Faces of Books - Ansichten

...über Bücher und Autoren

facesofbooks.de - das nachhaltige Buchportal

 

We love slow-writing and slow-reading

Herzlich willkommen auf meiner Website, die sich mit Büchern beschäftigt. Facesofbooks zeigt das Gesicht der Bücher und Autoren. Beachtet Titel und Covergestaltung, Aufmachung des Buches, berichtet über den Inhalt, stellt den Autor in kurzer prägnanter Form vor. Wir veröffentlichen Autoreninterviews, bieten Informationen über Bücher von heute und Bücher von gestern, die wichtig sind, aber nicht vergessen werden sollen. Sie finden Tipps, Rezensionen, Kurz-Kritiken, Neuigkeiten über Verlage und Autoren. Geben Sie uns auch Hinweise, was Ihnen gefällt oder mißfällt. Eine Website für Lesefans auch aus der digitalen Bücherwelt. www.facesofbooks.de

 
Herzliche Grüße,

Norbert Schreiber

Im Ministerium der Lüge

Ein noch nie da gewesener Blick hinter die Kulissen der russischen Außenpolitik: Wie arbeitet das russische Außenministerium? Was sind das für Leute und wie denken sie, was veranlasst sie zu handeln? Wie entwickelte sich die russische Außenpolitik bis hin zum Ukrainekrieg, was trieb sie an und welche Mächte waren im Spiel?

Boris Bondarew war einer von sehr wenigen, die aus Protest gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine den russischen Staatsdienst unter Teilnahme der Öffentlichkeit quittierten. (HEYNE)

 

mehr

Julian Hans                   Kinder der Gewalt 


Woher kommt die ungeheuere Brutalität, mit der die russischen Soldaten in der Ukraine morden, plündern und vergewaltigen? Warum wehren sich so wenige Russen gegen den Krieg? Julian Hans, der langjährige Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, macht anhand von fünf spektakulären Verbrechen sichtbar, wie sich Gewalt und Erniedrigung in das Leben der Menschen gefressen haben.
(CH Beck)

 

mehr

 

Literaten auf der Flucht

Uwe. Wittstock Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur C.H. Beck
Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. (CH Beck)

 

mehr

Unterwegs auf Klassik-Spuren: GOETHE

Als Goethe im Jahr 1832 starb, hatten die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege und die Industrialisierung Europa von Grund auf verändert. Thomas Steinfeld erzählt Goethe neu – als einen Menschen, in dessen Leben und Werk sich die Umbrüche jener Zeit auf einzigartige Weise spiegeln: beginnend mit der Kindheit in Frankfurt und den Studienjahren in Leipzig und Straßburg, über die Phase des poetischen Aufbruchs bis hin zum «Faust», zur «Farbenlehre» und zum «West-östlichen Divan». Auch das Herzogtum Sachsen-Weimar rückt in ein neues Licht, als eine intellektuelle Landschaft von großer Bedeutung für die Philosophie, die Medizin oder die Physik.
Goethe tritt in den vertrauten Rollen des Dichters, Theatermachers oder Reisenden auf, aber auch in den weniger bekannten des Politikers, Kriegsbeobachters und Naturforschers. Steinfeld zeichnet das Bild eines Intellektuellen, der nichts schreiben konnte, ohne zugleich das Gegenteil zu denken, eines Konservativen, der sich stets auf der Höhe der Zeit befand – und eines klugen, neugierigen, aber auch einsamen Menschen, der einige der schönsten und tiefsten Werke schrieb, die es in der deutschen Literatur gibt. (Rowohlt Berlin)

 

mehr

Nofretete   -   zum hundertsten Jahrestag ihrer Erstausstellung auf der Berliner Museumsinsel

Hunderttausende haben sie auf der Berliner Museumsinsel bewundert, sie ist die unbestrittene Primadonna der Royals, in aller Welt geschätzt, kopiert und vermarktet: Nofretete. Sie existiert seit über 3300 Jahren als Büste und übt ihren ungebrochenen Zauber trotz oder wegen des Fehlens ihres linken Auges auch heute noch aus.

 

Gefunden wurde sie im Dezember 1912 im ägyptischen Amarna von deutschen Archäologen, die der Berliner Baumwollfabrikant Simon beauftragt und finanziert hatte. Ägypten war seinerzeit britisches Protektorat. Die damaligen Regeln der Teilung archäologischer Funde sahen vor, dass jeder Fund zu gleichen Teilen an den Finder und an das Land gehen sollten. Die Büste der Nofretete fiel an Simon, ein großes Altarbild an Ägypten.

 

Simon schenkte die Büste später dem preußischen Staat und so wurde sie erstmals 1924 im Neuen Museum ausgestellt, wo sie heute noch bzw. wieder steht. Diese Geschichte und alles, was sich daraus ergab hat der Berliner Historiker von der FU in einem wissenschaftlich fundierten, mit üppigem Bildmaterial geschmückten Sachbuch interessant aufbereitet.

 

Seit über hundert Jahren fordert Ägypten die Königin zurück, sie sei koloniale Raubkunst. Bisher vergebens. Zwischendurch stritten auch noch die DDR und die Bundesrepublik um sie. Derselbe Stoff gerät aus der Feder der Berlinerin Stefanie Gerhold zu einem Roman, der die historischen Tatsachen mit feinen fiktionalen Garnierungen fesselnd erzählt.

 

Sie nimmt ihr Publikum mit auf die Weihnachtsfeier der Firma „Gebrüder Simon“ von 1912. Mitten in die Ansprache von James Simon vor der Belegschaft bringt ein Telegrammbote die frohe Botschaft aus Kairo: „Bedeutenden Fund gemacht. Beschreiben nutzlos. Borchardt“. Dieser Borchardt leitete damals die Ausgrabungen. Von der Teilnahme an der Weihnachtsfeier im Baumwollunternehmen bis zum Bundesverdienstkreuz für den ehemaligen Kunstschutzoffizier der US Army Walter I. Farmer, der nach 1945 alle Begehrlichkeiten amerikanischer Museen abwehrte und Nofretete für Deutschland rettete, erzählt Gerhold Geschichten und die Geschichte der Nofretete und auch die des jüdischen Kaufmanns James Simon.

 

Das Sachbuch des Sebastian Conrad enthält ebenfalls unterhaltsam Tatsachen: Er beginnt z.B. mit dem Auftritt der afroamerikanischen Popsängerin Beyoncé im April 2018 als Wiedergängerin der Nofretete und führt durch die weltweite Karriere der Büste dieser Königin, die auf allen Kontinenten ihre „Untertanen“ findet. Dadurch gehört sie nach Conrad eigentlich der ganzen Welt.

 

Vielleicht sollte sie der UNESCO, wenn auch nicht als Königin vorstehen aber anvertraut und allen Völkern wenigstens leih- und zeitweise zum Bestaunen gezeigt werden. Die „schönste Berlinerin“ würde sie trotzdem bleiben. Eine „Königin zum Anfassen“ kann sie nach mehr als 3300 Jahren aus konservatorischen Gründen nicht sein.

 

„Nofretete ist Teil einer weltumspannenden Kultur geworden, bei der Zitate nicht mehr auf das Original verweisen; sie wurde zur global zirkulierenden Ikone par excellence.


Harald Loch
 
Sebastian Conrad: Die Königin   Nofretetes globale Karriere
Propyläen, Berlin 2024   376 Seiten   23 Abb. und 32 Farbtafeln   29 Euro
 
Stefanie Gerhold: Das Lächeln der Königin   Roman
Galiani Berlin,   2024    232 Seiten    23 Euro
 

 

Werner Herzog Die Zukunft der Wahrheit 

Der große Erzähler Werner Herzog fragt nach der seltsamsten aller Erzählungen: der von der Wahrheit. Was ist wahr? In einer Welt, die durch Fake News, politische Manipulation und künstliche Intelligenz verunsichert ist, die auf kalte Fakten setzt und doch die Poesie und den Film erfunden hat, muss Wahrheit mehr als bloß stumpfe Empirie bedeuten. Von einem erfundenen Schlachtensieg des Pharao Ramses bis zum modernen Mythos der Entführung durch Außerirdische, von ekstatischen Momenten am Filmset bis zu seinen Begegnungen mit der Wirklichkeit durch tagelanges Gehen reiht Werner Herzog auf einmalige Weise faszinierende Überlegungen und Erinnerungen aneinander. (HANSER)

 

mehr

Das intellektuelle Gesicht einer Epoche

 

Solange Philipp Felsch zurückdenken kann, war Jürgen Habermas „around“: als mahnende Stimme der Vernunft, als Stichwortgeber der Erinnerungskultur, als Sohn der Nachbarn seiner Großeltern in Gummersbach. Neigt sich die intellektuelle Lufthoheit des Philosophen heute ihrem Ende zu, oder bekommen seine Ideen in der Krise unserer »Zeitenwende« neue Brisanz? Felsch liest in einem kaum zu überblickenden Oeuvre nach, folgt dessen Autor in die intellektuelle Kampfzone der Bundesrepublik und fährt nach Starnberg, um Habermas zum Tee zu treffen. Dabei entsteht nicht nur das Porträt eines faszinierend widersprüchlichen Denkers, sondern auch der Epoche, der er sein Gesicht verliehen hat. (Propyläen)

 

mehr

Der neue GRISHAM: Die Entführung

Mit dem Kinofilm DIE FIRMA - Tom Cruise in der Hauptrolle - begann 1993 John Grishams Erfolgsstory als Schriftsteller. In einem großen Interview, das er im letzten Jahr Daniel Müller für das ZEITmagazin und Zeit Verbrechen gab, erzählt er, wie es dazu kam: "Mein Agent hatte das Buch ein paar Verlagen gezeigt, und niemand wollte es. Die großen Hollywood-Produktionsfirmen hatten damals Scouts in New York, die im engen Austausch waren mit den Verlagen. Eine von ihnen bekam von einem der Lektoren, der mein Manuskript abgelehnt hatte, den Tipp, dass sich DIE FIRMA vielleicht für einen Film eignen würde. So schickte man es nach Hollywood, und plötzlich begannen die großen Studios einen Bieterwettkampf um mein Buch. Mittendrin fragten sie sich: Weiß dieser Grisham eigentlich, dass wir um sein Buch buhlen? Dann riefen sie meinen Agenten an, der wiederum mich kontaktierte: Hey, John, Hollywood will dein Buch. Und ich so: Für wie viel? Er meinte, 400.000 Dollar wären gut. Mir wurde schwindelig. Am Ende hat Paramount den Zuschlag bekommen, für 600.000 Dollar. Ich stand unter Schock, ich hatte im ganzen Jahr zuvor vielleicht 50.000 Dollar verdient ..."

 
Nun kehrt John Grisham nach mehr als dreißig Jahren mit DIE ENTFÜHRUNG zu Mitch McDeere und seiner Frau Abby zurück.

 

John Grisham
Die Entführung HEYNE

 

Als ihn ein Mentor in Rom um einen Gefallen bittet, findet sich Mitch McDeer im Zentrum eines mörderischen Konflikts wieder. Er soll durch eine immense Lösegeldzahlung eine Geiselnahme beenden, doch die Umstände sind dramatisch. Schon bald ist nicht nur er selbst in Gefahr, sondern auch die, die ihm nahestehen. HEYNE

 

„Grisham liefert genau den packenden Thriller, den man von ihm erwartet.“ Financial Times


„Das am sehnlichsten erwartete Sequel des Jahrzehnts.“ Daily Express

Da wo THRILLER draufsteht ist auch Thriller drin bei Grisham, doch auf dem neusten Buch von ihm, das heute erscheint, steht lapidar gedruckt: ROMAN. 


Grisham, der Erfolgsautor, hat aber wieder einen auflagenverdächtigen und bestseller-erwartbaren Thriller vorgelegt, der im Gaddafi-Land Libyen spielt.

 

Mitch, der Erfolgsanwalt in der weltweit größten Kanzlei, gerät wegen einem Gefallen in einen Teufelskreis einer Entführung. 
Mitch ist froh, dass die Abschaffung jeglicher Kleiderordnung in seiner Kanzlei Erfolg hatte, und er hat es auch dick, sich um die meist erfolglosen Fälle von Kandidaten für den elektrischen Stuhl oder die Todesspritze zu kümmern. 


Sein alter Fall ist ihm noch in Erinnerung, als es um DIE FIRMA ging: „Ich musste weg? Soll das ein Witz sein? Sie haben versucht, mich umzubringen. Es sind Menschen gestorben, Willie, und die komplette Firma ist ins Gefängnis gewandert. Und die Mandanten gleich mit.“ 
 Mitch ist von einfacher Herkunft, das macht ihn sympathisch, aber er hat auch den Harvard-Abschluss, und das macht ihn erst auch erfolgreich. Einem Juristen mit Harvard-Abschluss öffnen sich viele Türen.

 

Seine Ehefrau  produziert Kochbücher und probiert  zuhause gerne mit Köchen am Küchentisch neue Rezepte aus. So sind schon 50 Kochbücher entstanden. 

 

Zurück zur Todesstrafe: Mitch beschäftigt die Frage, ob ein Staat mit all seinen Unzulänglichkeiten, Vorurteilen und seiner Anfälligkeit das Recht hat, Menschen zu töten. Noch bevor Mitch anreist, wird der Todeskandidat in der Dusche gefunden, er hat sich mit einem Elektrokabel erhängt. „Im Gefängnis ist das keine Seltenheit, aber im Todestrakt kommt so etwas eigentlich nicht vor.“ heißt es im Buch.
Es  geht in dem Fall um das türkische Bauunternehmen, Lannak. In der Wüste soll eine Brücke gebaut werden, Libyen will nicht zahlen. Mitch soll den Fall regeln, das Geld eintreiben.  Einem krebserkrankten Freund will er diesen Gefallen erfüllen. Lannak baut im Nahen Osten und Asien, Brücken, Dämme, Kraftwerke, Wolkenkratzer. Muammar al-Gaddafi will die Grundwasservorkommen unter der Sahara anzapfen. Es geht um 400 Millionen, die nicht gezahlt werden.

 

Und nun geht es Schlag auf Schlag, Menschen werden reihenweise ermordet, eine erfolgreiche junge Anwaltskollegin von Mitch, die hübsche Giovanna, wird entführt. 

 

In Libyen sind Terroristen, Verbrecher, Revolutionäre, Stammeskrieger, Fundamentalisten, Aufständische, allgemein auch einfache Banditen unterwegs, wer sind also die Entführer?

 

Und auf einem Brett lagen fein säuberlich aufgereiht die vier Köpfe.
Haskel, Gau, Abdo, Aziz. Wer hat sie umgebracht?

