Bücher zu Zeitfragen
Unter der RUBRIK Bücher und Zeitfragen werden wir immer mal wieder Bücher auf www.facesofbooks.de, FACEBOOK und Instagram Bücher vorstellen, die sich mit Fragen des Zeitgeschehens auseinandersetzen, nicht immer tagesaktuell, aber gebunden an Debatten oder Entwicklungen, Bücher, die für die Interpretation als Hintergrundinformationen dienen können.
Die Formen des Sichtbaren Eine Anthropologie der Bilder
Als ob wir bislang etwas anderes gesehen hätten, als wir die Bilder der Welt betrachten! Philippe Descola hat eine anthropologische Sehhilfe entworfen, deren Schärfe nicht in Dioptrien gemessen wird.
Mit seinem überzeugenden Buch „Die Formen des Sichtbaren“ wirkt er mit den Mitteln seiner anthropologischen Forschungsergebnisse auf das ein, was unser Gehirn mit dem Wahrgenommenen anstellen
kann.
Der 1949 geborene Autor gilt als der bedeutendste französische Anthropologe der Gegenwart. In seinem Werk sprengt er den zeitlichen und geografischen Rahmen eurozentrierter Bild- und Kunstbetrachtung. Das führt ihn zu einer gänzlich neuen und überraschenden Kategorisierung des Ähnlichen, oder, wie er sagt, der Weisen, „in den Falten der Welt Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzuspüren.“
Er bezeichnet diese vier Weisen als „Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus“. Den Animismus lernte der Autor während seiner frühen Feldforschungen bei den Achuar am oberen Amazonas kennen: „Jede Art von Ding verfügt über einen eigenen Körper … ihm wird Interiorität im Sinne eines Innenlebens menschlicher Art zugeschrieben – die meisten Wesen haben eine Seele.“ Die Beschäftigung mit Texten und großen Monographien über die australischen Aborigines führte ihn „zu meinem großen Erstaunen“ zu einer Ahnung, was Totemismus ist: Der totemistische Prototyp wird meist mit einem Tiernamen belegt. „Die menschlichen und nichtmenschlichen Mitglieder der Klasse des Adlers z.B. ähneln also dem Adler gerade nicht und stammen auch nicht von ihm ab, vielmehr teilen sie die Eigenschaften mit diesem Vogel – Schnelligkeit, Entschlossenheit, Sehschärfe …, die bei ihm stärker hervortreten als bei jedem anderen, doch deren tatsächliche Quelle auf eines der Totemwesen zurückgeht, die einstmals der Welt Ordnung und Sinn verliehen haben.“ Der dritte Identifikationsmodus (Analogismus) erschloss sich dem Autor aus Überschneidungen des chinesischen Denkens, der Renaissance durch die Brille von Foucault und des Denkens der Azteken. „Alle drei waren richtiggehend besessen von der Analogie als einem Mittel, die wildwuchernden Unterschiede zwischen den Objekten der Welt… dadurch zu verringern, dass sie zu ausgedehnten Korrespondenznetzwerken verknüpft werden.“ Schließlich weist Descola die europäische Malerei des 15. – 20. Jahrhunderts dem Naturalismus zu und entwickelt in dem diesem gewidmeten Kapitel überraschende und interessante Ergebnisse für den Übergang von der drei Dimensionen in den Blick nehmenden Bildgestaltung zu flächigen, z.B. abstrakten Malerei.
Das alles ist von der überwältigenden Kenntnis des Autors von den Bildsprachen der Welt getragen. Es verlangt von seinen Leserinnen und Lesern ein Hohes Maß an Aufmerksamkeit und unterscheidet sich
wohltuend von plaudernden Werken über Kunst. Die Übersetzung des anspruchsvollen Textes hat Christine Pries bewundernswert besorgt. Die gleichwohl bleibenden Anstrengungen bei der Lektüre werden
durch zahlreiche Bildbeispiele aufgelockert.
Der geradezu revolutionäre Ansatz wird die kunstanthropologische Diskussion der Zukunft beflügeln. Descola formuliert keine letztgültigen Wahrheiten über die Formen des Sichtbaren, sondern er stellt seinen völlig neuartigen Ansatz zur Diskussion. Aber er führt gewissermaßen endgültig weg von vielen konventionellen, im Wesentlichen eurozentrierten Sichtweisen. An den Rändern der Welt, die sich in das Zentrum der Aufmerksamkeit in Werken wie dieser Anthropologie der Bilder bewegen, hat sich schon vor Jahrtausenden etwas getan, was der Autor dieses großartigen Werkes überzeugend geordnet und neu gegliedert hat.
Harald Loch
Philippe Descola: Die Formen des Sichtbaren Eine Anthropologie der Bilder
Aus dem Französischen von Christine Pries
Suhrkamp, Berlin 2023 783 Seiten 156 z.T. farbige Abb. 6 Tabellen
Die AfD - rechts unten
Umsturzpläne für Deutschland
Umsturzpläne und Festnahmen haben dieser Tage die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Eine mutmaßlich terroristische Vereinigung, zu der 25 Festgenommene gehörten, planten einen Putsch gegen die
Bundesregierung. Generalbundesanwalt Peter Frank: “Die Vereinigung hat sich nach unseren Erkenntnissen zum Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die
freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen." Mit einer Großrazzia gegen Anhänger der „Reichsbürger- und Querdenker-Bewegung“ wehrt sich
der Rechtsstaat. Wurde die Gefahr von rechts in Deutschland zu lange unterschätzt? Welche Rolle spielen Rechtsparteien im Parteienspektrum der Bundesrepublik? Geht von der AfD eine Gefahr für unsere
Demokratie aus? Ein neues Buch über die AfD von Sebastian Pittelkow und Katja Riedel bietet Insiderinformationen und eine gründliche Recherche über die Protestpartei.
