der spanischen Extremadura, lebt als Schriftsteller, Publizist und Universitätsdozent in Girona. Mit seinem Roman »Soldaten von Salamis« wurde er international bekannt. Heute ist sein Werk in mehr als 30 Sprachen übersetzt. 

 

Javier Cercas TERRA Alta Geschichte einer Rache S.Fischer

Verletzte Gefühle in der russischen Provinz

Wie ist er der Nach- „homo sovieticus“ auf dem post-kommunistischen Lande? Neigt auch er, wie der Städter zu kapitalistischen Handlungsweisen? Greifen wir die Hauptpersonen heraus, die gleich im Buch eingangs wie auf der Besetzungsliste eines Provinztheaters mit Namen aufnotiert sind: Ein Regional-Minister, eine Schuldirektorin, eine Geliebte, der Pope und der Polizist, ein Journalist und ein Salonmaler und noch einige andere Figuren mehr. 


Wie ist’s denn so das Leben im Hinterland, abseits der Metropolen? Werbeplakate mit „dreifach aufgeblasenen Frauenbrüsten“ haben inzwischen auch die Provinz erobert. Dort wo öfter mal zum Missvergnügen auf dem Lande der Strom ausfällt, Männer ihre Frauen und Frauen ihre Männer um den Verstand aber eben auch die Ecke bringen. Meist aus Liebe, Eifersucht oder anderen billigeren Beweggründen. 


Auch in der Provinz geht es inzwischen schon um den blanken Glanz und Glitter, von den Metropolen abgeguckt, um dicke Schminke und straffenden Botox, krumme kommunale Ausschreibungen und Bestechung, Erpressung und betrügerische Liebschaften. Wobei Liebhaber der klassischen Musik, so die Autorin, weniger zur Untreue fähig sind als Rock’n Roller. Da wären noch empirische Studien als Beweis fällig.  

 

Die Sünde egoistische „Gier“ jedenfalls ist in der Provinz nach der „klassenlosen Sowjetgesellschaft“ und ihrem Gleichheitsgrundsatz angekommen. Die Sünde sexuelle Gier führt allerdings zuweilen zu nicht mehr als zu einem „ungelenken Aneinanderreiben“, wenn etwas „Unangenehmes“ drückt und „in ihr wetzt“. Die Autorin beschreibt hier tatsächlich so illusionslos den Verkehr der Geschlechter.
So kennen wir den Russen in Stadt und Land, er liebt Gebratenes, Geräuchertes, den blanken Speck, eingesalzenen Fisch und das volle Glas Wodka dazu - oder mehrere. Die Männer lassen sich vom Nachbarn in der Banja mit Birkenreisig den Rücken peitschen, die Damen tragen ziegeldick aufgetragenes Rouge und die üppige Perlenkette am faltigen Hals. Den Ehemännern werden die Potenzmittel „Spanische Fliege“ oder der Extrakt vom arktischen Krill oder eine Portion Ginseng mit wildem Pfeffer ins Glas getan, damit die Männlichkeit wieder ins Waagrechte kommt. 


Und die Luft riecht nach ewigem Abgrund. 


Nur so nebenbei werden Gehaltszahlungen an Menschen getätigt, die gar nicht existieren. Filz und Korruption gedeihen also prächtig und mächtig. 
Ob die Autorin die Glitzerwelt beschreibt oder die dumpfe dunkle Welt der Hinterhöfe, ihre genauen Beobachtungen treffen sich mit talentierten Ausdrucksweisen. Die Beschreibungen, Handlungen, Dialoge ziehen den Leser in das Irgendwo in Russland, dort wo die „Männerhemden nach Maschinenöl“ und „eingelegtem Knoblauch“ riechen und in den Bann. 
Und die Frauen? Sie tragen enge Kleider: „Der Stoff zitterte von der Spannung des muskulösen Körpers. Den Körper verlangte es nach Luft.“ Oder im Gorki-Theater: „An den Damen funkelten Swarowskikristalle, den Herrn blitzten die Zifferblätter der Uhren und die Glatzen“. 


Ob die Städte für prominente Politbesucher herausgeputzt werden, die Bretter-Plumpsklos auf Stadt und Land angstvoll betreten werden, um auszutreten, oder bei Wahlen Lebensmittel vergünstigt an die Wähler ausgegeben werden, immer trifft Ganijewa die Situation sehr genau, den Nerv, den Ton, das Gefühl. Wir Leser riechen und schmeckten mit. „Man saß um den Tisch und tat sich an den Speisen gütlich. Backenzähne mahlten und zermahlten, Eckzähne bissen sich fest, Schneidezähne schnitten.“ 


Übersetzer und der Wieser-Verlag lassen im Text Anmerkungen zu, zuweilen stören diese in anderen Büchern den Lesefortschritt, hier ermuntern sie, sich Gelesenes anzueignen und zu merken. STENKA ist eine alte russische Kampfkunst, TSCHÄK-TSCHÄK eine tatarische Süßspeise, Usbeken kochen SHURPA, Suppe mit Einlage meist auf der Basis von Hammelfleisch, um nur drei Beispiele zu nennen.
Ach ja, jetzt fragt sich der Leser, worum geht es in dem Buch ureigentlich? Die Handlung in dem Krimi, der im besten Sinne ein Gesellschaftsroman ist, kann in einem Satz zusammengefasst werden: Wer hat den Minister für Regionalentwicklung um die Ecke gebracht? Mehr sei hier nicht verraten. Fazit über das Leben auf dem Lande: „Das Leben ist besser, lustiger geworden.“ Seit der „Personalpolitik Stalins“ ganz bestimmt. Hauptsache, die staatlich verordnete patriotische Geschichtsschreibung hat weiter Bestand. Der Fall Nawalny lässt grüßen. 


Alissa Ganijewa: Geboren 1985, wuchs in Machatschkala/Dagestan auf und lebt heute als Literaturkritikerin und Autorin in Moskau. Ihr Debüt, die unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Erzählung „Salam tebe, Dalgat“ löste heftige Reaktionen aus. „Die russische Mauer“, ihr erster Roman, wird zurzeit in mehrere Sprachen übersetzt.

 

Johannes Eigner: Geboren 1960 in Bad St. Leonhard, Kärnten. Studium in Graz (Rechtswissenschaften, daneben Übersetzer- und Dolmetscherstudium in Französisch und Russisch), 1985 Eintritt in den diplomatischen Dienst des österreichischen Außenministeriums; seit 2017 österreichischer Botschafter in Russland, zuvor österreichischer Botschafter in Serbien. Nach Übersetzungen slowakischer und serbischer Literatur ist das vorliegende Buch seine erste Übersetzung aus dem Russischen.


Alissa Ganijewa Verletzte Gefühle Wieser Verlag Klagenfurt

Suspense: 100. Geburtstag der Crime-Lady


Es ist immer eine Mischung von Normalität und Abnormalität, aus der die Spannung bei Patricia Highsmith erwächst. Diebstahl und Ehebruch, Mordpläne und Komplizenschaft, billiger Verrat und echte Bosheit, böser Neid und blinder Hass, das alles und noch viel mehr sind die Komponenten ihrer Spannungsmixtur. Patricia Highsmith, 1921 in Texas geboren, ist die Verfasserin unzähliger abgründiger Kriminalromane, die von Alfred Hitchcock, Wim Wenders, Claude Chabrol und vielen anderen verfilmt wurden. Die Kurzgeschichten, die von Diogenes jetzt zu ihrem 100. Geburtstag veröffentlicht wurden, hat sie während ihrer Beschäftigung als Comictexterin geschrieben und in verschiedenen amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht. 

 

Es sind frühe Werke der Autorin, die jedoch schon von einer gewissen Spannungsreife zeugen. 


Ihre Figuren geraten in bedrückende und finstere Lebenssituationen. Als Leser fühlen wir immer diesen gewissen inneren Druck, wenn wir den faszinierenden Charakteren folgen und dabei in ihre tiefgründigen Psychen blicken, auch wenn sie nichts anderes tun, als eine herrenlose Tasche zu verfolgen, die am Bahnsteig der Subway herumliegt oder wenn ein Mädchen virtuos immer und immer wieder einen Ball an die Wand wirft. Oder: Im Kloster von Saint Fotheringgay, das nur von Frauen bewohnt wird, wächst ein kleiner Junge als Mädchen unter den Nonnen auf. Im nächsten Kapitel bringt eine Ehefrau mit einem Klauenhammer ihren nervigen Ehemann um die Ecke, der Schneckenforscher Knoppert beobachtet das Liebesleben der schleimigen Viecher. 


Die Highsmith ist selbst eine Frau der Absonderlichkeiten: Sie sammelt in ihrem wirklichen Leben 300 Schnecken in Glasterrarien und entwickelt auch abwegige, absurde, versponnene Ideen, zum Beispiel eine Galerie für schlechte Kunst, ein Schwitzthermometer, abartige Lampenschirme und ein eigenartiges Mordwerkzeug, einen mit Strychnin versetzten Lippenstift. 


Ihre Normalität begegnet manchmal rein zufällig den menschlichen Abgründen. "Obsessionen sind das Einzige, was zählt", hält sie am 17. September 1942 in ihrem Tagebuch fest. "Am meisten interessiert mich die Perversion, sie ist die Dunkelheit, die mich leitet." 


Und so mischt sie in ihren Ladies-Texten Neid, Eifersucht, grobe Wut und tiefe Angst, aber auch bohrende Sehnsucht und eine diffuse Ahnung von Glück. Das tägliche Schreibpensum der Highsmith waren acht Seiten Text, die sie unter dem Motto “Stümper gibt es auf allen literarischen Gebieten euer Ziel muss sein, ein Genie zu sein“ grandios erarbeitete. „Mrs. Mystery“ erklärt das Geheimnis ganz lapidar: „Ich kann mir für die Phantasie nichts Stimulierenderes und Beflügelnderes vorstellen als die Annahme, dass jeder, der einem auf dem Gehweg entgegenkommt, ein Sadist, ein Seriendieb oder sogar ein Mörder sein könnte.“


Patricia Highsmith Ladies Frühe Stories Diogenes

 

Später Zeuge - ein Psychothriller

 

Irgendwie ist alles völlig anders in diesem Krimi-Debüt, und das macht es ja so originell. Von Anfang an steht der Täter fest. Ein Zeuge meldet sich wirklich spät, wie der Titel verspricht. Der Klischee-Dialog: „Wo waren Sie gestern Abend zwischen 23 und 24 Uhr“ kommt garantiert nicht vor, schon weil die Kommissarin auch nur an einer einzigen kurzen, sehr späten Stelle im Buch auftritt. 


Die Schauplätze wechseln nicht ständig wie in gängigen billigen Agententhrillern, nein, eine renommierte Privat-Klinik steht im Zentrum der ortsfesten Handlung. 


Oh Gott, sagt sich der geneigte Leser, es geht auch noch um nicht heilbaren Krebs. Da braucht der Leser Stimmungsaufheller. Und wenn ich jetzt auch noch erwähne, dass es zusätzlich um Drogen im Arzneischrank geht, könnte man meinen, der Krimiautor Holger Senzel will sich da auf einen sehr ausgelatschten Handlungsweg begehen. Mitnichten! 