Fünf Wachposten getötet, Enthauptung der türkischen Personenschützer mit der Kettensäge. Dann gibt es da noch ein Team, bestehend aus ehemaligen Spionen und Experten für militärische Aufklärung, die weltweit als Supersicherheitsdienst agieren. Bei einer Geiselnahme, die Bürger westlicher Länder betrifft, sind sie die Experten. 
Gaddafi hat seit seiner Machtergreifung 1969 acht Umsturzversuche überstanden. Was will man als Leser also mehr im Roman:  Mord und Totschlag, Entführung und Geiselnahme, politische Hintergründe, weltweite Zusammenhänge, Helden und Schurken, rechtstreue Ermittler und Rechtsverdreher. Das pralle Thriller-Leben eben. Ud dann explodiert im Hauptgeschäftsviertel der Stadt auch noch eine Bombe.

 

Lieber Leser, viel mehr sei an dieser Stelle nicht verraten nur so viel noch: Die zweite Hälfte des Romans kommt nämlich noch: „Mitch, in Libyen kann man niemandem trauen.“ So ist es.

 

John Grisham ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Seine Romane sind ausnahmslos Bestseller. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und Jugendbücher veröffentlicht. Seine Werke werden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.

 

Interview (HEYNE)

 

Sechs Fragen an John Grisham 


zu seinem neuen Roman „Die Entführung“

 

1. Es ist bekannt, dass Sie Ihre eigenen Bücher nie nochmals lesen. „Die Firma“ wurde vor mehr als 30 Jahren veröffentlicht. Woher kamen die Ideen für die „am meisten erwartete Fortsetzung der Welt“?

 

„Mitch McDeere ist mir immer im Hinterkopf geblieben, aber ich hatte bisher einfach nicht die richtige Geschichte. Nun endlich, nach 30 Jahren, hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit war.“

 

2. Wie sieht es mit aktuellen Plänen zu einer Verfilmung von „Die Entführung“ aus?

 

„Ich würde sehr gern eine Verfilmung von „Die Entführung“ sehen, aber momentan gibt es keine Pläne dafür.“

 

3. Sie erwähnten einmal, dass Sie für die Recherche Ihrer Bücher viele Orte bereist haben. Welcher Teil Europas hat Ihnen bisher am besten gefallen, und haben Sie vor, noch einmal hierher zu kommen?

 

„Wir haben eine Wohnung in Paris und halten uns mehrmals im Jahr dort auf. Wie Sie wissen, verkaufen sich die Bücher in Europa sehr gut, und es ist wichtig, sie zu bewerben. Dieses Jahr werde ich nach Paris, Lyon, Rom und London reisen. Vielleicht geht es nächstes Jahr nach Deutschland und Spanien. Wir lieben das Reisen in Europa.“ 

 

4. Sie haben in Interviews erklärt, dass Sie jeden Tag mehrere Stunden konsequent an Ihren Büchern arbeiten. Gibt es jemanden, mit dem Sie Ihre Geschichten besprechen, oder arbeiten Sie lieber ganz allein?

 

„Ich habe keine Mitarbeiter. Schreiben ist ein einsamer Beruf, und darin liegt teilweise auch der Spaß. Ich bespreche viele Ideen mit meiner Ehefrau, und sie war schon immer eine strenge Kritikerin. Wenn ihr eine Idee gefällt, ist es sehr wahrscheinlich, dass daraus ein Roman wird.“ 

 

5. Ken Follett hat einmal erklärt, dass er versucht, alle vier bis sechs Seiten eine neue Wendung in seine Handlungen einzubringen. Haben Sie auch derartige Techniken, die Ihnen bei der Entwicklung der Handlung helfen?

 

„Nicht wirklich. Ich versuche, Tricks und Kniffe zu vermeiden, um die Leser*innen zu fesseln. Die beste Technik besteht darin, die Geschichte gründlich zu skizzieren, bevor ich das erste Wort schreibe.“

 

6. Könnten Sie sich vorstellen, die aktuellen Gerichtsverfahren gegen Donald Trump in einem Roman zu verarbeiten?

 

„Niemals. Ich habe diesen Mann satt und hoffe, er verschwindet.“ 

 

Daniel Marwecki:       Absolution?                Israel und die deutsche Staatsraison

Seit Angela Merkel am 18. März 2018 ihrer Rede vor der Knesseth sagte „diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsraison meines Landes“, und seit Olaf Scholz am 7.Oktober 2023 diese „Staatsraison“ wieder aufgriff, fragt sich alle Welt, was das bedeutet. „Raison“ ist der französische Begriff für Vernunft. Jeder kann erwarten, dass die deutsche Politik, vor allem die Außen- und Sicherheitspolitik nach den Kriterien der Vernunft gestaltet wird.

 

Was aber heißt das konkret, was heißt das in Bezug auf Israel? Genauer gefragt: Was kann sich Israel von dieser Staatsraison kaufen? Oder auch: War die deutsche Israelpolitik der Bundesrepublik vernunftgeleitet?

 

Der an der University von Hong Kong internationale Beziehungen lehrende, 1987 geborene Daniel Marwecki untersucht die deutsche Israelpolitik von ihrem Anfang an und unterscheidet zwischen Raison und Moral. Genau und auf amtliche Quellen gestützt zeigt er die Überlegungen und Handlungen Adenauers und Israels in der Phase, in der Deutschlands moralischer Kredit in aller Welt durch die Shoah – vielleicht für immer – gründlich verspielt war und in der der junge Staat Israel wirtschaftlich und militärisch kaum lebensfähig war.

 

Er beschreibt das frühe Entschädigungsabkommen zwischen Bonn und Israel als den Austausch von „whitewashing“ und „statebuildung“, wie der englische Originaltitel seines Buches lautet. Mit Milliardenzahlungen der noch gar nicht wohlhabenden Bundesrepublik an das noch viel ärmere Israel wollte – so die Raison Adenauers – Bonn wieder am Tisch der zivilisierten Nationen Platz nehmen. Israel nahm gegen viele Stimmen von Überlebenden und Hinterbliebenen der Nazimorde dieses Blutgeld an, erhöhte damit seine Überlebenschancen inmitten einer feindlichen arabischen Umwelt, fing an, seine Industrie mit Maschinen aus Deutschland aufzubauen und seinen beginnenden Außenhandel mit aus Deutschland gelieferten eigenen Schiffen devisensparend durchzuführen. Die deutsche Seite wehrte alle Versuche ab, gegenüber den Deutschen im Lande die Zahlungen als allgemeines Schuldeingeständnis zu rechtfertigen.

 

Gerade erst waren Beamte und Richter aus den Diensten Hitlers in die der jungen Republik getreten. Adenauer verstieg sich sogar zu dem obszönen Vergleich, dass sowohl die Juden als auch die Deutschen unter dem Krieg gelitten hätten. Israel war auf die deutschen Zahlungen und Lieferungen angewiesen. Die USA warn noch nicht als Garantiemacht und Geberland in Erscheinung getreten.

 

Bis etwa 1965 war die Bundesrepublik der wichtigste Partner Israels und wurde das auch sehr schnell in militärischer Hinsicht, bald nämlich lieferte die gerade wieder aufgerüstete Bundesrepublik Waffen: Artillerie, amerikanische M-48 Panzer im Ringtausch, Hubschrauber, Kriegsschiffe. Um das Verhältnis zu den arabischen Staaten nicht zu beeinträchtigen, erfolgten diese Lieferungen von Rüstungsgütern unter strenger Geheimhaltung. Bonn befürchtete nämlich, dass die arabischen Staaten mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR antworten könnten.

 

Die Hallsteindoktrin galt noch lange und war eben auch Teil der damaligen bundesdeutschen Staatsraison. Einen Seitenblick wirft der Autor in diesem Zusammenhang auf die Nahostpolitik der DDR. Erst vom Austausch von Botschaftern zwischen Bonn und Tel Aviv an schaltet die Bundesrepublik auf das, was sie „Normalisierung“ nannte, schraubte die Zahlungen an Israel auf „Entwicklungshilfe“ herunter und überließ die viel substantiellere Militärhilfe den USA. Seitdem ist Deutschland nach den USA nur noch der zweitwichtigste „Freund“ Israels. Der Autor vermutet mit einiger Plausibilität, dass bundesdeutsches Geld in die Entwicklung der israelischen Atombombe floss, getarnt als eine nie gebaute nukleare Entsalzungsanlage. 


Die Anfangsjahre der Bundesrepublik und Israels sind der ergiebigste Teil des wissenschaftlich seriösen, spannend zu lesenden Buches, das bis in die Gegenwart führt. Es ist in Hinblick auf den Hamas-Überfall und die israelische Verteidigung dagegen hochaktuell. Die Vernunft der Staatsraison ist eine „Rangordnungsregel für Interessens- und Rechtskollisionen“ (Wolfgang Kersting).

 

Frei nach Machiavelli bestimmen Wille, Notwendigkeit und Nützlichkeit staatliches Handeln. An der Notwendigkeit, die immerwährende Verantwortung Deutschlands für die Shoah anzuerkennen, hat es nie gefehlt. Am Willen, genau das zu tun, in den Anfangsjahren der Bundesrepublik schon. Der Primat der frühen Staatsraison lag auf der Nützlichkeit. In Israel auch, hier vor allem aber auf der existenziellen Notwendigkeit.

 

Harald Loch

 

Daniel Marwecki, geb. 1987, lehrt Internationale Beziehungen an der University of Hong Kong. Er hat 2018 an der SOAS University of London promoviert. Sein Buch »Germany and Israel: Whitewashing and Statebuilding« erschien 2018 bei Hurst Publishers. Seine journalistischen Beiträge erschienen unter anderem in Le Monde Diplomatique, der taz, Unherd und Jacobin.

 

Daniel Marwecki: Absolution?   Israel und die deutsche Staatsraison
Wallstein, Göttingen 2024   212 Seiten   22 Euro

 

Paul Auster über das BLUTBAD-Land USA

Dies ist Paul Austers sehr persönliche Abrechnung mit der Vergottung des Waffentragens in der amerikanischen Kultur und Gesellschaft. Er erzählt davon zunächst in biografischen Vignetten, beginnend bei den Spielzeugcolts der Kindheit und den Western im Fernsehen. Es folgen die ersten Einschläge im näheren Umfeld, der von der Großmutter erschossene Großvater – lange Zeit ein Familiengeheimnis, von dem Auster nur durch Zufall erfuhr. (ROWOHLT)

 

mehr

 

Canetti über Franz Kafka: "PROZESSE"

"Jede Zeile von Kafka ist mir lieber als mein ganzes Werk." - Elias Canettis Schriften über Franz Kafka


„Er ist“, notiert Elias Canetti 1947, „der Einzige, der mir wirklich nahe geht“. Und schreibt später, nur kurz vor seinem Tod: „Ich habe ihn geliebt“. Die Rede ist von Franz Kafka. Die hier zusammengeführten Schriften – bereits publizierte sowie erstmals zugänglich gemachte Materialien aus dem Nachlass – erlauben es, Canettis Äußerungen zu Kafka in den Prozess seiner Selbstvergewisserung als Schriftsteller einzuordnen. Die an Kafka verhandelten Kernthemen erweisen sich immer wieder als seine ureigensten. Erstmals zeigt und deutet dieses Buch die Bindung Canettis an diese Zentralgestalt der Moderne.

(HANSER)

 

mehr

 

Michael Krügers Bücher-Bestiarium

2013 endet in München eine Ära. Michael Krüger, der langjährige Leiter des Hanser Verlags, zieht sich aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurück. Er hat nicht nur den Verlag geleitet und die Zeitschrift Akzente herausgegeben. Als Dichter und Schriftsteller, als Kritiker, Herausgeber und Übersetzer bleibt er weiterhin aktiv. (Suhrkamp)

 

mehr

Die Welt von gestern in Büchern für heute

Was haben Laozi, Hildegard von Bingen, Montaigne, Marx, Freya von Moltke und Bruno Latour miteinander gemeinsam? Sie alle haben Bücher geschrieben, die man auf dem Weg in die Zukunft mit im Gepäck haben sollte. In diesem Band beantworten über hundert Autorinnen und Autoren die Frage, welches Buch in besonderer Weise in die Zukunft weist, indem sie es prägnant und kurzweilig präsentieren. So entsteht eine faszinierende virtuelle "Bibliothek der Zukunft" mit bekannten Klassikern und neu zu entdeckenden Werken, die zum Stöbern, Lesen, Nachdenken und zum mutigen Handeln für eine bessere Zukunft einlädt.

"Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern." Der berühmte Satz André Malraux' ist hier ganz wörtlich zu verstehen als eine Aufforderung, in Büchern der Vergangenheit zu blättern, um in der Zukunft zu lesen. In diesem Band stellen über hundert Autorinnen und Autoren herausragende Bücher vor, die auf unterschiedliche Weise Perspektiven für morgen eröffnen


mehr

Wandern bei Nacht

John Lewis-Stempel nimmt uns mit auf vier nächtliche Wanderungen und enthüllt eine Welt voller Leben, die uns normalerweise verborgen bleibt. Ob im Wald, am Fluss, auf dem Hügel oder auf dem Feld: Jenseits der Straßenlaternen der Zivilisation kann man immer noch den Ruf der Wildnis hören – wenn wir uns im Dunkeln auf den Weg machen. Nachts schlägt die Stunde der Tiere: Da boxen Hasen auf gepflügten Feldern, Fledermäuse wirbeln am Himmel, Igel gehen auf Wanderschaft.
Mit seiner funkelnden Prosa lockt uns John Lewis-Stempel ins Land der Schatten und enthüllt uns eine Welt, in die es sich einzutauchen lohnt. ›Wandern bei Nacht‹ ist eine wunderbar poetische Lektüre und eine Einladung, etwas völlig Neues zu erleben, ohne eine weite Reise tun zu müssen. (DUMONT)

 

mehr 

33 Bände sloweninsche Literatur bei WIESER

Als die Kinder krabbeln lernten: Kindheit in Slowenien

Kindschaft ist keine Idylle. Naiv, wer glaubte, das Kind sei naiv, kindisch, wer sich ihm so nähert. In Prezihov Voranc‘ elf Kindheitsgeschichten, eindringlich und leise erzählt, erscheinen Kinder nicht als kleine Erwachsene, vielmehr sind sie (noch) ganz Mensch. Erlebnisse und Begebnisse, frühe Müh‘, schroffer Verweis, aber auch Wärme und Zuneigung an den kargen Alpenhängen, auf der Pacht, dem Keuschlerhof, am Rand des Dorfs und auf dem Weg in die Stadt – wahrgenommen im Kindblick. Keine alters (allzu)weise Suche nach der verlorenen Kindschaft, nicht die gesuchte Erinnerung, einfach aufgehobenes Leben. Maiglöckchen – das letzte Buch von Prežihov Voranc.

