Bücher zu Zeitfragen

Unter der RUBRIK Bücher und Zeitfragen werden wir immer mal wieder Bücher auf www.facesofbooks.de, FACEBOOK und Instagram Bücher vorstellen, die sich mit Fragen des Zeitgeschehens auseinandersetzen, nicht immer tagesaktuell, aber gebunden an Debatten oder Entwicklungen, Bücher, die für die Interpretation als Hintergrundinformationen dienen können. 

Über allem ein weiter Himmel            Nachrichten aus Europa 


Es fühlt sich beim Lesen so an als hätte der Autor ständig eine Handicam dabei oder filmt seine Begegnungen mit der Linse seines Mobiltelefons. Denn seine Beschreibungen von Menschen, Orten, Begegnungen sind so präzise, dass wir faszinierend seinen Wegen durch Europa folgen.  Eigentlich ist der Autor ein Roman-Schreiber. Aber in diesem Buch versucht er sich mit reportagehafter Literatur oder mit literarisch ambitionierten, journalistischen Reportagen. Je nachdem wie man das Genre interpretieren will.

 

Über allem ist der europäische Himmel gegenwärtig. Aber Matthias Nawrat schaut mehr auf der Erde nach dem „Alten Europa“, das er zum Beispiel in Polen findet. Interessanterweise auch in Tel Aviv, und dann im Kapitel der „Neuen Gegenwart“ in den Städten Ljubljana Warschau, Nowosibirsk Berlin, Timișoara, Budapest und Wroclaw, also Breslau. Es fällt einem eher leicht aus vergangener Betrachtungsweise heraus auch Belarus und die Stadt Minsk zu Europa dazuzuzählen. Allerdings hat er die belarussische Hauptstadt schon 2019 besucht. Heute steht das gesamte Land unter dem Einfluss Putins. Es daher zu Europa zu zählen, fällt inzwischen schwerer. Es sind Reportagen aus den Jahren 2013 da versammelt, entstanden teilweise parallel zu Recherche-Stipendien, die der Autor für neue Romane bekommen hat.


Die Kernfrage des Buchs lautet „Wie viel Europa steckt in diesen einzelnen Regionen? „

 

Zwischendurch liest der Autor selber ganz gern in den Reportage-Werken anderer Autoren, etwa in denen des polnischen Reporters Ryszard Kapuściński, der über seine Reise durch die Sowjetunion und China berichtet. Kritisch merkt Nawrath an, dass in den Ausführungen das eigentlich Interessante fehle, etwa die Beschreibung von Maos großem Sprung nach vorn in China. 


Für mich beeindruckend die Beschreibung der Region der Masurischen Seenplatte und Belarus, Regionen, die ich selbst oft besucht habe und unglaublich aufregend und beeindruckend fand. Das Kapitel Tel Aviv erscheint mir wie ein zufälliger inhaltlicher Bruch in diesem Buch. 
Ob Vortragsreisen, Stadtspaziergänge, Begegnungen mit Literaten, Podiumsgespräche, private Besuche, Partys oder nur verlängerte Wochenenden zum Beispiel in Warschau, der Autor fängt das Alltagsleben, aber auch das Besondere der jeweiligen Region und ihrer Menschen ein.


Was allerdings Nowosibirsk mit dem europäischen Himmel zu tun hat, erschließt sich nur dem Autor oder dem Lektor des Buches. 
Wer sich für Europa interessiert, sollte dennoch zu dieser Lektüre greifen. Denn es fängt genaue Alltagssituation genauso ein wie das Besondere einer jeweiligen Region. Zugleich tippt es auch Grundsatzfragen an, wie zum Beispiel die: Existiert das alte Mitteleuropa noch? Diese Frage stellt er sich, als er Budapest besucht und dort Literaten trifft. 


Interessant ist die Lektüre auch für Journalisten, die sich der Frage widmen: Wie kann eine gute Reportage entstehen, und vor allem, wie kann sie so formuliert werden, dass Sie den Leser oder die Leserin packt und interessiert. Ein paar Tage nach der Europawahl allerdings denkt man, dass der Autor erneut durch die Regionen fahren müsste, um das Politische, und vor allem den starken Rechtsruck in den Ländern erneut zu untersuchen, und das vor allem politisch interpretatorisch  genauer. Denn auch das wären dann neueste Nachrichten aus Europa. 

 

Matthias Nawrat, 1979 im polnischen Opole geboren, emigrierte als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Bamberg. Für seinen Debütroman «Wir zwei allein» (2012) erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis; «Unternehmer» (2014), für den Deutschen Buchpreis nominiert, wurde mit dem Kelag-Preis und dem Bayern 2-Wortspiele-Preis ausgezeichnet, «Die vielen Tode unseres Opas Jurek» (2015) mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises sowie der Alfred Döblin-Medaille. «Der traurige Gast» (2019) war unter anderem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. 2020 erhielt Matthias Nawrat den Literaturpreis der Europäischen Union. «Reise nach Maine» (2021) ist sein fünfter Roman. Zuletzt erschien der Gedichtband «Gebete für meine Vorfahren» (2022), ausgezeichnet mit dem Fontane-Literaturpreis der Stadt Neuruppin.

 