Es gelingt dem Autor, im ärztlichen Milieu des Buches die Fieberkurve so hoch zu halten, den Leser-Blutdruck und Spannungs-Puls so zu dosieren, dass man diesen Medizinthriller in die Hand nimmt, nicht mehr weglegt und in einem Rutsch bis zum Ende durchliest. Erst dann stellt sich der beruhigende Ruhepuls beim Leser ein. 
Worum geht es?


Die Hauptperson beobachtet in einem Waldstück zwei schemenhafte Gestalten, im Waldboden buddelnd. Sind da späte Mitglieder der Terror-RAF an ihrem Waffendepot beschäftigt?  Professor Dr. Peter Zielke, mit dem Jagdgewehr seines Schwiegervaters unterwegs, erschießt, sich bedroht fühlend, die beiden unbekannten Gestalten, findet überraschend auf dem Waldboden einen dicken Geldsack mit allerhand Millionen darin und muss/darf fortan mit diesem Geheimnis in seinem bürgerlichen Arztleben straflos, aber gewissenbelastend überleben. 

 
Vor 25 Jahren hat Professor Peter Zielke also zwei Menschen getötet, seitdem aber als Arzt Dutzende Leben von Krebspatienten gerettet. Er ist ein renommierter Arzt, häufiger Talkshowgast und tut als „Gutmensch“ auch gesellschaftlich Gutes. Soll man ihn deshalb als Mörder immer noch moralisch ächten oder hat er sich schon durch seine Taten rehabilitiert?
Senzel ist da ein tiefenpsychologischer Thriller um Schuld, Sühne und späte Rache gelungen, in dem der erfolgreiche Onkologe und Chefarzt, Familienvater und mustergültige Schwiegersohn ein Vierteljahrhundert nach seiner Tat, von einem Komplizen der Ermordeten, erpresst wird.  Dieser fordert das „unterschlagene“ Räuber-Geld zurück und will dann auch noch zusätzlich seine vollständige Heilung vom streuenden Bauchspeicheldrüsen-Krebs im Endstadium erzwingen. 


Nun geht die Verzweiflungsspirale los. Professor Zielke bringt den Erpresser in seiner Klinik unter, und damit gerät sein eigenes Leben, sein ärztliches Dienen, seine Beziehungen, seine Gedanken, Hoffnungen, Erwartungen, Enttäuschungen vollends außer Kontrolle, streut also ziellos wie auch der Krebs des Erpressers. 


Kann sich der Arzt aus dem Gewirr an Zwängen und psychischen Nöten irgendwie lösen, notfalls mit Gewalt oder mit medizinischen Mitteln, hat der Erpresser mit seiner Methode Erfolg? Wie ist das Gute und das Böse in ein irgendwie geartetes Verhältnis zu bringen? Und kann damit Heilung gelingen? 


Der Autor dringt in tiefe seelische Nöte ein, kann die Charakterbilder von Mördern, Erpressern, Klinikkollegen, Gönnern und Neidern entwickeln, hat den Medizinjargon im Griff, besitzt genaue Waffenkenntnis, versteht es, die unterschiedlichen Sprachniveaus von habilitierten Medizinern und Erpressern aus der Unterschicht auszutarieren. Lyrics- oder Literaturzitate, im Text eingestreut oder auch aus Erfahrungen gespeist, die Senzel als Radiojournalist gemacht haben muss, fließen in den flottfließenden Text wie selbstverständlich mit ein. Und die Dramaturgie der Handlung erlebt einige Salti mortali.


Holger Senzel seziert in seinem Medizinthriller, wozu Menschen in diesen unglaublichen Ausnahmesituationen fähig sind. Faszinierend, wie es Holger Senzel gelingt, über Seiten hinweg Gefühle, Empfindungen, Instinkte, Haltungen, Meinungen, seelische Erschütterungen in Spannungsbögen einzupassen und dabei ohne stereotype Faust-auf-Faust-Effekte oder billige Sex-Bett-Szenen auszukommen. Der Thriller macht mit Schmerzen Freude.


Holger Senzel, bitte auf Papier weiter morden! 

 

Holger Senzel Später Zeuge Nagel& Kimche

Frauenhass als Schwedenkrimi

Was ist spannender, das erfundene oder das wahre Verbrechen, der reale oder der fiktionale Täter? Es ist ein neuer Literaturtrend, nicht nur wirkliche Kriminalfälle in Sammlungen oder Einzelbeschreibungen darzustellen. Neuerdings kommen auch literarische Beiträge hinzu, die man zur Gattung von "True Crime Fiction" zählen kann.

Ein Deutsch sprechender Mann kommt nach Schweden und sucht „sein Mädchen“, blond und blauäugig soll sie sein.

 

„Sie hielten es für Selbstmord.“ So beginnt das erste Kapitel über das Verbrechen. Die 18jährige Eva Marianne Granell wird im Bett in der Sonntagsstraße, im Stockholmer Vorort Hökarängen tot aufgefunden. In dem Buch von Peter Englund MORD IN DER SONNTAGSSTRASSE GESCHICHTE EINES VERBRECHENS wird die Geschichte, also die Chronologie dieser Tat, genauestens rekonstruiert; vom ersten vagen Verdachtsmoment bis zur Gerichtsverhandlung am Ende des Buches und am Schluss einem wahren Geständnis des Täters.

 

Das Buch ist ein Geschichtspanorama der Sechziger Jahre. Wir erfahren so nebenbei, dass die Architektur in Schweden immer radikaler wird, aber zugleich, dass die Reihenhäuser in den bürgerlichen Vierteln verhältnismäßig klein waren, in denen der Mord passiert.

 

Englund erzählt beiläufig, aber dafür umso genauer, was der Wohlfahrtsstaat Schweden an Wohltaten für die Bürger bereithält. Englund beobachtet die wachsende Bedeutung des Fernsehens, erzählt uns, in welche Pornoheftchen die Schweden geschaut haben. Man nennt die Generation jener Tage „Blomkvister“ nach einer Figur Astrid Lindgrens.

Da Englund Professor für historische Narratologie (Erzähltheorie) ist, gelingt dem Autor eine packende Mischung aus Traum und Wirklichkeit, aus Realität und Fiktion.

 

Englund erzählt uns auch, in welcher Krimitradition die Autoren stehen, dass Sjöwall-Wahlöö das „true crime“-Genre mit erfunden haben, in dem das soziale Umfeld der Täter, die reale Welt mit beschrieben wird, mehr die Fakten zählen als „Fiction“, eine Tradition, die von Mankell, Dahl, Edwardsson, Marklund, Tursten, Larsson und vielen anderen fortgesetzt wurde.

 

Das ist doch merkwürdig, dass ein Krimiautor am Ende einen Anmerkungsapparat anfügt, als handelte es sich um eine historisch-wissenschaftliche Abhandlung. Dort wird zum Beispiel die Zahl der Straftaten in Schweden aufgelistet, erwähnt, wer Chancen beim Tennis in Wimbledon hatte, dass Büstenhalter ohne Bügel und kurze Haarschnitte in Mode kamen, ja sogar, was das Standardporto für Briefe in Schweden betrug.

Genau das gelingt dem Autor, eine neue „alte“ Erzählweise zu finden, indem er Geschichtliches, Alltägliches, Erinnerungsmomente mit spannender Handlung verbindet, und mit historischer kleinteiliger Genauigkeit verknüpft, die er dann eben sehr real in den Zusammenhang des Plots stellt.

 

Vernehmungsprotokolle, Hinweiszettel des Mörders, Interviewpassagen, all das wird so genau wie unter einem Brennglas, besser unter einem Mikroskop, präzise untersucht und dargestellt.

 

Dennoch ist dem Autor bewusst: „Das Gedächtnis ist eine spröde Materie.“

 

Die Tätertheorie, der Ablauf der Gerichtsverhandlung, die psychosozialen Hintergründe werden in einer Präzision geschildert, als führe der Autor - wie der Pathologe bei der Autopsie - bei der Analyse des Falls ein Mini-Skalpell als Micro-Instrument.

 

Die psychologischen Hintergründe werden also immer mit erzählt, die in längeren Schilderungen auftauchen, nicht in Dialogen, denn die kommen kaum vor, allenfalls in Vernehmungsprotokollen. „Wir alle tragen alternative Ichs in uns“, lautet seine Erkenntnis.

 

Das Buch ist eine dichte Erzählung einer Mordgeschichte, in der die Geschichte eines Landes als Kulisse dient und der Plot von einem Täter handelt, der alleine auf Frauensuche ist, einsam lebt und dabei einen Hass auf Frauen entwickelt.

 

Peter Englund, Historiker und Erzähler, wurde 1957 in Boden geboren. Nach seinem Studium arbeitete er beim Nachrichtendienst der schwedischen Armee. Später war er als Journalist und Korrespondent in den Kriegs- und Krisengebieten Kroatien, Bosnien, Afghanistan und Irak unterwegs. Er ist Autor historischer Bücher und Drehbücher. Englund war ständiger Sekretär der Nobelpreisakademie, trat im Zuge des Skandals um das Akademiemitglied Jean-Claude Arnault zurück. Dieser musste wegen Vergewaltigung für zwei Jahre ins Gefängnis. 18 Mitarbeiterinnen aus dem Akademie-Umfeld hatten ihn der sexuellen Übergriffe beschuldigt. Englund kehrte aber nach einem Reformprozess in die Jury wieder zurück.

 

Peter Englung Mord in der Sonntagsstrasse. Geschichte eines Verbrechens rowohlt Berlin

Ein Krimi scharf wie ein Skalpell

 

NORDIC CRIME könnte man für jene Krimis aus dem Norden als Gattungsbegriff wählen, in denen Kälte, Eis und Schnee mit brutalen Morden in Verbindung gebracht werden. Und oft geht es irgendwie auch um das Soziale seit den gesellschaftskritischen Krimis des Autorenduos Sjöwall/Wahlöö.

 

KATRINE ENGBERG kann mit ihrem dritten Krimi in der Kopenhagen-Reihe unter dem Titel GLASFLÜGEL - als Thriller erschienen bei Diogenes - dazu gezählt werden. Eis und Schnee fehlen zwar, denn in ihrem Krimi regnet es nur in Kopenhagen. Doch das ist das erste Charakteristikum. Katrine Engberg gelingt es, das Atmosphärische der Stadt mit zu vermitteln, die Straßen, die Menschen, die Plätze, das Feeling in dieser Stadt. Etwa so: „Kopenhagen hat eine Liebebeziehung zum Meer.“

Apropos Städte und Plätze, ausgerechnet in einem Brunnen der Fußgängerzone wird die erste Leiche gefunden, mit seltsamen Verletzungen an den Handgelenken, Formularbeginn

Formularende

 

kleinen parallelen Schnitten, symmetrisch und präzise ausgeführt, mit einem mysteriösen Mordinstrument.

Auch ein weiteres Mordopfer wird so aufgefunden, wieder verblutet. Die zwei Opfer arbeiteten mit psychisch kranken Jugendlichen.

Das ist das zweite Charakteristikum des Skandinavien-Krimis, er zeigt gesellschaftliche Relevanz, es geht auch um die Krankheiten des Gesundheitssystems, und er ist damit in Zeiten von Corona aktueller denn je.

 

Die dritte Ebene, die beiden ermittelnden Kommissare Jeppe Kørner und seine Kollegin Anette Werner, haben auch persönliche Probleme zu bewältigen. Jeppe, in einer Beziehungskrise, hat eine neue Liebschaft im Auge, kann sich aber nicht so recht entscheiden, was er will.