 

mehr

Wenn ein Staat zerfällt, wie Jugoslawien, sind die kulturellen Ziviliationsbrüche enorm. Slowenien ein überlebender Teil, und schon entsteht die Frage, wie viel kulturelle Identität noch vorhanden ist, auf welchen Werten man aufbauen kann? 

Da ist Literatur ein Fundament, vorausgesetzt es ist noch ein Stein auf dem anderen. Als eine Art Literatur-Archäologe hat sich über die Jahrzehnte hinweg Lojze Wieser herausgestellt, der fein säuberlich mit verlegerischen Instrumenten die Unwissenheit über slowenische Literatur beiseite geräumt hat. 

 

Der Beweis zuletzt: Die Buchmesse in Frankfurt am Main, da hatte es Slowenien zum Länderschwerpunkt geschafft, und Lojze Wieser aus Klagenfurt war auch da präsent, denn den Weg dorthin hat kein anderer als Wegmacher über zahlreiche hinderliche Wegmacherkurven hinweg derart fleissig geebnet. 

 

Der mit Lojze Wieser befreundete Literaturnobelpreisträger Peter Handke hatte dereinst Florjan Lipuš Boštjans Flug
mit dem Satz geadelt: “Fast Weltliteratur”.

 

Wenn ein Staat zerfällt, wie Jugoslawien, sind die kulturellen Ziviliationsbrüche enorm. Slowenien ein überlebender Teil, und schon entsteht die Frage, wie viel kulturelle Identität noch vorhanden ist, auf welchen Werten man aufbauen kann? 

 

Da ist Literatur ein Fundament, vorausgesetzt es ist noch ein Stein auf dem anderen. Als eine Art Literatur-Archäologe hat sich über die Jahrzehnte hinweg Lojze Wieser herausgestellt, der fein säuberlich mit verlegerischen Instrumenten die Unwissenheit über slowenische Literatur beiseite geräumt hat. 

 

Der Beweis zuletzt: Die Buchmesse in Frankfurt am Main, da hatte es Slowenien zum Länderschwerpunkt geschafft, und Lojze Wieser aus Klagenfurt war auch da präsent, denn den Weg dorthin hat kein anderer als Wegmacher über zahlreiche schwierige Wegmacherkurven hinweg derart fleissig geebnet. 

 

Der mit Lojze Wieser befreundete Literaturnobelpreisträger Peter Handke hatte dereinst Florjan Lipuš Boštjans Flug
mit dem Satz geadelt: “Fast Weltliteratur”.

Unter dem Titel “Hab lang gehofft und bang verzagt” (France Prešeren 1848) legt Lojze Wieser in einem Booklet seine Anmerkungen zur slowenischen Literatur vor, unter der Überschrift: “Fast Weltliteratur. Wie das Slowenische nach Frankfurt kam und uns seit vierzig Jahren mit Erzählungen und Versen erfreut.”

Wieser macht eingangs klar, Literatur des Slowenischen gab es schon lange, bevor es die Staatlichkeit Sloweniens gab, nämlich 440 Jahre vorher schon. 

 

Wieser, der Wegbereiter sieht sich und seinen Verlag als eine Art Literatur-Landwirt: “Eine für die Öffentlichkeit nichtexistente Literatur sichtbar zu machen, bedeutet mehr als diese von einer in die andere Sprache zu übertragen. Schutt an Falschinformation, Geröll an Vorurteilen, den Herrschaften und Überlegenheitsfuchtlern musste der Boden entzogen werden. Menschen mussten gefunden werden, die aus dem Original ins Deutsche zu übersetzen im Stande sind. Aus heutiger Sicht keine allzu großen Herausforderungen. Führende Medien hatten niemanden, der diese Literatur besprechen konnte, auch hier geben wir Hilfestellung. In der Mitte der Nullerjahre begannen die ersten Gehversuche der slowenischen staatlichen Institutionen. Wir rodeten davor zweieinhalb Jahrzehnte den Boden.” 

 

Wieser schreibt im Postscriptum wie alles begann. In einem Antiquariat stöbert er, wieder archäologisch motiviert, 600 Exemplare von Ivan Cankars Buch “Der Knecht Jernej” auf, kauft sie auf und innerhalb weniger Wochen waren sie ausverkauft. 

 

Die Wahrnehmung slowenischer Literatur beginnt deutlicher, als auch der ORF zum Beispiel über »Gemsen auf der Lawine« – die Geschichte des Kärntner Partisanenkampfes von Karel Prušnik – Gašper” berichtet. 

Wieser darf bilanzieren: “Es ist, wie es ist. Wir haben im deutschsprachigen Raum ein gutes Vierteljahrhundert den Boden für die Literatur slowenisch Schreibender (und nicht nur dieser) aufbereitet, indem wir den übertragenen Worten und Bildern vertrauten; wir haben tausende Besprechungen der erschienenen Bücher initiiert, hunderte Lesungen organisiert, die Autorinnen und Autoren auf ihren Lesereisen begleitet und sie auf Buchmessen betreut und versorgt. Wir haben für diese Literaturen gekämpft, um die Schallmauern der Ignoranz zu durchbrechen. Als Reaktion darauf erhielt ich Briefbomben und Morddrohungen und musste dazu auch noch mit ungebetenen Kommentaren und Häme fertig werden.”

 

Es ist eine beeindruckende Reihe literarischer Fundsachen, die Wieser in Reihe präsentiert. Mit dem Ende der Siebzigerjahre kam es zur sichtlichen Veränderung. “Ausgehend von der Übersetzung von Florjan Lipuš, »Der Zögling Tjaž« (Residenz,1981) von Peter Handke, der Anhand dieser Übersetzung seine slowenischen Wurzeln ausgrub und gemeinsam mit Helga Mračnikar das Buch ins Deutsche übertrug. Ein regelrechter Ruck ging durch das Land.”

 

Ciril Kosmač‘s Novelle Tantadruj, mit dem Titel “Partisan und der Tod”, den Autoren Erich Prunč, Srečko Kosovel, Simon Gregorčič, Prežihov Voranc, Janez Sumper und viele viele andere, die wir in Folge auf www.facesofbooks.de noch vorstellen werden, runden das farbenfrohe Bild slowenischer Literatur ab. 

 

Farbenfroh sind auch die Cover, die in ihren Einzelteilen dann zusammengenommen ein Gesamtbild ergeben. Wieser schreibt: “ Und mit nicht wenig Stolz weisen wir darauf hin, dass, neben der Klassik um Jurčič und Stritar (Peter Einsam) und ihrer Erzählkunst, die zeitlich breit gegriffene Moderne mit Ivan Cankar und Zofka Kveder auftritt: Mit zum Teil bisher unbeachteten Übersetzungen, wie sie in den verschiedenen Tageszeitungen aus jener Zeit – von Prag über Wien bis Zagreb – breites Lesevergnügen zu wecken verstanden, mit ihrem steten Bemühen, sich auch im Deutschen zu behaupten.”

 

Zur Covergestaltung von der Künstlerin Ina Riegler heißt es in dem Booklet: “Einfach, fröhlich, naiv, farbenfroh, stark gemalt. Verwendung von heimatlichen Motiven; Ina Riegler zitiert in ihren Bildern Kekec, Heidi, aber auch Kärntner, wie Josef Winkler, Werner Berg, aber auch – im deutschsprachigen Raum – Ferdinand Hodler et al. Stichwörter: Holzhacker, Mägde, Gebären, Pferde, Ziegen, Haign, Gebräuche, Volkstracht, Frauen mit  Hörnern (Widerstand), Kitsch, Jodeln”. Die Cover symbolisieren eben Identitäten, wie ich sie eingangs erwähnt habe.  

 

33 Bände der slowenischen Literatur zu editieren erfordert Mut, Beharrungsvermögen, Durchsetzungskraft gegen viele Widerstände, da muss ein persönliches Motiv dahinterstecken: 
“Die Herausgabe dieser Reihe ist meine Verneigung, meine Verbeugung vor den Menschen, die Bücher schreiben, vermitteln, übersetzen, rezensieren, und den Menschen, die diese Bücher gerne lesen, und, vor allem ist sie meine große Verneigung vor der Sprache meiner Kindheit. Es geht um Literatur, um nichts anderes.”

 

Die Slowenische Bibliothek erschien zur Buchmesse in Frankfurt, in 32 (+1) Bänden und wurde allein von Verleger Lojze Wieser herausgegeben. Die Reihe wird sporadisch fortgesetzt.

 

Lojze Wieser "Hab lang gehofft und bang verzagt"  Zur slowenischen Bibliothek WIESER/DRAVA

 

Lojze Wieser: Geboren 1954, lebt als Verleger in Klagenfurt/Celovec und legt den Schwerpunkt seines Programms auf südosteuropäische Literatur. Die Reihe Europa erlesen und die Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens erreichten Kultstatus.

 

LINK

 

https://www.wieser-verlag.com/reihe/slowenische-bibliothek/

 

 

Russland - Nationalismus Chauvinismus Gewalt

Seitdem Wladimir Putin sein Russland in einen aggressiven Angriffskrieg geschickt hat, sind im Westen die Russlandexperten geradezu wie Pilze aus dem Boden geschossen. Jeder wählt für sich eine eigene Perspektive und versucht zu analysieren, wieso sich Putin plötzlich so aggressiv gegen Europa und den Westen, vor allem aber gegen die Ukraine richtet. 

 

Die Erklärungsversuche sind sehr unterschiedlich, sind politischer, soziologischer, sozio- psychologischer und anderer Natur und versuchen, Argument für Argument zusammenzutragen, um den aggressiven Akt zu interpretieren.

 

Meist sind es Journalisten, die Korrespondenten in Moskau waren oder sind, Vertreter der politischen Wissenschaften, ehemalige Botschafter oder aber auch Osteuropa-Experten, die sich zum Beispiel in der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik mit der russischen Macht und Expansionspolitik auseinandersetzen. 

 

Sabine Fischer ist so eine Politikwissenschaftlerin, die in St. Petersburg studiert hat und seither Russland als Forschungsgegenstand gewählt hat. 

 

Ihre Themen sind neben der Ukraine, Belarus, auch die Staaten des Südkaukasus. Sie vermittelte auch von Moskau aus gesellschaftliche Kontakte zwischen Russland und der Europäischen Union.

Sie legt mit ihrem Buch “Die chauvinistische Bedrohung Russland -  Kriege und Europas Antworten”, erschienen im Econ Verlag, ein Buch mit der feministischen Perspektive vor.

 

Es ist die Dreierkombination aus Nationalismus, Sexismus und Autokratie, aus der sie ihr Erklärungsmuster kombiniert.

Sabine Fischer erlebte um Putin herum einen extremen Männlichkeitskult und einen offen ausgelebten Sexismus, der in der Gesellschaft immer selbstverständlicher wurde, in Kombination mit Gewalt. Zitat:”Ich habe die russische Gesellschaft immer als sehr gewalttätig erlebt.” 

 

Sie schildert in ihrem Buch persönliche Erlebnisse, Beobachtungen, zitiert aus Interviews und Gesprächen aus den vergangenen 30 Jahren. Ausgehend vom Chauvinismus Begriff interpretiert sie die drei zentralen Elemente der russischen Politik als eine Kombination aus aggressivem Nationalismus, nicht minder feindseligem Sexismus und Autokratie. Für die Autorin ist der moderne Nationalstaat und Nationalismus ein maskulines Projekt. 

 

Der nationalistische Chauvinismus und sexistische haben eine Gemeinsamkeit, sie gehen mit autoritären politischen Strukturen einher und reproduzieren sie . 

 

In Russland wird der Feminismus scharf abgelehnt, die Remaskulinisierung Russlands schuf eine mächtige Gegenbewegung zum aufkeimenden Feminismus der 1990er Jahre. 

 

Die Herrschaft Putins und seine damit verbundene Autokratie begann im Herbst 1999 mit einem ungeheuren Gewalt-Ereignis, dem zweiten Tschetschenienkrieg. Sabine Fischer lässt nach ihren theoretischen Überlegungen eine Reihe russischer Kriege vor uns noch einmal Revue passieren mit den einzelnen historischen Details. Das ist sehr verdienstvoll, denn der Westen hat ja erst seit Beginn des Ukraine-Krieges seine Blicke wieder genauer in Richtung Russland gewendet. 

Unter der Kapitelüberschrift “Russlands Zukunft” resümiert die Autorin, dass der Ausgang des Krieges gegen die Ukraine die Zukunft Russlands bestimmen wird: Erreicht Putin seine Kriegsziele wird er den unabhängigen ukrainischen Staat zerstören und die ukrainische Gesellschaft unterwerfen. Verliert er aber den Krieg, ist das Ende des Putin-Regimes nicht zwangsläufig, aber Russland wäre mindestens militärisch und politisch geschwächt, wirtschaftlich ausgelaugt und auf sich selbst zurückgeworfen.

 

Für die Nachbarn Russlands wäre damit das Risiko weiterer imperialistischer Überfälle verringert. Die Autorin streift auch die kurze Geschichte der EU-Russlandbeziehungen, beschäftigt sich auch mit der deutschen Rolle, interpretiert die drei Jahrzehnte deutsche Europapolitik-Erörterungen und kommt zu folgendem Schluss: "Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieser schreckliche Krieg endet... Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine kann mit Verhandlungen enden, wenn die Voraussetzungen für die Ukraine stimmen … Zu wirklichem Frieden, der über die reine Abwesenheit von Gewalt hinausgeht, gehört Versöhnung, wie die Ukrainer: innen mit Russ: innen aussehen könnte, ist mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt schleierhaft.”

 

Ein interessantes Buch mit einer eigenen Perspektive auf die Gewalt-Eskalation, wobei die politik-theoretischen Erörterungen eher den Vorrang haben vor den Alltagsbeobachtungen. Es ist also eher eine Politikanalyse als eine Reportage aus dem Land der gegenwärtigen Finsternis.

 

Sabine Fischer Die chauvinistische Bedrohung 
Russlands Kriege und Europas Antworten
ECON

 

Sabine Fischer ist Politikwissenschaftlerin und Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seit sie 1992 zum Studium nach St. Petersburg ging, hat Russland sie als Forschungsgegenstand und Lebenswelt nicht mehr losgelassen. Als Senior Research Fellow am European Union Institute for Security Studies in Paris (2007-2012) weitete sie ihre Forschung auf die Staaten und Gesellschaften der östlichen Nachbarschaft der EU aus. Sie beschäftigt sich seit anderthalb Jahrzehnten mit den ungelösten Konflikten in der Region, seit 2014 besonders intensiv mit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Von 2016 bis 2021 leitete sie ein Netzwerk von 40 Expert:innen aus Russland und der EU, das sich mit dem Status quo und der Zukunft der EU-Russland-Beziehungen beschäftigte. Von 2019 bis 2021 lebte und arbeitete sie in Moskau, wo sie im Rahmen des Public Diplomacy. EU and Russia-Projekts gesellschaftliche Kontakte zwischen Russland und der EU organisierte.