Matthias Nawrat Über allem ein weiter Himmel Nachrichten aus Europa Rowohlt 

Antisemitismus - immer noch und schon wieder

Philipp Peyman Engel: Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch
Lieber Herr Peyman Engel, bitte verlassen Sie unser Land nicht. Sie haben gerade ein wichtiges Buch geschrieben: Deutsche Lebenslügen“. In allen Punkten haben Sie Recht – das schreibt der Rezensent selten über ein politisches Buch. Aber Sie haben Recht, wenn Sie die täglichen und oft tätlichen Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen in Deutschland anprangern. Ihre Angst um Ihre Familie, um die Gemeinden und ihre Mitglieder, um die liberale Demokratie in Deutschland ist nur zu verständlich. Sie sehen deutlicher als vielleicht mancher von Ihren Leserinnen und Lesern, wo Antisemitismus herrscht, wo er herkommt und wohin er zu führen droht. Den von rechts, innerhalb und im Umfeld der AfD sehen viele und wenden sich gegen ihn. Den von links, der sich aus vermeintlicher antikolonialer Solidarität mit den Mördern der Hamas in Gaza speist. Und den aus arabisch-muslimischen Migrantenkreisen, die das Auslöschen des Staates Israel auf ihre Fahne geschrieben haben. Diese drei antisemitischen Quellen vermischen sich mit traditionellen antisemitischen Vorbehalten in der deutschen Bevölkerung zu einer gefährlichen Mischung, die Sie in ihrem erschütternden, auf Tatsachen und geprüfte Quellen gestützten Buch benennen. Natürlich finden Sie auch die vielen zivilen Opfer der israelischen Verteidigungsschläge gegen die perfide getarnten Hamas-Stellungen fürchterlich – wer nicht? Sie wandeln hierauf eine seit Jahrzehnten klassische israelische Formel um: „Wir werden es unseren arabischen Gegnern nie verzeihen, dass sie uns zwingen, Ihre Menschen zu töten.“ Ihre Worte zu Netanjahu werden viele unterschreiben, die gegen Trump leider vielleicht nicht genügend. Die Worte, die Sie gegen Steinmeiers frühere Außenpolitik geschrieben haben, werden wohl vor der Geschichte Bestand haben. Sie haben den Deutschen Bundespräsidenten auf seiner jüngsten Reise nach Israel begleitet und heben seinen offensichtlichen Gesinnungswandel hervor – er steht bedingungslos zum Existenzrecht Israels und zum Verteidigungsrecht des Staates, der seit Jahrzehnten und Kriegsbedingungen lebt und dennoch der einzige Zufluchtsort vor Antisemitismus für Juden in aller Welt ist. Sie beschreiben den begonnenen Exodus der Juden aus Frankreich und sie bemerken die Veränderungen in den USA. Wenn Ihr Cousin in Los Angeles trotz des antidemokratischen aber israelfreundlichen Trump diesen „aus Prinzip“ wieder wählen wird, schreiben Sie ihm „Schmock“ ins Stammbuch. Sie bemängeln das Ausbleiben eines landesweiten Aufschreis in Deutschland zu Gunsten Israels nach dem brutalen Überfall der Hamas. Sie sehen stattdessen eine Solidarisierung mit den in der Tat geplagten Menschen in Gaza.
Was tun? Mit dem rechten Antisemitismus (AfD) müssen die deutschen Demokraten fertig werden. Die postkolonialen linken Kritiker der israelischen Siedlungspolitik werden wohl erst einlenken, wenn sich in Israel etwas ändert. Der zahlreiche arabisch-muslimische Antisemitismus muss hierzulande bekämpft werden nach der Devise: Wer in die Bundesrepublik einreist, wer hierher flüchtet, muss sich nicht zu Goethe, Beethoven, zum Fan von Bayern München oder zu allen deutschen Sekundärtugenden am Arbeitsplatz assimilieren. Aber er muss unsere Rechtsordnung, vor allem das Grundgesetz respektieren, er – und hier handelt es sich immer um „ihn“ – muss die Errungenschaften der Gleichberechtigung der Frauen respektieren. Er darf nicht das Volk, auch nicht das eigene, verhetzen. Das ist so selbstverständlich wie das Respektieren der Straßenverkehrsordnung. Das muss wirksamer durchgesetzt werden als bisher. Verstöße müssen Folgen haben! Und natürlich gehört dazu auch ein Verhalten der Mehrheit gegenüber dieser relativ großen Minderheit der Muslime, das es ihren Mitgliedern erlaubt, die Segnungen eines rechtskonformen Verhaltens selbst zu erleben. Das alles käme dann auch der sehr viel kleineren Minderheit der Juden zugute, der wir hier die Gewissheit eines sicheren Lebens garantieren müssen.


Der Autor ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, Kind einer aus Persien hier geflohenen Jüdin und eines nichtjüdischen Deutschen. Er ist Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen. Er schreibt: „Die ersten Koffer sind schon gepackt. Doch dann ist da ein Detail, das mich nicht loslassen will: Ich bin ein deutscher Jude. Hier ist mein Platz! Hier wurde ich geboren, hier gehöre ich hin. Ich werde kämpfen. Ich möchte mich nicht von einem antisemitischen Mob tyrannisieren lassen. Deutschland ist ein gutes Land. Mit vielen großartigen Menschen.“ Der Rezensent denkt dabei an zwei verschiedene türkische Markthändler, bei denen er köstliche Jaffa-Mandarinen kauft und die anpreisend sagen „aus Israel“.


Harald Loch


Philipp Peyman Engel: Deutsche Lebenslügen. Der Antisemitismus, wieder und immer noch
dtv, München 2024   191 Seiten   18 Euro 

 

Erbe des Kolonialismus und Erbe der Indigenen   

Kolonialismus ist eines der großen politischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deutschland war daran beteiligt und sucht immer noch nach einem angemessenen Umgang mit dessen Folgen. In der Gesellschaft geht es um eine ebenso angemessene Einordnung des Kolonialismus in das geschichtliche Bewusstsein. Andererseits werden von der ethnologischen Forschung immer mehr Wurzeln der überwiegend westlichen Moderne offengelegt, die von Indigenen stammen. Beide Aspekte sind Teile einer asymmetrischen Weltsicht, die erst nach und nach in eine globale Geschichte der Menschheit einfließen.

Der auf eine Initiative der Diplomats of Color entstandene und vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik finanzierte Sammelband „Das Auswärtige Amt und die Kolonien“ trägt der Tatsache Rechnung, dass Kolonialpolitik immer auch und in erster Linie Außenpolitik ist. Im Kaiserreich war das AA eine direkt dem Reichskanzler bzw. dem Kaiser unterstellte Behörde. Mit der gleichen Bezeichnung wurde es in der Weimarer Republik und auch im und NS-Staat als Ministerium fortgesetzt und nach dem Krieg in der Bundesrepublik neu definiert. Die DDR hatte ein eigenes Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Der historische Längsschnitt über mittlerweile fast 150 Jahre deutscher Kolonialpolitik führt in 17 Beiträgen ausgewiesener Kolonialforscher mentale Kontinuitäten zu Tage, die den nach wie vor befangenen Umgang mit dem Thema belegen. Sensationell ist der Beitrag von Flower Manase Msuya. Sie ist Kuratorin im tansanischen Nationalmuseum in Dar es Salam, in dem „Koloniale Hinterlassenschaften aus dem Ersten Weltkrieg“ ausgestellt werden, darunter militärische Exponate von General Paul Emil von Lettow-Vorbeck, dem lange und in einschlägigen Kreisen noch heute in Deutschland verehrten „Helden von Deutsch-Ost“, der im Ersten Weltkrieg einer alliierten Übermacht bis nach Kriegsende standgehalten hatte. Tausende Tansanier fielen dieser Kriegsführung zum Opfer. Ähnlich aufklärend ist der Beitrag des Mitherausgebers des Sammelbandes; Carlo Alberto Haas unter dem Titel „Forscher, Diplomaten und nichtintegrierte Indianer: Stelen aus Guatemala im Berliner Humboldt Forum“: „Wie leicht kann es geschehen, dass die vorhandenen historische gewachsenen Asymmetrien zwischen Deutschland und Guatemala auch heute noch reproduziert werden.“ Der Artikel endet mit einem Appell an Selbstkritik und Offenheit in Bezug auf den „Globalen Süden“. Alle Beiträge des Sammelbandes von den Gewaltverbrechen der eigentlichen Kolonialzeit bis in die Ignoranz der Gegenwart sind diesem Appell verpflichtet.