Anette Weber, in der Babypause, fühlt sich gar nicht wohl in ihrer Rolle als Mutter, hadert mit ihren Fettpolstern, die an ihren Oberschenkeln lagern, fühlt sich als Gebärmaschine und Milchkuh und würde lieber im Alltagsgeschäft Verbrecher bekämpfen, als still zu Hause zu sitzen und zu stillen. Und sie mischt sich dann auch ein. Die Handlung entwickelt sich zwar behutsam und langsam, aber die Personen entwickeln sich dabei mit, auch von Buch zu Buch, der Thriller hat also durchaus auch Psychodimensionen.

 

Was es mit den Morden auf sich hat, steht symbolisch gesehen auf einer anderen Patientenkarte, die aus Datenschutzgründen hier nicht ausgeplaudert werden darf. Lesen Sie also selbst.

Der Krimi ist scharf wie ein Skalpell, der Leser braucht eigentlich ein Beruhigungsmittel, aber bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Autorin, Ihren Arzt oder Apotheker.

 

Die Menschen, die im Krankenhaus oder in den Pflegeanstalten arbeiten, die Krankenschwestern, die Ärzte, die Pädagogen sind auch für die Autorin Katrine Engberg die wahren Helden der Gesellschaft. So beschreibt die Autorin es in ihrem Dankeskapitel am Schluss des Buches, so als hätte sie die Corona-Zeiten vorausgeahnt.

Aktuell müssen die Helden des Alltags mehr helfen als je zuvor, und einstweilen wird nicht viel mehr als auf Balkonen Beifall gezollt. Da müsste mehr drin sein.

 

In diesem Krimi geraten die Beschützer der Schwachen auf ziemliche Abwege…warum wohl?

 

Katrine Engberg Glasflügel Diogenes

Video zum Verhältnis der ermittelnden Kommissare

Die lebenshungrige Kinder-Mafia

Die Gang operiert rücksichtslos neo-liberal: Ellenbogen raus, Konkurrenz ausschalten, Gegner mit Schnellfeuerwaffen über den Haufen schießen, abends Champagner schlürfen, die Discos mit breiten Schultern bevölkern. 

 

Die Armani-Gucci-Prada-Gang genießt das Leben und lebt vom Tod. 
Die erste Definition von PARANZA im Italienischen heißt, es handelt sich dabei um ein großes Segelboot mit Bugspriet und Bogen, das für das Fischen in Paaren als kleineres Transportmittel verwendet wird. Eine weitere Definition von Paranza bedeutet Schleppnetzfischerei. Paranza kann auch ein „Paar“, eine „Gesellschaft von Freunden“ heißen. Konkret bedeutet „Paranza“ im Fischfang die Methode, in der Nacht Fische mit Lampen ans Boot heranzulocken, damit sie einfacher gefangen werden können. 


Im Sinne Savianos ist damit gemeint, dass erwachsene Mafiabosse die jungen Menschen in ihren Bann ziehen, um sie für kriminelle Aktionen loszuschicken. Die PARANZA diktiert im alltäglichen Drogenhandel die konkreten Geschäftsmodalitäten durch das Ausüben sinnloser Gewalt, und treibt damit die Kokain-Rendite in Millionenhöhe. 
Savianos zweites Kinder-Comorra-Mafia-Buch DIE LEBENSHUNGRIGEN entführt uns gefesselt in ein Gewaltszenario Neapels, das seinesgleichen sucht: Die sadistisch-kaltblütigen Kids schießen respektheischend von den Dächern herunter mitten hinein in die mafiadurchseuchte Gesellschaft, in der korrupte Banker und Politiker an den Fäden ziehen, und die Gewalt-Soldateska der Jugendlichen die alltägliche Macht ausübt. 


Da ist ihr starker Wille, und da ist ein gewaltsamer Weg. 
Wenn überall Jugendarbeitslosigkeit herrscht, bleibt ihnen ja fast nichts anderes übrig.

 
Savianos politische Gesellschaftsstudie trieft vor Gewalt, treibt die Spannungsbögen im Joggingtempo voran, dass der Leser, selbst wenn er im Bett ruht und liest, heftig nach Atem ringen muss und im Tempo schwer hinterher kommt, die vielen handelnden Personen allein an ihren Spitznamen zu erkennen und im Gedächtnis zu behalten. 
Da schießt Saviano mit seinem “Roman-Personal“ etwas über das Ziel hinaus. Haben diese Personen per se kein seelisches Innenleben oder kommt der Autor vor temporeicher Erzählung nicht dazu, es ihnen zuzuschreiben? So sprechen Journalisten-Kollegen diesem Roman deshalb die literarischen Qualitäten ab. „Als investigativer Journalist ist Saviano großartig, als Romanautor fehlt ihm das literarische Talent… Seine Werke laufen Gefahr zur Marke zu werden.“ 


Der Autor meint, früher sei man der Meinung gewesen, das Kino ahmt die Mafia nach, es sei aber in Wahrheit umgekehrt. Auch in der Mafia tummelt sich eben die Copypaste- und Playback-Generation.  

Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, arbeitete nach dem Studium der Philosophie als Journalist. Sein präzise recherchiertes Mafiabuch GOMORRHA wurde zum Welt-Bestseller machte ihn rasant berühmt. Saviano muss ständig unter Personenschutz und im Untergrund leben.

 

ROBERTO SAVIANO DIE LEBENSHUNGRIGEN HANSER

Arturo Pérez-Reverte: Der Tod, den man stirbt


Im Spanischen Bürgerkrieg übten alle Beteiligten schon mal, auf keinen Fall Pardon zu geben. Das ist eine ideale Tapete für Spannungsliteratur, Spionageromane, Gewaltszenen. Der 1951 in Cartagena geborene Arturo Pérez-Reverte ist ein in viele Sprachen übersetzter spanischer Erfolgsautor. Er hat über zwei Jahrzehnte als Kriegsreporter gearbeitet und kennt sich aus. Der Spanische Bürgerkrieg ist ihm in allen Einzelheiten vertraut. Sein neuester Roman „Der Tod, den man stirbt“ ruft dessen Grausamkeit und internationale Verstrickung, dessen Widersprüchlichkeit, auch dessen immer wieder durch die Gewalt hindurchwirkende menschliche Dimension auf. Die Sympathien mit den Hauptpersonen kann jeder nach seinem Geschmack verteilen – leicht wird es auf keinen Fall.


Den Hintergrund bildet eine Episode um einen Teil des Goldbestandes der spanischen Nationalbank, den die Republikaner angesichts der militärischen Erfolge der Franco-Rebellen in Sicherheit bringen wollen. Der 30 Tonnen schwere Goldschatz soll mit der Mount Castle nach Odessa, also in die Sowjetunion gebracht werden – leihweise, versteht sich. Die Faschisten haben davon Wind bekommen und verfolgen das Schiff bis in den neutralen Hafen von Tanger mit einem Zerstörer. Lange kann die Mount Castle dort nicht liegen und das Kriegsschiff lauert auf deren Ausfahrt, um die Beute für die nationale Seite zu sichern.
Der Superagent Falcó erhält von höchsten Stellen um Franco den Auftrag, das Gold irgendwie für die Rebellen gegen die Republik zu sichern. Es soll nicht nutzlos auf den Grund des Meeres versenkt werden. Falcó verfügt dafür über jede Menge Geld, jede Menge männliche Attraktivität, beste Beziehungen und ein gehöriges Maß professioneller Grausamkeit. Darin wird er noch von einem schwulen Killer übertroffen, den ihm seine Auftraggeber zur Unterstützung schicken. Ihr Gegenspieler ist Quirós der Kapitän der Mount Castle, der eine ihm ergebene republikanische Mannschaft kommandiert und außerdem eine kommunistische Aufsicht an Bord hat. Die wird von Eva geleitet, einer glühenden Internationalistin. Scheu vor Gewalt kenn auch sie nicht. Aber sie und Falcó sind sich schon begegnet, auch schon im Bett. Einmal hat er ihr, dann hat sie ihm das Leben gerettet – über alle ideologischen Fronten hinweg. 


In Tanger wickelt sich eine Gewaltspirale ab, ein Showdown jagt das nächste, beide Seiten haben zahllose Opfer zu beklagen. Falcó und die Kommandanten der Mount Castle und des ihn belauernden Zerstörers begegnen sich auf einem von Falcó arrangierten Treffen. Jeder hat seine Befehle, aber sie respektieren sich als Seeleute. Das Geschehen können sie nicht abwenden, aber sie bewahren einen Kern an Ritterlichkeit. Falcó und Eva könnten sich in einem ultimativen Gemetzel gegenseitig umbringen. Als sie nicht getan haben, stellen sie sich die Frage, ob sie sich lieben – Nein! 


Mag man sich etwa mit der unbeugsamen Bolschewistin Eva identifizieren, mit dem selbstmörderischen Quirós oder gar mit dem sehr professionellen Falcó, oder eher mit dem Kommandanten des Zerstörers, der zwar die Mount Castle mit dem Gold versenkt, aber einigen der republikanischen Matrosen weisungswidrig das Leben rettet? Der Autor hat jede dieser Personen konturenscharf gezeichnet, Helden, mit denen man lieber nichts zu tun haben möchte. Trotz aller Gewalt hat aber jede dieser starken Persönlichkeiten irgendwann und irgendwem Pardon gegeben. Das macht diesen blutigen Agentenroman erträglich. Das ingternationale marokkanisch-spanische Flair von Tanger quillt dem Leser auf jeder Seite entgegen und beglaubigt neben den sprachlichen, auch in der Übersetzung von Petra Zickmann wunderbar erhaltenen Qualitäten die These, dass literarischer Rang die Voraussetzung dafür ist, dass Spannung nicht langweilig wirkt. 


Harald Loch


Arturo Pérez-Reverte: Der Tod, den man stirbt   Roman
Aus dem Spanischen von Petra Zickmann
Insel, München 2018   476 Seiten   22 Euro

 

Donna Leon: Heimliche Versuchung     


Wer ist mehr zu bewundern? Ein Commissario, der bereits 27 mehr oder weniger komplizierte Fälle mit mehr oder weniger Bravour gelöst hat oder eine Amerikanerin in Venedig, die sich alle diese Fälle für eine Leserschaft, die in die Millionen zählt, ausgedacht hat? Oder lässt die Faszination der Brunetti-Romane von Donna Leon nicht doch mit der Zeit etwas nach? Was ist denn das Geheimnis dieser Langzeitwirkung? Darauf gibt es mehrere Antworten: Natürlich Venedig, die Serenissma! Dann: ein immer vertrauter werdendes, gut besetztes Personal. Schließlich ein jeweils neues kriminelles Thema. Auch die „Heimliche Versuchung“ lebt von diesem Dreiklang. Natürlich wieder Venedig, diesmal im nasskalten Herbst. Natürlich wieder die bekannten Personen. Im Auge des Taifuns steht einmal mehr Elettra, die pfiffige Sekretärin, die den Datenschutz dermaßen missachtet, dass ein künftiger „Fall“ für den Commissario sich wohl auch mit ihren rechtswidrigen Machenschaften beschäftigen muss.