 

 

Pressestimmen

 

"Herausragend"

Handelsblatt

Mareike Müller, 10.11.2023


"ein lesenswertes Buch"

Süddeutsche Zeitung

Matthias Kolb, 02.10.2023


"Ein wirklich gutes Buch"

ZDF Markus Lanz

Markus Lanz, 21.09.2023

 

Afghanistan ist vergessen

Christoph Reuter ist Reporter und Korrespondent beim SPIEGEL. Als studierter Islamwissenschaftler spricht er fließend Arabisch, kam von der ZEIT und dem STERN und schreibt seit 2011 für den SPIEGEL. Seine Bücher sind Bestseller.

 

Als mit zahlreichen Preisen und als Reporter des Jahres Ausgezeichneter ist er einer der besten Kenner Afghanistans. Bei zahlreichen Reisen in die entlegensten Provinzen Afghanistans, in die sich bekämpfenden konkurrierenden Zentren der Macht erarbeitet sich Christoph Reuter einen breiten Erfahrungshorizont - nach dem alten Reporter-Motto: “Mit den Leuten reden”, und nach dem weisen Motto seines ehemaligen Herausgebers Rudolf Augstein: “Sagen was ist.”

 

Wie müssen sich die Afghanen fühlen, nachdem alle westlichen Vertreter im Land fluchtartig vor den Taliban das Weite gesucht haben? Man stelle sich nur eine Sekunde vor, Trump interessiert sich nach seiner Wiederwahl nicht mehr für Europa und dessen Probleme und startet eine ebenso vergleichbare Fluchtbewegung aus Europa, dann könnten wir vielleicht nachfühlen, wie es ist, wenn Loyalitäten brechen.

 

Reuter trifft Politiker, Regierungsvertreter, Dorfälteste, Schmuggler, Taliban-Führer und Kämpfer, Soldaten der internationalen Truppen, aber er begegnet auch den ganz einfachen Menschen.
Es ist jedoch kein reines Basisgeschehen, das Reuter abbildet. Als Hintergrundfolie für seine Berichterstattung dienen ihm eben immer auch historische und gesellschaftspolitische Entwicklungslinien.
Auch der Untertitel” Road Trip” macht dennoch deutlich, dass Reuter immer nah am Geschehen ist. 

 

Schon der erste Satz in seinem Vorwort nimmt gefangen: “Manchmal hören wir nachts die Goldschakale heulen.”

 

Es sind die kurzen SPIEGELsätze, die packend daherkommen. Reuter besucht die unwirklichen Felsgebirge Zentralafghanistans, die Wüsten des Südens, Kundus und die Ufersümpfe des Punchflusses im Norden, die sagenumwobenen Bergwälder. Was Reuter bei den Begegnungen mit Menschen antrifft, beschreibt er als “selbstlose Güte” und “Großzügigkeit der örtlichen Bevölkerung” zugleich “unglaublichen Mut”, aber auch rabiate “Verschwörungsmythologien und Missgunst.

 

Zwischen Menschen und Landschaft besteht ein steter Wechsel der Extreme, heißt es bei dem Autor Christoph Reuter. 

 

Im Vorwort nimmt er uns mit auf die Reise mit dieser Aufforderung: “Suchen Sie sich also einen Platz zwischen wackelnden Sitzbänken, Gepäck und Trockenobst. Vergessen Sie die Sicherheitsgurte, die Fahrt wird rau, traurig, manchmal von rabenschwarzer Heiterkeit, aber nie langweilig.”

 

Reuter empfindet sich immer im Herzen des Wahnsinns, beschreibt die letzten Chaos-Tage von Kabul, Meuchelmorde, seine eigenen Festnahmen, den Winter in diesen Landschaften, die Angst der Bevölkerung vor den Taliban.

 

Heutzutage ist Afghanistan schon wegen der Ukraine und dem Konflikt in Gaza völlig aus dem Blickpunkt der Weltöffentlichkeit geraten.  In Presseberichten heißt es, man dürfe Afghanistan nicht vergessen. Es ist aber längst so.

 

In 20 Jahren haben wir Milliarden-Summen, Truppen, Aufbauhelfer an den Hindukusch geschickt und behauptet, unsere Freiheit werde am Hindukusch verteidigt. So der damalige Verteidigungsminister Peter Struck. Man erinnere sich an diesen Spruch.

 

Reuter stellt am Ende seines eindrucksvollen Länderberichts eine Menge an unbeantworteten Fragen, die das Scheitern des Westens aufwirft: Was heißt dieses Fiasko für Interventionen in Ländern mit ähnlicher Zerrüttung? Welche Kräfte werden durch uns vitalisiert, wenn wir vor Ort eingreifen? Sind wir überhaupt bewusst, was wir konkret vor Ort tun? Wie involviert sind die Entscheidungsinstanzen in den Apparaten des Militärs oder die Behörden der Entwicklungshilfe? Kann es auch sein, dass die milliardenschweren Investitionen lediglich innenpolitischen Manövern dienen als ferne Benutzeroberfläche. Wir haben längst die Blicke in andere Regionen dieser Welt gewendet, neuerdings gehen sie sogar ins Rote Meer, wo die Bundesregierung gegen die Huthi-Milizen eine Militärkoalition mit den USA in Erwägung zieht. 

 

Fazit von Christoph Reuter: Vorläufig ist das "islamische Emirat Afghanistan” ein “internationaler Sozialfall mit radikalen Fahne” geworden. 

 

Wieder mal ein sehr eindrucksvolles Buch von Christoph Reuter, es sei allen Mitgliedern des außenpolitischen Ausschusses in unserem Parlament auf den Abgeordneten-Tisch gelegt. Aber auch den Regierungsvertretern und insbesondere Annalena Baerbock. 

 

Christoph Reuter 
“Wir waren glücklich hier "
Afghanistan nach dem Sieg der Taliban 
Ein Roadtrip 
DVA SPIEGEL Buchverlag 

 

Christoph Reuter, Jahrgang 1968, ist Reporter im Ressort Ausland des SPIEGEL. Er berichtet seit Jahrzehnten aus den Krisenregionen der islamischen Welt – seit 2011 vor allem aus und über Syrien. Er ist studierter Islamwissenschaftler und spricht fließend Arabisch. Neben zahlreichen preisgekrönten Reportagen veröffentlichte er 2015 das Buch »Die schwarze Macht« über das Innenleben des »Islamischen Staates«. Zuvor erschienen: »Mein Leben ist eine Waffe« (2002) über Selbstmordattentäter und, gemeinsam mit Susanne Fischer, »Café Bagdad« (2004) über den Alltag im umkämpften Irak.

 

Die kleine China-Raupe NIMMERSATT

Der Journalist und langjährige China-Korrespondent Philipp Mattheis hat die Länder, durch die die neuen Seidenstraßen verlaufen, bereist: von Kasachstan bis Ungarn, von Sri Lanka bis Georgien, von Griechenland bis Deutschland entlarvt er die Wirkmechanismen und Folgen der chinesischen Wirtschafts- und Geopolitik und fordert zu politischer Verantwortung und zum Umdenken auf. (GOLDMANN)

 

mehr

Viktor Jerofejew: Der Große Gopnik

Der Aufstieg eines Halbstarken – ein Feuerwerk. Der Eine stammt aus der Gosse – der Andere von der Nomenklatura ab und wird Dissident. Diese russische Mischung ist aktuell und brisant, virtuos und brillant. Viktor Jerofejew, 1947 in Moskau geboren, rechnet mit dem fünf Jahre jüngeren Wladimir Putin aus Sankt Petersburg in seinem Roman „Der Große Gopnik“ ab und zieht dafür alle Register von der Dokumentation zur Persiflage, vom Porno zur autobiografischen Selbstinszenierung und Familiengeschichte, von Verhöhnung zur Verniedlichung.

 

In 181 literarisch unterschiedlich gewichtigen meist nur wenige Seiten umfassende Schnipseln schlägt der nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine nach Berlin emigrierte Autor in rasantem Tempo teilweise schrille Töne an. Er lässt überraschende Protagonisten Kabinettstücke vorführen: Von der Singer Nähmaschine seiner Großmutter bis zu seiner erfundenen, mit allen erotischen Wassern gewaschenen Schwester O.

 

Im Mittelpunkt steht der Große Gopnik, der in allen Einzelheiten dem wirklichen Putin entnommen wird. Als Exkrement Stalins wird er eingeführt, als Fortsetzung des Stalinismus mit putinisierten Mitteln wird er gezeichnet. In der ersten Hälfte des Romans widmet Jerofejew ihm in einer Wiederholung einer Hooligan-Szene auf einem Hinterhof in Sankt Petersburg ein blutiges Beispiel für die Jugend seines Gopnik. Der Begriff steht im Russischen für einen Rowdy von der sozialen Borderline. Als ob die Herkunft alles erklärte! Er aber erklärt am Ende seines Spiels mit der Vergangenheit: „Die Kindheit kennt keine Kompromisse. Ich muss was essen. Fahren wir“. Eine schwarze deutsche Luxuslimousine bog langsam in den vergammelten Hinterhof ein.

 

Der Autor nutzt seine Abrechnung auch zu einer Darstellung seiner selbst. Als Sohn des sowjetischen Kulturattachés an der Botschaft in Paris erfährt er die westliche Welt von klein auf. In einem fiktiven Gespräch seines Vaters mit Stalin bezeichnet dieser die Oktoberrevolution als weniger heroischen „Umsturz“. In Paris ist das vom Autor gezeichnete Selbst selbst ein Schwerenöter, wie es Söhne reicher Eltern eben manchmal sind. Später als junger Schriftsteller spielt dieses Ich seine historische Rolle als Initiator eines nur im Ausland veröffentlichten Dissidenten-Almanachs. Der dient als Gegenbeispiel für zwei Entwicklungen: Der Eine rebelliert gegen eine Gesellschaft, um die Wahrheit zu veröffentlichen – der Andere rebelliert gegen die Wahrheit, um die Gesellschaft gleichzuschalten.

Zwischen die nummerierten, nicht fortlaufend zusammenhängenden Kurztexte flicht Jerofejew jeweils unter dem Datum des 24. Februar, des Datums des russischen Überfalls auf die Ukraine, wiederum unterschiedliche Gedanken, Empfindungen und Kommentare zu diesem Krieg ein. Die sind manchmal bewusst oder auch gekonnt albern, im Buch kursiv abgesetzt: „An Verstopfung leidend saß er nicht den ersten Tag auf dem Topf, nicht die erste Woche, nicht das erste Jahr, bis er sich am 24. Februar die Kloschüssel runterspülte. Mein Arsch riecht nach Erdbeeren.“

 

Einen Schwerpunkt im zweiten Teil des Romans bildet der etwas längere Abschnitt über den „Zankapfel Krim“. Hier holt Jerofejew gedanklich weit aus, ohne ins historische Detail zu gehen und ruft mit Balaklawa die unentschiedene Schlacht von 1854 im Krimkrieg auf. Literarisch großartig zieht er die „roten Linien“ der britischen Infanterie gegen die überlegene russische Kavallerie in dieser Schlacht zu den „roten Linien“ des Westens im gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine heran. Wie an dieser Stelle als auch bei vielen Namen aus der sowjetisch-russischen Geschichte hätte man sich einen Kommentar gewünscht. Ob dieser sehr russische Roman nicht nur im aktuellen Umfeld Bestand haben wird, muss die Zeit zeigen. Als historische Quelle für Putin oder die Zeitgeschichte ist er jedenfalls nicht gedacht. Auch nicht als Prophezeiung – jedenfalls nicht mit dem am Schluss stehenden Knopfdruck für den Atombombenabwurf über London, New York, Paris und Berlin.

 

Als Beleg, wie literarisch mit einem Bruch des Völkerrechts umzugehen ist, wirkt er wie ein notwendiges Zeichen, ohne den literarischen Höchststand eines Nabokov oder die philosophische Tiefe eines Dostojewskij zu erreichen. Aber Jerofejew steht für Phantasie, Tempo, gepflegte Vulgarität und den unbedingtenu Willen, den Großen Gopnik zu stellen.

 

Harald Loch

 

Viktor Jerofejew: Der Große Gopnik   Roman

Aus dem Russischen von Beate Rausch

Matthes & Seitz, Berlin 2023   614 Seiten   28 Euro

 

Viktor Jerofejew, 1947 in Moskau geboren, wurde weltweit bekannt durch seinen 1989 erschienenen und in 27 Sprachen übersetzten Roman Die Moskauer Schönheit. 1979 wurde er wegen seiner Beteiligung an der Literaturanthologie Metropol mit von der Zensur verbotenen Texten verschiedener Autoren aus dem Schriftstellerverband der UdSSR ausgeschlossen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab er diesen von ihm als »Röntgenapparat, der die ganze Gesellschaft durchleuchtete« bezeichneten Almanach in einer Reihe neu heraus. Zudem ist er Herausgeber der ersten russischen Nabokov-Ausgabe. Er schreibt regelmäßig für die New York Times Book Review, DIE ZEIT, die FAZ und DIE WELT und gilt als kritischer Intellektueller wie auch als einer der bekanntesten russischen Gegenwartsautoren.