Vielfach übersehen wird das Erbe der Indigenen als Wuzeln für die Moderne in unserer Welt. Karl-Heinz Kohl, Ethnologie-Professor in Mainz, Frankfurt a.M. und New York beleuchtet dieses Erbe in seinem Buch „Neun Stämme“. Aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien hat er Beispiele gewählt und untersucht, die einen kulturellen Transfer von den angeblich „Primitiven“ in die von überheblicher Suprematie gekennzeichnete westliche Welt beinhalten. Zwei davon haben auch mit ehemals deutschen Kolonien zu tun: Die westlichen Samoa Inseln gehörten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges dazu. Der Artikel behandelt „das Ende der sexuellen Repression“, eingeleitet durch Bücher das in Hamburg geborenen Malers und Schriftstellers Erich Scheurmann, in denen er die sexuellen Freiheiten der Samoaner beschrieb. Weltweit wurde diese liberale Sexualpraxis berühmt durch die Feldforschungen der Amerikanerin Margaret Mead mit ihrem Aufsehen erregenden Buch Coming of Age in Samoa, mit dem sie zu Ikone der sexuellen Befreiung wurde. Ohne diesen „indigenen“ Impulshätte es diese nicht gegeben. Eine andere ehemals deutsche Kolonie in Ozeanien hat die deutsche Malerei beflügelt: Palau, das „Tahiti des deutschen Expressionismus“, vor allem der Künstlergruppe „Die Brücke“. Ernst Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff ließen sich zunächst von nach Deutschland gebrachten Exponaten aus Palau zu ihren Bildern inspirieren. Max Pechstein ließ sich nach dem Ersten Weltkrieg für längere Zeit auf der Insel nieder und Gottfried Benn schrieb 1922 sein berühmtes Gedicht „Palau“. Ohne Palau kein deutscher Expressionismus!

 

Harald Loch

 

Carlos Alberto Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald und David Simo (Hrsg.): Das Auswärtige Amt und die Kolonien   Geschichte, Erinnerung, Erbe

C.H.Beck, München 2024   592 Seiten   21 Abb.   36 Euro

 

Karl-Heinz Kohl: Neun Stämme   Das Erbe der Indigenen und die Wurzeln der Moderne

C.H.Beck, München 2024    312 Seiten   32 Euro

Menschliche Existenzfragen

Wie nichts anderes erschüttern uns die Liebe und der Tod. Deshalb sind sie „die Themen überhaupt, das A und O unserer Erzählungen.“ Der 1951 geborene Soziologe und Germanist Lorenz Jäger schreibt selbst keine dieser Erzählungen, sondern er schreibt über „Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens“ in den Religionen, in der Dichtung und in der Philosophie. In 19 Kapiteln erzählt er dann aber doch, wie sich die Menschheit Liebe und Tod als Quintessenz des Daseins in ihren Kulturen zugerichtet hat. Der Autor strotzt vor Bildung, aber er protzt nicht mit ihr. Wenn er durch die kulturellen Welten flaniert und große wie kleine Beispiele sammelt, dann tritt er bescheiden hinter die jeweiligen Urheber zurück, die er an gutgewählten Beispielen zitiert. Vom Gilgamesch Epos bis zu Ulrike Edschmids Buch über ihren Geliebten „Philip S“, von Troja bis zu Sagen und Märchen der deutschen Romantik, an allen Orten und zu allen Zeiten war die Menschheit fasziniert von diesen beiden Themen. Phänomene der jüngeren Gegenwart verändern manche Sicht und Bewertung: Die Entkoppelung von Liebe und Fortpflanzung oder die Fantasien vom medizinisch-technischen Fortschritt zum Nicht-mehr sterben-Können streift Jäger mit gekonnter Nonchalance – sie entfalten keine Poesie wie das Wort von Emily Dickinson, das er seinem Buch voranstellt: „That it will never come again/Is what makes life so sweet.“ Wenn er der Liebe in der kulturellen Welt nachspürt, sieht er (nur) die zwischen Mann und Frau. Wenn er vom Leben schreibt, meint er wirklich die Kunst des Lebens und wenn er vom Sterben schreibt, dann ist es die Kunst des Sterbens. Es geht nicht um das millionenfache Verhungern, um den Tod in Seuchen oder um das gegenseitige Abschlachten in den Kriegen, sondern eben darum, wie es die Menschen einrichten, das selbstverständliche Sterben. Der Ausschnitt ist schmal. Kunst ist eben selten und kostbar.

 

Jäger zitiert das Hohelied, in dem beide Themen seines Buches erhaben verknüpft sind: „Ja, stark wie der Tod ist die Liebe, hart wie die Unterwelt der Leidenschaft. Ihre Brände sind Feuerbrände. Flammen des Herrn. Gewaltige Wasser können die Liebe nicht löschen…“Er erinnert sich an den Film „Mépris“ (Verachtung) von Jean-Luc Godard mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli, der ihr sagt „je t’aime totalement, tendrement, tragiquement“ (Ich liebe dich vollkommen, zärtlich, tragisch). Sie stirbt, nachdem sie ihn verlassen hat, bei einem Unfall im roten Ferrari. So dicht liegen Liebe und Tod beieinander, wenn sich die Religion oder die Kunst ihrer annehmen. Davon gibt das lebendig geschriebene Buch gebildet Kunde und Beispiele zu Hauf. Es gibt keinen Trost für das Natürliche, aber es gibt die Kunst, die dieses Natürliche zu einem neuen, einem seit langem „ewigen Leben“ verhilft. Auch das streift Jäger – die Vermutung, dass die Seele ewig lebte, dass es nach dem Tod weiterginge, ins Paradies oder – je nachdem – ins Fegefeuer oder in die Hölle. Auch das gehört eigentlich in die „Kunst des Lebens“; denn wie sollte man leben, ohne an das Danach zu denken. Aber dieses „Danach“ ist eine der kunstvollen Verarbeitungen des Todes. Eigentlich ist das ganze Buch von Lorenz Jäger ein an ihren beiden Kernthemen entlanggeführter, sehr lesenswerter Versuch über die Kunst, über ihre Schönheit, ihre Kraft und ihre unvermeidlichen Irrtümer.

 

Harald Loch

 

Lorenz Jäger: Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens

Rowohlt Berlin 2024   269 Seiten

 

Lorenz Jäger, geboren 1951, studierte Soziologie und Germanistik in Marburg und Frankfurt am Main, anschließend unterrichtete er deutsche Literatur in Japan und den USA. 1997 wurde er Redakteur im Ressort Geisteswissenschaften der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», das er zuletzt leitete. 2017 erschien «Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten», 2021 «Heidegger. Ein deutsches Leben», zu dem das «Philosophische Jahrbuch» schrieb: «Jäger ist eine großartige Biographie gelungen ... Er hat den Blick neu geöffnet.»

Frei, die Welt zu verändern   

Wann, wenn nicht jetzt? In einer Welt voller totalitärer Regime, voller populistischer fake news, voller Kriege und Imperialismus lohnt es nicht nur, Hannah Arendt wieder zu lesen – es wird zur Pflicht!

 

Ihre Werke sind lieferbar, aber ganze Generationen haben sie nicht gelesen. Ihre Aufforderung zu denken wird zu oft delegiert an ideologische Vordenker, an Vorprediger, an Oberbefehlshaber. Aber das denkende Gehirn sollte man bei der Lektüre ihrer Werke nicht ausgeschaltet lassen. Wenn sie irrte, oder sich selbst widersprach, muss man selbst noch einmal nachdenken. Sokrates hat es für die im antiken Griechenland bestens beheimatete Hannah Arendt vorgemacht.

 

Die englische Professorin für Humanities und Menschenrechte an der Universität Birmingham, Lyndsey Stonebridge, breitet den ganzen Kosmos der politischen Philosophin in ihrem Buch „Wir sind frei, die Welt zu verändern“ vor ihrem Publikum aus. Das ist ganz im Sinne Arendts kritisch, aber voller Empathie für deren Grundaufforderung, zu denken. Die Autorin streift durch markante Punkte und Wendemarken des Lebens ihres Vorbilds. Sie flicht eigene Erlebnisse und Gedanken dazu sympathisch ein, so dass immer der menschliche Grundton anklingt, dass hier ein denkender, vieles wissender Mensch über einen anderen denkenden Menschen schreibt.