 

Diesmal schrammt sie noch knapp daran vorbei. Die Familie Brunettis, seine gebildete Ehefrau, seine ökologisch hochsensible Tochter, sein mit dem Altgriechischen in der Schule kämpfender Sohn, spielen die gewohnten Rollen im häuslichen Erholungsraum des viel beschäftigten Commissarios. In der Questura stehen ihm die üblichen Kolleginnen und Kollegen zu Diensten oder auch im Wege. Alles wie gehabt also.
Neu sind der Fall und das kriminelle Milieu. Wie immer gibt es neben dem Centre-Court des Geschehens auch Nebenplätze, auf denen gespielt wird. Diesmal ist es der Drogenhandel vor den Gymnasien der Stadt. Aber der führt nicht zur Aufklärung des Falls, den der Überfall auf einen dabei böse verletzten Buchhalter auslöst.

 

Auf holprigen Wegen stoßen die Ermittler um Brunetti auf einen Apotheker und eine Ärztin. Sie wirken zusammen beim Betrug der Krankenkassen und der meist alten Patienten. Es geht um eine infame Hintergehung von Parkinson- und Alzheimer-Patienten. In den wie üblich eingestreuten Nachdenklichkeiten über das Besondere von Venedig kommt immer wieder die angebliche Gier ihrer Bewohner zur Sprache. Hier ist sie greifbar in Kriminalität umgesetzt. Aber diese Gier kann aus unterschiedlichen Motiven gespeist werden. Der eine will einfach seinen Reichtum vermehren, die andere braucht das erschwindelte Geld für ihren von Geburt an schwer behinderten Sohn, der sein bedauernswertes Leben in teuren Privatkliniken verbringen wird. Brunetti macht sich Gedanken über die Schonung des kleinen, durch die Betrügereien zusammengekommene Vermögens, das auf dem mündelsicheren Konto dieses Jungen liegt.


Diesen Fall lösen Brunetti und Elettra sowie die Kollegen nicht mit zwingenden logischen Schritten. Zufälle, Kleinigkeiten am Wegesrand, unerlaubte Ermittlungsmethoden müssen helfen. Wird hier vielleicht nicht doch der Respekt vor dem Rechtsstaat auf unterhaltsame Weise demontiert? Hoffentlich nicht! Die so sympathische und hierzulande manchmal schmerzlich vermisste Leichtigkeit italienischer Lebensart lässt alles in einem freundlicheren Licht erscheinen. Wenn das mal gutgeht!


Harald Loch
 
Donna Leon: Heimliche Versuchung. 
Commissario Brunettis siebenundzwanzigster Fall
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Diogenes, Zürich 2018   328 Seiten   24 Euro

 

Krimi und Kriegsverbrechen: Der rote Judas

Im Jahr 1920, in den Nachkriegswirren, kehrt Polizeiinspektor Paul Stainer aus der Kriegsgefangenschaft in seine Heimatstadt Leipzig zurück.

 

„Die Zeit war nicht stehen geblieben, während er in Gefangenschaft Blindgänger entschärft, Granattrichter zugeschüttet und zerschossene Dörfer beseitigt oder wiederaufgebaut hatte. Das hieß nun Republik, Regierungen wurden gewählt, Kaiser in die Flucht geschlagen, Bergwerke bestreikt und Straßenbahnen auch von Frauen gefahren.“

Die Kriegstraumata aus den Schützengräben suchen den Polizisten noch in seinen Angstträumen heim. Kaum wieder im Amt wird er befördert und mit seinem ersten Fall konfrontiert.

 

In der Villa eines Fabrikanten werden mehrere Menschen erschossen, was nach einem gescheiterten Einbruch aussieht. Das Geschehen hat jedoch einen anderen, einen politischen Hintergrund. Ehemalige Offiziere versuchen, Kriegsverbrechen zu vertuschen, die im August 1914 im belgischen Dinant verübt wurden. Ganze Stadtviertel waren abgefackelt und Zivilisten exekutiert worden, Vergewaltigungen und Erschießungen waren an der Tagesordnung, Scharfschützen erledigten ihr alltägliches Mördergeschäft.

 

Damalige Augenzeugen wollen die Massaker-Gräueltaten an die Öffentlichkeit zerren und bringen sich damit selbst in Lebensgefahr.

Der zurückgekehrte Polizist Paul Stainer findet seine Frau Edith in den Armen eines anderen vor. Auch er wird zum Zielobjekt der Mördertruppe. Mehr sei hier an Handlung nicht verraten.

 

Der Autor fängt sehr ausführlich das Leipziger Lokalkolorit ein, kennt Kneipen und Straßennamen, spart nicht an detailreichen Ortsbeschreibungen, wenn er etwa über eine halbe Seite die gemeinsame Wohnküche beschreibt.

 

Manchmal „stolpert das Herz“ oder ist die „Kehle zugeschnürt“ und ein Papagei krächzt die Internationale. Es ist ein Spannungs-Anfängerbuch, der erste Kriminalroman des Autors.Trotz dieser Einwände oben, die historischen Zusammenhänge sind spannend.

  

Thomas Ziebula ist freier Autor und schreibt vor allem Fantasy- und historische Romane. 2001 erhielt er den Deutschen Phantastik-Preis. Der Autor lebt in der Nähe von Karlsruhe.

 

THOMAS ZIEBULA  DER ROTE JUDAS WUNDERLICH

P.B. Vauvillé: Dunkle Nächte auf Montmartre 


Einer dieser heißen Sommer in Paris. Das erschwert die Ermittlungen in einem Mordfall. Die Leiche – schon auf der zweiten Seite des Romans „Dunkle Nächte am Montmartre“ weiß der Leser, woran er ist – die Leiche liegt im Keller des „Le Narcisse“, einem Travestie-Cabaret. Der legendäre Pariser Stadtteil beherbergt eine in die Jahre gekommene Bohème verschiedener Spielarten wie in einer dörflichen Gemeinschaft. Jeder kennt sich. Er wird von Touristenströmen auf der Suche nach einem untergegangenen Paris überschwemmt. Das „Le Narcisse“ wird von Moulin geführt, auf Montmartre als „Moulin le rouge“ bekannt. Früher war er ein erfolgreicher Catcher. Die Leiche in seinem Keller, das stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, war nicht die schöne Daphné. Die spielt im Cabaret in einer Hosenrolle einen Transvestiten, der sich als Frau gebärdet – ein hübscher Einfall des Autorenduos, das unter dem Namen P.D. Vauvillé auf tritt. Dahinter verbergen sich die seit Jahrzehnten in Paris lebende, in Frankfurt geborene Bertina Henrichs und der Musiker Philippe Vauvillé. Die Leiche hatte sich als Daphné verkleidet und geschminkt, ihre Identität unbekannt. Ohne zu wissen, wer sie ist, würde man nicht auf den Täter stoßen.


Der in Verdacht geratene Besitzer des „Le Narcisse“ bittet seinen in der Nachbarschaft wohnenden Freund Quentin, ihm zu helfen. Der ist Gitarrist und ermittelt in Konkurrenz zu der Polizei, die nicht erbaut ist über diesen Amateur. Der macht seine Sache aber erstaunlich gut, bekommt bald sogar noch Unterstützung von seiner ziemlich durchgeknallten Mutter Rose und stößt auf allerlei Ungereimtes aus der Vergangenheit. Eine messerscharfe Kombination führt ihn schließlich nach Trouville an der normannischen Küste, wo er die Identität der Ermordeten herausbekommt. Auf Montmartre geraten vier Personen im Umfeld des „Le Narcisse“ in Verdacht, in erster Linie sein Freund Moulin, außerdem ein englischer Musikalienhändler, und Kollegen von Daphné. Alle konfrontiert Quentin mit seinem Verdacht. Er ist dabei weder zimperlich noch taktvoll. Schließlich ist alles noch ein bisschen anders, hängt mit zwei Selbstmorden zusammen und – en passant – wird die Wahrheit über ein längst verjährtes Verbrechen aufgeklärt. Ob die alten Freundschaften zu retten sind?


Den Autoren gelingt ein durchweg spannender, in der Aufklärung überraschender aber plausibler Kriminalroman, der die touristische Neugier des immer noch attraktiven Montmartre bedient, die Atmosphäre dieses besonderen Pariser Biotops atmet. Offenbar kennen sich die Autoren dort bestens aus. Sie beglaubigen nicht nur, dass der Musiker Quentin ein zwar nicht routinierter, aber intelligenter Ermittler ist sondern auch, dass der Musiker Vauvillé ein guter Krimiautor sein kann, wenn er nicht gerade unter seinem Künstlernamen Sharon Glory in der Rockgruppe „AU BONHEUR DES DAMES“ singt.
 
Harald Loch
 
P.B. Vauvillé: 
Dunkle Nächte auf Montmartre    Kriminalroman
Aus dem Französischen von Yvonne Eglinger und Maja Ueberle-Pfaff
Hoffmann und Campe, Hamburg 2018   287 Seiten   16 Euro

 

Maiglöckchenweiß: Ein Belgrad-Krimi

Das Tatwerkzeug: Eine Regenrinne! Das Todesopfer: Ein zehnjähriger Roma-Junge! Ein zweites Mordopfer: Der serbische Ministerpräsident, er wird auf dem Weg in seinen Belgrader Regierungssitz ebenso ermordet. Was haben die beiden Fälle miteinander zu tun? 
In dem Belgrad-Krimi – Ex-Jugoslawien ist neuerdings beliebter Schauplatz für Verbrechen - stehen Maiglöckchen an der Belgrader Straße, wo einst der Roma-Junge Dušan von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Nach 25 Jahren kehrt einer der Täter zurück, will sich verantworten und stellen, wird aber ebenso tot an der Donau aufgefunden. 


Das Autoren-Duo Christian Schünemann und Jelena Volic haben die Belgrad-Ermittlerin, die keine Kommissarin ist, erfunden und Milena Lukin jetzt in ihren dritten Fall geschickt. Sie ist Kriminologin und als Fachfrau für internationales Strafrecht auch für die EU tätig. 
Wir lesen einen Krimi, dem es in erster Linie gelingt sowohl die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen mitzuerzählen, die radikalen Veränderungen auch in familiären Situationen aufzuzeigen, Volic´ als Literaturwissenschaftlerin und Schünemann als Slawist stellen die modernisierte Entwicklung des Landes Serbien auch in den europäischen Zusammenhang, benennt die Gewinner und Verlierer, ohne politisierend aufdringlich zu sein oder irgendwelche moralischen Zeigefinger zu heben.

 
Die DIOGENES-Sprache ist bildhaft, dialogisch stark, lässt miterleben, erzeugt Stimmungen, fließt unaufhaltsam wie die Flüsse Belgrads, Save und Donau, charakterisiert die familiären und freundschaftlichen Strukturen der Hauptprotagonisten. 
Was den ehemaligen serbischen Premierminister Zoran Djindjic, der 2003 ermordet wurde, angeht werden die Verbindungslinien jedoch erst ziemlich am Schluss des Romans gezogen, dramaturgisch etwas spät, was aufgesetzt entwickelt wirkt. Dennoch sollten die beiden Autoren ihre Ermittlerin in einen nächsten Fall schicken. Dort, wo der Balkan beginnt, beginnen auch Themen und Romane.
 