 

 

Pressestimmen: 

 

»Dieser Roman ist poetische Epiphanie und Realsatire zugleich, die einzig angemessene literarische Form, um ein Land zu fassen, dessen politischen Grundmodus Jerofejew passend ›magischen Totalitarismus‹ nennt.« – Ijoma Mangold, Die Zeit

 

»[Jerofejews] diagnostisches Spiegelbild seiner Heimat und deren Machthaber ist der Roman der schicksalhaften Stunde.« – Kerstin Holm, Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

Yavuz Ekinci: Das ferne Dorf meiner Kindheit  

Unter dem Leichnam ihrer Schwester versteckt, als Einzige ihres Dorfes den Genozid von 1915 überlebt, danach zwangsbekehrt, umgetauft und diskriminiert von einer anderen, ebenfalls unterdrückten Volksgruppe – die Rede ist von der christlichen Armenierin Almast. Den Namen hatte ihr ihre ermordete Mutter gegeben. Der Kurde Hasan rettete sie vor dem Massaker, indem er sie zwang, Muslimin zu werden und auf den neuen Namen Hatice zu hören. „Das ist ein schöner Name, die Frau des Propheten hieß so“, warb Hasan für diesen neuen Namen. Das ist der furchtbare Kern des Romans „Das ferne Dorf meiner Kindheit“ des kurdischen, 1979 geborenen, in Istanbul lebenden Autors Yavuz Ekinci. Mut gehört dazu, diesen Roman zu schreiben, der gleich zwei Tabus der Türkei aufruft und literarisch anspruchsvoll verurteilt: Den Genozid an den Armeniern vor über 100 Jahren und die andauernde Unterdrückung der Kurden. Almast war nur kurz mit ihrem armenischen Mann Aram verheiratet. Er wurde bald ermordet und öffentlich geschändet. Später wird ihr Retter Hasan ihr ungeliebter Mann. Lange bekommt sie keine Kinder von ihm, bis ihre Schwiegermutter stirbt, die sie immer wegen ihrer Herkunft verhöhnte. Endlich gebiert sie, aber es sterben drei Kinder jeweils nach etwa 40 Tagen, bis endlich der Sohn Mirza überlebt. Der spielt zusammen mit seinem Sohn Rüstem die zweite Hauptrolle in diesem, gekonnt aus mehreren Perspektiven erzählten Roman. Der Autor wechselt nicht nur die Ich-Erzählenden, sondern auch die Zeiten. Mal ist es Hatice, die sich im Traum erinnert, mal blickt Rüstem zurück und sehnt sich nach seinem untergetauchten Bruder, der mit den kurdischen Aufständischen kämpft.

 

Ekinci gelingen wunderschöne poetische Passagen von Land und Leuten, von Kindern, Enkeln und Alten. Er erzählt von der muslimischen Frömmigkeit der Kurden und von Almasts/Hatices heimlichem Beten zu Jesus und der Jungfrau. Die tiefe Traurigkeit der im Sterben liegenden Großmutter des sie verehrenden Enkels Rüstem lockert der Autor mit der rührenden Pflege durch ihre Enkelinnen, die ihr aus dem Koran vorlesen. Auf dem Sterbebett bittet sie ihren Sohn Mirza und seinen Sohn Rüstem um die Erfüllung ihres letzten Willens: Sie möchte in ihrem „fernen Dorf ihrer Kindheit“ beerdigt werden, das während des Massakers niedergebrannt worden war, unter einem Maulbeerbaum neben ihrem Aram.

 

Der Roman gipfelt dann in dem Versuch von Sohn und Enkel, diesen letzten Willen zu erfüllen. Das türkische Militär hat das Gebiet um das alte Dorf seit langem gesperrt und verhindert die Bestattung. Diese als gefährliches Abenteuer beginnende Überlandreise der beiden Männer mit dem Sarg auf dem Autodach entwickelt sich zu einer spannenden, in aller Härte erzählten grausamen Trauerfahrt, die noch einmal die ganze Unterdrückung der Kurden und die Leugnung des Genozids an den Armeniern mit literarisch überzeugenden Mitteln anprangert. Gerhard Meier hat das in vielen Tonarten erzählte Buch schön und eindringlich übersetzt. Das türkische Original ist schon 2012 erschienen. Vor zwei Jahren wurde der Autor zu einer mehr als 18monatigen Haftstrafe verurteilt, weil er sich für die Sache der Kurden eingesetzt hatte.

 

Harald Loch

 

Yavuz Ekinci, 1979 in Batman geboren, arbeitet als Lehrer und ist Herausgeber einer Reihe zur kurdischen Exilliteratur. Für sein Prosawerk erhielt Ekinci zahlreiche Preise, darunter 2005 den Haldun-Taner-Preis. Zuletzt erschienen die Romane »Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam« (2017) und »Die Tränen des Propheten« (2019). Ekinci lebt in Istanbul.

 

Yavuz Ekinci: Das ferne Dorf meiner Kindheit      Roman

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier

Verlag Antje Kunstmann, München 2023   352 Seiten   26 Euro

Vielflieger: Lilienthal und Graf Zepplin

 Es sind die technischen oder wissenschaftlichen Heroe,n die mit ihrem Leben immer wieder den Stoff für Biographien abgeben.

 Alexander Humboldt ist ein solches Beispiel oder Albert Einstein oder in neueren Zeiten Stephen Hawking. Wir greifen gerne zu solchen Büchern, weil sie uns Abenteuer sind, um in vergangenen Zeiten die technischen Entwicklungen nachzuverfolgen.


Wie entstand zum Beispiel das Automobil, wer hat das Telefon erfunden, wie kam der PC auf die Welt?


So kommt es durch Autoren entweder zu Sachbüchern, die alleine auf Fakten beruhen oder aber es spielt auch die Fantasie mit, und dann wird es erst recht ein Abenteuer.

 

Axel S. Meyer hat sich zwei Männer ausgesuch,t die den Himmel erobert haben, weil sie ihrenTraum vom Fliegen in die Tat umgesetzt haben.

Der eine war Ferdinand Graf von Zeppelin, Spross einer Arbeiterfamilie am Bodensee. Schon früh interessierte sich dieser für Technik und Mechanik. Sein Traum, ein Luftschiff in die Wolken zu bringen. Der andere Pionier der Luftfahrt ist Otto Lilienthal. der mit seinen halsbrecherischen Flugversuchen die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machte, zum Beispiel, als der “irre Vogelflieger von Lichterfelde” in der damaligen Reichshauptstadt als eine Art Jahrmarktskünstler und Ikarus startete, aber auf dem Bauch landete.

 

In jeweils wechselnden Kapiteln stellt uns der Autor mit viel Fantasie aber auch noch mehr Fakten die beiden Abenteurer des Himmels, die der Sonne so nah waren, plastisch vor.

 

In einem Nachwort würdigt der Autor noch einmal sachlich die Verdienste seiner beiden Protagonisten und verbindet dies mit dem üblichen Dank eines Autors an seine Unterstützer. An manchen Stellen des Buches galoppiert das Beschreibungstalent mit einigen Adjektiven etwas davon, doch insgesamt ist das üppige Porträt über die beiden Himmelsstürmer doch lesenswert und sei hiermit auch für manchen Schulunterricht als Lernbeispiel für Technikentwicklung empfohlen.

 

Axel S. Meyer  Der Sonne so nah Kindler Verlag

 

Axel S. Meyer ist in Braunschweig geboren, studierte Germanistik und Geschichte und lebt heute in Rostock. Er arbeitet als Redakteur der Ostsee-Zeitung. Bei Rowohlt hat er mehrere historische Romane veröffentlicht, zuletzt auch über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné. 

Bernhard Schlink  Das späte Leben  Diogenes 


Die Hauptfigur Martin hat nur noch wenige Monate zu leben. Bei einem Arztbesuch kann er sich errechnen, dass es genau genommen nur noch 12 Wochen sind. Was macht diese Information mit seinem Leben? Und vor allem mit seiner Liebe zu einer jungen Frau, mit der er einen sechsjährigen Sohn hat. 


Wie werden die letzten Tage verlaufen? Gelingt es ihm, das Leben loszulassen? Was wird er hinterlassen? Dieses späte Leben steckt voller Melancholie, Überraschungen, aber auch neuen Herausforderungen. 
Muss er sich jetzt plötzlich beeilen? Gibt es für diese Lebensführung im letzten Lebensabschnitt ein Rezept? Der Arzt diagnostiziert Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der 76 jährige wollte zwar nicht ewig leben, aber doch gerne auf eine gewisse Weise noch etwas weiter existieren. 
Experimentelle Behandlungsmethoden lehnt er ab, denn sie sind eine Quälerei und bringen nicht viel, wie er meint. 


Sein Leben bisher war voller Vorhaben, Verpflichtungen und Verabredungen. Diese Phase hat auch etwas sehr Normales. Das Paar geht ins Kino, erlebt Sinnliches in der Waschstraße, sogar die gemeinsamen Nächte mit Sex bleiben innig. Nach und nach kommt Martin auch in einen intensiveren Dialog mit seinem Sohn? 


Er möchte ihm etwas hinterlassen. Vielleicht ein Video. Vielleicht einen Brief. Vielleicht symbolhafte Gegenstände. Martin lebt in einem Alltag der Erschöpfung. Seinem Sohn erfindet den Begriff Papa sei müdekrank. 
Immer wieder sucht der Vater ein innigeres Verhältnis zu seinem Sohn zu entwickeln. In den Briefen gibt er ihm Ratschläge. In den Dialogen mit seiner Frau öffnet er sich langsam. Obwohl er sich müdekrank empfindet, Schmerztabletten nimmt, spürt er immer wieder dennoch, die Kraft des Begehrens. 


In Diogenes-Büchern spielt häufig die Malerei eine Rolle? Die Frau des Protagonisten ist Malerin und arbeitet oft im Atelier. Martin selbst findet zu dieser Form der Kunst keinen rechten Zugang. 


In den Briefen an seinen Sohn tauchen immer wieder Sätze auf, die einen nachdenklich machen. "Der Tod kommt, wann er kommt, zur rechten und zur falschen Zeit." Oder: "Der Tod ist nicht gerecht." 
So vergeht die kurze Zeit im "späten Leben" sehr schnell bis auf das Ende hin. Doch dann bricht eine Überraschung die Dramaturgie des Romans. Ulla hat ein geheimes Verhältnis. Aber jetzt spürt Martin plötzlich einen Stachel. War das Eifersucht? Er wollte nicht eifersüchtig sein, er macht sich auf die Spur seines Gegenspielers, sucht ihn sogar auf und führt mit ihm ein kurzes Gespräch, offenbart sich sogar seiner Frau? "Sie roch nach Sex." 


Wie dieser neue Roman von Bernhard Schlink zu seinem Ende findet, sei hier an dieser Stelle nicht verraten. Schließlich kommt Schlink auch zu der Erkenntnis: " Erwachsene trauen der Liebe nie wirklich." 
Es ist ein berührender Text. Über das Leben. Über den Tod. Über die Liebe. Und das Ende von allem. Zitat: "Man macht dies.Und macht das, und am Ende war's ein Leben. Mehr nicht." 

 

Bernhard Schlink, 1944, Jurist, lebt in Berlin und New York. Sein erster Roman ›Selbs Justiz‹ erschien 1987; sein 1995 veröffentlichter Roman ›Der Vorleser‹, in über 50 Sprachen übersetzt, mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet und 2009 von Stephen Daldry mit Kate Winslet unter dem Titel ›The Reader‹ verfilmt, machte ihn weltweit bekannt.

 

 

Deutschland bedingt abwehrbereit

Deutschland hatte sich behaglich eingerichtet in der Welt der Globalisierung – einer Welt, die friedlich zusammenzuwachsen und für uns immer sicherer zu werden schien. Doch diese Welt gibt es spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr. Über ein Zeitenwendchen ist die deutsche Politik bisher dennoch nicht hinausgekommen. Nach einem ersten Schock hat das Land wieder in den Friedensmodus geschaltet. Carlo Masala zieht eine schonungslose Bilanz und beschreibt, wie wir resilienter werden können – gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Denn ohne kluges, strategisches Handeln werden wir uns in der neuen Weltunordnung nicht behaupten. (C.H.Beck)

 

mehr

Tobias Lehmkuhl: „Der doppelte Erich   -   Kästner im Dritten Reich“

Was hast Du während der Nazizeit gemacht? Diese Frage stellten Kinder ihren Eltern, sie hat Familien zerrissen. 1968 steht wie eine numerische Metapher für diese Generationenfrage. 1989 wird sie sich für viele unter anderen Vorzeichen ähnlich und neu stellen.

 

Erich Kästners Bücher wurden am 10. Mai 1933 von den Nazis auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. Er ist vielleicht der Einzige von den Leidensgenossen, der durch die nächsten 12 Jahre ohne Schaden an Leib und Leben davonkommen wird. Er konnte zwar nicht mehr in Deutschland publizieren, wurde aber, wenn man sein Talent brauchte, wieder beschäftigt und fürstlich honoriert. Er musste sich folglich die Frage aller Fragen nach 1945 gefallen lassen.

 

Der erst acht Jahre nach 1968 geborene Berliner Publizist Tobias Lehmkuhl ist dieser Frage nachgegangen und hat sie in seinem Buch „Der doppelte Erich“ nicht unkritisch beantwortet: Kästner stand jedenfalls nicht Modell für „richtiges“ Verhalten. Glück gehabt oder auch geschickt gemacht?

 

Lehmkuhl erzählt die Geschichte vom „Doppelten Erich“ auf mehreren Ebenen: Er referiert die bekanntesten Bücher Kästners inhaltlich und entdeckt in allen dessen bevorzugtes Spiel mit Verwechselungen und Doppelgängern, als ob der Autor von „Emil und die Detektive“ damit sein eigenes Lebensmotiv oder Charakterbild zeichnete. Er gleicht das Verhalten Kästners mit dem von anderen Nichtemigrierten Autoren und Journalisten wie Gottfried Benn, Günther Weisenborn oder Walther Kiaulehn ab. Der Lebensausschnitt-Biograf beschreibt die über die Grenzen geführte Auseinandersetzung mit Klaus Mann und zitiert Carl Zuckmayers wohlwollende Einschätzung Kästners in seinem für die USA-Dienste Verfassten „Geheimrport“, die den Beginn des Daheimgebliebenen nach 1945 wohl mitentscheidend begünstigt hat. Und Lehmkuhl zeichnet Kästners Schlingerkurs gegenüber den Nazibehörden nach. Insbesondere sein Drängen in die Reichsschrifttumskammer als Voraussetzung für die Aufhebung des Publikationsverbots in Nazideutschland. Als der Kampf endgültig verloren war und auch ein Importverbot gegenüber seinen im deutschsprachigen Ausland gedruckten Bücher verhängt wurde, begann sein Spiel mit Pseudonymen, unter denen er diese Verbote mehr oder weniger klammheimlich geduldet umgehen konnte. Das führte Kästner nach Babelsberg, wo er – unter welchen versteckten Zusammenhängen auch immer – als Drehbuchautor reüssierte und sein verhältnismäßig luxuriöses Leben fortsetzen konnte.

 

Die Krönung: Er wurde gleichsam offiziell beauftragt, das Drehbuch für den -Jubiläumsfilm „Münchhausen“ zu schreiben, der 1943 mit Hans Albers in der Hauptrolle herauskam. Sein Honorar von 115 000 Reichsmark kann man nur als fürstlich bezeichnen, aber im Vorspann wurde er nicht genannt.