 

Nicht nur die Hauptwerke der Arendt werden zum Gegenstand einer zusammenfassenden kritischen inhaltlichen Analyse. Stonbridge behandelt auch kleinere Arbeiten und Aufsätze, sowie ihre Liebe zu Heidegger wenn sie in die fließende Erzählung zu Hannah Arendt passen. Ihr erstes großes Werk mit dem deutschen Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, mit dem sie ihren Ruf als maßgebliche Intellektuelle begründete, steht im Vordergrund der Reflexionen von Stonebridge. Dieses 1951 vollendete Buch „schoss in den Monaten nach der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 auf den amerikanischen Bestsellerlisten nach oben und im ersten Jahr seiner Präsidentschaft steigerten sich die Verkaufszahlen um insgesamt über 1000 Prozent.“

 

Der offene Diskurs zwischen denkenden Menschen war vor dem Totalitarismus zum Stillstand gekommen, die gesellschaftliche Voraussetzung für Politik schlechthin. Das hatte nach Arendt in Deutschland zum Erstarken der Nazis geführt, das Fehlen dieser diskutierenden Auseinandersetzung über „Was tun?“ auch in der Sowjetunion zum Stalinismus. Überall in der Welt, wo totalitäre Regime wie Pilze aus dem Boden wachsen, war es ähnlich. Lügen, falsche Prophezeiungen, deren Erfüllung dann ebenso manipulativ herbeigeführt wurde, das fehlen der Athener Agora eben. Jede Politik erfordert den Gedankenaustausch denkender Menschen.

 

Stonebridge geht die Werke und Äußerungen von Ahrendt chronologisch durch. An zwei Stellen hat sie Vorbehalte: Ahrendts Reaktion auf „Little Rock“ (1957), wo eine afroamerikanische Schülerin zusammen mit acht Anderen gegen massiven weißen Widerstand ihr vom obersten Gericht der USA verbrieftes Recht erkämpften, auf eine staatliche Schule gehen zu dürfen. Ihre Kritikerin wirft Ahrendt vor, sie habe die fundamentale Bedeutung des Kampfes für die Gleichberechtigung aller Hautfarben unterschätzt. Obwohl Ahrendt schon aus eigener Erfahrung gegen jede Form des Rassismus eingestellt war, habe sie für den Kampf des schwarzen Amerikas gegen die Rassentrennung keinen ihr entsprechenden Zugang gefunden.

 

Auch gegen „Eichmann in Jerusalem“ erhebt Stonebridge Einwände: Die Form des „Schauprozesses“ gegen den Judenmord habe nach Ahrendt nicht den eigentlichen Angeklagten Eichmann vor Gericht gebracht. Das Wort der „Banalität des Bösen“ war, wie die Expertin aus Birmingham weiß, bereits kurz nach Krieg in einem Briefwechsel zwischen Ahrendt und Jaspers zu ersten Mal gefallen – allerdings aus Jaspers‘ Mund. So banal seien Eichmann und sein mörderisches Organisationstalent aber nicht gewesen, findet Stenbridge. Das Singuläre ist nie banal. Die Shoah habe sich an der gesamten Menschheit vergangen. Das habe Ahrendt zwar auch in ihrem zuerst im New Yorker erschienenen Prozessbericht geschrieben, dafür aber nicht immer den richtigen Ton gefunden. Aber welcher Ton, außer einem welterschütternden Aufschrei wäre schon richtig? Stonebridge regt an dieser Stelle wie auch sonst in ihrem guten Buch zum Denken an und folgt damit Ahrendts Aufforderung und auch der von deren Denkvater Immanuel Kant.

 

Harald Loch

 

Lyndsey Stonebridge: Wir sind frei, die Welt zu verändern   Hannah Arendts Lektionen in Liebe und Ungehorsam

Aus dem Englischen von Frank Lachmann

C.H.Beck, München 2024   351 Seiten   22 s/w. Abb.   26 Euro

 

Musik in den Weltkriegen

Ein Monument der Monumente, ein überwältigendes Buch gegen Antisemitismus und Krieg, ein musikgeschichtliches Meisterwerk: Jeremy Eichler hat durch „Das Echo der Zeit“ eine einzigartige Perspektive auf die grauenvollste Epoche der europäischen Geschichte eingenommen. Anhand von Leben und Werk der vier wohl bedeutendsten Komponisten dieser Zeit wirft er einen leidvollen Blick auf das Leiden und die Vernichtung der europäischen Juden und auf die Verheerungen von zwei Weltkriegen. So unterschiedlich die Musik dieser vier Genies war, so auch ihr Leben – zwischen Triumph und Außenseiterstellung. Richard Strauss war kein Mitglied-Nazi, bekleidete aber hohe Funktionen in Hitlerdeutschland. Kurz nach dem Krieg komponierte er seine „Metamorphosen“ mit dem rätselhaften Schlusswort „In Memoriam“ – wessen eingedenk? Der Jude Arnold Schönberg stand auch als er die Zwölftonmusik erfand immer in der Tradition der von Deutschen entwickelten Musikkultur. Als Emigrant komponierte er „A Survivor from Warsaw“, ein nur sieben Minuten langes Stück mit dem überwältigenden Schlusschor des „Shm’a Jisrael“, dem jüdischen Glaubensbekenntnis. Benjamin Britten stand als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer während des Zweiten Weltkriegs in seiner Heimat im Abseits, als Schwuler ohnehin. Als er längst der geachtetste Komponist Englands war, ereilte ihn der Auftrag, eine Komposition zur feierlichen Eröffnung der neuen Kathedrale von Coventry zu schreiben. Der ehrwürdige alte Bau war von der deutschen Luftwaffe zerbombt worden und die Ruine mahnt seitdem gegen den Krieg. Britten komponierte für diesen Anlass sein „War Requiem“, in dem er auf den in England als den Great War erinnerten, den Ersten Weltkrieg zurückgriff. Dmitri Schostakowitsch überlebte den Stalinismus nur knapp. Als er durch ein Gedicht von Jewtuschenko auf das Nazi-Massaker in Babi Jar und dessen Vertuschung durch die sowjetischen Machthaber erfuhr – „Es steht kein Denmal in Babi Jar“ -, entschloss er sich, das Gedicht und beide Zeugnisse von brutalem Antisemitismus zu vertonen, er schrieb seine 13. Symphonie, die es schwer hatte, in der Sowjetunion aufgeführt zu werden. Von Brittens „War Requiem“ war er so begeistert, dass er seine Vierzehnte Britten widmete. Kein geringerer als der Cellist Mstislaw Rostropowitsch hatte die beiden größten damals lebenden Komponisten zusammengeführt.
Jeremy Eichler ist der vielleicht wichtigste Musikkritiker in den USA, er schrieb für die New York Times und jetzt für den Boston Globe. Aus seiner Feder sind die Würdigungen der Komponisten und ihrer Werke nicht nur eine Einordnung in einen ganz anderen Kanon. Er fordert zum „deap listening“ auf, also zum vertieften Hören. Dann werden aus den von ihm ausgewählten Musikstücken unzerstörbare Monumente. In der Tiefe sind die Anlässe ihrer Entstehung zu hören, ebenso aber die Bedingungen, unter denen sie komponiert wurden – eben als „Echo der Zeit“. Um die Zeit geht es in seinem überzeugend strukturierten Buch genauso, wie um die Noten und Klänge. Es geht um Antisemitismus auf allen Ebenen, um Vorbehalte gegenüber Pazifisten, um Einschüchterungen durch Diktatoren. Es geht aber auch um eine Musikkultur, es geht auch um die misslungene Emanzipation von Juden in Deutschland, um Monumente, wie das von Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig oder das nie errichtete Holocaust-Monument in New York. Auf jeder Seite werden auch Leser und Leserinnen, die diese furchtbare Epoche aus Hunderten von Büchern bereits bestens zu kennen glauben, glänzend erzählte Einzelheiten entdecken. Nicht aus Lust am Fabulieren stehen sie in diesem großartigen Buch, sondern aus der inneren Notwendigkeit, zu erzählen, wie es tatsächlich war. Dabei ruft Eichler bewegende Szenen auf, etwa, wenn er beschreibt, wie Benjamin Britten zusammen mit Yehudy Menuhin wenige Wochen nach Kriegsende im Lager Bergen-Belsen vor deplaced persons aus den Konzentrationslagern spielen – Violine mit Klavierbegleitung. Oder auch die unglaubliche Welt-Uraufführung von Schönbergs „A Survivor from Warsaw“ in einer Kleinstadt von Albuquerque im Wüstenhochland von New Mexico. Amateurmusiker hatten das schwierige Stück eingeübt und das Shm’a Jisrael sang ein Chor, in dem auch Cowboys mitwirkten. Eines der großen Orchester der USA sollte diese Uraufführung spielen, hatte sie aber – aus welchen Gründen darf man rätseln – immer wieder verschoben. Auf dem Grabstein von Schostakowitsch sind die Noten D Es C H eingraviert, die das deutsche Akronym seines Namens bilden: Dmitri SCHostakowitsch. Da klingt das B A C H aus längst vergangener Zeit nach. Auch ein „Echo der Zeit“.