Christian Schünemann und Jelena Volic: Maiglöckchenweiß. Diogenes Verlag, Zürich, 352 Seiten

 

Der neue Makaris: Offshore

Griechenland war seit der Antike ein Volk der Seefahrer. Der Schiffskatalog im zweiten Buch von Homers Ilias ist das erste literarische Zeugnis einer großen Flotte. Im 20. Jahrhundert verbinden wir die griechische Seegeltung mit Namen wie dem Tankerkönig Onassis. Auch heute gibt griechische Reedereien, die ihren Sitz aber großenteils in London haben. Das ist der Ausgangspunkt des neuen Kriminalromans von Petros Markaris. Als nacheinander drei Morde mit maritimem Hintergrund in Athen passieren, ist Kommissar Christos Charitos aufgerufen, tätig zu werden. Einer der Ermordeten war ein Beamter, der in den Überseeschmuggel von Heroin verwickelt war. Der zweite ein Reeder, der sich zeitlebens gegen den Umzug von London nach Piräus gesträubt hatte. Der Dritte ein investigativer Journalist, der den Machenschaften unbekannter Mächte auf der Spur war und deshalb sterben musste. 


Charitos gelingt durch glückliche Umstände die schnelle Aufklärung der drei Verbrechen, die Täter laufen fast offen in die Ermittlungen, andere Polizeidienststellen führen dem Kommissar die geständigen Täter zu. Der neuernannte Polizeivizepräsident, ein Bürokrat ohne praktische Erfahrung, erniedrigt den gewissenhaften Charitos mit den Worten: „Ein blindes Huhn…“. Der aber misstraut den schnellen Ermittlungserfolgen, wittert dahinter fake crimes, vor allem größere Finanzinteressen. Weil er tiefer ermittelt, als es der Polizeispitze in den politischen Kram passt, wird er suspendiert. Ein letzter Zufall bringt ihn dann aber doch wieder auf die Gewinnerstraße. Das ist brillant ausgedacht, sehr kritisch begleitet und spannend zu lesen. Markaris lässt „Offshore“ vor dem Hintergrund der langsam abklingenden Krise in Griechenland spielen, eine Entwicklung, die mafiöse Strukturen geradezu einlädt, in diesem schlingernden Land schwarzes in „gutes“ Geld zu waschen. Sein Freund, der Altkommunist Lambrou Sissis steuert die kapitalismuskritische Begleitmusik bei.

 

Die ganze, aus vielen früheren Krimis vertraute Familie ist wieder mit von der Partie. Seine Ehefrau Adriani lädt wieder zu kleinen Feiern mit ihren berühmten gefüllten Tomaten ein, seine Tochter Katerina macht als Rechtanwältin Karriere. Das ganze Personal der von Charitos geleiteten Mordkommission glänzt mit ihren persönlichen Eigenarten und die Vorgesetzten stören bei den Ermittlungen nur.

 

Das angehängte Personenverzeichnis ist unterwegs hilfreich zur Rate zu ziehen. Athen ist wieder die Stadt der Staus, nachdem viele Griechen ihre während der Krise stillgelegten Autos erneut angemeldet haben und benutzen. Das menschliche Biotop unterhalb der Akropolis, in diesem Jahr auch Zwillingsstätte der Documenta neben Kassel, ersteht in dem eher literarisch anspruchsvoll als nervenkitzelnden Roman des mittlerweile achtzigjährigen Petros Markaris. Er hatte sich als Übersetzer deutscher Literatur von Goethe bis Brecht einen Namen gemacht hatte, bevor er der international gefeierte Krimiautor wurde.


Harald Loch
 
Petros Markaris: Offshore
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger
Diogenes, Zürich 2017   357 Seiten   24 Euro

 

Jean-Luc Bannalec: Bretonisches Leuchten. Kommissar Dupins sechster Fall

Die Ferien stehen vor der Tür. Für Kommissar Georges Dupin haben sie bereits beginnen. Er liegt schon am Strand. Seine Freundin Claire, Kardiologin im Krankenhaus, hat ihm und sich selbst strikten Urlaub verordnet. Ohne Telefonkontakt zum Kommissariat in Concarneau, ohne Kontakt zur Klinik: Strand, Entspannung - Urlaub eben. Sie haben in Trégastel an der Nordküste der Bretagne ein kleines Hotel mit hervorragendem Restaurant gebucht, einen Sandstrand, umringt von rot leuchtenden Granitfelsen gefunden und ihr Handtuch dort ausgebreitet – eine Tortur für den Kriminalaktivisten Dupin! Der zieht die Fälle an wie das Licht die Motten. Kaum angekommen, erfahren sie von einer Vermissten, wenig später von einer in eine Schlucht gestürzten Frau, von einem ermordeten Taxifahrer und von einem Anschlag auf eine unbequeme Politikerin. Dupin darf nicht ermitteln. Claire würde kein Telefongespräch dulden, einen trotzdem heimlich hergestellten Kontakt zu seinem Büro blockt seine famose Sekretärin Golwenn streng ab, und in dem fremden Departement herrscht ein anderer Commissaire - strikte Zuständigkeiten!


Jean-Luc Bannalec, der „bretonische“ deutsche Krimikönig aus Frankfurt, weidet sich an den Tricks, mit denen Dupin die verordnete Urlaubsruhe aushebelt und heimlich in allen Fällen ermittelt und sie am Ende genial löst. Er darf es eigentlich nicht, kann aber nicht anders. Einmal ertappt er seine Frau dabei, wie auch sie – heimlich vor ihm – telefonisch bei einer Herzoperation „Fernunterricht“ erteilt. Nach einer Woche sind die Fälle gelöst, ist der Patient über den Berg. Dann folgt noch eine Woche richtiger Urlaub.


Bis dahin erlebt das von Bannalec stilvoll verwöhnte Publikum eine spannende Kriminalgeschichte mit vielen, später zusammengeführten Strängen. Bei der Beschreibung der mehrgängigen Menüs, die im Ferienhotel, begleitet von guten Weinen serviert werden, läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Liebhabern der Bretagne beweist der Autor erneut, wie recht sie haben. Neulinge der Region werden mit Sicherheit zu Fans. Bannalec muss aufpassen, dass die geliebte Bretagne nicht durch seine unverschämt guten Bücher von Touristen auf seinen und den Pfaden Dupins überlaufen wird. Er beschreibt das Bretonische Leuchten der roten Granitfelsen, die aufregend schöne Landschaft so hinreißend, wie man es in Kriminalromanen sonst nie liest.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der infame Mordplan eines Pariser Immobilienhais. Er wäre beinahe perfekt aufgegangen. Dupin sichert sich nach und nach die loyale „Zusammenarbeit“ mit der einheimischen Polizistin Inès Marchesi. Die ist die Nichte vom Friseur im Dorf und hält nicht viel von dem zuständigen Kommissar, der zu Dupins Feind werden sollte. Inès, der Friseur und der Besitzer von Dupins Ferienhotel, ein guter Bekannter von Golwenn, bilden fortan eine Nachrichtenkette, über die Dupin alles erfährt. Seine Sekretärin Golwenn hat er mit einem Trick so schwungvoll von ihrer Blockade abgebracht, dass sie beginnt, auf eigene Faust und unter Umgehung aller möglichen Vorschriften zu ermitteln. Sie hat Erfolg und wird mit ihrer energischen Hand einen korrupten Politiker entlarven. Auch Dupin hat Erfolg und erhält dafür am Ende ein Dankschreiben von dem eigentlich zuständigen Kommissar. Und mit seiner Freundin Claire wird er in Concarneau in einem Haus am Hafen zusammenziehen. Ein richtiges Happyend erscheint am Horizont dieses schönen Kriminalromans. Der nächste Fall wird daran anknüpfen.


Harald Loch
 
Jean-Luc Bannalec: Bretonisches Leuchten. Kommissar Dupins sechster Fall
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017   312 Seiten   14,99 Euro

 

Steuersünder-Krimi

Der Zürcher Kriminalpolizist Bruno Cavalli ist einem der Datendiebe auf der Spur, der sich nach New York abgesetzt hat und den heißen Stick für „Gutes Geld“ den Behörden der USA anbietet. Cavalli hat gute Vorarbeit geleistet und weiß viel über die Persönlichkeit des flüchtigen Bankangestellten Mark Heller und seiner Komplizin Sandra Weiß. Er ist beiden auf der Spur, schon ganz dicht dran, als er Zeuge des Mordes an dem Dieb Heller wird. Wer hat Interesse an dem Mord, wer ist hinter den Daten her, wo ist Sandra Weiß und wo vor allem ist der ominöse Datenstick?

 

Die Aufklärung dieses Falles bringt den Zürcher Polizisten mit Regina Flint zusammen, die zur Weiterbildung in die USA gekommen ist und eher zufällig auf Cavalli trifft. Hier springt der „Erste Funke“ zwischen den beiden über, die in früheren Romanen der Autorin bereits ein beliebtes und erfolgreiches Ermittlungsduo gebildet haben. Jetzt erfolgt – spät – die Auflösung des Rätsels, wie sie sich kennengelernt haben: Eine Liebesgeschichte zwischen Polizist und Staatsanwältin nimmt hier ihren Lauf. Die Ermittlungen, die die beiden aneinander ketten, gestalten sich als ausgesprochen gefährlich. Das FBI ist gar nicht erbaut über die ungebetene „Hilfe“ aus der Schweiz. Deshalb müssen beide viel auf eigene Faust unternehmen und geraten dabei immer mehr in die Hände der Verbrecher, die – aus welchem Motiv auch immer –hinter den sensiblen Bankunterlagen her sind. Eine irische Mafia wird hinter den Jägern entlarvt.

 

Wenn der attraktive Cavalli und die überkorrekte Flint den Fall schließlich nach einer Reihe weiterer Morde klären, dann verdanken sie ihren Erfolg in erster Linie einem in der Kriminalistik nicht gerade typischen Sinnesorgan: Es ist weder der sechste oder ein siebenter Sinn sondern die hervorragende Nase Cavallis, die einer entscheidenden Spur folgt. Die nicht gerade abenteuerlustige Staatsanwältin steuert zu der Aufklärung eine psychologisch zutreffende Einschätzung der Komplizin Sandra Weiß bei und entwickelt im Laufe des Romans eine überraschende und zielführende Tatkraft. Schließlich überwinden das FBI und Cavalli ihre gegenseitige Geringschätzung und es kommt zu einem dramatischen Showdown auf dem Arlington Heldenfriedhof. Das Ende findet den verletzten Cavalli neben einer ihn anhimmelnden Staatsanwältin liegend. Nur noch etliche amerikanische Steuersünder zittern.

 

Harald Loch

 

Petra Ivanov: Erster Funke. Flint und Cavalli – Wie alles begann. Kriminalroman

Unionsverlag, Zürich 2017   254 Seiten   19 Euro

 

Krimi mit Hintergrund: Hotel Atlantique


Schauplatz ist die Biskaya. Genauer gesagt der Ort: St. Julien de la mer in der Nähe von Biarritz. Die Hauptperson heißt Delphine Gueron, sie hat bei der Pariser Polizei gearbeitet und lebt nun im Ruhestand an der französischen Atlantikküste. Das Hôtel Atlantique ist der Treffpunkt der beiden Freundinnen Delphine und Aurélie, wo sie ihre Nachmittagszeit bei einem Glas Tee verbringen. Der Roman plätschert anfangs so dahin, wie die Meereswellen an einem nichtstürmischen Tag am Atlantik, bis Aurélie eines Tages nicht mehr zum Treffpunkt der beiden Damen erscheint. Sie stürzte vom Balkon. War es Mord oder Selbstmord? 