 

Ganz wichtig für seine Entscheidung, nach der Verbrennung seiner Bücher nicht zu emigrieren, war das enge und herzliche Verhältnis zu seiner Mutter. Täglich schrieb er ihr, schickte ihr seine Wäsche und erhielt sie sauber und gebügelt zurück. Er konnte sich mit ihr auch, ohne mütterliche Eifersucht zu befürchten, über seine diversen Frauenbeziehungen austauschen. Er war ein eleganter Liebhaber mit vielen Gelegenheiten, von denen er nicht viele ausließ. Davon unberührt war sein Verhältnis zur Seele seiner „Kleinen Versfabrik“ für Gebrauchslyrik, der Sekretärin Elfriede Mechnik, die sein Werk auch nach 1945 noch aus dem Büro in der Friedenauer Niedstraße weiter betreute.

 

Lehmkuhls Buch ist natürlich für alle immer noch zahlreichen Kästner-Fans ein Muss. Aber es enthüllt zeitgeschichtlich Interessnates, wie manche Absurdität der Nazizeit. Z.B. die unglaubliche Geschichte um die „Bücherverbrennung“ von Kästners Bibliothek, als seine Wohnung in der Charlottenburger Roscherstraße ausgebombt wurde. Er beantrage mit einer erhaltenen, minutiösen Aufstellung den Ersatz des „Kriegssachschadens“ bei dem zuständigen Amt und erhielt „für die Neuanschaffung von Büchern“ einen Vorschuss von 5000 Reichsmark von der Nazibehörde. Auf der Liste, die Kästner dort eingereicht hatte und nach deren Bearbeitungsstand er noch im Februar 1945 fragte, befanden sich auch Bücher, die zusammen mit seinen eigenen 12 Jahre zuvor verbrannt worden waren.

 

Harald Loch

 

Tobias Lehmkuhl: „Der doppelte Erich   -   Kästner im Dritten Reich“

Rowohlt Berlin, 2023   304 Seiten   24 Euro

Für Kräuterhexen und Hobbyköche

Mehr als 250 köstliche Rezepte für die Kräuterküche - einfach, schnell und unkompliziert. Empfohlen und mit einem Vorwort von Jamie Oliver. Alles Wissenswerte über Küchenkräuter von Anis-Ysop bis Zitronengras, mit über 250 Rezepten und Kultivierungstipps. Haben Sie schon einmal eine Sauerampfer-Anchovis-Tarte probiert? Oder gegrillten Lachs mit Kapuzinerkresse-Butter? Wissen Sie, wie man Schnittlauch für den Winter haltbar macht?  

  
In diesem Buch verrät die Kräuterexpertin Jekka McVicar alles über ihre 50 Lieblingskräuter: Dazu gehören bekannte Arten wie Petersilie und Rosmarin, aber auch Exoten wie Curryblätter oder vietnamesischer Koriander. Liebevoll illustriert, wird jedes Kraut ausführlich vorgestellt, mit Wissenswertem zu Anzucht, Pflege und Ernte, verfügbaren Sorten, kulinarischen Besonderheiten sowie medizinischen Eigenschaften. Es folgen über 250 Rezepte – für herzhafte Gerichte, Desserts und Gebäck, aber auch erfrischende Getränke –, die Lust machen, mit Kräutern zu kochen, zu backen und zu experimentieren: einfach, schmackhaft und unkompliziert!  (PRESTEL)

 

Nur der Buchtitel ist etwas einfach geraten. Das Kräuterkochbuch ist aber in seinem Innersten großartig aufgemacht. Sanfte Pastellfarben in den 128 gezeichneten Abbildungen der Kräuterpflanzen, liebevoll der Großmutter, Mutter und eigenen Tochter gewidmet, übersichtliches Inhaltsverzeichnis, einfach die Kräuternamen aneinandergereiht und mit Zahlen-Zeichen versehen.

  

Jamie Oliver, der Fernsehkoch lobt im Vorwort die Autorin in höchsten Tönen. “Großartige Inspiration”! Im Vorwort legt die Autorin das Bekenntnis ab: “Als passionierte Köchin experimentiere ich ständig mit neuen Kräutern und Düften für meine Gerichte.”  

 

Bevor ihr Buch dann startet mit dem “Afrikanischen Rosmarin” werden Anmerkungen zu den Rezepten angeboten, wie man etwa beim Kochen Komplikationen vermeidet, zum Beispiel nur makellose Kräuter zu verwenden. Dann folgen vor dem Kräuteralphabet von A bis Z, vom afrikanischen Rosmarin bis zu Zitronenverbene nützliche Basisrezepte, etwa Tomatensauce, Hühnerfond oder Gemüsefond. Da ließe sich sicher noch mehr als nur dies finden, aber dann wird es opulent und ausführlich im Text. 

 

Das Kraut wird zunächst linksseitig bebildert, rechtsseitig folgt die Beschreibung des Krauts, dann die Verwendung in der Küche, es folgen Hinweise auf die Ernte, weiter dann Eigenschaften und weitere Arten des Krauts und dann folgen einfallsreiche Rezepte, etwa 3 bis 4 pro Pflanze.  

Die Kapitel schließen mit dem Tipp ab, was tun, wenn zu viel an Kraut überbleibt? Wie kann man es aufbewahren und dann weiterverwenden? Übrigens Zitronenverbene ist ein Zitronenstrauch, nur so nebenbei bemerkt.  

 

 

Ein Lesebändchen hilft beim Blättern.  

Schade, dass jetzt der Winter kommt, man könnte sein Kräuterbeet nach dem Lesen dieses Buches völlig neu anlegen. Jamie Oliver lobt als Hochtöner: “Jekka ist die Königin der Kräuter.” Ich befördere sie hiermit zur Kaiserin, fordere jedoch als Hobbykoch den Zehnten aus Ihrem Garten, man kann ja Machtverhältnisse auch einmal umdrehen. Und Guten Appetit wünsche ich dem Kräuter-Volk!  

 

Jekka McVicar, von ihrem Kochkollegen Jamie Oliver liebevoll die »Queen of Herbs« genannt, ist die bekannteste Kräuterexpertin Großbritanniens. Seit Jahrzehnten betreibt sie erfolgreich eine ökologische Kräutergärtnerei und vertreibt ihre grünen Zöglinge im gesamten Land. Bereits vierzehn Mal hat sie mit ihrer Gärtnerei die Goldmedaille auf der berühmten Londoner Chelsea Flower Show gewonnen. Daneben veröffentlicht die passionierte Köchin ihr Kräuterwissen in Büchern und schreibt für verschiedene Gartenzeitschriften.  

 

Jekka McVicar Das besondere Kräuterbuch PRESTEL  

Putin und die überforderten Deutschen

Eigentlich war niemand besser vorbereitet. Keiner weiß mehr über Angriffskriege. Keiner hat je lauter seine Geschichte befragt. Aber als Vladimir Putin die Ukraine überfiel, boten die Musterschüler der Vergangenheitsbewältigung ein diffuses Bild. Um die ganz großen Worte nie verlegen, aber unberechenbar in ihrem Tun, verunsichern die Deutschen seither ihre Verbündeten und irritieren noch ihre Feinde. Und die Deutschen selbst? Sie zerfallen: Die einen wissen jeden Tag aufs Neue genau, was zu tun ist. Die anderen belustigen sich in Dauerpolemik oder haben noch gar nicht aus der Schockstarre herausgefunden. Ganz zu schweigen von den Propheten, die mit unheimlicher Begeisterung schon wieder Geopolitik diskutieren, als wär's ein Schachspiel. 

 

Kriegszeiten sind Wahrheitszeiten, sagt die Philosophin Bettina Stangneth. Die Deutschen sind schlicht nicht das, was sie in den Augen anderer gern wären. Bei aller Neigung zur Selbstbespiegelung gelingt es ihnen nicht einmal, aufrichtig in den Spiegel zu sehen. Aber wenn eine große Wirtschaftsmacht sich anschickt, auch noch eine der größten Armeen der Welt aufzustellen, dann muss die Welt sich zu Recht fragen, warum die Deutschen so große Probleme damit haben, sich als verlässliche Partner zu erweisen. (Rowohlt) 

 

Man kann sich dem Krieg in der Ukraine auf vielfältige Art und Weise nähern, als Soldat und Kriegsteilnehmer, auf welcher Seite auch immer, als Krisenberichterstatter, als Politiker zu Besuch an der Front oder in Kiew, als Militärexperte in Talkshows, als Gastkommentator in der Presse, als Militärhistoriker oder aber eben als Philosoph. 

Dann denkt man das könnte spannend werden. „Kriegszeiten sind Wahrheitszeiten“, schreibt die Autorin, dabei wissen wir doch, dass nie so gut gelogen wird wie in Kriegszeiten.

 

Stangneth diagnostiziert die “deutsche Ängstlichkeit”, denn unser Volk ist schon deshalb ängstlich, weil es in der Geschichte viel Schuld auf sich geladen hat.  

 

Ja, wir wissen schon, die Philosophin hat ein bedeutendes Werk zu Adolf Eichmann geschrieben, mit großer öffentlicher Resonanz. Auch über Immanuel Kant, sie kennt sich aus im Antisemitismus, sogar über Sex als Kulturleistung hat sie referiert.  

 

Weil wir "zögern und zaudern" in unserer Ukrainepolitik, so urteilt Stangneth, entsteht ein „schamloses Scheitern zwischen Aktionismus und Schockstarre“. 

 

Unsere Orientierungslosigkeit schwankt zwischen “vollundigen Zusagen mit kurzer Halbwertszeit” und einem “Vorpreschen  oder Bedenken äußern. “...ein Ende der Blamage ist kaum zu erhoffen”.  

Zuweilen greift die Essayistin aber auch an anderer Stelle in den Binsen-Koffer, etwa so: “Doch Krieg überfordert alle Menschen”. Oder über die falsche Putineinschätzung: “Irgendwann werden wir viel darüber reden müssen.” 

 

Wie wir hätten antworten sollen, bleibt offen, wie die Politik vorher gegenüber Putin hätte aussehen wollen, darauf bleibt die Philosophin eine Antwort schuldig und in ihren Thesenbegründungen oft vage. Auch in ihrem Schlussatz: “Das Eingeständnis einer Überforderung ist keine Ausrede. Es ist ein Versprechen.” 

Und was heißt das jetz wieder? 

 

Danach folgt nämlich nichts mehr in dem 135 Seiten Text. Könnte sein, dass dieses Buch zu früh erschien, als alles noch im unbestimmten Fluss war, vielleicht springt es auch in der Essay-Form zu kurz. Oder die Philosophie bietet nicht das entsprechende Instrumentarium, um Bombennächte zu analysieren.  

 

Bettina Stangneth Überforderung Putin und die Deutschen Rowohlt 

Ein Lebensromantagebucherzählung

Eine Reportage, eine Dokumentation, ein Essay über einen fast vergessenen Helden des 20. Jahrhunderts? Was über Pravomil Raichl, Kämpfer gegen Nazis und Kommunisten gleichermaßen, bekannt ist, wird hier schlicht zum Ausgangspunkt einer lebendigen, phantasievollen Tagebucherzählung. Beginnend im Alter von 14 Jahren bis zu seinem Tod. Dazwischen liegt ein in vollen Zügen genossenes Leben, das auch all die dunklen Seiten des 20. Jahrhunderts durchwandern muss – Gulag, Weltkriegsschlachten, Todesurteile, Emigration – und am Ende muss der Held sterben, bevor er selbst für Gerechtigkeit sorgen kann. So entgeht der kommunistische Richter, der für eine Reihe Justizmorde verantwortlich ist und dessen Taten für verjährt erklärt wurden, noch einmal seiner Strafe. (WIESER)

 

Nachdenken über Russland -                            Im Widerschein des Krieges

Kaum jemand hat in den vergangenen Jahrzehnten das deutsch-russische Geflecht aus historischen Erfahrungen, machtpolitischen Interessen und ideologischen Fieberträumen intensiver erforscht als Gerd Koenen. Im Widerschein des neuen Krieges, der viele alte Fragen wieder aufwirft, begibt er sich auf eine Spurensuche, die uns von der zynischen Partnerschaft in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes bis zur Freund-Feind-Propaganda unserer Tage und von den Gründern von «Memorial» bis zu den Spin Doctors Putins führt.
Was hat Putin und die um ihn gescharte oligarchische Machtelite dazu getrieben, einen ebenso mörderischen wie selbstzerstörerischen Angriffskrieg zu beginnen? Welche langfristigen Ziele verfolgt Russland? Und warum hat sich zwischen ihm und seinen westlichen Nachbarn erneut ein tödliches Spannungsfeld aufgebaut, das ganz Europa in eine Gefahrenzone verwandelt? In seinem neuen Buch bündelt Gerd Koenen sein jahrzehntelanges Nachdenken über Russland zu einer ebenso differenzierten wie schonungslosen Bilanz. (CH Beck)

 

mehr

Russland - der Fluch des Imperiums

Russlands imperiale Vergangenheit ist der Schlüssel, um Putins Überfall auf die Ukraine und seine antiwestlichen Obsessionen zu verstehen. Der renommierte Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel stellt den Krieg in den langen Kontext der russischen Expansion nach Westen und beschreibt, wie das Ausgreifen in die Ukraine und die Teilung Polens seit dem 18. Jahrhundert einen Irrweg in der russischen Geschichte begründeten, der als "Fluch des Imperiums" bis heute fortwirkt. Dabei zeigt er, wie eine fatale Ideenwelt entstehen konnte, die noch im 21. Jahrhundert in den Köpfen der Moskauer Führung spukt. Deutschland hat sich nach 1945 von seinem Fluch des Imperiums befreit und sich in Richtung Westen geöffnet. Russland steht dieser Weg noch bevor.


mehr

 

RUSSLAND ein Blick ins Innere

Die beiden Moskau-Korrespondenten arbeiten während einer „Spezialoperation“, aber ureigentlich befinden sie sich konkret in einem Krieg. Ihre Aufgabe ist die Berichterstattung für Hörfunk und Fernsehen aus Moskau in Richtung Österreich zu leisten. Für den Hörfunk und das Fernsehen. Die beiden Korrespondenten erzählen in ihrem neuen Buch vom Leben der Menschen unter Kriegsbedingungen. Ein am konkreten Alltag orientiertes Bild wird gezeichnet. Sie schreiben vom Kriegsbeginn an, was sie Tag für Tag erleben, wen sie treffen, wie die Menschen die Geschehnisse einschätzen. Die beiden Buchautoren empfinden sich nicht als Kriegs-Berichterstatter, denn Sie sind nicht in den Schützengräben in der Ukraine unterwegs.  Das Buch ist eine anschauliche Innenansicht Russlands. Da geht ein Land als Aggressor in die Weltgeschichte ein, und wir sind Augen- und Ohrenzeuge. Der Leser erfährt auch sehr hautnah, was es heißt unter der Zensur zu arbeiten und wie es dennoch gelingen kann, eine kritische Haltung zu bewahren. Lehrreich, wie die russische Bürokratie die Journalisten bei der Einreise an den Flughäfen drangsaliert, wie subkutan Einfluss genommen wird. 