Harald Loch


Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit   Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege
Aus dem Amerikanischen von Dieter Fuchs
Klett-Cotta, Stuttgart 2024   463 Seiten   50 s./w. Abb.   32 Euro

 

Jeremy Eichler, geboren 1974, preisgekrönter Kritiker und Kulturhistoriker, ist Chefkritiker für klassische Musik beim Boston Globe. Zuvor war er Kritiker bei der New York Times. Er wurde an der Columbia University in moderner europäischer Geschichte promoviert.

 

Interview mit Jeremy Eichler


Interview mit Jeremy Eichler zu seinem Buch „Das Echo der Zeit   Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege“
Das Gespräch führte Harald Loch mit dem Autor im Beisein seines Übersetzers Dieter Fuchs am 30.4.2024 in der Berliner Buchhandlung „Der Zauberberg“ im Vorfeld der deutschen Buchpremiere in deutscher und englischer Sprache.


HL: Was hat Sie bewogen, in Ihrem Buch gerade vier Komponisten, ihr Leben und ihr Werk in den Mittelpunkt zu stellen?


JE:  Arnold Schönberg, Richard Strauss, Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch sind vier überragende Komponisten des 20. Jahrhunderts. Während der Kriegsjahre standen diese vier an völlig verschiedenen Fenstern und blickten auf ein und dieselbe Katastrophe. Jeder reagierte auf den Bruch mit einem aufgeladenen Mahnmal an Tönen – was eine Reihe von Werken ergab, die, speziell vor dem Hintergrund ihrer bemerkenswerten Entstehung und Rezeption, mit die wichtigsten moralischen und ästhetischen Stellungnahmen des 20 Jahrhunderts darstellen.


HL: Um welche Werke handelt es sich?


JE:  Um Schönergs A Survivor from Warsaw, um die Metamorphosen von Richard Strauss, um Brittens War Requiem und um die Babi Jar-Sinfonie von Schostakowitsch. Meine Absicht war, die Kriegsvergangenheit und den Holocaust anhand dieser vier besonderen Musikwerke, anhand des Lebens ihrer Komponisten und anhand einzelner Momente in der Sozial- und Kulturgeschichte zu erforschen und darzustellen.


HL:  Wollen Sie damit einen Beitrag zu dem leisten, was Sie „deep listening“ nennen und was verstehen Sie darunter?


JE:  Das vertiefte oder vertiefende Hören ermöglicht ein anderes, ein genaueres Hören und Empfinden der Musik. Das Echo, das aus dieser Tiefe erschallt, hat verschiedene Zeitebenen: Schon die Umstände der Entstehung eines Werkes und die historischen Vorbedingungen ihrer Entstehung klingen – hört man genau hin – in jedem Werk nach. Diese Ebene liegt bei diesen Werken mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Heute wissen wir vieles mehr über den Krieg und die Shoah. Inzwischen haben die Werke selbst eine Aufführungsgeschichte hinter sich. Auch diese Folgen bilden ein Echo, das uns beim Hören dieser Kompositionen erreichen und – je nach der individuellen Veranlagung und Lebenslage – bewegen kann. Ich bin der Auffassung, dass ein solches Echo von Kompositionen durch die spezifische Wirkung der Musik ein unverzichtbares Monument der historischen Vergewisserung sein kann. Solche Monumente sind unzerstörbar und durch die multiplen Echoebenen auch zeitlos. Durch sie wird die Vergangenheit zu Bestandteilen der Gegenwart und weisen auch in die Zukunft.


HL:  Muss sich die Aufforderung zum „deep listening“ nicht auch an die Aufführenden richten?


JE:  Selbstverständlich! Jeder Dirigent, jeder Musiker, der das „Echo der Zeit“ mithört, das nicht Gestalt in den Noten angenommen hat, aber auch nach Jahrzehnten noch mitgelesen und folglich auch mitgehört werden kann, wird z.B. das „Schm‘a Jisrael“ in Schönbergs Survivor mit einem vertieften Verständnis singen und spielen. Und wenn wir uns dazu noch die Umstände der denkwürdigen Uraufführung in Albuquerque vergegenwärtigen, dann wird das Empfinden noch einmal anders intensiviert.


HL:  Ist Ihr Buch nicht als so etwas wie ein großes Programmheft zu lesen?


JE:  Jedes Programmheft berücksichtigt Ort und Zeit einer Aufführung, die Mitwirkenden, das erwartete Publikum. Mein Buch kann dabei hilfreich sein. Es ist aber in erster Linie eine ganz generelle Einladung zu „deep listening“, also zum Mithören dessen, was nicht in der Partitur steht, des Echos der verschiedenen vergangenen Zeitebenen eben.


HL: Sie beziehen sich in Ihrem Buch immer wieder auf die deutsche Kultur, nicht nur in der Musik – gibt es eine besondere Beziehung zu ihr?


