Literatur Israels - Buchtipps
Notizen aus dem richtigen Leben von Eldad Stobetzki
Pfützen
Im ausführlichen Wetterbericht höre ich, dass die Böden schon vollgesogen sind, und zwar bis zu einer Tiefe von 60 cm. In den kommenden Tagen wird es noch mehr regnen, was dazu führt, dass das Regenwasser abfließen wird. An flachen Stellen ist mit der Bildung von Pfützen zu rechnen. Ich habe mich schon immer gefragt, wie die Pfützen zustande kommen.
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Am 1. März wird der Weltgebetstag der Frauen gefeiert. Das Thema für 2024 ist Palästina. In einem Kirchengemeindebrief, den ich abonniert habe, empfiehlt die Pastorin ein Rezept für ein
palästinensisches Hühnergericht und fragt, wer bereit wäre es zu kochen. Ich lese weiter, dass Lieder aus Palästina und der Gegend gesungen werden. Was meint sie mit „Gegend“?
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Es wird viel vom Wachstumschancengesetz berichtet. Zunächst freut es mich, dass das Wachstum eine Chance bekommt, und dies noch per Gesetz. Es sollte doch „Wirtschaftswachstumschancengesetz“ heißen,
denn um ein anderes Wachstum geht es hier nicht. Wie wäre es mit „Chancengesetzwachstum“? Oder „Gesetzwachstumschancen?“ Was uns fehlt ist ein „Bürokratiereduzierungsgesetz.“ Gegen Hornhaut gibt es
schon eine „Hornhautreduzierungscreme.“
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Am Samstag traf ich auf dem Wochenmarkt eine Freundin. „Bist du mal wieder hier?“ fragte ich sie. Sie ist Rentnerin, Hobbyköchin und sie reist viel und gerne. Wahrscheinlich plant sie, die ganze Welt
zu bereisen. „Ja“, sagte sie. „ich bin dabei ein Reisekochbuch zu schreiben.“ „Das kann ich mir bei dir gut vorstellen“, sagte ich. „Hast du schon einen Titel?“ wollte ich wissen. „Das Buch wird 'Wie
leere ich den Kühlschrank vor dem Urlaub?' heißen.“ Von ihren vielen Begegnungen mit Köchen weltweit habe sie sehr viel gelernt, erzählte sie mir. Aber das Buch wird auch praktische Tipps für die
Küche zuhause beinhalten. Ich wünschte ihr „Viel Spaß und viel Erfolg“.
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Interview im Radio. Zum Schluss die klassische Frage: „Welches Buch würden sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ Ich halte diese Frage für überholt und einschränkend. Meine einsame Insel wird W-Lan
haben und ich werde alles lesen, worauf ich Lust habe.
Wäre ich der Moderator, ich hätte gefragt: „Welches Gebäude, das auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht, sollte erhalten bleiben wenn die Welt untergeht?“
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„Auch die letzte Nacht habe ich wieder schlecht geschlafen“, schrieb mir eine Freundin aus Israel, „Aber meine Königin der Nacht hat immer noch nicht geblüht.“
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Neulich, bei einer Preisverleihung für Wissenschaftler, die die Geschichte der Frankfurter Juden erforschen, traf ich Zamira. Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Sie ist Psychologin, ich
glaube sie ist eine „klassische“ Therapeutin im Sinne von Freud usw. Sie ist eine sehr angenehme Frau, ich unterhalte mich gerne mit ihr und schaffe es völlig zu ignorieren, dass sie alles nach ihrem
Beruf beurteilt. Aber ich spüre, dass Zamira auch gerne mit mir spricht.
Ich erzählte ihr, dass ich nachmittags Haferkekse gebacken hatte. Darauf antwortete sie mir, dass sie noch nie gebacken hat. Ich sagte, dass Backen eine sehr schöne Sache sei. Man mischt einige
Zutaten, formt die Kekse und ab in den Ofen. Der Duft ist wunderbar und das Ergebnis köstlich. Erfolg auf ganzer Linie. Darauf lächelte Zamira und sagte, herablassend wie eine Kindergärtnerin: „Ja,
es ist, als würde man mit Schlamm spielen.“ Was ist falsch daran, mit Schlamm zu spielen?