Beide Korrespondenten wechseln sich als Kapitel-Autoren ab. Sie besuchen auch die Provinz, um ein Bild jenseits der Kapitale Moskau oder Leningrad zu zeichnen. Wir erfahren vom Grauen in Mariupol, vom Kaltstellen der Opposition, vom Innenleben der Wagner-Söldnertruppen. Vom Ende der Meinungs- und Redefreiheit, von einer tief gespaltenen Gesellschaft. 


Im Nachwort werden die Autoren in der in einem Nachwort am Ende dann doch gebotenen Kürze politisch. Sie sprechen von der Unvorhersehbarkeit der Lage, und von der Schuldfrage, die eines Tages gestellt werden wird. Die Stärke des Buches ist die Nähe zu den Menschen und deren Schicksal, die Schwäche, die politische Analyse fällt mehr als knapp aus, aber vielleicht war ja genau das gewollt.


Paul Krisai/Miriam Beller RUSSLAND VON INNEN Leben in Zeiten des Krieges Zsolnay

 

Paul Krisai wurde 1994 in Mödling bei Wien geboren und studierte Journalismus in Graz und Sankt Petersburg. Seit 2019 ist er Korrespondent im ORF-Büro Moskau, das er seit 2021 leitet. 2022 wurde er mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet und zu Österreichs Journalisten des Jahres gewählt.

 

Miriam Beller, geboren 1988 in Vorarlberg, hat in Wien und Irland Internationale Entwicklung studiert, absolvierte anschließend die ORF-Akademie und berichtet seit 2021 als Korrespondentin für den ORF aus Moskau. 2022 wurde sie mit dem Robert-Hochner-Sonderpreis ausgezeichnet.

 

Russlands Revanchismus

Kaum einer kennt Russland besser als Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er legt nun ein atemberaubend geschriebenes Buch vor, das Russlands Absturz in eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg aus nächster Nähe nachzeichnet. (C.H.Beck)

 

mehr

Reportieren über Kriegsverbrecher - Nürnberg'46

Wohl nie waren so viele berühmte Schriftsteller und Reporterinnen aus aller Welt unter einem Dach versammelt wie in Nürnberg 1946. Sie kamen, um zu berichten: von den Gräueln des Krieges und des Holocaust, die dort vor Gericht verhandelt wurden. Sie wohnten und schrieben auf Schloss Faber-Castell, diskutierten, tanzten, verzweifelten, tranken. Uwe Neumahr erzählt ihre Geschichte in seinem aufregenden und bewegenden Buch.Uwe Neumahr Das Schloss der Schriftsteller Nürnberg ´46 Treffen am Abgrund. (C.H.Beck)

 

mehr

Was kommt nach Putin                                Russlands toxische Gesellschaft 

Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, schien das großen Teilen der russischen Gesellschaft egal zu sein. Das ist nicht überraschend. Seit Jahren wird das russische Expansionsstreben davon begleitet, dass gesellschaftlich das Recht des Stärkeren gilt. Gewalt wird von vielen als Mittel der Politik akzeptiert. Gesine Dornblueth und Thomas Franke erklären, wie es dazu kommen konnte. Ihre Reportagen und Analysen führen uns durch drei Jahrzehnte, in denen nationalistische Kräfte über Verfechter demokratischer Werte die Oberhand gewannen. Dabei wird deutlich: Der zukünftige Frieden in Europa hängt davon ab, ob wir Russlands Gesellschaft richtig verstehen und entsprechend handeln. (Herder) 

 

mehr

Über einen notwendigen Krieg                  Warum das System Putin besiegt werden muss 

Schon auf dem Titel dieser kleinen Broschüre steht, was die ehemalige Korrespondentin des ORF in Moskau, Susanne Scholl, von dem Angriffskrieg gegen die Ukraine konkret hält: „Krieg ist dumm! Krieg ist keine Lösung! Krieg ist ein Verbrechen! Und trotzdem gibt es Kriege, die geführt werden müssen.“

 

Susanne Scholl gibt gleich eingangs zu: „Ich habe mich geirrt.“ Sie hatte nicht geglaubt, dass Putin zum Äußersten gehen würde. Nicht geirrt, so meint sie, habe sie sich in ihrer Voraussicht, dass die Menschen sich sehr schnell an den Krieg gewöhnen werden.

Es ist ein sehr persönlicher Text, der auch die tieferen Emotionen der Autorin bloßlegt. Als der Krieg begann, fühlte sie sich wie eingefroren, konnte nichts spüren. Wir erfahren von Susanne Scholl, dass die Geschehnisse sie wochenlang nicht schlafen ließen.

 

Erst nach und nach überwindet sie ihre Fassungslosigkeit, entdeckt das Ungerechte, Ungeheuerliche dieses Krieges zwischen zwei Ländern, die sie gut kennt.  Es ist das Verdienst dieses politischen und persönlichen Essays, dass Scholl auf die Vorgeschichten des Überfallkrieges eingeht, zum Beispiel auf das Wüten Putins in Tschetschenien. Sie führt uns zum Beispiel in die Stadt Grosny, die Putin buchstäblich hat niederbomben lassen.

 

Sie erwähnt auch, dass sie Kontakte zur heutigen Nobelpreisträgerin Irina Scherbakowa hatte, deren Verdienst war und ist, die stalinistische Vergangenheit Russlands historisch aufzuarbeiten. Sie konnte nicht weiter in Russland leben und musste emigrieren.

 

Die Autorin zeigt auch den Verrohungsprozess auf, den die russische Gesellschaft und ihre politischen Führer durchlebt haben.

Natürlich ist die Ukraine ein eigener Staat, auch wenn Putin und seine Entourage das nicht wahrhaben wollen.

 

Das Verdienst der Autorin ist es, auch die Opfer zu Wort kommen zu lassen, Opfer, die durch das staatlich sanktionierte Morden zu Opfern werden. So  „en passant“ gibt die Korrespondentin auch Medienkritik zum Besten, wenn sie erwähnt, dass die Fernsehchefs außenpolitische Berichterstattung zuweilen als „Ausschalt-Impuls“ empfinden. Das kenne ich selbst vom Radiomachen her auch zur Genüge.  

 

Fazit: „Nur ein Ende des Systems Putin kann diesen Krieg beenden. Zum Wohl der Ukraine, aber auch Russlands selbst.“

 

Es bleiben in diesem kurzen Essay Fragen offen, aber das ist der Autorin nicht vorzuwerfen, denn auch die Frage, wann der Krieg zu Ende sein wird, ist mehr als offen.

 

Die Schrift spricht Klartext. Sehr verdienstvoll.

 

Es ist ein schonungslos offener Text, der auch die persönlichen Gefühlsebenen mit offenbart, im Gegensatz zu manch militaristischer Debatte um Waffenpotentiale und Munition, die augenblicklich die öffentliche Diskussion in Deutschland stark bestimmen.

 

Susanne Scholl Über einen notwendigen Krieg Warum das System Putin besiegt werden muss

Verlag Kanten. Edition Konturen

 

Susanne Scholl, geboren 1949 in Wien, Studium der Slawistik in Rom und Moskau. Langjährige ORF-Korrespondentin in Moskau. Susanne Scholl hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und wichtige Preise für ihre journalistische Arbeit und ihr menschenrechtliches Engagement erhalten, u. a. den Concordia Preis und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.

 

Putins Rache - Russland inside

Kaum einer kennt Russland besser als Michael Thumann, der seit über 25 Jahren aus Osteuropa für die ZEIT berichtet. Er legt nun ein atemberaubend geschriebenes Buch vor, das Russlands Absturz in eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg aus nächster Nähe nachzeichnet. Das Motiv des Diktators und seiner Getreuen: Revanche zu nehmen für die demokratische Öffnung nach 1991 und die vermeintliche Demütigung durch den Westen. Putins Herrschaft radikalisiert sich weiter. Es ist das bedrohlichste Regime der Welt.


„Unter Wladimir Putin verabschiedet sich Russland, das eigentlich größte europäische Land, aus Europa. Erneut senkt sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent. Reise ich in dieses Land, werde ich am Flughafen in aller Regel aufgehalten. Der Grenzbeamte hält meinen Pass fest und telefoniert lange mit seinen Vorgesetzten. Ein Mensch im dunklen Anzug, wahrscheinlich Geheimdienst, holt mich ab und führt mich in einen Kellerraum. Darin ein Schreibtisch, eine alte Matratze mit Sprungfedern, kaputte Stühle, Staub in den Ecken. Ich muss Fragen beantworten: Wo wohnen Sie? Was denken Sie über die Militäroperation? Was haben Sie vor in Russland? Ich antworte knapp und frage mich selbst: Komme ich überhaupt noch in das Land? Und komme ich wieder heraus?“ CH Beck

 

mehr

 

Das brutale Gesicht des Krieges

Arkadi Babtschenko kennt als ehemaliger Soldat die russische Armee aus ihrem Innersten; als kritischer, verfolgter Autor lebt er seit Jahren in der Ukraine und im Exil. Mit dieser einzigartigen Binnensicht beider Seiten schreibt er über die Situation seit 2014, wie niemand sonst es vermag. „Leidenschaftlich persönlich, stilistisch brillant und mit größter Kenntnis“, kündigt rowohlt Berlin das Buch an, das schon im September letzten Jahres erschienen ist. Und seine Aktualität bis zum heutigen Tag und darüber hinaus behält. (rowohlt Berlin) 

 

mehr

Was der Westen so geträumt hat

Carlo Masala warnt in diesem Buch vor den Illusionen des Westens: der Illusion, die Globalisierung würde automatisch zur Verbreitung der Demokratie führen, der Illusion einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, aber auch der Illusion, durch militärische Interventionen ließen sich Demokratie und Stabilität exportieren. Seit der Niederlage in Afghanistan und Putins Krieg gegen die Ukraine stehen die Grundlagen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand. Was muss sich ändern, damit wir in der neuen Weltunordnung bestehen können? (C.H.Beck) 

 

mehr

Vom Fernsehmann zum Staatsmann: Selenskyj

„Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.“ Im Februar 2022 geht dieser Satz um die Welt. Über Nacht wird Wolodymyr Selenskyj vom angeschlagenen Präsidenten der gefühlt fernen Ukraine zur zentralen Figur im Kampf für ein freies Europa. So wenig sich der Westen trotz des Kriegs im Donbass für die Ukraine interessierte, so wenig war bekannt über den Mann, der vom Juristen zum Komiker, zum Staatsmann geworden war und nach den Maidan-Protesten gegen Korruption und für eine Annäherung an Europa antrat. Sergii Rudenko, seit vielen Jahren Journalist in Kyjiw, hat Selenskyjs erste Biografie geschrieben. Sein Buch ist die ausgewogene Geschichte eines ungewöhnlichen Politikers, das lebendige Porträt eines Helden, der keiner sein wollte – und eine unverzichtbare Quelle für alle, die den Mann verstehen wollen, der Putin die Stirn bietet und mit seinem Land längst zum Verteidiger der freien Welt geworden ist. (HANSER)

 

mehr

Die Fratze des Krieges

Seit vielen Jahren berichtet Katrin Eigendorf regelmäßig aus der Ukraine. So auch während der dramatischen Tage und Wochen nach dem 24. Februar 2022, als Wladimir Putin mit seinem grausamen Angriff auf die Ukraine den Krieg zurück nach Europa getragen hat. Angesichts der Bilder aus Mariupol, Charkiw und Kyiw ist auch Deutschland aufgewacht, nachdem es über viele Jahre Wladimir Putin verharmlost hat. 

Katrin Eigendorf erzählt hier vom Krieg, den Putin mit aller Härte führt, vor allem gegen die Bevölkerung. Von ihren Begegnungen mit Menschen, die von einem Tag auf den anderen alles verloren haben, von Familien, die zerrissen wurden, von Kindern, die ihre Kindheit verloren haben. Es sind Begegnungen, die immer wieder an die Schmerzgrenze gehen, auch für eine Reporterin. (SFischer)

 

mehr

Putin - der Killer im Kreml?

Bei der Verfolgung seiner Ziele geht Wladimir Putin über Leichen, und das nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. John Sweeney, investigativer Journalist und seit vielen Jahren auf der Spur von Putins Verbrechen, legt die Beweise vor: Schon bei seinem unheimlichen Aufstieg vom Stasi-Mann in Dresden zum unumschränkten Herrscher im Kreml ging Putin mit erbarmungsloser Konsequenz vor, ließ Oppositionelle ausschalten, provozierte Kriege und überzog Russland mit einem Netzwerk der Korruption. Sein Ziel: die Festigung seiner Macht, persönliche Bereicherung, Russlands Wiederaufstieg zur Weltmacht. Mit kriminalistischer Akribie hat Sweeney vor Ort recherchiert – in Moskau, Tschetschenien, in der Ukraine während des Krieges –, hat mit Zeugen und Experten gesprochen, mit Dissidenten und Ex-KGBlern, mit Handlangern des Systems Putin, mit Kritikern, von denen zu viele für ihre Haltung sterben mussten. Psychogramm, packender Hintergrundreport und knallharte Analyse – eine längst überfällige Aufklärung, eine beispiellose Anklageschrift. (HEYNE)

 

mehr

Putin - ein Verhängnis?