JE:  Meine jüdischen Vorfahren sind vor 1933 in die USA eingewandert. Ich bin ein sogenannter „witness by adaption“. Aber nehmen wir Arnold Schönberg! Er sah sich in der Tradition der deutschen Musik seit Johann Sebastian Bach oder Beethoven. Er wollte mir seiner Zwölftonmusik sogar die Zukunft dieser deutschen Musiktradition einleiten und definieren. Und wenn ich Walter Benjamin, Stefan Zweig oder Adorno zitiere – sie alle standen in dieser deutschen Kulturtradition. Ich denke, dass die Musik das wesentliche Bindeglied im Bewusstsein der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert im Zeichen der Kleinstaatlichkeit vor der Reichsgründung war, das überhaupt zu so etwas wie einer Tradition taugte. Das von den Nazis so brutal aufgekündigte deutsch-jüdische Zusammenleben, war eine kulturelle Symbiose, die sich besonders in der Musik ausdrückte.


HL:  Welche Rolle messen Sie überhaupt der Musik in diesem Erinnerungszusammenhang bei? 


JE:  In meinem Buch habe ich es so formuliert: „Die Kunst erlaubt uns, mit den Gespenstern der Geschichte, also mit der Präsenz der Vergangenheit zu leben, und jede Kunstform macht das anders. Wenn es darum geht, in einen wahrhaft gefühlten Kontakt zu diesen Vergangenheiten zu kommen, hat die Musik in der Tat eine besondere Beziehung zur Erinnerung. … Ich habe aufzuzeigen versucht, auf welch unterschiedliche Weise Musik das Noch-nicht-Gewordene (Ernst Bloch) der Vergangenheit transportieren kann, die nach wie vor glühende Asche der Möglichkeit, die verschütteten Visionen von einer anderen Zukunft.“


Harald Loch

 

Bücher, die in die Zukunft weisen


Ist es nicht einfach schön, ein Buch in die Hand zu nehmen, das frisch riecht, noch ganz und gar ungelesen jungfräulich ist, den Klappentext aufzuschlagen, sich erst einmal zu orientieren, was auf einen zukommen wird, dann die Umschlagseite hinten aufzublättern, wo steht, dass der Herausgeber  Jonathan Beck seit 2015 den Verlagsbereich Literatur, Sachbuch und Wissenschaft betreut, dann blättert man in das Inhaltsverzeichnis hinein und findet nach dem Vorwort einen Überblick über die Schriftsteller, die alle unter dem Motto subsummiert worden sind: Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.

Also tun wir das: Schon bei den alten Chinesen bleibe ich hängen. Was sollen die zu unserer Zukunft beitragen können. Laozi, der schon mit dem Spruch das weiche Wasser besiegt den harten Stein bekannt geworden ist, sagt in dem Buch “Dao de Jing”, intelligenterweise, wir können unser eigenes Gehirn nicht verstehen, dafür ist es zu intelligent. Na bitte, der Herausgeber empfiehlt uns auch Thukydides, denn aus der Geschichte des Peloponnesischen Krieges könnten wir ableiten, was uns noch bevorsteht demnächst, wenn die NATO zerbricht. Denn in dem Kapitel heißt es, der Peloponnesische Krieg und seine Geschichte sei der lehrreichste Konflikt der Menschheitsgeschichte, denn nie läuft ein Krieg nach festgelegtem Plan, aus sich selbst heraus erfindet er immer wieder Neues für jede neue Lage.


Blättern wir weiter und lernen bei Mark Aurel, dass nicht alles Wünschenswerte erreichbar ist und wir das ohne Groll hinzunehmen haben. Das sei manchem Ampel-Koalitionär derzeit ans Herz gelegt.
Und schon sind wir bei Friedrich II und dem Falkenbuch. Dort lernen wir: "Gewissheit erlangt man nicht durch das Ohr.” Bei Louis Sebastien Mercier erfahren wir schon in einem Vorsatz: “Nichts führt den Verstand mehr in die Irre als schlecht geratene Bücher.” 


Das uns gerade vorliegende ist es bestimmt nicht. Es ist hervorragend geraten und bringt uns zu allerlei Erkenntnis aus der Vergangenheit für die Gegenwart.


Es ist geradezu ein wildes Vergnügen, sich durch die Jahrhunderte zu blättern und zu lernen, was Menschen in früheren Tagen bewegt hat und zu welchen Erkenntnissen sie gekommen sind.

Am Ende ist es auch die überzeugende Auswahl der Autoren, die in den einzelnen Kapiteln sich mit den Ursprüngen des Denkens auseinandergesetzt haben, die faszinieren. 
Da schreibt etwa Jan Philipp Reemtsma über Christoph Martin Wieland. Bei ihm heißt es, Bücher entwerfen Bilder von Weltausschnitten, unterschiedlich nach Genre. Insofern helfen sie auch, sich in der Welt zurecht zu finden. 


Ob Stendhal,  Novalis oder Tocqueville, von Clausewitz oder Karl Marx, Kant, Schiller oder Sigmund Freud, Max Weber, Jünger oder Stefan Zweig, George Orwell, Hannah Arendt oder Bob Dylan, dieses Buch ist ein Spiegel der Geistesgeschichte und eine Fundgrube der menschlichen Erkenntnis. Auch die Moderne kommt vor, etwa Niklas Luhmann oder George F. Kennan, der eine spricht über soziale Systeme der andere über den neuen Nachbarn Russland. Ralf Dahrendorf ist auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Heinrich August Winklers Text „Zerbricht der Westen?“ wird zum Thema und er selbst auch zum Autor in diesem Buch. Auch Greta Thunberg hat es in das Buch geschafft, mit ihrer Rede “Ich will, dass ihr in Panik geratet.”


Auch unsere aktuellste Krise der Überfall-Krieg Russlands gegen die Ukraine findet am Ende des Buches durch Andrej Kurkow statt, mit seinem “Tagebuch einer Invasion”: “Den Menschen in der Ukraine, die Tag und Nacht ums Überleben kämpfen müssen, ist Zukunft bereits jetzt vollständig entzogen worden. Seit Putins Angriffskrieg auf das gesamte Territorium des Landes ist die Fortexistenz dieses Staates gefährdet, und die Voraussetzungen dafür müssen täglich mit größten Anstrengungen und Leiden erkämpft werden.”


Das letzte Kapitel ist vorausschauend und zurückblickend zugleich. Unter dem Titel “The Avoidable War” geht es um die Frage, wie ein Krieg zwischen Amerika und China abgewendet werden kann. 
Am Ende des Buches werden die Autorinnen und Autoren aufgelistet, ebenso die von ihnen vorgestellten Werke. Ein Buch ausgezeichnet zu verwenden im Schulunterricht in den Fächern Geschichte und Deutsch. Und auf Angeordneten-Bänken sollte es als Hirn-Nahrung auch liegen. 


Jonathan Beck (Hg) Eine andere Welt. Bücher, die in die Zukunft weisen C.H.Beck 

 

Jonathan Beck leitet seit 2015 bei C.H.Beck den Verlagsbereich „Literatur – Sachbuch – Wissenschaft“.

Die Seidenstrasse - Chinas Machtpolitik konkret

Schon Altbundeskanzler Helmut Schmidt wusste in den 1970er Jahren: Schaut bitte wirtschaftlich gesehen auf den asiatischen Raum und insbesondere auf China, um zu erkennen, was auf den Westen zukommt. China verfolgt geostrategische Projekte wie die neue Seidenstraße, die einen wirtschaftlichen Machtausbau bedeuten wird: Fortschritt in der Wirtschaft auf Kosten der Menschenrechte, Umweltschutz Nebensache, demokratische Entscheidungsprozesse umgehen! Wir Europäer müssen wissen, dass damit eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung verbunden ist.