Überraschend bricht ein Jugendlicher mit Namen Karim bei der Kommissarin a. D. ein, doch statt ihn der gerechten Strafe zuzuführen, hat sie Mitleid mit ihm und gibt ihm Strafarbeiten auf wie Gartenmöbel streichen oder Tomaten ernten. Dies ist schon ein überraschender, außergewöhnlicher Einfall der Autorin. Die beiden kooperieren aber auch zunehmend bei den Ermittlungen, das Gute und das Böse verbinden sich auf der Suche nach der Wahrheit. Doch wo liegt die Wahrheit? Beide müssen sie in der Vergangenheit suchen, denn die Handlung entwickelt sich vor der „Folie“ einer historischen Tatsache im II. Weltkrieg. 


Zur Besatzungszeit, als die Nazideutschen in Frankreich das Sagen hatten, gab es Frauen, die sich mit den deutschen Soldaten einließen und aus diesen Verbindungen entstanden „Babys“ der „Boches“, eine herabwürdigende Bezeichnung der Franzosen für die Deutschen. Die Autorin, die zeitweise in Frankreich lebt, entwickelt aus dieser historischen Tatsache, die heute immer noch nicht vergessen ist, einen spannenden, wendungsreichen Plot, der immer neue Verdachtsmomente aufbringt. 
Wir werden als Leser dabei keineswegs mit historischen Fakten genervt, im Gegenteil, die Fakten kommen wie beiläufig daher. Es gelingt der Autorin uns als Leser den Begründungszusammenhang für die Verbrechen unterzujubeln, ohne uns mit historischen Details zu langweilen. 


Die Sprache ist sehr genau, flüssig, mit einem französischen Unterton, denn die auch als Lektorin arbeitende Schriftstellerin lässt Spracheigenheiten unserer Nachbarn mit einfließen, ohne dass diese zumeist im Dialog dann übersetzt werden. Das schafft französische Atmosphäre. 


Bei manchen Charakteren hätten wir gerne mehr über ihr Seelenleben als über ihre Kleidung erfahren, und auch die faszinierende Atlantiklandschaft kommt etwas zu kurz, doch das Buch, das langsam beginnt, nimmt Tempo auf und wird am Schluss zu einem spannenden Szenario für uns. Mehr wollen wir vom Inhalt an dieser Stelle nicht verraten. 


Die Beschreibungskraft fasziniert, da hilft der Autorin die Genauigkeit und das Sprachreservoir einer erfahrenen Lektorin. Die Dialoge stimmen auf den Punkt! Die Atmosphäre vermittelt sich! Die Spannung wächst! Was nicht allzu oft gelingt, Politik und Geschichte im Roman schlüssig zu verarbeiten ohne dabei zu langweilen, der Autorin ist das wirklich gelungen. „Chapeau !

 

Die Autorin:  Als Valerie Jakob schreibt eine der erfolgreichsten Übersetzerinnen für Romane aus dem Angloamerikanischen und dem französischen Sprachraum. Sie kann sich für ihr Debüt auf eigene Erfahrungen stützen, denn der französische Sud-Ouest ist ihre zweite Heimat. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin, verbringt ihre Urlaube aber noch immer am liebsten an der südfranzösischen Atlantikküste. 

Donna Leon - der 26te

Am Anfang legt Donna Leon eine falsche Fährte, weckt Erwartungen auf einen Fall, der dann im Laufe des Krimis „Stille Wasser“ ins Wasser fällt. Aber der offenbar doch verwüstliche Brunetti bekommt eine Auszeit auf der Insel Sant Erasmo. Wer sich in dem Archipel vor Venedig nicht auskennt, findet auf Vor- und Nachsatzblatt der wiederum schön in Leinen gebundenen Ausgabe so etwas wie eine Seekarte. Die Gründe für diese Auszeit liegen nahe am Fake, haben aber auch eine medizinische Beglaubigung. Brunetti macht einen Sonderurlaub in der leerstehenden Villa einer entfernten Verwandten seiner Frau Paola und freundet sich mit dem Hausmeister Davide Casati an. Mit ihm unternimmt er täglich Ruderausflüge in den Kanälen außerhalb der eigentlichen Lagune. Casati hat in den Salzsümpfen Bienenstöcke stehen und Brunetti lernt bei den Besuchen dort vieles über diese von der Umwelt so sehr bedrohten Bienen. Die Umwelt Venedigs und der Lagunenlandschaft wird nicht nur von den Touristen bedroht, sondern auch – seit langem schwirren Gerüchte darüber – auch von nahegelegenen chemischen Werken. Casati hatte in einer Fabrik gearbeitet, war bei einem Unfall schwer verletzt worden und besorgt sich seitdem um den Zustand der Natur.
Erst nach gut 100 Seiten kommt der 26. Fall Brunettis richtig in Fahrt, als Casati nach einem schweren Unwetter vermisst und später ertrunken aufgefunden wird. Die Erholungsauszeit des Commissarios endet abrupt – er ist vor Ort und sofort in die Ermittlungen eingespannt. Selbstmord des nach dem Tode seiner Ehefrau depressiven Casati oder ein Unfall im Sturm? Die Ermittlungen führen zu dem 20 Jahre zurückliegenden Chemieunfall, zu zwei anderen schwerverletzten Opfern und deren verlogenen Existenzen. Das Unternehmen, in dem damals die Katastrophe passierte, zahlt astronomische Schweigegelder an die beiden in Form eine Luxusherberge mit hervorragendem medizinischem und gastronomischem Service. Geschwiegen werden soll über die Verklappung von Gift in der Lagune. Casati kommt dahinter und stirbt – an Selbstmord oder im Unwetter?


Den zielführenden Verdacht nährt ein falscher Knoten um das Bein des Verunglückten, des Selbstmörders oder des Ermordeten. Donna Leon kommt es darauf nicht mehr an. Sie spitzt den Mund, ohne zu pfeifen, verfolgt die Spur nicht weiter, lässt Stille Wasser an dem Aufklärungsinteresse des Publikums abtropfen. Wer traut sich das schon und wem gelingt das außer ihr?


Harald Loch


Donna Leon: Stille Wasser  -  Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall. Roman
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Diogenes, Zürich 2017   343 Seiten

 

Kann Wasser töten?

Wasser ist Leben …aber Wasser kann auch töten. In einer dänischen Kindertagesstätte wird ein kleines Mädchen ertränkt aufgefunden. Das Kind war gefesselt und kopfüber in einen Eimer mit Wischwasser gesteckt. In Verdacht gerät ein psychisch labiler Mitarbeiter. Der Kommissar arbeitet mit einer Psychologin zusammen, die immer  tiefer in den Fall hineingezogen wird. Sie hat ein Verhältnis mit dem Ermittler und selbst eine eigene komplizierte Lebensgeschichte: “Was war die menschliche Existenz anders als eine einzige Tragödie, obendrein eine beschissene Daily Soap mit gelegentlichen Glücksmomenten“. Dem Autor Carsten Nagel gelingt es, ohne aufdringlich zu sein, aktuelle Entwicklungen des Zeitgeschehens, der Politik und der Gesellschaft mit einzubeziehen: etwa den Vertrauensverlust, die vergessenen Träume und Lebensentwürfe, der Autor spricht davon, dass Idealismus von grenzenlosem Egoismus verdrängt worden ist. Gesellschaftskritik wird also mitgeliefert: “Die sogenannte Resozialisierung des Gefängnisaufenthaltes war ja eher ein Mythos als Wirklichkeit“: Das mindert keineswegs das Tempo des Romans. Die zweite Ebene ist die psychologische Dimension, die immer mitschwingt, es ist ein spannender Psychokrimi im Wohlfühlland Dänemark, indem die menschliche Rohheit zugenommen hat. AQUA MORTIS – Wasser des Todes, ein Kita-Krimi mit Psycho-Tiefgang.

 

Carsten Nagel wurde 1955 in Kopenhagen geboren, arbeitet als Psychotherapeut und schreibt Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Als Psychotherapeut hat sich Carsten Nagel auf Flüchtlinge spezialisiert, die mit Foltererfahrungen und anderen Traumata zu kämpfen haben.

fremd...

Ich mag Krimis lieber als Thriller, doch  fremd ist ein Gänsehautbuch, das selbst die schütteren Haare zu Berge stehen lässt. Man stelle sich vor: Du stehst in deiner Wohnung, bist alleine, plötzlich steht ein Mann in deiner Tür und behauptet dein Mann zu sein. Du kennst ihn aber gar nicht.

Stell dir vor, du kommst nach Hause und deine Frau erkennt dich nicht. Sie hält dich für einen Einbrecher. Und sie sticht auf dich ein. WER ist da verrückt geworden? Ist alles nur ein Hirngespinst? Was ist noch real? Was kann man glauben? Ist es ein Spiel oder bitterer Ernst? Gedächtnisverlust oder eine Mördermasche.

Das Autorengespann entwickelt ein furchterregendes, faszinierendes SZENARIO. Der Leser versetzt sich abwechselnd von Kapitel zu Kapitel in die beiden Figuren, leidet und fühlt und zweifelt mit. Was kann man noch glauben, was ist Phantasie und was ist ernst?

Von Szene zu Szene eskaliert die Situation. Des Rätsels Lösung wollen wir als Geheimnis für uns behalten. Edgar Allen Poesie hätte seine Freude an dem Psychothriller.

Ein neuer Balkan-Krimi mit Jugo-Touch

Christian Schünemann/Jelena Volic´ Pfingstrosenrot Ein Fall für Milena Lukin DIOGENES

Ich habe mir diesen Krimi mit in den Urlaub genommen, weil ich im letzten Urlaub dort wo, wo dieser spielt. In Ex-Jugoslawien. Und mich interessiert, ob es gelingen kann, Krimis vor politischem Hintergrund spannend zu erzählen. Ich bin nicht enttäuscht worden, wenngleich die langsamere Erzählart, die bei Diogenes häufiger vorkommt, den heute zeitgestressten Leser irritiert.  Aber entschleunigt. Ein serbisches Ehepaar wird im Kosovo in seinem Haus brutal ermordet. Es wurde nach den Kriegswirren mithilfe von EU-Programmen dort als ehemalige Flüchtlinge wieder angesiedelt. Wer hat hier alte rechnungen offen. Ist es ein bloßer Racheakt. Hat die Tat politische Hintergründe. Sind die bösen Serben oder die brutalen Kosovo-Albaner die Täter, aber warum sollten sie ein altes Ehepaar töten?  

Die Grundidee für diesen Balkankrimi hat das Autorenpaar der Realität entnommen, ein bis jetzt ungeklärter Mord. Die ermittelnde Kriminalistin Milena Lukin, über die man gerne etwas mehr erfahren hätte, tappt lange im Dunkeln. Minister mischen sich ein. Kosovo gilt als Verbrecherstatt. Ist Flüchtlingsschutz möglich? Sind dubiose Immobilien-oder drogengeschäfte der Hintergrund. Jugoslawien- und Tito-Nostalgie keimt auf. Steht die Mordtat politischen Verhandlungen im wege? Müssen kriegstaten – von wem auch immer begangen – im nachhinein gerächt werden. 