Robert Misik zeichnet ein Regime und das Charakterbild eines rücksichtslosen Despoten, der Europa die Friedensordnung raubt, an die wir uns gewöhnt hatten. Wladimir Putin hat alle an der Nase herumgeführt. In den neunziger Jahren galt er als Demokrat und bewunderte Augusto Pinochet. Nachdem er sich ins Präsidentenamt trickste, beginnt er mit einer Seilschaft hartgesottener KGB-Leute, Russland zur autokratischen Despotie umzuwandeln. Und genauso schnell bastelt er sich eine Staatsphilosophie. Deren Elemente: autokratischer Führerkult, Patriotismus, Imperium, orthodoxe Spiritualität - und Gekränktheit. Dabei stützt er sich auch auf faschistische Denker, etwa auf Ivan Iljin, der Hitler und Mussolini bewunderte. Und er spinnt Netzwerke im Westen, um die Demokratien zu spalten. Putin stilisiert sich zum harten Kerl, zum starken Mann, mit vulgärer Sprache und einer Rhetorik der Gewalt. Nach dieser Lektüre bleibt nur die Frage: Wie konnten wir so blind sein? (PICUS)

 

mehr

Russland neu verstehen - ein Alphabet

Es gibt Begriffe, die wir für typisch deutsch halten: Heimat etwa oder Abendbrot. Sie müssen nicht eindeutig sein, um gemeinsame Assoziationen und Erinnerungen hervorzurufen. Jens Siegert ist nach fast dreißig Jahren in Russland überzeugt: Über solche typischen Begriffe lässt sich auch ein unmittelbarer Zugang zur russischen Kultur, Lebensweise und Politik gewinnen. Manche dieser Begriffe sind bekannt, wie der Eintopf „Borschtsch“; manche missverstehen wir ein wenig, wenn wir z. B. die „Datscha“ für einen Schrebergarten halten. Andere werden bis zu Jens Siegerts aufschlussreicher Zusammenstellung wohl nur Experten bekannt sein, wie „Gopniki“ (in etwa: Prekariat), „Mat“ (eine Art Schimpfsprache) oder „Propusk“ (Passierschein). Nicht zuletzt gehört dazu das „Prinzip“, in dem sich Grundsätzliches mit einem achselzuckenden Relativismus verbindet. Kann man mit Jens Siegerts Buch also Russland begreifen? Im Prinzip ja. Denn es eröffnet Einblicke in das russische Fühlen, Denken und Handeln. Indem er Verhaltensweisen und politische Entscheidungen aufschlüsselt, macht Siegert klar: Wer die Russinnen und Russen beim Wort nimmt, kann beginnen, Russland nahezukommen. (Körber Stiftung)

 

Die russische Sprache wird als slawische Variante von 210 Millionen Menschen gesprochen, allein von 150 Millionen, die russisch als Muttersprache benutzen. „Mütterchen Russland“ ist für uns sehr fremd geblieben, schon allein deshalb, weil die meisten von uns diese Weltsprache nicht sprechen. Sprache hilft aber zu verstehen. Davon geht auch der Autor Jens Siegert aus, der für die Heinrich-Böll-Stiftung von 1999 bis 2015 in Moskau arbeitete und jetzt für das Goethe-Institut tätig ist. Und hätten wir Russland - oder besser Putin selbst - beim Wort genommen, wären wir vielleicht zu wahren Russlandverstehern geworden und nicht zu solchen, die vor allem Verständnis für Gaslieferungen hatten. 


Nun ist alles anders, seit der Angriffskrieg Putins im Gange ist. Und wir versuchen, wieder neu zu verstehen.
Jens Siegerts Buch soll uns in den Begegnungen mit 22 Begriffen aus der russischen Sprache weiterhelfen, Russlands Entwicklungen nachzuempfinden. 


„Propiska“, „Kommunalka“, „Gopniki“ und „Wlast“, „Obida“ und „Mat“ und viele andere russische Begrifflichkeiten werden von ihm durchaus auch unterhaltsam interpretiert. Nur, das muss man wissen, dieses Buch ist vor dem Krieg entstanden, dennoch ist es hilfreich auch jetzt als aktuelle Interpretationshilfe. 


Warum lieben Russen die „Datscha“? Warum gibt es Probleme mit der russischen Bürokratie? Wieso ist die Registrierung der Wohnadresse so bedeutend? Auch Trinksprüche sind wichtig, insbesondere auf die Damenwelt, denn: „Der Toast adelt den Schluck“. Warum werden Frauen bei der Begrüßung mit Küsschen links-rechts-links beglückt? Was passiert in der russischen Sauna „Banja“? Alltagsleben und kulturelle Hintergründe werden Kapitel für Kapitel ausgeleuchtet.  
In seiner politisch-kulturell-soziologischen Analyse konstatiert Siegert aber auch eine Wirtschaftskrise, sinkende Einkommen, allgegenwärtige Korruption, jede Menge Umweltprobleme, Defizite im Gesundheitswesen und in der Bildung. Und auch die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. 


Wie im Sozialismus gibt es die menschliche Schlange noch immer, sie gleicht einem Naturereignis wie dem Regen oder dem Winter, schreibt Siegert, sie verweist als Symbol des „bittenden Menschen“ auf eine vom Staat gewollte und versierte Unselbständigkeit des Staatsbürgers, von denen übrigens ein Drittel der Bevölkerung glaubt, Russland sei ein demokratisches Land. 


Aber die reale Situation ist wirklich anders: Der Paragraph Vaterlandsverrat ist im Strafgesetzbuch inzwischen wieder so weit gefasst, dass praktisch jede und jeder jederzeit als Verräter verurteilt werden kann!!!


Russland ist - schreibt Siegert - ein sehr dialektisches Land. Es geht alles nach dem Prinzip ja/nein, funktioniert/funktioniert nicht, geht/geht nicht, soll/soll nicht, kann/kann nicht, muss/muss nicht.
Die bisher so gut geschmiert laufenden Öl- und Gas-Handelsbeziehungen funktionierten nach dem Prinzip westliche Technologie im Tausch gegen russische Rohstoffe. 


Siegert zeichnet den Zerfall der Sowjetunion nach: Seinen Blick zurück in die Zeit der Lager heftet er an den Begriff „Solowetzky“, Zone, Lager und Gulag.  „Solowetzky“ war das erste Lager für „besondere Zwecke“. 1923 wurde aus einem Mönchskloster ein experimentelles Konzentrationslager. 18 Millionen Menschen waren allein in den Jahren 1929 bis 1953 in solchen Lagern interniert. Es wird mit etwa 3 Millionen GULAG-Toten gerechnet. Weiter wurden elf Millionen zwangsweise umgesiedelt. Schätzungen gehen davon aus, dass in den 70 Jahren Sowjetunion eine Million Menschen direkt durch den Staat ermordet wurden. Anfang 1920/21 waren knapp 500.000 Menschen in russischen Gefangenenlagern festgesetzt


Stalinistische Methoden sind wieder in, aber mit der Zurück-in-die-Vergangenheit- Politik wird Russland, so Siegerts Analyse, ein Land ohne Zukunft, erst recht jetzt, wenn sich die Kriegsfolgen wirtschaftlich dramatisch auswirken sollten. 
Siegert beschreibt dann den Weg zu Putins Russland. Hier wurden die Reichen schneller reicher und die Armen weniger arm. Dass die Supermacht USA Russland zu einer Regionalmacht herabwürdigte, hat Putin als narzisstische Kränkung empfunden. 


Politik ist in Russland nicht Staatsbürgersache, sie ist das Vorrecht der Staatsmacht. Ihre Macht wiederum beruht auf staatlicher Gewalt, materiellem Wohlergehen und Anerkennung der Macht durch möglichst viele Menschen. 


Ob örtliche Verbrecherbosse irgendwo in der russischen Provinz oder nur kleine Gauner, Business-men im globalen Geschäft, die ihr Land ausbeuten, das alles ist Russland und noch viel mehr. 
Das ist der Kernsatz in Siegerts Russland-Alphabet: „Russland will in Europa etwas zu sagen haben, sich aber von Europa nichts sagen lassen.“


Russland sucht immer die Provokation, die Herausforderung, den Kampfmodus. Ohne Kampf wird das Gegenüber als schwach eingeschätzt und bei der nächsten Gelegenheit erneut herausgefordert. 
So ist eine Szene, die Siegert beschreibt, typisch: Ein Abgeordneter der Duma, ein „russisch-nationalistischer Hardliner“, fragte die anwesenden Deutschen, rhetorisch versteht sich, ob sie bereit wären, für Georgien in den Krieg zu ziehen. Offensichtlich nicht. Wir, die Russen, so der Abgeordnete, seien das sehr wohl: Ende des Gesprächs!
Vielleicht achten wir jetzt - in den Kriegszeiten - mehr auf Worte und deren Bedeutung dahinter, und machen uns klar, wozu wir bereit sind. Der Krieg produziert wieder echte und vermeintliche Helden. Wie sagte dereinst schon Böll-Kollege Bert Brecht: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“


Und so gilt auch der Heine-Satz, neu interpretiert: Denk ich an Russland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.
Das Buch sei allen alten, neuen und künftigen Russlandexperten, die jetzt wie Champignons aus dem Boden schießen, ans Herz gelegt. 
Ein Alphabet der Verständigung, ohne die es halt auch nicht geht in der internationalen Politik. 

 

Jens Siegert lebt seit 1993 in Moskau. Er leitete am Moskauer Goethe-Institut das EU-Projekt "Public Diplomacy. EU and Russia." Zuvor war er von 1999 bis Mitte 2015 Chef des Länderbüros Russland der Heinrich-Böll-Stiftung zuständig. 2021 erschien sein Buch "Im Prinzip Russland".

 

Jens Siegert Im Prinzip Russland Eine Begegnung in 22 Begriffen Edition Körber Stiftung 

Buch-Tipps  Angriffskrieg gegen Ukraine

Anne Applebaum, ROTER HUNGER Stalins Krieg gegen die Ukraine Siedler

 

Der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern zwischen 1932 und 1933 - Holodomor genannt

»Russische Mafiabosse, ihre Mitglieder und ihre Verbündeten ziehen in Westeuropa ein, sie kaufen Immobilien, eröffnen Bankkonten, gründen Unternehmen, dringen Stück für Stück ins Gesellschaftsgefüge vor, und bis Europa sich dessen bewusst ist, wird es bereits zu spät sein.«

 

»Viele der Entscheidungen, die er trifft, basieren auf seiner Vorstellung, wie die Welt funktioniert. Patriotismus ist etwas, woran er wirklich glaubt.“

 

„Teile des KGB, unter ihnen Putin, benutzen den Kapitalismus als Werkzeug, um es dem Westen heimzuzahlen.“

 

Nur drei Zitate aus diesem Buch:

Catherine Belton. Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste HarperCollins

Rezension demnächst auf

 

www.facesofbooks.de

 

PUTINS NETZ

Catherine Belton Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste HarperCollins

Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammenbrach, ahnte niemand, dass ein ehemaliger KGB-Agent sich über Jahrzehnte als russischer Präsident behaupten würde. Doch ein Alleinherrscher ist Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich auf ein Netzwerk ehemaliger sowjetischer KGB-Agenten, dessen Einfluss weit über Russland hinausreicht. Catherine Belton, ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times, hat mit zahlreichen ehemaligen Kreml-Insidern gesprochen. Es sind Männer, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml „gejagt“ werden. Belton beleuchtet ein mafiöses Geflecht aus Kontrolle, Korruption und Machtbesessenheit, und das gefällt nicht allen Protagonisten. Vier Oligarchen haben sie deswegen wegen Verleumdung verklagt. Ihr Buch liest sich in all seiner Komplexität so spannend wie ein Agententhriller, doch vor allem enthüllt es, wie das System Putin uns alle mehr betrifft, als uns lieb ist. (HarperCollins)

 

mehr

Roter Hunger in der Ukraine 

Der gegenwärtige Konflikt um die Ostukraine und die Krim ist ohne diese historische Last nicht zu verstehen - der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern 1932 und 1933, Holodomor genannt, war eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und sie hat Folgen bis heute - Stalins „Krieg gegen die Ukraine“ hat sich tief im kollektiven Bewusstsein der osteuropäischen Völker verankert.

 

Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum vereint in ihrer Darstellung auf eindrückliche Weise die Perspektive der Täter und jene der Opfer: Sie zeigt Stalins Terrorregime gegen die Ukraine, die Umstände der Vernichtungspolitik - und verleiht zugleich den hungernden Ukrainern eine Stimme. (SIEDLER)

 

mehr

Schon 2007 erschienen

Der kaukasische Teufelskreis - ein Russlandbuch

Erich Follath Matthias Schepp Gasprom - Der Konzern des Zaren in: 
Norbert Schreiber (Hg.): Russland. Der Kaukasische Teufelskreis oder Die lupenreine Demokratie Wieser Verlag Klagenfurt 2007 zuerst veröffentlicht in DER SPIEGEL. 


Die Welt weiß viel über Exxon Mobil, General Electric, Toyota, Microsoft, die anderen Big Shots unter den Großunternehmen der Welt; sie weiß aber zu wenig über Gasprom. Was für ein Konzern ist das, dessen Börsenkapitalisierung zwischenzeitlich 290 Milliarden Dollar überstiegen hat, dessen gegenwärtiger Marktwert höher ist als das Bruttosozialprodukt von 165 der 192 in der UNO vertretenen Nationen? Wie tickt ein Unternehmen, das ein Sechstel der weltweiten Erdgasreserven kontrolliert und mit einem Fingerschnipsen die Energiezufuhr nach Westeuropa unterbrechen, unsere Wohnungen erkalten lassen kann?
Die Gasprom-Story hat Helden und Halunken; sie spielt in den überheizten Politiker-Hinterzimmern von Moskau wie in der Eiseskälte von Sibirien, in den von Erpressung bedrohten Pipeline-Transitländern Ukraine, Weißrussland und Armenien, »auf Schalke« im Ruhrgebiet der Malocher, wie auch im Schweizer Millionärssteuerparadies Zug und in Sotschi am Schwarzen Meer, Putins zweiter Sehnsuchtsstadt, wo er mit den ebenfalls von Gasprom finanzierten Olympischen Spielen sein Lebenswerk krönen will. (…)


Weltmacht Gasprom, Europas wertvollster Kon¬zern, Putins Schwert: Auf dem großen Bildschirm im Kontrollzentrum kann mühelos die weltweite Expansion des Kraken besichtigt werden, dessen Fangarme in alle Richtungen zuschlagen. Hier voll¬zieht sie sich zivilisiert, geräuschlos. Hier sind die wütenden Proteste der Regierungen nicht zu hören, für die die Gaspreise auf Weltmarktniveau angehoben werden, weil Gasprom Geld braucht. Oder weil der Kreml Staaten bestraft, die sich wie die Ukraine und Georgien von Moskau ab- und der NATO und der EU zuwenden. Hierher dringen keine Debatten vor über die zwischen den Herren Putin und Schröder abgesprochene Ostsee-Pipeline, den Ärger der Polen und Balten. Ungefähr in der Mitte der Europakarte blinkt die Pumpstation Kurskaja auf; von dort drehte Gasprom der Ukraine Neujahr 2006 das Gas ab. Moskau hatte den Preis zunächst verdreifacht; die Verhandlungen mit Kiew drohten zu scheitern. Man einigte sich schließlich auf fast das Doppelte. Im Januar 2007 wiederholte sich in Weißrussland das Spiel; tagelang stoppte Russland den Öl-Fluss. Wie¬der wurde den Westeuropäern bewusst, dass Gas und Öl für den Kreml auch politische Waffen sind. Schon heute versorgt Gasprom rund 30 europäische Länder. Estland und die Slowakei hängen zu 100 Prozent am Gas aus dem Osten, Griechenland zu 80, Polen zu 60 und die Bundesrepublik Deutschland zu 36 Prozent.“