 

Philipp Mattheis meint, wir müssen uns darüber im Klaren sein, was auf der neuen Seidenstraße passiert und wenn möglich gegensteuern. Dafür bräuchte es jedoch eine aktive China-Politik und die ist nirgendwo so recht zu sehen. Lange haben wir China als einen sanften schlafenden Riesen gesehen, dem wir gerne die demokratischen Werte beibringen wollen. Wir haben auf Wandel durch Handel gesetzt, konnten jedoch nach der Corona-Krise erkennen, dass unsere Projektionen auf diese neue Macht nicht immer mit den Realitäten übereingestimmt haben. 

Die Kommunistische Partei hat es nicht so mit den westlichen liberalen, kapitalistischen Normen und unterstützt auch autoritäre Systeme zum Beispiel in Afrika. 

 

Zugleich ist China im Krieg gegen die Ukraine an der Seite von Russland. 

 

Dieses Buch ist eine anschauliche Reportage, der Autor beginnt seine Recherche an der Basis der neuen Seidenstraße und stellt fest, dass China dort Milliarden Kredite investiert. Mit der Seidenstraße soll ein sagenhafter Reichtum zurückkehren, aber nicht immer klappen die Projekte erfolgreich. So zeigt der Autor zum Beispiel, dass eine Zugstrecke für Afrika geplant im Nirvana endet, also nicht alle Projekte, die China in Angriff nimmt, sind erfolgreich.

 

China verfügt über gewaltige Produktionskapazitäten und hat immense Millionen Dollar, um zu investieren. Auch die brutale Unterdrückung der Uiguren fällt zusammen mit dem Start der neuen Seidenstraße.

Mattheis ist immer sehr nah dran an seinem Thema, er besucht in Vorder- und Südasien die Region vom Karakorum, den Highway nach Teheran und den Weg nach Istanbul. Dort fallen Peking die Geschäfte besonders leicht, weil sich wegen der autoritären Regime die westlichen Unternehmen zurückgezogen haben. Es geht den Machthabern in Peking aber auch um die “digitale Seitenstraße”. 

 

China möchte sein Verständnis von Überwachungstechnologien dahin exportieren. Es geht dem Machtstaat aber um nicht weniger als darum, den weltweiten Status des US-Dollars als globale Leitwährung zu untergraben.

 

Letzten Endes sind es die finanziellen Investitionspotentiale, die China hat. Mattheis behauptet jedoch, dass die Seitenstraße nicht dazu führt, dass China zu einem “bösen Geldverleiher” wird. 

 

Fazit: Mattheis verliert sich nicht im politsoziologischen Geschwurbel, seine konkrete Sprache und seine basisorientierten Recherchen führen dazu, dass wir ein sehr konkretes Bild von dieser dreckigen Seidentraße gewinnen können. Seide ist die einzige in der Natur vorkommende textile Endlos-Faser Seide ist ein feines zartes Bio-Produkt, das Projekt Seidenstraße ist es nicht.

 

Philipp Mattheis, geboren 1979, hat Philosophie studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Seit 2011 arbeitet er als Auslandskorrespondent für verschiedene deutsche Medien, darunter den Stern, Capital, die WirtschaftsWoche und den STANDARD. Von 2011 bis 2016 und 2019 bis 2021 lebte er in Shanghai, von 2016 bis 2019 berichtete er aus Istanbul über die Türkei und den Nahen Osten.

 

Philipp Mattheis 
Die dreckige Seidenstraße
Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt GOLDMANN

Die Formen des Sichtbaren   Eine Anthropologie der Bilder


Als ob wir bislang etwas anderes gesehen hätten, als wir die Bilder der Welt betrachten! Philippe Descola hat eine anthropologische Sehhilfe entworfen, deren Schärfe nicht in Dioptrien gemessen wird. Mit seinem überzeugenden Buch „Die Formen des Sichtbaren“ wirkt er mit den Mitteln seiner anthropologischen Forschungsergebnisse auf das ein, was unser Gehirn mit dem Wahrgenommenen anstellen kann.

 

Der 1949 geborene Autor gilt als der bedeutendste französische Anthropologe der Gegenwart. In seinem Werk sprengt er den zeitlichen und geografischen Rahmen eurozentrierter Bild- und Kunstbetrachtung. Das führt ihn zu einer gänzlich neuen und überraschenden Kategorisierung des Ähnlichen, oder, wie er sagt, der Weisen, „in den Falten der Welt Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzuspüren.“

 

Er bezeichnet diese vier Weisen als „Animismus, Totemismus, Analogismus und Naturalismus“. Den Animismus lernte der Autor während seiner frühen Feldforschungen bei den Achuar am oberen Amazonas kennen: „Jede Art von Ding verfügt über einen eigenen Körper … ihm wird Interiorität im Sinne eines Innenlebens menschlicher Art zugeschrieben – die meisten Wesen haben eine Seele.“ Die Beschäftigung mit Texten und großen Monographien über die australischen Aborigines führte ihn „zu meinem großen Erstaunen“ zu einer Ahnung, was Totemismus ist: Der totemistische Prototyp wird meist mit einem Tiernamen belegt. „Die menschlichen und nichtmenschlichen Mitglieder der Klasse des Adlers z.B. ähneln also dem Adler gerade nicht und stammen auch nicht von ihm ab, vielmehr teilen sie die Eigenschaften mit diesem Vogel – Schnelligkeit, Entschlossenheit, Sehschärfe …, die bei ihm stärker hervortreten als bei jedem anderen, doch deren tatsächliche Quelle auf eines der Totemwesen zurückgeht, die einstmals der Welt Ordnung und Sinn verliehen haben.“ Der dritte Identifikationsmodus (Analogismus) erschloss sich dem Autor aus Überschneidungen des chinesischen Denkens, der Renaissance durch die Brille von Foucault und des Denkens der Azteken.  „Alle drei waren richtiggehend besessen von der Analogie als einem Mittel, die wildwuchernden Unterschiede zwischen den Objekten der Welt… dadurch zu verringern, dass sie zu ausgedehnten Korrespondenznetzwerken verknüpft werden.“ Schließlich weist Descola die europäische Malerei des 15. – 20. Jahrhunderts dem Naturalismus zu und entwickelt in dem diesem gewidmeten Kapitel überraschende und interessante Ergebnisse für den Übergang von der drei Dimensionen in den Blick nehmenden Bildgestaltung zu flächigen, z.B. abstrakten Malerei.


Das alles ist von der überwältigenden Kenntnis des Autors von den Bildsprachen der Welt getragen. Es verlangt von seinen Leserinnen und Lesern ein Hohes Maß an Aufmerksamkeit und unterscheidet sich wohltuend von plaudernden Werken über Kunst. Die Übersetzung des anspruchsvollen Textes hat Christine Pries bewundernswert besorgt. Die gleichwohl bleibenden Anstrengungen bei der Lektüre werden durch zahlreiche Bildbeispiele aufgelockert.