Nennlast: 675 kg
Als ich bei herrlichem Wetter über den Wochenmarkt schlenderte lief mir ein Bekannter über den Weg, der eine schöne Villa am Stadtrand besitzt. Aufgeregt erzählte er mir, was er kürzlich erlebt hatte. Auf dem Tor zu seinem Grundstück hatte er einen mit Kreide gekritzelten Kreis mit einem X in der Mitte entdeckt. Von seinem Großvater wusste er noch, dass es sich um Gaunerzinken handeln muss. Er rief die Polizei an, die gleich einen Experten schickte. „Der Polizist lächelte“, sagte mein Bekannter. Die Botschaft war: „Hier gibt es nichts zu holen.“
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Neulich stellte ich in der Denkbar literarische Neuerscheinungen zu jüdischen Themen vor. Dabei war auch der neue Roman von Lizzie Doron „Nur nicht zu den Löwen.“ Ich sprach über die Autorin, über
die Handlung und über die Bedeutung des Romans nach dem Massaker vom 7. Oktober. Da ich den Roman schon Monate vorher gelesen hatte, erinnerte ich mich nicht mehr daran, warum Lizzie Doron sich für
diesen Titel entschieden hatte. Während der Vorbereitung auf den Abend wollte ich den ganzen Roman nicht noch einmal lesen und fragte die KI um Hilfe. Hier die Antwort von ChatGPT: „Nur nicht zu den
Löwen“ ist ein Roman von Charlotte Link, einer deutschen Schriftstellerin. Der Titel bezieht sich auf einen Ausspruch des Protagonisten des Romans, der diese Worte seinem Sohn mit auf den Weg gibt.
Die Bedeutung des Titels wird im Verlauf der Geschichte klar. Ohne zu viel spoilern, kann gesagt werden, dass der Titel metaphorisch ist und sich auf die Warnung vor Gefahren und Risiken im Leben
bezieht. Die Löwen können als Symbol für Bedrohung oder Schwierigkeiten stehen, denen man aus dem Weg gehen sollte. Es spiegelt die Idee wider, dass man vorsichtig sein und sich bewusst vor
potenziellen Gefahren schützen sollte. Um die genaue Bedeutung des Titels und seine Verbindung zur Handlung des Romans zu verstehen, ist es ratsam, das Buch selbst zu lesen.
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Letzte Woche wurde die Mutter einer Freundin beerdigt, die zwei Monate nach ihrem 100sten Geburtstag gestorben war. Der Pfarrer sprach davon, dass die alte Dame ein Jahrhundert erlebt hat, mit allen
Schrecken des Dritten Reichs und des Kalten Krieges. Er erklärte, dass der gläubigen Protestantin ein Leben nach dem Tod beschert ist. Ich dachte, wäre es nicht besser zu sagen, „Das Leben nach dem
Leben?“
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Im Aufzug stand auf einer Plakette: Nennlast 675 kg. Wie nennt und beziffert man die Last des menschlichen Leids? Wo sind die Kabel, die uns auf Knopfdruck aus dem Elend ziehen?
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Er fühle sich „zwischen Baum und Borke“ sagte mir ein Freund, dessen Lebensbedingungen sich kürzlich geändert hatten. Er muss es wissen, immerhin hat er einen Schrebergarten mit Obstbäumen.
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Ich war zum Tee bei einem Freund eingeladen. Er ist nicht der Jüngste und nicht der Gesündeste. Stolz zeigte er mir den neuen Schrank. Ich sah einen einfachen Weichholzschrank und dachte, das könnte
auch ein Sarg sein. Als ich ihm das sagte antwortete er „Das stimmt, bis es so weit ist, kann ich hier meine Wäsche unterbringen.“
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Warum laufen Nasen, während Füße riechen?
Wer bügelt liebt
Bügeln, Liebe und Liebhaberei
Bügeln ist ein Akt der Liebe, dachte ich als ich klein war. Mein Vater war Busfahrer und hatte oft Spätschicht. Dann stand meine Mutter spätabends, wenn es kühler wurde, in der Waschküche und bügelte
seine Hemden, denn Klimaanlagen gab es noch nicht. Dampfbügeleisen gab es ebenfalls nicht. Jahre später, ich ging schon ins Gymnasium, kam ich eines Abends von einem Konzert zurück und hörte die
Nachbarn ruhig und freundschaftlich über ihre Scheidung sprechen. Sie waren jenseits jeglichen Streits. Während des Gesprächs bügelte sie seine Hemden.
Ich erinnere mich an einen amerikanischen Film: Wütend auf seine Frau, die gerade ein Kleid bügelte, drückte ihr Mann das Bügeleisen so lange auf den Stoff, bis das Kleid zu brennen begann.