Der Duft des Oleanders

Ich liebe Oleander und habe seit vielen Jahren schon mehrere im Garten bzw. auf der Terrasse.

Und im Nachhinein betrachtet waren meine Oleander vielleicht überhaupt die Anregung für den Roman gewesen.

 

Kritik Aurora – das Trüffelschwein erschnüffelt was kriminalistisch zu ermitteln wäre. Ein deutscher Journalist will erschnüffeln, welche Kriegsverbrechen im Jugoslawienkrieg begangen wurden. Ein pensionierter Kriminalist sucht Ruhe an den Küsten Istriens und wird in Unruhe versetzt. Der Liebe und der Ermittlung wegen. Ja wir sind auf dem Schauplatz BALKAN, aber was heißt das schon, werwiewowas ist der Balkan? Wer ist dieser Blagic´, der mehr als krumme Geschäfte macht in der malerischen Kulisse von Rovinji, wo das Meer klar und die Geschäfte trübe sind. Es wird mit leichten Mädchen und schweren Diamanten gehandelt und in einem Balkan-Krimi muss es selbstverständlicherweise auch Tote geben. Wer stirbt und warum, das soll hier offen bleiben. Der spannende Krimi von Sivija Hinzmann, einer Kroatin, die in Stuttgart lebt, hält in Atem von der ersten bis zur letzten Seite, weil der Plot klug ausgetüftelt ist. In manchen beschreibenden Passagen von Situationen, Handlungen, Landschaftsschilderungen  wäre etwas mehr verbale Kürze angemessen gewesen, die zur farbigeren Charakterisierung der handelnden Personen hätten genutzt werden können.

 

Der WIESER-Verlag – auf Europafragen spezialisiert - hat mit zwei Krimis nun eine eigene „mörderische“ Reihe gestartet, ja das liegt im Trend, Verbrechen und Verbrecher kennen ja eben keine Grenzen, sie haben die Reisefreiheit lange vor uns allen schätzen gelernt. Im Augenblick erleben wir die Reise rückwärts – genug Stoff für Thriller und Krimis.

 

Autorin Silvija Hinzmann (geb. 1956 in Cakovec, Kroatien) lebt in Stuttgart, arbeitet als Übersetzerin und Dolmetscherin. Veröffentlichte einen Roman, zahlreiche Kurzkrimis, ist Herausgeberin mehrerer Kurzkrimi-Anthologien und übersetzt Erzählungen, Gedichte, Essays, Kurzgeschichten, literarische Reiseführer und Romane kroatischer und serbischer Autoren bei verschiedenen Verlagen.

 

Mehr unter www.silvija-hinzmann.de

Friedrich Ani: Der namenlose Tag

 
Der namenlose Tag„Tod bei der Generalprobe“ – so könnte der Titel des Romans „Der Namenlose Tag“ von Friedrich Ani lauten, wenn der „Fall für Jakob Franck“ ein auf den breiten Publikumsgeschmack zugeschnittener Krimi wäre. Ist es aber nicht! Denn der seit zwei Monaten pensionierte Kriminalhauptkommissar Franck bekommt einen Fall frei Haus serviert, an dem sich die gesellschaftlich gehäuft auftretenden Probleme nur so hochranken. Was hat ein pensionierter Polizist mit alten Fällen zu tun? Franck wird von den Toten, die seinen Weg in der Münchener Kriminalpolizei säumten, heimgesucht. Sie fallen ihm in aller Grausamkeit wieder ein - kein Loslassen ist ihm vergönnt. So geht es vielleicht auch anderen Ruheständlern, die ihr Berufsleben engagiert geführt haben.

 

Dann aber der Fall selbst: Vor 21 Jahren hat sich die 17-jährige Gymnasiastin Esther Winther erhängt. Ein Jahr später folgt ihr ihre Mutter an einem anderen Baum. Der Witwer Ludwig Winther sucht den Ruhestandsbeamten Franck auf, erfleht von ihm eine Wiederaufnahme der Ermittlungen am Tod seiner Tochter. Es sei nie und nimmer Selbstmord gewesen. Ein auf junge Mädchen fixierter Nachbar, ein Zahnarzt, habe sie ermordet. Franck ist routiniert und gewitzt genug, um erst einmal den Vater selbst ins Visier zu nehmen. Dann recherchiert er – längst außer Dienst – in verschiedene Richtungen. Ein Jugendfreund kommt in Frage, natürlich der Zahnarzt und sogar ein damals elfjähriger Junge. In Gesprächen mit Freunden von Esther oder ihren Eltern über die damaligen Umstände, mit der Schwester der ebenfalls erhängten Mutter führt er in Berlin Gespräche. Immer wieder rückt dabei Francks eigene Einsamkeit in den Vordergrund. Er lebt sie irgendwie körperlich aus. Seit 18 Jahren ist er geschieden, seit seine Frau damals nicht mehr aushalten wollte, dass Franck von den Toten heimgesucht wurde.

 

Am Ende stehen erschütternde Erkenntnisse über das Nicht-miteinander-sprechen-Können von Eltern und Kindern, von Freundinnen, über das Nicht-Verstehen der Menschen, die sich eigentlich nahestehen sollten. Der mit literarischem Anspruch, manchmal in gemäßigten Münchener Jargon fallenden und mit lebensphilosophischem Tiefgang geschriebene Roman endet in einem Plot, den selbst erfahrene Krimi-Auflöser nicht ahnen. Die Erkenntnisse am Schluss sind schon im ganzen Roman angelegt und lassen bei aller Düsternis der Atmosphäre die Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt wachsen. Das sagt nicht der Autor seinen Lesern mit erhobenem Zeigefinger, sondern die unterschiedlichsten, glänzend charakterisierten Personen des Romans kommen von selbst darauf. 21 Jahre nach dem unfassbaren Geschehen ist es zu spät. Die Leser von heute – das ist die sympathischste Lesart dieser anderen Art von Spannungsliteratur – haben aber noch die Chance und können aus ihr die richtigen Konsequenzen ziehen.

 

Harald Loch
 
Friedrich Ani: Der Namenlose Tag
Ein Fall für Jakob Franck         Roman
Suhrkamp, Berlin 2015   301 Seiten   19,95 Euro

Pasta, Espresso und Bücherklau  - die neue Leon

Im Mittelpunkt als Schauplatz und berechenbare Konstante wieder die neben Rom zweite „ewige Stadt“, die Lagunenmetropole Venedig, daneben die bekannten Schauplätze, die Questura, das Zuhause des Commissario, seine Familie und nun neu als Tatort die Biblioteca Merula, aus der Inhalte von alten Büchern verschwinden, weil böse Geschäftemacher aus Folianten Buchseiten herausschneiden, um sie kommerziell zu versilbern.

 

Leon greift einen konkreten Fall aus der italienischen Realität auf und lässt sich davon inspirieren, denn 2012 wurden in Neapel tatsächlich 4000 Bücher geklaut.

 

Es geht also im neuesten Roman der Donna Leon um alte Buchkunst, um Buchdruck als Kunstform, als die ebook-Kindles noch nicht erfunden waren. Und dieser Kriminalität setzt Donna Leon die Normalität des venezianischen Alltags also Pasta, Pizza und Espresso gegenüber. Aber daneben auch in Seitenanmerkungen kritisch die chaotische italienische Politik und den alltäglichen Wahnsinn des Kreuzfahrtschiffe-Tourismus.

 

Donna Leons Commissario Brunetti sucht also nach gestohlenen Büchern und einem Mörder.

 

Die Identifikationsmomente für den Donna Leon-Serienleser sind wieder die geografischen Verhältnisse in Venedig, die hinlänglich bekannten Figuren und ihre Charaktere sowie das vertraute und beliebte Umfeld des Helden Brunetti.

 

Der Gänsehaut-Faktor hält sich bei diesem Donna Leon-Buch in Grenzen, das Thema ist zwar spannend, die Umsetzung jedoch etwas angestaubt, aber die Fangemeinde hat die Serientäterin Leon wieder auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste geschubst. Die WELT zieht schon Leon-Parallelen zu Kommissar Maigret, doch die Milieudichte eines Simenon erreicht Donna Leon nicht.

 

LINKS

 

https://www.youtube.com/watch?v=J8RfiK53umI

 

http://www.diogenes.de/leser/autoren/a-z/l/leon_donna/download

 

Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, lebt seit 1965 im Ausland. Sie arbeitete als Reiseleiterin in Rom, als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und Saudi-Arabien. 1981 zog Donna Leon nach Venedig. Die ›Brunetti‹-Romane machten sie weltberühmt, doch die Barockmusik ist ihr nicht weniger wichtig. Sie förderte zahlreiche Einspielungen, neu das Orchester ›Il Pomo d’Oro‹. Heute lebt sie in Venedig und in der Schweiz.

Ein Dschungel von Tatmotiven

Xavier-Marie Bonnot: Die Melodie der Geister 

 

Ein neuer Stern aus Marseille ist jetzt auch für deutschsprachige Liebhaber anspruchsvoller Krimis erschienen: Polizeikommandant Michel de Palma präsentiert sich in Xavier-Marie Bonnots Roman „Die Melodie der Geister“ als ein Ordnungshüter, der schon mal einen Eierdieb laufen lässt, um einen großen Gangster dingfest zu machen. Anders kommt man in Marseille auch nicht weit. Das wissen wir seit der legendären Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo, dessen Nachfolge der 1962 in der Hafenstadt geborene Bonnot mit Aplomb antritt. Er ist promovierter Historiker und Soziologe und passt als Autor in die von Thomas Wörtche begründete Spannungsreihe des für Kriminalromane auf abgelegenen Schauplätzen berühmten Unionsverlages. Michel de Palma muss nicht nur im Hafen von Marseille sondern auch in Neuguinea ermitteln. „Die Melodie der Geister“ spielt im Ganovenmilieu rund um den Vieux Port, streift den internationalen Kunsthandel und problematisiert den Zivilisationsschock, den Kolonialismus, Christianisierung und globaler Kapitalismus bei den Ureinwohnern  auf Papua-Neuguinea ausgelöst hat. Zitate aus „Totem und Tabu“ von Sigmund Freud oder aus den Werken von Margaret Mead legen ein intellektuelles Gitter über den spannenden Handlungsverlauf. Das Wort von Lévi-Strauss „Ein Barbar ist vor allem, wer an die Barbarei glaubt“ verdeutlicht den anthropologischen Anspruch des rasant zu lesenden Buches.

 

Der alte Neurochirurg und Sammler von Papua-Kunst Fernand Delorme wird in seiner Villa auf den Felsen über der Bucht von Marseille ermordet. Ein Schilfpfeil hatte seine Stirn durchbohrt. Delorme hatte in früheren Jahren mit seinem Freund Ballancourt Expeditionen nach Neuguinea unternommen und dabei vor allem Totenschädel mit nach Europa gebracht, die hier in völkerkundlichen Sammlungen ausgestellt bzw. im Kunsthandel zu explodierenden Preisen vermarktet werden. Als eine Enkelin Delormes auftaucht und im Hafen im Umfeld des Kunstschmuggels weitere Menschen sterben müssen, überschlagen sich die Ereignisse und führen de Palma an den Ausgangspunkt des Verbrechens am Fuße des Viertausenders Mount Wilhelm (dieser Teil Neuguineas war einmal deutsche Kolonie). Der zivilisationskritisch schwer aufzulösende  Dschungel der Tatmotive stürzt nicht nur den Polizeikommandanten in tiefes Nachdenken. Der Leser dieses von Gerhard Meier treffend übersetzten Romans wird bei der Lektüre nicht nur gut unterhalten sondern sich auch bewusst machen, welches Unheil die Begegnung mit dem Westen über die auch vorher keineswegs heile Welt der „Barbaren“ gebracht hat.