 

Der geradezu revolutionäre Ansatz wird die kunstanthropologische Diskussion der Zukunft beflügeln. Descola formuliert keine letztgültigen Wahrheiten über die Formen des Sichtbaren, sondern er stellt seinen völlig neuartigen Ansatz zur Diskussion. Aber er führt gewissermaßen endgültig weg von vielen konventionellen, im Wesentlichen eurozentrierten Sichtweisen. An den Rändern der Welt, die sich in das Zentrum der Aufmerksamkeit in Werken wie dieser Anthropologie der Bilder bewegen, hat sich schon vor Jahrtausenden etwas getan, was der Autor dieses großartigen Werkes überzeugend geordnet und neu gegliedert hat. 


Harald Loch


Philippe Descola: Die Formen des Sichtbaren   Eine Anthropologie der Bilder
Aus dem Französischen von Christine Pries
Suhrkamp, Berlin 2023   783 Seiten   156 z.T. farbige Abb.   6 Tabellen   

 

Die AfD - rechts unten 

Umsturzpläne für Deutschland


Umsturzpläne und Festnahmen haben dieser Tage die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Eine mutmaßlich terroristische Vereinigung, zu der 25 Festgenommene gehörten, planten einen Putsch gegen die Bundesregierung. Generalbundesanwalt Peter Frank: “Die Vereinigung hat sich nach unseren Erkenntnissen zum Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen." Mit einer Großrazzia gegen Anhänger der „Reichsbürger- und Querdenker-Bewegung“ wehrt sich der Rechtsstaat. Wurde die Gefahr von rechts in Deutschland zu lange unterschätzt? Welche Rolle spielen Rechtsparteien im Parteienspektrum der Bundesrepublik? Geht von der AfD eine Gefahr für unsere Demokratie aus? Ein neues Buch über die AfD von Sebastian Pittelkow und Katja Riedel bietet Insiderinformationen und eine gründliche Recherche über die Protestpartei.


Titel 

 

Sebastian Pittelkow/Katja Riedel RECHTS UNTEN 
Die AfD 
Intrigen, heimliche Herrscher und die Macht der Geldgeber 
rowohlt Polaris 


Autor 

Sebastian Pittelkow, geboren 1982 in Dresden, arbeitet als investigativer Reporter für den NDR und die ARD in Berlin und gehört zur Recherchekooperation NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Er hat Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert und danach beim MDR als Reporter gearbeitet. Mit der AfD und dem Osten der Republik beschäftigt er sich journalistisch seit vielen Jahren. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet.


Katja Riedel wurde 1979 in Rotenburg an der Fulda geboren. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Investigativjournalistin, vornehmlich für die Recherchekooperation von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung, zuletzt aber auch für die ZEIT. Nach einem Studium in Leipzig, Gießen und München absolvierte sie die Deutsche Journalistenschule. Bei der Süddeutschen Zeitung war sie bis 2016 Redakteurin und wechselte dann ins Berliner Büro des Investigativressorts des WDR, wo sie sich neben wirtschaftspolitischen Themen seit Jahren der AfD und den Netzwerken widmet. Gemeinsam deckten Katja Riedel und Sebastian Pittelkow wichtige Teile der AfD-Spendenaffäre auf.

 

Gestaltung 

Paperback, 351 Seiten, ohne Fotos, in sachlichem Reportageton geschrieben 


Cover 

nur Schlagzeilen, keine Fotos, RECHTS UNTEN in rot und schwarzer Farbe bewusst auf dem Titel hervorgehoben


Zitat

 „Auffallen, radikal sein – mit Skandalen, mit Tabubrüchen und mit Pauschalisierungen – und das um jeden Preis: kann die AfD. Raus dem Kästchen springen auch. Wohin? Nach rechts unten.“


Meinung

Tiefe Einblicke in das System der Partei haben die beiden AfD-Rechercheexperten da zusammengetragen, sehr detailliert und fundiert, sie nennen es Spurensuche eingangs zu einer Partei, die die Parteienlandschaft „grundstürzend“ verändert hat, die sich aus Stimmungen und spontanen Mehrheiten nährt.
Parteiprotokolle, Vorstandsmails, Chats und zugespielte Dokumente auf vollen Festplatten standen den Autoren als Material zur Verfügung. Sie beschreiben die Parteienentwicklung als eine „Geschichte des Streits“ und porträtieren die Kampfhähne und weiblichen Kampfhühner. 
Die Autoren sind Verfehlungen auf der Spur und kümmern sich um Geldströme. Schmutzige Chats werden wie Waffen benutzt. Wahrheiten gehen dabei verloren. Machtkämpfe, Deals, Absprachen werden aufgedeckt, sie beschreiben den Weg von der Aufbruchstimmung zur Abbbruchpolitik. 


Thema auch der Kampf zwischen moderatem Flügel und Rechtsradikalen in der Partei, den ideologischen Hardlinern, Fehden an der Parteispitze, Selbstbeschäftigung der Parteielite, Machtkämpfe, Austritte, öffentliches Auftreten im „Rechtsaußen-modischem-Schick, das alles tragen die Journalisten akribisch, fast detailversessen auf.

 
Es entsteht das Porträt einer schier unsteuerbaren Protestpartei, die sich als Sammelbecken der Protestwähler empfindet und in jahrelange Lagerkämpfe verstrickt ist. Die Parteiführer etablieren Reizwort-Diskussionen über „Überfremdung“ der Republik, verharmlosen extremistisches Gedankengut mit euphemistischer Sprachregelung, verfolgen rassistische und islamophobe Ideen. 


Es geht auch um Landschaftspflege durch Großspenden, um intransparente Unterstützervereine. Ein besonderes Kapitel widmet sich den „Liebesdiensten für Moskau“, denn AfD-Politiker entwickeln eine rege Reisetätigkeit nach Moskau. Die AfD will weiter Russengas beziehen, lehnt die EU- und NATO-Beitrittsansinnen der Ukraine ab, Gauland will im Europäischen Haus noch im August 2022 ein gutes Verhältnis zu Russland haben.


Ob Luxusaufenthalte in 5-Sterne-Hotels oder attraktive Segeltörns, die Lock-Verlockungen in Russland sind groß, die Funktionsträger können Ansehen gewinnen und beim Wähler damit Eindruck schinden. 
Das Buch entlarvt auch die Desinformationsmaschine Russlands. 
Das Autorenduo diagnostiziert insgesamt: „Die Zeiten des Wachstums scheinen inzwischen vorbei zu sein.“ 


Fazit des Buches, die Protestpartei hat auch eine Abneigung gegen feste Strukturen im Inneren, eine Art Populismus, der nach innen wirkt. Der Ausblick über die künftige Entwicklung der Partei fällt etwas knapp aus. Aber die gegenwärtigen Krisen sind wie gemacht für eine Protestpartei. Ein aufklärendes Buch mit viel Recherchebelegen. Fakten nicht Fake!


Leser 

WIR ALLE, Mitglieder des Deutschen Bundestages und alle Mitglieder von Parteien 

 

PRESSE 

„Für diejenigen, die sich ernsthaft und ausführlich mit Details, Hintergründen, Ausrichtung, Personal und Verbindungen innerhalb der rechtsradikalen Partei auseinandersetzen wollen, ist „Rechts unten“ deswegen unbedingt empfehlenswert und hält auch für langjährige Beobachter*innen viel Neues bereit. Wer allerdings nur einen kurzen Überblick zur AfD sucht oder sich ins Thema einlesen will, wird angesichts der Detailfülle eventuell abgeschreckt sein.“


AUDIO     

Deutschlandfunk