Er war Anfang vierzig, als ein Bekannter in Israel starb. Die Beerdigung war sehr traurig. Dem Brauch folgend, kehrten alle Verwandten nach 30 Tagen zum Grab zurück. Die Ehefrau des Verstorbenen
kam mit einer großen Tasche, öffnete den Reißverschluß, warf alle seine Hemden auf das frische Grab und murmelte „Jetzt kannst du deine Hemden selbst bügeln“.
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Israelische Soldatinnen nähen einen Messias-Sticker auf ihre Uniformen. Fremde Elemente sind in der Armee zwar verboten, doch niemand hindert sie daran. Die Theokratie gewinnt in Israel sowohl an
Einfluss als auch an Zustimmung. Soldaten plündern ungestraft palästinensische Häuser und töten deren Bewohner. Dazu zitiere ich Peter Bichsel über die Schweizer Armee:
"Die Schweizer Armee halten wir nicht für notwendig, schon gar nicht für notwendige Übung, sondern wir lieben sie. Sie ist unser Volksgut, unsere Folklore. Durch die Rekruten-Tour wird ein Schweizer
zum Erwachsenen. Sie tue jedem gut, sagt man, man merkt es einem lebenslang an, wenn er keine gemacht hat. Die Schweizer Armee ist eine teure Liebhaberei."
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Die Herzkranzgefäße umschließen das Herz und versorgen den Herzmuskel mit Blut und dadurch mit lebensnotwendigem Sauerstoff. Ihren Namen tragen sie aufgrund ihrer kranzförmigen Anordnung. Als Kind
verstand ich nicht, warum die Erwachsenen so besorgt aussahen, wenn sie von der herzkranken Großmutter sprachen. Ich dachte, sie sprechen von einer Vase mit einem ganz besonderen Blumenstrauß.
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Als ich neulich einen Freund fragte, woher er eine bestimmte Person kennt, antwortete er: „Ich kenne ihn nur als eine Zoom-Kachel aus der Coronazeit.“
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Der japanische Künstler On Kawara (1932–2014) wollte sich stets vergewissern, dass er noch da ist und wo er sich im endlosen Fluss der Zeit befindet. 1966 begann er seine heute legendäre Today-Serie,
für die er so oft wie möglich das aktuelle Datum auf eine einfarbig grundierte Leinwand malte. Einerseits ein formal kühles Konzeptkunst-Projekt, andererseits eine poetische Meditation über die
Existenz in einem bestimmten Moment. Bis zu seinem Tod fertigte Kawara über 3000 dieser Datumstafeln an. Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst stellte lange viele dieser Bilder aus. Anfangs fand
ich sie zwanghaft und langweilig. Erst als mir bewusst wurde, dass ich mich morgens beim Aufstehen nach dem Datum frage, erschienen sie mir sinnvoll.
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Auf dem Weg zum Wochenmarkt in einem anderen Stadtteil, stieg ich in den Bus, der bis auf der letzten Platz von Studenten auf dem Weg zur Universität besetzt war. Ich musste stehen. Als der Fahrer
plötzlich bremste wurde ich nach vorne geschleudert und landete in den offenen Armen eines Studenten, der mich festhielt. Seine blitzschnelle Reaktion hatte mich vor einem Sturz bewahrt. Ich roch
seinen jungen Schweiß, durchtränkt von billigem, starkem Aftershave und Testosteron. Die Wärme seines Körpers fühlte sich angenehm an. Als ich wieder auf den eigenen Beinen stand ließ er mich los. An
der Haltestelle vor der Uni stiegen alle Studenten aus, auch mein freundlicher Helfer, der mir einen schönen Tag wünschte. Ich erwiderte den Gruß und fragte mich schon, in welche Arme ich beim
nächsten plötzlichen Stopp fliegen würde.
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Der Frieden ist ein Unobtainium. Dieser Begriff bezeichnet ein Material, das praktisch nicht beschaffbar ist – sei es, weil es nicht existiert, unerschwinglich teuer ist oder sich an einem
unerreichbaren Ort befindet. Wörtlich ließe er sich mit „Nichtzukriegium“ oder „Unbeschaffbarium“ übersetzen.
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Wenn Politiker und Industrielle als Strippenzieher bezeichnet werden, habe ich das Gefühl, dass es sich nur noch um ein Puppentheater handelt. Angesichts der peinlichen Machthaber dieser Welt fällt
mir ein türkisches Sprichwort ein: "Wenn ein Clown den Palast betritt, wird er nicht zum König. Der Palast wird zum Zirkus."
Eldad Stobezki