 

Harald Loch

 

Xavier-Marie Bonnot:  Die Melodie der Geister. Ein Fall für Michel de Palma - Kriminalroman

Aus dem Französischen von Gerhard Meier

Unionsverlag, Zürich 2015   362 Seiten   21,95 Euro

 

Spurensuche

Wolfgang Kaes: Spur 24                Kriminalroman

 

Der Eifel-Kurier erscheint jeden Mittwoch in einer Kleinstadt zwischen Bonn und der belgischen Grenze. Er ist eine Erfindung von Wolfgang Kaes. Der singt das Hohelied auf den freien, investigativen Journalismus, der sich in den Dienst der Aufklärung stellt – im doppelten Wortsinn. Hauptperson und eigentliche Aufklärerin in diesem Kriminalroman ist Ellen Rausch, eine fünfzigjährige Journalistin, die nach einigen Pirouetten in ihrem Leben bei diesem Lokalblatt gelandet ist. Eine amtliche Veröffentlichung macht sie neugierig: das Amtsgericht fordert in einem Todeserklärungsverfahren jeden auf sich zu melden, der etwas über den Verbleib der vor 16 Jahren verschwundenen Ursula Gersdorff mitteilen kann. Die greise Mutter, Bruder und Schwester haben den Antrag nach dem Verschollenheitsgesetz gestellt. Sie wollen endlich einen Schlussstrich ziehen und die Ungewissheit über den Verbleib ihrer Tochter bzw. Schwester beenden.

 

Ellen Rausch sticht mit ihrer Neugier, ihrem drängenden Nachforschen in ein Wespennest. Die ganze bessere Gesellschaft der Kleinstadt ist irgendwie verstrickt in ein Netz von Vetternwirtschaft. Bald hat sich die Journalistin mit ihren bohrenden Veröffentlichungen so unbeliebt gemacht, dass sie im Café am Markt nicht mehr bedient wird. In ihr Haus wird eingebrochen und an einer Zimmerwand prangen ihr Morddrohungen in blutroter Schrift entgegen. Sicherheitshalber steht jetzt meist ein Streifenwagen vor ihrer Tür. Nachdem die örtliche Polizei wegen ihrer eigenen Versäumnisse jetzt mauert, wendet sich Ellen Rausch an die Bonner Kriminalpolizei und trifft auf einen engagierten – und attraktiven – Kommissar, mit dem sie in Zukunft zusammenarbeitet. Gemeinsam klären sie den Fall auf, der mit einer saftigen Gefängnisstrafe für den Täter abgeschlossen wird. Wer die Tat seinerzeit begangen hat, ahnt man zwar, weil der Autor auch keine falschen Spuren legt, die er später wieder verwischen müsste. Wolfgang Kaes erreicht so etwas wie eine soziale Spannung, die des thrills nicht bedarf.

 

Er hat anderes im Sinn:

Sein Krimi „Spur 24“ verfolgt ein gesellschaftliches Anliegen: 3000 Langzeitvermisste zählt das Bundeskriminalamt allein für Deutschland. Hinter manchem von ihnen dürfte ein Verbrechen stehen, das als solches nicht einmal wahrgenommen wird. Zu diesem Hauptweg politischer Aufklärung ordnet er  Nebenwege gesellschaftlicher Emanzipation und legt seinen Protagonisten manche kritische Sicht bestehender Verhältnisse in den Mund: Ob es die korrupten Seilschaften zwischen Politik, Wirtschaft und Finanzen sind, die autoritären Chef-Allüren des Leiters des Eifel-Kuriers, mafiöse Methoden bei der Behinderung von Aufklärung oder die Geringschätzung für Menschen aus der Arbeitersiedlung.

 

Diese sympathischen Mahnrufe in die Mitte einer bequem gewordenen Gesellschaft begleiten den spannenden Verlauf der Handlung auf eine unterhaltsam aufklärerische Weise. Der Krimi liest sich mit Tempo und Gewinn, die Dialoge sind fetzig und das juristische und behördliche Milieu voller Sachkenntnis beschrieben. Am Ende des Romans erfährt der Leser, dass der Autor die Vorlage als Fall selbst recherchiert hatte. Als Chefreporter des Bonner General-Anzeigers hat er für die Aufklärung dieses Falls hohe journalistische Auszeichnungen erhalten. Für den daraus entstandenen Roman gebühren ihm literarische Lorbeeren!

 

Harald Loch

 

Wolfgang Kaes: Spur 24                Kriminalroman

Rowohlt, Reinbek, Originalausgabe Dezember 2014    381 Seiten   14,99 Euro

Mord zwischen Dünen

Inhalt

 

Eine Frau wird vermisst. Von Beruf ist sie Fitnesscoach, ihr Arbeitsplatz ein Wellnesshotel auf Sylt. Kriminalrat Tomas Jung wird beauftragt, sie zu finden. Bald schon türmen sich Fragen auf. Warum vermisst sie nur der Manager des Hotels, aber nicht ihre Familie, ihre Freunde, ihre Nachbarn? Führt sie ein Doppelleben? Zusammen mit Charlotte Bakkens, einer jungen Kriminalkommissarin, arbeitet Jung daran, Licht in das Dunkel zu bringen. Sie stehen vor Rätseln. Bis Jung sich an seinen Lieblingsplatz erinnert  ...

 

Autor

Reinhard Pelte ist Diplommeteorologe und war im Öffentlichen Dienst tätig. Mehrere Jahre in Portugal lebend, hat er die Welt durch zahlreiche Fahrten zur See kennengelernt. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, ist Weinliebhaber und raucht hin und wieder eine gute Zigarre. Sein Debüt gab er 2009 mit »Inselkoller«.

 

Kurzkritik

 

Jogging zwischen Dünen, dann geschieht ein Mord. Ein Krimi zwischen Wellness und Business, zwischen Inselidylle, Schickimicki-Sylt und Mordgeschäften. Spannend erzählt. Kurzsatz-Stil und prägnante Dialoge.  Mit aktuellen Bezügen zu Politik und Gesellschaft, ohne aufdringlich zu sein. Kostprobe: “Sie scheffelten Geld mit vollen Händen. Ihre Gier war unersättlich. Medien und Unterhaltungsindustrie lieferten, was der Markt verlangte. Geld und Quoten, shoppen und ficken. Immer die dämlichen Ausreden und Entschuldigungen. Aufklärung, Verantwortung, Wahrhaftigkeit? Fehlanzeige.“ Ein Sommerkrimi für das Stranderlebnis oder wenn’s regnet für die Hotellounge. Passt gut in die Badetasche.   

 

Reinhard Pelte
Inselroulette
Der sechste Fall für Kommissar Jung
281 S. / 12 x 20 cm / Paperback
ISBN 978-3-8392-1533-3

Eine Prise Salz im Krimi

Jean-Luc Bannalec:  Bretonisches Gold
Diesmal geht es ums Salz – denkt man. Commissaire Dupin, dieser unkonventionelle, manchmal an einen Pariser Bohémien Erinnernde unter den Ermittlern dieser Welt, wird in den Salinen der Guérande beschossen. Was hat er dort zu suchen, außerhalb seines Départements, ja außerhalb der Bretagne, jedenfalls nach dem seit über 50 Jahren geltenden, nie verwundenen neuen Zuschnitt der Verwaltungsgrenzen in Frankreich? Zwei Karten auf den inneren Umschlagseiten sorgen für geografische Orientierung. Sofort gerät Dupin in einen sich erst nach und nach charmant entwickelnden Zuständigkeitskonflikt mit seiner für das Département Loire Atlantique zuständigen Kollegin Sylvaine Rose. Die wacht penibel über die Einhaltung der Grenzen.
Am nächsten Tag wird die kritische Journalistin Lilou Breval ermordet, von der Dupin in die Salzgärten mit einem vagen Verdacht geschickt worden war – er war ihr irgendwie verpflichtet. Wieder einen Tag später begeht einer der Salinenbesitzer Selbstmord. Jedenfalls sieht es so aus. Irgendetwas ist im Kampf um das kostbare Fleur de Sel, das weiße Gold der Bretagne außer Kontrolle geraten. Einer der Großen im Geschäft mit den kleinen weißen Kristallen will die letzten freien Paludiers aufkaufen und drangsaliert ihn. Oder macht die Coorperative Druck? Aber gleich mit Mord, mit Anschlägen auf die Polizei?
Der Krimi des unter dem Pseudonym  Bannalec bekannt gewordenen deutschen Erfolgsautors kommt eher gemächlich in Fahrt. Neben den Reibungsverlusten an den eitel bewachten örtlichen Zuständigkeiten sind es sympathischere „Nebensächlichkeiten“, die dem Roman seinen Charme verleihen: Die kulinarischen Gelüste des bereits seit den „Bretonischen Verhältnissen“ und der „Bretonischen Brandung“ liebgewonnenen Dupin regen den Appetit, die Beschreibungen der aufregenden Landschaften an der Atlantikküste die Reiselust an. Bannalec kann auch Liebe erzählen. Seine überraschende Geburtstagsgeschichte mit Dupins in Paris lebender Geliebten Claire ist hinreißend ausgedacht und souverän erzählt.
Im Mittelpunkt stehen natürlich die Ermittlungen, die Dupin und seine Kollegin von der Loire Atlantique gemeinsam und am Ende natürlich erfolgreich anstellen. Zweimal wird der Leser mit dem Kommentar der beiden Polizisten konfrontiert, dass man wie in einem Kriminalroman vorgehen müsse. Das ist eine schöne Gelegenheit für den Autor, sich selbst und das Genre schmunzelnd auf die Schippe zu nehmen. Im Hintergrund wirkt Dupins urbretonische Sekretärin Nolwenn wie der gute Geist für den ja erst vor fünf Jahren aus Paris nach Concarneau im Finstère versetzten Dupin. Der Roman nimmt Fahrt auf und wendet sich abrupt vom Salz auf eine andere Fährte. Plötzlich überschlägt sich alles, bleibt dabei aber für den Leser übersichtlich. Ein Showdown an der Mündung der Vilaine ist der Beleg, dass Bannalec auch das Genre des Thrillers beherrscht. Aber dann wird es wieder eher gemütlich im Grenzbereich der beiden Regionen und der mit einem Anschlag auf Dupin und zwei Toten so brutal begonnene Krimi findet zu einem angedeuteten glücklichen Ende. Das lässt auf seinen baldigen vierten Fall hoffen – auch wenn das Rätselraten um die Identität und den Klarnamen von Bannalec an Spannung verliert. Seine Bücher sind toll, seine Identität wird
zunehmend unwichtig.

 

Harald Loch
 
Jean-Luc Bannalec:  Bretonisches Gold. Kommissar Dupins dritter Fall
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014   341 Seiten   14,99 Euro