Titel
Sebastian Pittelkow/Katja Riedel RECHTS UNTEN
Die AfD
Intrigen, heimliche Herrscher und die Macht der Geldgeber
rowohlt Polaris
Autor
Sebastian Pittelkow, geboren 1982 in Dresden, arbeitet als investigativer Reporter für den NDR und die ARD in Berlin und gehört zur Recherchekooperation NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Er hat Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert und danach beim MDR als Reporter gearbeitet. Mit der AfD und dem Osten der Republik beschäftigt er sich journalistisch seit vielen Jahren. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet.
Katja Riedel wurde 1979 in Rotenburg an der Fulda geboren. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Investigativjournalistin, vornehmlich für die Recherchekooperation
von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung, zuletzt aber auch für die ZEIT. Nach einem Studium in Leipzig, Gießen und München absolvierte sie die Deutsche Journalistenschule. Bei der Süddeutschen Zeitung
war sie bis 2016 Redakteurin und wechselte dann ins Berliner Büro des Investigativressorts des WDR, wo sie sich neben wirtschaftspolitischen Themen seit Jahren der AfD und den Netzwerken widmet.
Gemeinsam deckten Katja Riedel und Sebastian Pittelkow wichtige Teile der AfD-Spendenaffäre auf.
Gestaltung
Paperback, 351 Seiten, ohne Fotos, in sachlichem Reportageton geschrieben
Cover
nur Schlagzeilen, keine Fotos, RECHTS UNTEN in rot und schwarzer Farbe bewusst auf dem Titel hervorgehoben
Zitat
„Auffallen, radikal sein – mit Skandalen, mit Tabubrüchen und mit Pauschalisierungen – und das um jeden Preis: kann die AfD. Raus dem Kästchen springen auch. Wohin? Nach rechts unten.“
Meinung
Tiefe Einblicke in das System der Partei haben die beiden AfD-Rechercheexperten da zusammengetragen, sehr detailliert und fundiert, sie nennen es Spurensuche eingangs zu einer Partei, die die
Parteienlandschaft „grundstürzend“ verändert hat, die sich aus Stimmungen und spontanen Mehrheiten nährt.
Parteiprotokolle, Vorstandsmails, Chats und zugespielte Dokumente auf vollen Festplatten standen den Autoren als Material zur Verfügung. Sie beschreiben die Parteienentwicklung als eine „Geschichte
des Streits“ und porträtieren die Kampfhähne und weiblichen Kampfhühner.
Die Autoren sind Verfehlungen auf der Spur und kümmern sich um Geldströme. Schmutzige Chats werden wie Waffen benutzt. Wahrheiten gehen dabei verloren. Machtkämpfe, Deals, Absprachen werden
aufgedeckt, sie beschreiben den Weg von der Aufbruchstimmung zur Abbbruchpolitik.
Thema auch der Kampf zwischen moderatem Flügel und Rechtsradikalen in der Partei, den ideologischen Hardlinern, Fehden an der Parteispitze, Selbstbeschäftigung der Parteielite, Machtkämpfe,
Austritte, öffentliches Auftreten im „Rechtsaußen-modischem-Schick, das alles tragen die Journalisten akribisch, fast detailversessen auf.
Es entsteht das Porträt einer schier unsteuerbaren Protestpartei, die sich als Sammelbecken der Protestwähler empfindet und in jahrelange Lagerkämpfe verstrickt ist. Die Parteiführer etablieren
Reizwort-Diskussionen über „Überfremdung“ der Republik, verharmlosen extremistisches Gedankengut mit euphemistischer Sprachregelung, verfolgen rassistische und islamophobe Ideen.
Es geht auch um Landschaftspflege durch Großspenden, um intransparente Unterstützervereine. Ein besonderes Kapitel widmet sich den „Liebesdiensten für Moskau“, denn AfD-Politiker entwickeln eine rege
Reisetätigkeit nach Moskau. Die AfD will weiter Russengas beziehen, lehnt die EU- und NATO-Beitrittsansinnen der Ukraine ab, Gauland will im Europäischen Haus noch im August 2022 ein gutes Verhältnis
zu Russland haben.
Ob Luxusaufenthalte in 5-Sterne-Hotels oder attraktive Segeltörns, die Lock-Verlockungen in Russland sind groß, die Funktionsträger können Ansehen gewinnen und beim Wähler damit Eindruck
schinden.
Das Buch entlarvt auch die Desinformationsmaschine Russlands.
Das Autorenduo diagnostiziert insgesamt: „Die Zeiten des Wachstums scheinen inzwischen vorbei zu sein.“
Fazit des Buches, die Protestpartei hat auch eine Abneigung gegen feste Strukturen im Inneren, eine Art Populismus, der nach innen wirkt. Der Ausblick über die künftige Entwicklung der Partei fällt
etwas knapp aus. Aber die gegenwärtigen Krisen sind wie gemacht für eine Protestpartei. Ein aufklärendes Buch mit viel Recherchebelegen. Fakten nicht Fake!
Leser
WIR ALLE, Mitglieder des Deutschen Bundestages und alle Mitglieder von Parteien
PRESSE
„Für diejenigen, die sich ernsthaft und ausführlich mit Details, Hintergründen, Ausrichtung, Personal und Verbindungen innerhalb der rechtsradikalen Partei auseinandersetzen wollen, ist „Rechts unten“ deswegen unbedingt empfehlenswert und hält auch für langjährige Beobachter*innen viel Neues bereit. Wer allerdings nur einen kurzen Überblick zur AfD sucht oder sich ins Thema einlesen will, wird angesichts der Detailfülle eventuell abgeschreckt sein.“
AUDIO